Morgenausgabe
Nr. 499
A 251
46.Jahrgang
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Technit". Blid in bie Bücherwelt" und Jugend- Borwärts
Donnerstag
24. Oftober 1929
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Abgewiesen!
Das Urteil des Staatsgerichtshofs: Einstweilige Verfügung abgelehnt.
2eipzig, 23. Oktober.
Der Staatsgerichtshof hat in Sachen ,, Volksbegehren" folgenden, kurz nach 4 Uhr nachmittags vom Reichs gerichtspräsidenten Dr. Bumke verkündeten Beschluß
gefaßt:
Der Antrag auf Erlah einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
Der Beschluß wurde vom Vorsitzenden wie folgt begründet: Der Staatsgerichtshof für das Deutsche Reich hat in seiner his
herigen Braris gegenüber den Anträgen auf Erlaß von einstweiligen Berfügungen große 3urudhaltung geübt. Er hat bisher erst zwei solcher Verfügungen erlassen, die eine in einer privas rechtlichen Streitigkeit zwischen zwei Ländern, die andere in einer gleichartigen Streitigkeit zwischen dem Reich und mehreren Ländern. In einer Verfassungsstreitigteit innerhalb eines Landes, wie sie nach der Auffassung der Antragstellerin ihrem Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung zugrunde liegt, ist eine solche vorläufige Anordnung überhaupt noch nicht getroffen worden.
Es tann indeffen dahingestellt bleiben, ob Berfassungsstreitig teiten innerhalb eines Landes überhaupt Raum für eine einstweilige Verfügung bieten. Im vorliegenden Falle wird ihr Erlaß des hab ausgefchloffen, meil ihre Beschränkung auf die Regelung eines einstweiligen Zustandes unmöglich ist.
Sie würde hier fiets zugleich eine Entscheidung über die Hauptfache enthalten.
Es zeigt das eine Bergleichung des in der Klageschrift enthaltenen Hauptantrages mit den Anträgen, die die Antragstellerin in dem Verfahren über die einstweilige Verfügung gestellt hat. Die verschiedenen Faffungen, die sie ihnen gegeben hat, laufen immer darauf hinaus, daß die Teilnahme der preußischen Beamten an dem Boltsbegehren zum Freiheitsgesetz für nicht dienstwidrig erflärt werden
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foll. Denn nur wenn das der Fall ist, fann eine Berfassungswidrigkeit der Kundgebungen des preußischen Ministerpräsidenten und des preußischen Staatsministeriums, deren einstweilige Unter fagung begehrt wird, in Frage kommen.
Die Befugnis der preußischen Beamten ohne Rücksicht auf ihre Beamtenstellung sich in die Eintragungslisten für das Boltsbegehren einzuzeichnen und später an der Boltsabstimmung teilzunehmen, ist aber gerade Gegenstand des Haupttlageantrags, bildet den eigentlichen Streitpunkt der Parteien. Es würde deshalb eine Bertürzung der Rechte des Antragsgegners bedeuten, wenn schon jetzt in dem Verfahren über die einst. weilige Berfügung, die nicht mit den vollen Rechtsgarantien des Gesetzes über den Staatsgerichtshof und der dazu erlaffenen Ge schäftsordnung umkleidet ist, der fachliche Streit entschieden werden mürbe. Der Antragsgegner tann verlangen, daß ihm Gelegenheit gegeben wird, die Einwendungen, die er der Klagebegründung gegenüber geltend machen will, dem Staatsgerichtshof ausführlich darzulegen.
Der Streit über die Tragweite der Verfassungsartikel, die den Beamten die Freiheit ihrer politischen Gesinnung und ihrer Meinungsfreiheit gewährleisten, fann also jetzt noch nicht entschieden werden.
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Durchbruch zum Weltfrieden.
Die Annäherung der angelsächsischen Nationen. Ende der Seeherrschaft.
Das
Ramsay Macdonald , der Arbeiterführer und Ministerpräsident Englands, hat seinen Besuch bei Hoover, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika , beendet. Von Washington ist er nach Ottawa gefahren, um Madenzie King, den Ministerpräsidenten des Nachbarlandes Kanada , aufzusuchen. Er schickt sich jetzt an, nach Europa zurückzukehren. Er bringt feinen unterzeichneten Vertrag mit, aber schon jetzt ist alle Welt bis auf parteipolitische Gegner sich einig, daß seine Fahrt über den Ozean ein Erfolg und eine geschichtliche Tat war. Was bedeutet seine Amerikareise als politische Methode, und welchen Sinn hat sie in der Weltpolitik?
