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Beilage

Donnerstag, 17. Oktober 1929

Der Abend

Spalausgabe des Vorwärt

Gedächtnisballaſt/ Arbeitsleiſtung? Sexuelle Erziehung- Aufartung

Warum wir so vieles vergessen haben

Erinnert sich noch jemand an die sogenannte Instruktionsstunde feiner Soldatenzeit, wo bei Gelegenheit auch die vaterländische Ge­schichte traftiert wurde. Was für ergötzliche Antworten famen doch dabei zutage! Mit Ländern und Zeiten, mit Namen und Zahlen wurde umhergeworfen, daß dem Herrn Leutnant Hören und Sehen verging. Als Schuljungen hatten es alle doch so gründlich gelernt, treu eingepauft bekommen, fleißig wiederholt; und sieben Jahre später? faum noch Spuren; die Schlachtennamen waren ver­gessen, und die Reihe der Hohenzollern war elend durcheinander­gepurzelt.

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Ob es heute anders ist? Kaum; die Klagen über ge­ringe Leistungen des Gedächtnisses find laut und häufig. 3mmer, wo fleine oder große Schüler geprüft werden, endet es mit einem

Kopfschütteln: wie wenig wissen die noch! Der Universitätsprofessor flagt über das mangelhafte Bissen der Studenten, und der Studien­rat jammert, daß die Grundschule die Knaben und Mädchen nicht genug herangefriegt habe. Die Handwerksmeister lassen die einzu­stellenden Lehrlinge prüfen und sind voll Erstaunen, auf wieviel Fragen keine Antwort fommt( fie würden übrigens noch mehr und die Berufsschulen finden, daß die Bolksschulen ihre Bflicht nicht tun. Es ist wie im Kriege: Jeder Truppenteil schuftete sich in den Stellungen ab und glaubte seine Pflicht redlich zu erfüllen; aber die andere Truppe, die zur Ablösung erschien, mußte über das Vor: gefundene nur zu schimpfen und zu mäkeln.

staunen, wenn sie sich selbst auch der Prüfung unterzögen!)

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Aber es ist schon so, vor Prüfungen und Berechtigungsscheinen hat man Respekt. Kürschner sucht Lehrling nur mit Zeugnis der mittleren Reife" oder Abiturient findet Stellung als Lehr­ling im Ladengeschäft, auch Ladenbedienung ist zu versehen", das find Zeitungsanzeigen, wie man sie täglich finden kann. Wer seinem Gedächtnis zu allem anderen auch noch die Vokabeln zweier Fremd­sprachen einverleibt hat, wird voraussichtlich ein besserer Handwerker oder kann den Kaffee flotter verkaufen, als wer diesen Gedächtnis ballast entbehrt.

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Erforderniffe moderner Pädagogik

Die allseitig anerkannte Rotsituation des deutschen Boltes, ins­besondere der breiten Masse des Proletariats, hat die Frage der geschlechtlichen Erziehung, der Aufgrtung und schließlich der Lebens hilse start in den Vordergrund des allgemeinen Interesses gerückt. So erklärt es sich, daß der Bund Entschiedener Schul­reformer einen öffentlichen Kongreß veranstaltete( wir wiesen darauf schon an anderer Stelle hin), auf welchem die Behandlung der drei Fragen erfolgte.

Bezüglich der geschlechtlichen Erziehung sind die Ansichten noch sehr geteilt. Man gibt wohl allgemein zu, daß sexuelle Erziehung und feruelle Aufklärung notwendig find. Nicht einig ist man sich dagegen bezüglich der Frage, ob die Aufklärung durch das Haus allein oder aber unabhängig davon auch seitens der Schule zu geschehen habe. Man neigt gegenwärtig dazu, sowohl die geschlecht liche Erziehung wie die sexuelle Aufklärung dem Elternhaus zu: zuweisen, und man betont ferner jetzt mehr die Notwendigkeit ge schlechtlicher Erziehung als die frühzeitiger sexueller Aufklärung. Bezüglich der geschlechtlichen Erziehung wird Wert darauf gelegt, im Zusammenhange mit verstärkter Willensbildung das Gefühl der Verantwortung zu weden.

