Beilage
Mittwoch, 23. Oktober 1929
Der Abend
Shalausgabe des Vorwärts
Dem Gedächtnis eines Führers
national- sozialistischen Beziehungen zu pflegen. Als Redakteur| Schwächlichkeit der anderen Parteien phne, Widerhall bleibt, durch trifft ihn
eine zehnmonatige Gefängnisstrafe
wegen Majeftätsbeleidigung und Gotteslästerung. In seine Gefängniszelle in Zwidau dringt die Kunde von dem brutalen Ver. nichtungskampf der deutschen Regierungen gegen die sozialdemokratische Bresse und gegen die sozialdemokratischen Bereine unter dem Sozialistengeseh. Nach seiner Entlassung aus dem 3midauer Gefängnis mird er als Opfer der allgemeinen Sozialistenverfolgung aus Dresden ausgewiefen. Nach kurzer Muße in Böhmen ruft ihn das Bertrauen der Genossen an die leitende Redakteurstelle des Züricher ,, Sozialdemokrat".
uns ebenso entschieden als umsichtig vertreten wird."
Bollmar tommt durch das Einfühlen in die breiten Massen und durch das Studium der wirtschaftlichen Entwicklung zu der lleber zeugung, daß sich der Uebergang des Kapitalismus zum Sozialismus nicht plöglich und fatastrophal vollzient, daß sich der Staat allmählich umbildet, und daß die Bauerntlasse nicht verschwindet, sondern sich erhält. Er gelangt zu einem Bauernschuhprogramm, das mit den heutigen. Agrarprogramm der Sozialdemokratie wesentlich überein-. stimmt.
In Kunst und Kulturfragen macht er die Sozialdemokratie zur führenden Partei Bayerns . Indem er die sich auf die Volksmaffen stützenden Parteien wedyjelweise für das allgemeine Wahlrecht zu interessieren weiß,
gelingt es ihm durch eine geschid te kompromißpolifif eine durchgreifende Wahlreform durchzudrücken, die fast das allgemeine Wahlrecht verwirklicht.
Die Sozialdemokratie rückt in ständig wachsender Zahl in den bayerischen Landtag cin und gewinnt auf die 2 rbeiter und Kulturpolitik des Landes einen bestimmenden Eins
Georg von Vollmar ist einer der erfolgreichsten Propa- bruch des Kapitalismus, auf den schnellen Ausbruch der gandisten des demokratischen Sozialismus in Deutschland gewesen. Just erscheint in dem Deutschen Biographischen Jahr buch( herausgegeben vom Verbande der deutschen Akademien, Herausgeber Dr. Hermann Cristern, Bd. IV, Jahrgang 1922, Deutsche Berlagsanstalt, Stuttgart , 1929) die treffliche Lebensbeschreibung von Bollmars aus der Feder Alwin Sängers, unseres 3ialistengesez völlig verrammelt. Er verwirft den Butsch in jeder Soienjaß zu Urfeld ami Walchensee verstorben. Seine treffliche
leider zu früh verstorbenen Genossen. Wir werden dieser Biographie in vielen Punkten folgen, aber sie in einigen ergänzen.
Die hervorstechendsten Eigenschaften von Vollmars waren die große Beweglichfeit feines Geistes, die von doktri nären Meinungen und herrschenden Traditionen nicht beschränkte innere Freiheit seiner Urteilsbildung und die folgerichtige Durch führung dessen, was er nach einem vertieften kritischen Durchdenken der theoretischen Probleme und der drängenden Tagesfragen für richtig erkannt hatte. Jede tleinliche Reajthaberei lag ihm fern, und er erfaßte uie faum ein anderer Mensch die Notwendigkeit des persönlichen Nachgebens in den großen, die politische und soziale Bragis berührende Fragen. Aber dieses Nachgeben trieb Bollmar nie so meit, daß der innere Kern seiner Persönlichkeit davon betroffen wurde.
Alwin Sänger glaubt mit Recht, in einem vom 8. November 1891 datierten, Selbst betenntnis Bollmars die Grundlage von dessen Schaffen erkennen zu können.
