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BERLIN  Dienstag 22. Oftober 1929

10 Pf.

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Der Abend

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Spätausgabe des Vorwärts"

46. Jahrgang

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Der Staatsgerichtshof tagt.

Er verhandelt über eine einstweilige Verfügung.

Leipzig  . 22. Dffober.

Um 10,45 Uhr erschien, geführt von Reichsgerichtspräsident Dr. Bumfe, der Staatsgerichtshof in folgender Besetzung: Borsitzender Reichsgerichtspräsident Dr. Bu mke, Beisitzer die Reichsgerichts­räte Hagemann, Irebe und Schmitz und die Oberver­waltungsgerichtsräte Dr. Groethuysen, Eugemburger und Dr. Otto. Das Protokoll führt Regierungsinspektor Krauje.

Ju Beginn der Verhandlung stellte der Borsitzende Dr. Bu mfc fest, daß eine Verhandlung zur Sache nur dann möglich sei, wenn beide Parteien damit einverstanden feien, da nach § 6 der Geschäftsordnung des Staatsgerichtshofes eine vierzehn­tägige Ladungsfrist gewährt werden müsse. Rechtsanwalt Dr. Seel­mann stimmte Dr. Badt 31, Ministerialdirektor miderfprach,

so daß sich die heutige Verhandlung nicht auf die Sache selbst erstrecken darf.

Der Borsitzende brachte jodann eine Erklärung des Reichsausschusses für das Bolksbegehren zum Vortrag, wonach dieses sich der Klage gegen das Land Preußen anschließt.

Ministerialdirektor, Dr. Badt widersprach der 3ulajfung. Mit dieser Erklärung sei, so führte er aus, klar­geftellt, daß es sich um eine inpische Reichsverfassungsfache handeie. Der Reichsausschuß hätte seine klage gegen die Reichsregierung richten müssen, wofür aber teine höchste Instanz bestehe. Jedenfalls einen Berfassungsfreit handele és fich nicht um innerhalb eines Candes, der allein nach Artifel 19 dec Reichsverfaffung die Zuständigkeit des Staatsgerichtshofes be­gründen würde. Der Antrag jei als unzulässig zu ver. werfen.

Ministerialdirektor Dr. Badt widersprach jodann auch der Berhandlung über die einst meilige Berfügung, da es fich nicht um eine echte einffweilige Berfügung handelt, sondern um eine unechte, die die Entscheidung zur Sache vormegnehme. Eine einit­weilige Verfügung müsse reparabel sein, während in diesem Falle eine einstweilige Berfügung des Staatsgerichtshofes bereits die ent­fcheidende Feststellung enthalten müßte, daß die Kundgebungen des preußischen Staatsministeriums nicht verfaffungsmäßig jelen. Bei einer Bertagung der Verhandlungen würde ein irreparabler Schaden für das Boltsbegehren auch nicht entstehen, da, falls der Staats­gerichtshof gegen den preußischen Staat entscheiden sollte, der Schaden durchaus wiedergutgemacht werden könnte. Außerdem würde durá eine einstweilige Verfügung den Rechten des Parlaments vorgegriffen werden, das auf verfassungsmäßigem Wege, d. h. durch Mißtrauensvolum durch Antlage vor dem Staatsgerichtshof wegen Berfaffungsverletzung mit dem Minifterium abrechnen fönnte. Hierauf zog sich der Staatsgerichtshof zur Beratung zurüd.

Der Beschluß.

Gegen 42 Uhr erschien der Staatsgerichtshof, und Reichs­gerichtspräsident Dr. Bumfe gab folgenden Beschluß bekannt:

1. Der Anschluß des Reichsausschusses für das Volksbegehren an den Klageantrag wird zurück. gewiesen.

Begründung Der Statsgerichtshof ist nur zuständig für Streifigkeiten innerhalb eines Candes. Da der Reichsaus. fchuß für das Bolksbegehren aber feine Täfigkeit im ganzen Reichsgebiet entfallet, tann er nicht als preußische Landesstelle betrachtet werden. Der Anschluß und die Anerkennung als Partel ist daher unzulässig.