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Zur Aufartung gehört auch die Geburtenregelung; denn mit großer Geburtlichkeit geht in vielen Fällen eine Erhöhung der Krankheitsziffer einher. Die Tendenz zur Geburtenregelung hat feineswegs den Sinn, den Willen zum Kind zu unterdrücken. Die Schulrätin Käthe Feuerst ad in Berlin hat im Rahmen des er­wähnten Kongresses eine Umstellung der Gittlichkeitsbegriffe in bezug auf freie Mutterschaft gefordert und hingewiesen auf den Frauenüberschuß, der durch die noch herrschende Sitte vom Mutterglück sowieso ausgeschaltet ist.

Neu ist der Begriff der Lebenshilfe im Sinne einer Verpflich

tung der heranwachsenden Jugend gegenüber. Das gesellschaftliche Leben der Gegenwart stellt derartige Ansprüche an die in die große Gemeinschaft hineinwachsende Jugend, daß Elternhaus und Schule mehr als bisher sich darauf einstellen müssen, daß der Nachwuchs lebenstüchtig wird. Wird die Erziehung zur Lebenstüchtigkeit vernachläffigt, dann fehlt die Kraft zur Bejahung des Lebens. Heinrich Dehmel erblickt in der Lebenshilfe die be­wußte Arbeit zur Steigerung von Lebensmut, Lebensfreude und Lebenstüchtigkeit im Einzelmenschen, in der Familie und in der Menschheit. Benn die Schule Lebenshilfe leisten will, so muß sie

auf alle vergewaltigenden Zwangsmethoden und 3mangsmittel von vornherein verzichten; sie darf auch fein Blaß sein frankhafter Geltungsbefriedigung. Schulrat Erich Viehweg( Löbau i. Sa.) betrachtet als Lebenshilfe die Hilfe in den Gegenwartsnöten der Jugend, zum Beispiel seelsorgerische" Maßnahmen, Jugendbera­tung, Jugendpflege, Jugendfürsorge; ferner Ertüchtigung für das Leben, also Lebensschulung und Lebenstunde; sodann vor allem Hilfe zur vollen Lebens- und Wesenserfüllung, das heißt zur To­

Mit einem gewissen Mut verlangen in steigendem Maße Aerzte Also früher wie heute. Das Bergessen scheint eine all- wie Politiker und andere Kreise die Ausmerzung hoffnungslos gemein menschliche Fähigkeit zu sein, und daß die Alten von heute Entarteter. Immer wieder wird der Gedanke der Sterilisa immer glauben und behaupten, früher sei das alles ganz anders tion bzw. der Kastrierung erörtert. Andererseits hat man er: gewesen, ist der beste Beweis, daß sie eben vergessen haben, wie kannt, daß im Gegensatz zu der bisher herrschenden Meinung es damals wirklich war. in der sogenannten Unterschicht der Bevölkerung Aufar tungstraft und wertvolles Erbgut in ausreichender 3ahl vorhanden ist. Die Entartung im Proletariat tritt erst nach| talität. der Geburt durch die mißlichen sozialen Umstände ein. Daher muß die Aufartung Hand in hand gehen mit einer vernünftigen Bevölkerungspolitit. Nach Georg Loewenstein hängt die Aufartung innig zusammen mit der Arbeitswelt der Masse, mit den Arbeitsbedingungen, insbesondere mit Lohnhöhe, Länge und Lage der Arbeitszeit. Es darf nicht geleugnet werden, daß die Auf­artung andererseits auch zu einem guten Teile gefördert werden fann durch Selbsterziehung und Selbstbeherrschung. Das trifft be­sonders zu in bezug auf die Bekämpfung der Rausch gifte, vornehmlich des Alkohols. Wir wissen heute, daß Kinder von no­torischen Trinfern in jedem Falle den spezifischen Charakter von Trinkerfindern zeigen, daß sie nämlich willensschwache und arbeits­scheue Elemente der Gesellschaft sind. Die durch Trunksucht des Erzeugers bedingten förperlichen und seelischen Erkrankungen find zudem unheilbar.

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Sind die Köpfe der übrigen Volksgenossen hohl? Es ist wirklich schlimm. Da steht der Mann an der Wertbank und macht die feinsten Präzisionsarbeiten aber die Schlachten aus dem Sieben jährigen Krieg hat er total vergessen. Unter geschickten Arbeiter­händen ist das imposante Baumert eines Dzeandampfers wie der ,, Bremen " entstanden und fragt man diese Menschen nach den Namen der Flüsse in Afien oder der Städte in Australien , so wissen sie nichts mehr davon.