Kein Mensch ist in jeder Einzelhandlung frei, und um größerer Dinge willen darf und muß man sich in untergeordneten oft 3mang antun. Ber aber in Dingen von Bedeutung sein Denken und Handeln nach dem Urteil anderer einrichtet, sich durch Lob oder Tadel bestimmen läßt, der gibt sein bestes Wesen auf. Und dabei macht es feinen inneren Unterschied, ob man den Großen oder dem Bolte schmeichelt, dem Glauben oder der Aufklärung heuchelt, der gesellschaftlichen Verbindung oder dem materiellen Gewinne Rech nung trägt. Eine wahrhaft jittliche Handlung ist nur die, welche dem eigenen Gesetze der Persönlichkeit entspricht, nach ihrer Rechts und Beltanschauung richtig und begründet ist. Man muß sich selbst getreu fein."
Bollmar ist von Hause aus durch die militärischen und tatho lischen leberlieferungen eines altadligen Hauses sdymer belastet. lleber sie triumphiert die Beweglichkeit seines Geistes. Zunächst bricht er mit dem Gamaschendienst, den er cls Leutnant in einem bayerischen Infanterieregiment verrichten muß. Er reicht wider den ausdrücklichen Willen seiner Familie sein Entlassungsgefudh ein; martet aber die Entscheidung seiner Borgesetzten über dieses Gejuch gar nicht erst ab, sondern verläßt eigenmächtig seinen Truppenteil. Jugendliche Romantik berückte seine lebhafte, fünstlerisch gerichtete Phantasie. Der Traum von der Herrlichkeit eines geist Itchen Rittertums nimmt ihn gefangen. In einem Aufique in der Gartenlaube": ,, Gerechtigkeit in Rom " schreibt er 1879: In dem Gesellenvereine zu M.( München ), in dem ich mich eines Abends auf Einladung eingefunden hatte, trat, durch den Bräses ein. geführt, ein römischer Offizier in voller Uniform auf und schilderte in bewegten Borten die Roflage des heiligen Vaters, der von allen Seiten von den Feinden der Kirche bedrängt werde und sich deshalb an seine maffenfähigen Söhne um Hilfe wende. Die Pflicht, Rom zu Hilfe zu eilen, die Verdienstlichkeit und der Ruhm einer solchen Handlung, dazu den Zauber der Natur und Kunst des klassischen Landes, die Vorzüge und Ehren des Dienstes all das
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In 3ürich entladet sich mit Elementarkraft die Empörung der niedergetretenen sozialdemokratischen Flüchtlinge. Die revolutionären Leidenschaften dieser Emigranten gewittern im„ Sozialdemofrat", und Bollmar hat die Gemitterwolfen zusammengeballt. Eine schmere Wirtschaftstrije schleppt fich jahrelang durch die fapitalistische. Welt, und sie steigert, die in den Kreisen der gehetzten Sozialdemo fraten aufflammende Hoffnung auf den baldigen Zusammen1ozialen Revolution. In Rußland wetterleuchtet die Revolution, dort häuft sich Attentat auf Attentat. Vollinar steht unter dem starken Eindruck dieser revolutionären Zeiterscheinungen. Den Weg der friedlichen, gesetzlichen Entwicklung sieht er durch das Soantiparlamentarische Taktif, durch eine enge Fühlungnahme mit den Form, aber die Revolution bereitet er geistig durch eine revolutionären Bewegungen Europas vor. Vollmar ist in seinem politischen Denten völlig tonfequent. Er hört den dröhnenden Schritt der ehernen Sandalen der Revolution. Sollte er da im demokratischen Reichstagsfraktion auf die stärksten Widerstände. Da Barlaniente Reformpolitik treiben? Bollmar prallt in der soziallegt er die Redaktion des„ Sozialdemokrat" nieder, siedelt nach. Paris über und tritt in lebendigen Verkehr mit französischen, russischen und polnischen Revolutionären.