2. Der Vertagungsantrag des Landes Preußen wird abgewiesen.

Begründung: Der§ 6, Abfah 2 der Geschäftsordnung für den Staatsgerichtshof ist nicht gültig für ein ffweilige Ber­fügungen, wie fich bereits aus der bisherigen Tätigkeit des Staatsgerichtshofes ergibt. Trohtem bleibt es natürlich dem Ge. richtshof vorbehalten, auch im Perlaufe der weiteren Ver­handlungen von Amts wegen zu prüfen, ob eine Berfagung opportun ist, ebenso können die Prozeßparteien jederzeit einen neuen Bertogungsantrag einreichen.

Briand   will abtreten.

Nach Ratifizierung der Haager Verträge.

Paris  , 22. Oftober.( Eigenbericht.)

Die diesjährige Herbittagung des Parlaments, die heute nach mittag mit Eröffnungsfizungen von Senat und Kammer. beginnt, hat einen fenfationellen Auftatt gefunden. Der Pensionsminister hat infolge feiner bei den Senatswahlen erlittenen Niederlage, noch ehe er aus seinem Wahlkreis nach Paris   zurückgekehrt ist, dem Minister. präsidenten Briand   telephonisch seine Demission mitgeteilt. Briand   soll die Demission jedoch nicht angenommen haben mit der Begründung,

daß sofort nach der Ratifizierung der Haager Verträge das Kabinett ohnehin feine Gesamtdemiffion geben werde. Ein heute vormittag stattfindender Ministerrat, in dem das Pro­gramm für die Parlamentsfizung. endgültig festgelegt und die van der Regierung nach der Ratifizierung des Young- Blans zu ergreifen. den Schritte einer Borberatung unterzogen werden sollen, wird sich nochmals mit dem Demissionsgesuch des Penfionsministers zu be­fassen haben.

Einen wichtigen Beitrag zu der augenblicklichen innerpolitischen Lage bildet eine am Montag in Carcassonne   gehaltene große pro grammatische Rede Leon Blums  .. Blum zeigte sich in der Be­urteilung der bevorstehenden Entscheidungen in der franzöfifchen Smenpolitik äußerst ffeptisch. Die parlamentarische Majorität, die Poincaré   bis zur Zustimmung zum französisch- amerikanischen Schulbenabkommen tren gefolgt sei, und selbst den Erjazz- Poincaré Briand geschluckt habe, werde aller Voraussicht nach dem von den Mittel und Rechtsparteien lanzierten Kandidaten Tardieu ebenfalls zustimmen. Wie steht es nun mit den.

Chancen einer Cinfsregierung in Frankreich  ? Die drei ausgesprochenen Linksparteien im französischen   Parlament, nämlich Sozialisten, Radikalfoziale und die fleine Gruppe der republi­tanischen Sozialisten vereinigten insgesamt 225 Size. Zur Errichtung

einer lebensfähigen Regierung fei aber eine Majorität von 325 De­putierten notwendig. Es sei daher unerläßlich, eine Entscheidung der Mittelparteien herbeizuführen. Die Sozialisten würden daher in der fommenden Tagung die Tattit befolgen, daß sie dem Parlament eine Reihe von Prüfungsfragen" Fragen von grundlegender fozialer Bedeutung vorlegen und dadurch die politisch Schwan­fenden zwingen, Farbe zu bekennen. Solche Prüfungsfragen würden sein: die Sozialversicherung, die Steuerermäßigungen, die fofortige, in großem Maßstab durchzuführende Herabsetzung des Militärbudgets.

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Bolksbegehrs Flaute.

EGE

Der Kommunist( um Deutschnationalen): Genau so ist es mir voriges Jabr mit meinem Boltsbegehren Panzerfreuzer" ergangen!"

Was ist Verlumpung?

Aus der fommunistischen Zobsuchtszelle.

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Wie weit die Unverfrorenheit der Kommunistenpresse geht, den Sklaret- Fall trog Gäbel, troß Degner, troh Wisnewsti, froz Roter   Hilfe gegen die Sozialdemokratie auszuschlachten, dafür gibt die Sonntagsausgabe der Roten Fahne" ein drastisches Beispiel.