3war ist das Gedächtnis nicht mit einem Sieb zu vergleichen, wie es oft geschieht, denn zunächst bleibt ja alles darin, was hinein gefüllt wird. Man kann es schon richtiger ein Gefäß nennen, das heil bleibt, solange der Schulmeister beständig daran herum poliert. Aber sofort, wenn er damit aufhört, frißt der Rost der Zeit Löcher hinein, und ein Stück nach dem andern fällt ungemerkt heraus, am schnellsten das, was der Mensch nicht gebraucht.

Was täglich gebraucht wird, sei es im Berufsleben oder sei es aus außerberuflicher Neigung, bleibt darin, denn was früher der Lehrer mit seiner fortwährenden Wiederholung be­forgt hat, macht er nun selber, nicht absichtlich, aber ebenso fleißig. Wenn man deshalb einmal eine Prüfung anstellen würde, nicht um festzustellen, was der Mensch vergessen hat, sondern um dahinter­zukommen, was er noch weiß, man würde zu überraschenden Re­sultaten kommen.

Eine Gruppe von Bätern und Müttern, ohne Ausnahme aus der Arbeiterklasse, beschäftigte sich einen Winter hindurch in regel­mäßigen Zusammenfünften mit Fragen des Unterrichts. Sie hatten ab und zu Gelegenheit gehabt, dem Unterricht ihrer Kinder beizu­wohnen und besprachen mun das Gesehene und Gehörte und ver suchten einzudringen in die Arbeitsgebiete und Arbeitsmethoden der heutigen Schule. Dabei blieb es nicht aus, daß recht häufig die Frage auftrat: was weiß ich denn noch von dem, was ich in der Schule gelernt habe? Wenn man eine Prüfung in allen Fächern veran­staltet hätte, so märe sicher eine Gesamtleistung herausgekommen, die all den eingangs mitgeteilten Klagen Recht gegeben hätte. Aber ein anderes wurde ebenso deutlich: auf dem Gebiete des Interesses und der Neigung hatte das Gedächtnis nicht versagt, fast für jedes Unterrichtsgebiet fand sich ein Vertreter, der sein Schulwissen treu bewahrt hatte und vernünftigen Gebrauch davon machen konnte.

Die Freiheit, sich ausschließlich mit den Dingen ihrer Neigung und ihres Interesses zu beschäftigen, kann man den Schulkindern aus mancherlei Gründen nicht geben. Aber wenn man die Kinder befragt, was sie leicht in ihrem Gedächtnis behalten und was ihnen dagegen Mühe macht, so werden sie die Gruppierung bald finden, und die richtet sich nach der Lust an der Sache. Noch deut­licher wird diese Erfahrung bei den Interessengebieten, die außer halb der Schule liegen. Es gibt Kinder, die das Einmaleins nie lernen, die aber alle Straßen und Plätze der Stadt mit Namen kennen und auszufinden wissen. Wie groß ist nicht die Zahl der Jungen, die fast sämtliche Automarken zu benennen und unter­scheiden vermögen. Anderen hat's die Schiffahrt angetan, fein Reedereizeichen, feine fremde Flagge ist ihnen unbekannt.

Gedächtnis ist also schon vorhanden, aber nicht immer da, mo der Mensch es wünscht, sicher auch längst nicht immer dort, wo Leben und Beruf es gerade erfordern. Doch das ist nicht zu ändern, das Gedächtnis ist teine Konservenfabrit.

Darum, daß die Dinge der Neigung sich dem Gedächtnis der Kinder einprägen, braucht man sich nicht viel zu fümmern, das ge schieht ohne unser Zutun, und das Gedächtnis bewahrt folchen In­halt ohne absichtliche Wiederholung auf. All die täglich gebrauchten Kleinigkeiten der Schularbeit prägen sich auch mehr oder weniger schnell ein. Schlimm steht es aber um die besonderen Schul­meisheiten. Das normale Gedächtnis nimmt sie ohne erheb­liche Schwierigkeiten auf, und durch ständige Wiederholung werden sie frisch erhalten. Der Unterricht, wenn er recht gehandhabt wird, foll ja teinen unnüßen Ballast ansammeln, sondern nur Betriebs mittel für die geistige Arbeit. Ist dann die Schulzeit herum, so werden diese Betriebsmittel zum größten Teil brach ge­legt, und andere Notwendigkeiten beschäftigen den Geist des Jugend lichen, andere Dinge als Gedichte, Geschichtszahlen, Flüsse und

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Pflanzen muß er seinem Gedächtnis einfügen. Manches, was schön zu wissen war, rutscht unwiderstehlich in nebelhafte Tiefen; ein bedauerlicher aber natürlicher Vorgang.