und 1883 in den Sächsischen Landtag gewählt. Seine revolutio Im Jahre 1881 wird Bollmar in den Deutschen Reichstag monopol, in seinen Reden auf der Züricher Abgeordnetenkonferenz nären Brundanschauungen schlagen in seiner Rede über das Tabakmonopol, in seinen Reden auf der Züricher Abgeordnetenkonferenz herausgegebenen Artikeln: Aufhebung des Sozialistengesetzes?, in 1882, in seinen von Bebel heftig bekämpften und später als Broschüre seinen Kontroverfen auf dem Kopenhagener Kongreß, in feinen Dampferfubventionskonflikt nieder. temperamentvollen Aeußerungen zum
Im Spätsommer 1883 siedelt Bollmar
dauernd nach München über. Er verwächst nun eng mit der Benölkerung Oberbayerns und MünTypus des Urbeiters kennen als den chens. Er lernt einen ganz anderen des sächsischen Proletariers, des revoLutionären Emigranten, des Kommunefämpfers in Paris . In dem Franz Mehring stizziert BollBriefe vom 29. März 1894 an folgendermaßen:„ Wir beschränken mar feine politische Landtagstaftit arbeitervertretung, sondern beteiligen uns nicht auf eine bloße Industrie uns an allen Fragen, welche irgendGemeinwesen als solches und die einen wesentlichen Boltsteil oder das Kultur berühren. Da ist vor allem die Lage der Beamten und Staatsarbeiter, die Schule, die Wissenschaft und Kunst, das Heer. Kurz, wir haben die Bevölkerung in fast allen ihren Schichten daran gewöhnt, daß jedes berechtigte Intereffe, jede Klage, welche auch außerhalb unserer Partei erhoben wird, aber infolge der
fluß.
Am 30. Juni 1922 ist Georg von Vollmar in seinem Landhaus Ehefrau, seine weitschauende Beraterin und unermüdliche Mitarbeiterin, Julia von Bollmar Kjellberg, hat ihn nur etwas über ein halbes Jahr überlebt.
Indem Alwin Sänger am Schluß seiner Biographie nochmals das Lebenswert Bollmars überschaut, schreibt er dieses Urteil über den führenden sozialdemokratischen Bolitiker Bayerns nieder:
,, Umfassende Studien und geschichtliche Einsicht in die bewegenden Kräfte einer neuen Epoche der Menschheit stellten von Bollmar in die Reihen der emporstrebenden sozialistischen Arbeitermassen. Wissen und Selbstbeherrschung machten ihn zum Staatsmann voit Format und ließen ihn der Stunde geben, was der Stunde gehöri.. Innere Unabhängigkeit schuf eble Treue für eine große Idee. Ind diese innere Freiheit hob den Träger meit über die Menge der Agitatoren und Parlamentarier. In dem großen Kämpfer aber lebte der große Mensch, auf den das Wort des Römers pon ter anima candida mahrlich zutraj. P. Kampffmeyer.
Das Ehepaar Vollmar im Kreise von Genossen
malte der fluge Römer in lebhaften Farben zu einem verführerischen Ixfüru wird Propagandachef are prominentesten Bertreter einige Tage sozusagen gehirnlos
Gesamtbilde aus."
foldat.
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umherliefen." Herr Ipfüru, eine bedeutend im Rechtswind knackende Konifere Diese Auskunft, besonders aber der Hinweis auf die Herren des deutschen Monarchistenwaldes, spürte Kopfmeh. Richtiges, boden Kollegen, beruhigte Herrn Ipfüru so, daß er sich sofort operieren ließ. ftändiges Kopfweh, nicht etwa einen der zahmen Haarspißenfatarrhe, Die Herausnahme des Gehirns gelang glänzend; der Arzt legte die sich sonst nach alkoholisth- werwölfischen Ausschreitungen leicht es fofort in Spiritus. einzustellen pflegen. Sobald die gründliche Reinigung beendet war in drei Tagen etwa follte Herr Irfüru vorsprechen und fich das inzwischen neu aufpolierte Dentzentrum wieder einsetzen laffen. Die drei Tage verstrichen. Herr Irfüru kam nicht. Es verstrichen dreimal drei Tage. Herr Ipfüru fam immer Es verstrichen drei volle Wochen. Kein Irfüru ließ sich sehen. Dein Spezialisten wurde ganz ängstlich zumute, um so mehr.
Herr Irfüru gebrauchte Umschläge, Bäder, Massagen, Billen Kopfweh mich nicht und wanfte nicht. und Pulver, sogar ein Klistier. Doch alles umsonst. Das verfluchte
auf und zwar, der Schwere des Falles entsprechend, einen Spe- noch nicht. Schließlich, beinahe verzweifelt, fuchte Herr Irfüru einen Arzt
zialisten.