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Es war der persönliche Gedanke Macdonalds, mit dem Herkommen diplomatischer Verhandlungen durch Botschafter sprache von Mann zu Mann mit dem politischen Chef der von Hauptstadt zu Hauptstadt zu brechen und durch eine AusVereinigten Staaten die Schwierigkeiten zwischen den beiden Broßmächten zu klären. Er hat damit die direkte Diplo= ma tie, die wir durch den Völkerbund innerhalb Europas seit einem halben Jahrzehnt gewohnt sind, auf das Verhältnis zweier Großmächte diesseits und jenseits des Ozeans übertragen. Der moderne, schnelle Ozeanverkehr hätte das zwar schon vor zwanzig Jahren erlaubt, als die ,, Mauretania" den bis vor kurzem gehaltenen Rekord der kürzesten Fahrt aufstellte: Macdonald aber ist der erste gewesen, der die Technit wörtlich völterverbindend gemacht hat: Er hat nicht nur den Staatschef Amerikas , er hat nicht nur den amerikani schen Senat, die vertragschließende Körperschaft, aufgesuchtwobei er, von der Todesnachricht tief ergriffen, des deutschen Staatsmannes Stresemann gedachte, sondern er hat 3u mameritanischen Boltefelbergesprochen: nifchen Sendern verbreiteten Rundfuntansprache zwanzig man wird schäzen dürfen, daß seiner von allen amerikaMillionen Amerikaner und Amerikanerinnen lauschten. So hat Macdonalds Fahrt nach Amerita durch ihre bloße Tatfache Epoche gemacht: Es sind über 150 Jahre vergangen, seitdem gegen die Ausbeutung durch das Mutterland die amerikanischen Kolonisten sich empörten und gegen die Allerweltsföldner der heimischen Aristokraten und des angestammDer Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung muß und wenn auch seit mehr als einem Jahrhundert der Friede ten Herrscherhauses die Selbstbestimmung blutig eroberten. demnach abgelehnt werden.
Damit erweift es fich aber audy als unmöglich, die beantragte einft. weilige Verfügung, deren Zulässigkeit sachlich von der Entscheidung diefes Streites abhängt, zu erlaffen. Sie auf eine bloße po läufige Prüfung der gekennzeichneten Streitfrage zu stüßen, würde meder der Stellung des Staatsgerichtshofes angemessen fein, noch auch den Belangen der Antragstellerin genügen. Derin damit würde an der von ihr beklagten Berwirrung in der Beamtenschaft, deren Klärung sie von der einstweiligen Verfügung erhofft, nichts geändert werden.
Entscheidungsfrage der Sozialisten
Paris , 23. Oktober. ( Eigenbericht.) Der Präsident der Republik hat heute mit den Be sprechungen zur Lösung der Regierungskrije begonnen.
Die sozialistische Fraktion pflegte unverbindlichen Meinungsaustausch. Vorzeitige Bindung wird ver mieden. Morgen geht die Beratung fort. Die Mehrheit der Fraktion scheint die Beteiligung an einer josia istisch geführten Regierung nicht ablehnen zu wollen. Als Führer und somit als Ministerpräsident käme in diesem Fall am ehesten Paul Boncour in Betracht, schon auch wegen der Sympathien, deren er sich in der bürgerlichen Linken erfreut. Präsident Doumer gue soll die Berufung eines Mannes der mittleren Linie", etwa Steeg oder Clementel vorziehen. Die So zialisten beraten morgen weiter. Fassen sie einen Be schluß, so dürfte der Nationalrat der Partei zu seiner Bestätigung einberufen werden.
nicht mehr gestört worden ist, beide Bölker vielmehr Hand in Hand gegen den ,, deutschen Imperialismus" kämpften: Das Mißtrauen gegen England ist jedem amerikanischen Bürger im schulpflichtigen Alter eingeimpft worden. So hat Macdonalds Bild, hundertmillionenmal verbreitet, und seine Worte, vor hundert Millionen gesprochen, ihn und damit die britische Nation allen Amerikanern persönlich näher und nahegebracht. Die Berichte aus Amerika spiegeln deshalb das Gefühl wider, daß die ganze Nation etwas Großes und Niedagewesenes erlebt hat. Der englischen Nation aber-hat die Amerikafahrt ihres Ministerpräsidenten den Dienst ge=.
verständnis mit der Partei handeln müsse. Die Debatte leistet, daß das große, abgefallene Dominion sich dem britihat gezeigt, daß
die Mehrzahl der sozialistischen Abgeordneten sich der großen Berantwortung bewußt
ist, die mehr als je auf der Partei lastet und von deren Ent: scheidung der Rechts- oder Linkscharakter der neuen Regierung abhängen fann.