Wer arbeiten gelernt hat, ist imstande, seine Auf­gabe zu erkennen, die Hilfsmittel zu gebrauchen, die Materialien herbeizuschaffen und zu verwenden. Das sollte auch der Sinn der Prüfungen sein: nicht, welchen Ballast bringst du angeschleppt?, sondern, welche Arbeitsleistung kannst du vol1

führen?

Aevermann.

Erziehung als Weltproblem

Eine Anregung

Erziehung ist selbstverständlich nicht nur Haus- und Schul­erziehung. Sie ist etwas unendlich umfassenderes, Berwickelteres, Tieferes. Schon die nationale Erziehung erscheint als das Werk aller lebendigen Organe eines Voltes. Es gibt aber auch seit Jahrtausenden bereits eine internationale Ere ziehung, die aus drei Wurzeln zusammenwächst. Die eine dieser Wurzeln erkennen wir in den bei aller nationalen Berschiedenheit der Bölker gegebenen allgemeinmenschlichen und allgemeinfachlichen Boraussetzungen, Grenzen und Bindungen alles Kulturlebens. Die andere legen wir bloß, wenn wir die teils bewußten und gewollten, teils unbewußten und absichtslos erzielten Einwirkungen eines Volfes auf die Kultur und. Zivilisation anderer Bölfer aufzeigen. Die dritte jaugt ihre Kraft aus besonderen internationalen Ein richtungen religiöser, wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Art, welche die Völker verbinden. In diesem weitesten, tiefsten und höchsten Sinne wollen wir den Begriff Erziehung verstehen, wenn wir uns jetzt daran machen, seinen Inhalt als Weltproblem aufzufassen und zu skizzieren.

Ein umfassendes Maß von Vorarbeit haben wir zu Beginn unseres auf engstem Raum unternommenen Versuchs dankbar an­zuerkennen. Die großen Bädagogen aller Zeiten, die ja von Sofrates und Platon bis zu Rousseau , Pestalozzi und Kerschensteiner fich niemals in die dürftigen Schranken einer bloß schulenmäßigen Erziehung pferchten, haben diese Vorarbeit geleistet. Wenn sie aber auch alle, um es mit Anlehnung an Pestalozzi zu sagen, die allgemeine Emporbildung der inneren Kräfte der Menschennatur zu reiner Menschenweisheit erstrebt haben, so ist ihnen doch eins perjagt geblieben: der Blick auf eine dicht vor ihnen stehende, ja, sie umarmenbe reale Weltgemein

schaft.

Ein Stüd Beltgemeinschaft erkennen wir rüdschauend freilich in jedem geschichtlichen Zeitraum der Vergangenheit. Es tammt aber auf den Grad der Weltgemeinschaft an, auf ihren Umfang. ihre Wirksamkeit, Spürbarkeit. Denn alles dies bedingt den Glauben des bewußt mägenden und planenden Borfämpfers an die Bedeutung, an den Wert der Weltgemeinschaft und an die Möglichkeit einer Erziehung zur Belteinigteit.

Nun ist der Weltfrieg als eine ebenso grandiose mie furchtbare Offenbarung einer heimlich gewachsenen Weltverflechtung und Weltgemeinschaft über uns gekommen, und die Nachkriegszeit hat diese Offenbarung mit etwas sanfterer Hand bescheinigt und in etwas milderem Tone ergänzt. Jest ist es 3eit, mit der bemußten Erziehung zur Welteinigkeit zu be ginnen. Schon der nächste große politisch- wirtschaftliche Schritt vormärts, etwa eine bis auf die Wurzeln gehende Berföhnung

Bern Schule und Elternhaus die dargelegten Aufgaben er­füllen wollen, dann müssen ganz bestimmte pädagogische Qualitäten vorhanden sein. Es kommt beim Lehrer weniger darauf an, daß er ein gelehrtes Haus" ist, als vielmehr darauf, daß er das Vertrauen seiner Schüler besitzt und zu erhalten ver­steht, sodann, daß er frei ist von Strebertum und schädlichem Egois­mus, damit er seine Berufsarbeit einzig und allein unter dem Ge­fichtswinkel vollzieht, der Jugend ein Helfer zu sein, und zmar ein Helfer bei der Entwicklung zur selbstbewußten Persönlich teit mit ausreichendem Verantwortungsgefühl. Wenn solche Er­zieher das Werf angreifen, dann sind die vielen, gerade in jüngster Beit bis zum Ueberfluß erörterten Teilfragen der seruellen Auf­flärung und der geschlechtlichen Erziehung innerhalb der Ganzheit des Erziehungswertes lange nicht so schwerwiegend, wie es auf den ersten Blid scheint. Dr. Otto Seeling .