Er stößt in Rom auf erfchredende soziale Zustände und fein foziales Empfinden wird hier wohl zuerst lebendig. Er schaut auf ein herabgekommenes, vermildertes und verelendetes Bolt, das mehr den rechtlosen Sklaven des Altertums gleicht als den freien Arbeitern" unserer Tage. Und nun fällt die von der Romantik so dicht gewobene Hülle von seinen Augen. Was sind die Schlüssel joldaten, die sich als gefeierte Glaubenshelden fühlen, anders als geringgeschätzte Schergen der geistlichen Tyrannei! Bollmar hat vom Papst gegessen Der stellte sein Kranostop ein, untersuchte Herrn Irfüru gründ und er ist ani Papst gestorben. Sein Uitramontanismus verzehrt sich am römischen Ultra- lich, sehr gründlich sogar, und zog dann, nachdem er noch einige montonismus. Er fehrt nach München zurüd und tritt als Be harmlos scheinende Fragen gestellt hatte, bedeutsam die Augenbrauen amter in den Dienst der bayerischen Berkehrsanstalten. Als der hoch und wackelte einige Male nachdenklich mit dem fahlen Schädel, Deutsch Franzöfifche Krieg aufflammt, wird Bollmar auf was bei einem Gehirnspezialisten allerhand heißen mill. Kriegsdauer für den Dienst bei der deutschen Feldeisenbahn verpflichtet. Bei Blois zerschmettert ihm ein Schuß das linte Schien bein, und bei enem nachfolgenden Bruch der Tragbahre wird der Schwerverletzte in feinem Rüdenmart jo heftig erschüttert, daß er sich bis zum Jahre 1896 3meier rüden beim Behen bedienen mußte. Ple er honn nach einer erfolgreichen Behandlung durch den Orthopäden heißig heileite ftellen fann.
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Bas Ernstes?" fragte gedrüdt und zaghaft Herr Irfüru. Was sehr Ernstes!" bejahte der Mann im meißen Kittel. Und?"
hr Kopfweh resultiert aus chronischer Berstopfung der Gangs lienzellen. Es wird nichts anderes übrig bleiben, als das Gehirn aui operativem Wege zu entfernen und es einer gründlichen. Reini gung zu unterziehen. Aber jojort, sonst garantiere ich für nichts!" ,, Wird die Operation auch gelingen?"
Unter schwerem Leiten verticit fich fein ganzes Wesen. Auf dem Krankenbett fämpft er sich zu einer modern- naturwissenschaft- ,, Daran hege ich nicht den geringsten 3weifel," sagte der Ge lichen Weltanschauung durch. Der demokratisch gerichtete Bollmar| hirnspezialist, denn bei vielen Ihrer Herrn Kollegen habe ich sie wird 1873 zum Sozialdemokraten. Als solcher redigtert bereits mit Erfolg ausgeführt, und zwar, was ich besonders hervor er die„ Dresdener Volkszeitung", und er nimmt an dem sozialdemo heben möchte, ohne die geringste Berufsstörung für die Betreffenden. fratischen Gothaer Rongreß 1877 teil, eifrig bemüht, die inter- Es war an den von ihnen bedienten Rechtsblättern faum zu merten,
als das in Spiritus gelegte Gehirn von Tag zu Tag bläulicher anlief. Da perfuchte es der Arzt mit einigen dringenden Telegrammen. Auch die müßten nichts. Herr Irfüru war wie vom Erbboden verschwunden.
Der Arzt machte sich Bormirje: Ich hätte ihn doch nicht ohne Aufsicht laffen sollen... Vielleicht ist ihm in seiner Gehirnlosigkeit etwas zugestoßen!"
Die Selbstvormürfe des Meditus waren unberechtigt; denn dieser Lage traf er Herrn Irfüru frisch und munter, wie er eben im Begriff war, an der Kochstraße in die 11- Bahn zu verschwinden.
Ja, Mann Gettes," jagte der Spezialist und hielt Herrn Irfüru vorsorglich am termel, warum fommen Sie nicht? The Gehirn muß doch wieder eingelegt werden, es ist oUerhödite Zeit!" ,, Behalten Sie's nur, Herr Doltor, ich hab's nicht mehr nötig!" jagte Herr 3rfüru und verzog por Lachen sein Gesicht bis hinfer die Ohren. Bissen Sie, es geht auch ohne Gehirn. Ich bin näs lich in der 3mischenzeit bei Hugenberg Propagandache für das Bolts begehren Freiheitsgejek" geworden!" Owe