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Auf der Borderseite der ersten Beilage wird eine angebliche Quittung des Reichsbanners vom Mai 1928 über eine Wahlspende der Gebrider Sflaref im Betrage von 150 Mart produziert als Dotument. sozialdemokratischer Käuflichleit und Berlumpung"

Auf der Rückseite des gleichen Papiers wird die Resolution einer Funktionärversammlung der Roten Hilfe abgedruckt, die mit Entrüstung die verläumderische Behauptung des Borwärts" zurückweist, die die Rote Hilfe mit dem Schieber und Be­trüger Stlaref in Berbindung bringen will". Die Funktionärversammlung nennt den Hinweis des Borwärts" an die Kleiderspende der Sklarets an die Rote Hilfe eine politische

dient"..

Berlumpung, die die Berachtung aller Arbeiter ver­Nach eigener Angabe hat die Rote Hilfe zu Weihnachten von den Stlarets Spenden im Werte von etwa 1000 Mark ange­nommen, nach sachverständiger Schätzung war der Wert weit höher. Was ist also in tommunistischem Sinne Verlumpung? Es er­gibt sich folgende merkwürdige Gleichung:

Annahme einer Wahlspende( vor anderthalb Jahren, wohl­gemerkt) von 150 Mart ist Käuflichkeit und Verlumpung. ( Da Empfänger Republikaner  .)

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Annahme einer Weihnachtsfpende von 1000 Mark ist feineswegs Berlumpung, sondern im Gegenteil der Hin­meis auf die Tatsache dieser Spende ist Berlumpung!!!( Da Empfänger Kommunisten.)

Schöner als die Rote Fahne" es hier tut, fann man sein eigenes Anstands- und Sauberkeitsgefühl nicht demonstrieren,

Agrarierterror.

Ein offenes Eingeständnis.

In der vorigen Woche hatte der Gutspächter v. Kleist auf Karthun bei Bad Wilsnack   in der. Westprignitz seine Arbeiter und Arbeiterinnen mit einem mit Guirlanden und einer schwarz­meißroten Fahne geschmückten Leiterwagen zum Gemeindevorsteher gefahren und die Unterschrift zum Inflationsbegehren von ihnen da­durch erpreßt, daß er ihnen mit Entlassung drohte, falls sie sich weigern würden.

Auf einer gestrigen Stahlhelmversammlung in Bad Wilsnack  fühlte sich Herr v. Kleift bemüßigt, mit geschwollener Brust zu sagen: Ja, das habe ich getan. Wenn der Innenminister seine Beamten zwingt, dem Voltsbegehren fernzubleiben, dann kann ich von meinen Arbeitern auch die Unterschrift zum Volksbegehren erzwingen."

Ist das nicht Nötigung? Daher der Name Deutsches Frei­heitsgefek"!

Gemeindevorsteher und Gutsbesitzer arbeiten Hand in Sand.

Wir erhalten aus Deutsche Wilten, Kreis Bartenstein  ( Ostpreußen  ) folgende Mitteilung: Der Gemeindevorsteher in Deutsch­Bilten hat folgende Bekanntmachung erlassen:

3weds Einzeichnung in die Liste des Bolfsentscheids liegen die Bisten beim Gemeindevorsteher täglich von 4 bis& Uhr aus. Um den etwa sich unterzeichnen Wollenden in den abliegenden Ortschaften Gelegenheit zur Einzeichnung zu geben, werde ich oder ein Schöffe im betreffenden Gutshause mit der Lifte fein. In Frage kommen die Ortschaften: Gut Abbarten, Sophien­ thal   und Bothfeim.

Es erscheint also der Gemeindevorsteher beim Gutsbesizer, und die Leute müssen antreten! Dieser Fall ist kein Einzelfall. Aehnliche Mitteilungen gehen uns aus verschiedenen Kreisen zu. Das Ober­präsidium ist von diesem Mißbrauch in Kenntnis gesetzt.