zwischen Deutschland , England, Frankreich , fann, ja, er muß einen Glaubenssturm weden, der bei Tausenden den Zweifel an der Möglichkeit einer Erziehung zur Weltfriedfertigkeit und Welt­fultur hinwegfegt.

Man

Das erste Stück einer solchen Erziehung muß die Heraus bildung eines neuen Stolzes sein. Wir müssen einen herzhaften Block Nationalstolz opfern, um dafür einen noch herz­hafteren Block Kulturbewußtsein zu gewinnen. Irren wir uns nicht! Der Nationalstolz liegt den Völkern genau so tief und genau so warm im Blute wie dem Pferde sein edles Schreiten, dem Löwen sein die Nächte erschütterndes Gebrüll. Wir können ihn nicht ver bieten, nicht wegdiskutieren, nicht mit tecem Zugriff ausraufen. Wir tönnen ihn aber veredeln. Dem Veredelungswerf muß freilich ein ziemlich robustes Verhinderungs- und Vor= beugungsverfahren voraufgehen. Einen auf hohlen Pfaden im blinden Eifer auf ein vermeintliches Glüd immer wieder vor­stürmenden Nationalismus wird man niemals veredeln. verrammele also durch einen vernünftigen Mehrheitswillen dem blinden Nationalstolz den Weg seines unheilvollen Tatendranges und zeige ihm gleichzeitig das höhere und einträglichere Ziel mög­licher Kulturfiege. Dabei dürfen Teilziele nicht geringschätzig beiseite geschoben werden. Selbstverständlich könnte eine der Boll­endung zuschreitende sozialistische Gesellschaft nicht auf den ernstesten Bersuch verzichten, den Profitantrieb durch den Ehrantrieb zu er= fegen. Wir aber stehen erst in den Anfängen sozialistischen Ge­staltens. Unser erstes Wert muß sein die Berrammelung aller törichten Bahnen nationaler Berblendung einen vernünftigen Mehrheitswillen, durch also, genau genommen, die Emporbildung eines solchen Mehrheitswillens.

Das geht nicht durch Predigen und Fordern. Der vernünftige nationale Mehrheitswille wird nur aus fiaren und starten Erkenntnissen wachsen. Wer an die Möglichkeit der Bändi­gung von Instinkten durch den Intellekt nicht glaubt, der soll die Finger lassen von jeder bewußten Stulturgestaltung. Sein philo­sophisches Glaubensbekenntnis müßte der schwärzeste Pessimismus, feine philosophische Praxis der vollendete Quietismus sein. Wer aber die Erziehung als Weltproblem zu sehen magt, der muß Glauben haben. Nicht den Glauben an irgendeine ewige Vollendung menschlicher Dinge; wohl aber den Glauben an die Möglichkeit zur finnvollen Ausgestaltung einer solchen Senkung der abstrakten Ewigkeit, wie die Periode unserer rüdmärts und vorwärts überschbaren Kulturgeschichte sie darstellt.

Das Programm einer Erziehung zu dem uns vorschwebenden realen, unmittelbar bermertbaren Weltbürger. inn ist umiqreich und lapidar. Wir haben hier nur einen Bunkt dieses Programms dargestellt, ja, streng genommen, nicht einmal dargestellt, sondern nur berührt.

Karl Schewa.

Die Straße gehört- dem Kinde

In der japanischen Hauptstadt Tokio wurden zweihundert Neben straßen für die Zeit von 13 bis 18 Uhr jeden Tages für allen Ber fehr gesperrt. Sie sollen den Kindern einen Platz geben, auf dem sie ungehindert vom Verkehr spielen und herumtummeln tönnen. Man will auf diese Weise die katastrophale Spielplaßnot der japanischen Hauptstadt menigstens zu einem Teil lindern. Anlaß zu dieser Mas­nahme gab die Tatsache, daß im letzten Jahre 2500 Kinder in T überfahren wurden.