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Die eventuelle dringliche Einberufung des Nationalrates der Partei ist im Laufe der Debatte erörtert, ein Beschluß nicht gefaßt worden. Es scheint festzustehen, daß wenn der Präsident der Republit sich entschließen sollte einen Sozialisten zu berufen in diesem Falle fäme Baul Boncour in erster Linie in Betracht die bisher negative Haltung der Partei eine Aenderung erfahren könnte. Ob Doumergue fich dazu entschließen wird, hängt zum Teil von den Ratschlägen der sozial- radikalen Führer ab, von denen einzelne, wie Malvy und vielleicht Daladier , geneigt scheinen, Baul Boncour vorzuschlagen. Boncour vorzuschlagen. Sollte es zur Kabinettsbildung durch Boncour tommen was feineswegs sicher ist so darf man annehmen, daß Briand im Außenministerium bleibt.
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Der Bräsident der Republik empfing u. a. die Abgeordneten Landtagswahl in Thüringen .
Maloy und Boncour. Maloy und Paul Boncour betonten übereinstimmend, daß die Abstimmung in der Dienstagssigung in keiner Weise gegen die bisherige Drientierung der Außenpolitik gedeutet werden dürfe.
Folgen der Hugenberg- Politif. Weimar , 23. Oktober. ( Eigenbericht.) Der Aeltestenrat des Thüringer Landtags stimmte Aus den von fast allen Blättern gebrachten Meldungen, daß am Mittwoch dem Auflösungsantrag der So Doumergue die Absicht habe, Paul Boncour mit der Bildung des Kabinetts zu beauftragen, darf man feine allzu raschen Schlüsse ziehen. Das steht feineswegs feft. Einstweilen spricht viel mehr dafür, daß der Präfident eine mittlere Lösung sucht, die etwa einem Radikal- Sozialisten, wie Steeg oder Clémentel, zum Mann von morgen" macht
Paul Boncour hat unmittelbar vor dem Ausbruch der Krise in versdiedenen Artikeln erklärt, daß er zur Teilnahme an der Regierung bereit wäre; so auch am Mittwoch in der sozia. liftischen Fraktionssitzung, wobei er hinzufügte, daß er im Ein
zialdemokratie zu. Die Auflösung soll am 7. Desember erfolgen. Der Termin für die Neuwahlen ist auf den 8. Dezember festgesetzt. Am Donnerstag wird der Landtag über diesen Termin abstimmen.
Eine offizielle Erklärung, aus welchem unmittelbaren Anlas die Regierung zurückgetreten ist, war von den Vorsitzenden, Minister Paulsen, im Aeltestenrat nicht zu erlangen.
schen Weltreich angenähert hat. Und nur wenige Engländer werden sich dem Gefühl entziehen können, daß die Macht des Angelsachsentums in der Welt damit einen mächtigen Auftrieb erfahren hat. An die Befreiung vom Druck der Entente mit Frankreich durch) Snowden hat Macdonald die Freundschaft mit Amerika geknüpft: Im Intereffe Englands macht die Politik der Arbeiterpartei wieder gut, was Königtum, Aristokratie vor 150, und Konservative in den letzten zwanzig Jahren verdarben.
Die Annäherung Englands und Amerikas hat man nirgends- von verbohrten Nationalisten und Antinationalisten abgesehen als eine Bedrohung anderer aufgefaßt. Genau so wie Locarno und Thoiry, London und Haag Deutschland und Frankreich einander nähergebracht, ohne sie anderen. entfernt zu haben, so hat Macdonalds Besuch in Washington nicht nur dem anglo- amerikanischen, sondern dem Weltfrieden gedient. Zwar ist kein Abkommen unterzeichnet oder auch Mikrophon ausgesprochen und was der Präsident Hoover im nur paraphiert worden aber das, was Macdonald vor deni Weißen Haus angedeutet hat, genügt, um zu sagen, daß in ihren Gesprächen die jahrhundertealten Streitfragen der Seeherrschaft und der Freiheit der Meere angepackt und die Richtlinien für eine leberwindung der bisherigen Gegensätze aufgestellt worden sind.
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Seeherrschaft und Freiheit der Meere find zwei Begriffe, untrennbar verknüpft mit dem Begriffe des Seefrieges, der Vernichtung der feindlichen Kriegsflotte, Zerstörung des feindlichen und Unterbindung des neutralen Handels im Kriegsfalle. Hier waren die Interessen der größten und die der anderen Seemächte stets auf das schärfste entgegengesetzt; der Weltkrieg war gerade, insoweit er nicht nur europäischer, Freiheit der Meere im Kriegsfall. Nun ist aber seit wenigen sondern Weltkrieg war, eine Auseinandersetzung um die Monaten der Kriegsverzichtsvertrag in Kraft, d. h. der Berzicht auf den Krieg als Mittel der Politik und die Pflicht, alle Streitigkeiten auf friedlichem Wege zu lösen. Mit