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BERLIN Sonnabend 26. Oftober 1929

SC 1979

Der Abend

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Nr. 504

B 251

46. Jahrgang

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Riesenbestechung aufgedeckt.

Ein Baurat der Reichseisenbahn verhaftet. Daladier lädt die Sozialisten ein.

Der Bestechungsstandal der Tiefbaufirma M. lo in Pankow zieht immer weitere Kreise. Kriminalkommiffar Mielenz, der die Untersuchung leitet, hat sich in der ver­gangenen Nacht zu einer aufsehenerregenden Berhaftung ent­schließen müffen. Der Reichsbahnrat Arnoldt, der Leiter des Eisenbahnbetriebsamtes VI, Stettiner Bahnhof, wurde in seiner Wohnung in der Grolmannstraße in Charlottenburg unter dem dringenden Berdacht der aktiven und passiven Bestechung festgenommen und ins Polizeigefängnis gebracht.

Reichsbahnrat Arnoldt vergab für das Eisenbahnbetriebsamt VI bie Tiefbau aufträge. Zwischen der Reichsbahn und der Firma Kloß bestanden Verträge, die ordnungsgemäß liefen und die Arnoldt von seinem Vorgänger übernommen hatte. Außerhalb dieser Ber. fräge hat nun Arnoldt mit der Firma Kloß Abmachungen getroffen, wodurch die Tiefbaufirma große Borteile erzielte. Bereits vor einigen Tagen mar Kloß festgenommen und nach dem Polizeipräsi­dium gebracht worden. Bei seiner Bernehmung bestritt er, irgend welche finanziellen Borteile gehabt zu haben. Da man ihm zunächst nichts nachweisen fonnte, war A. wieder auf freien Fuß gefeßt. In­zwischen war es der Kriminalpolizei gelungen, so viel belastendes Material gegen den Reichsbahnrat Arnoldt zusammenzutragen, daß man in der vergangenen Nacht zu seiner Berhaftung schreiten tonnte. 2. bestritt zunächst, als ihm dann aber nachgewiesen werden konnte, daß er wiederholt beträchtliche Summen von der Tiefbaufirma Kloß erhalten habe, gab er einen Teil der Verfehlungen zu. 2. wurde nach Moabit gebracht und dem Untersuchungsrichter vor. geführt. Erst glaubte man, daß 2. fich nur der passiven Bestechung fchuldig gemacht habe, jetzt fonnte ihm aber auch aktive Bestechung nachgewiesen werden. Er hat mehrfach Geld für die Kurkosten seiner franten Frau erhalten. Außerdem hat er selbst ansehnliche Geld­beträge in Empfang genommen. Weiter ist erwiesen, daß sich A., wenn er sich auf Reisen befand, von der Firma Kloß auf tele­graphischem Wege Geld jchicken ließ. Wie es weiter heißt, hat der Untersuchungsrichter gegen weitere vier in der Bestechungsaffäre verhaftete Beamte Haftbefehle erlaffen. Es hat den Anschein, daß noch andere Personen, Beamte der Eisenbahn, der Post und des Magistrats, von der Firma Kloß Zuwendungen erhalten haben, und es ist daher mit weiteren Verhaftungen zu rechnen.

Auch ein Oberpostinspektor.

In seiner Wohnung in der Albrechtstraße 30 zu Steg lih wurde der 42 Jahre alte Oberpostinspektor Alfred Stiebig von der Kriminalpolizei festgenommen. Ihm wird ebenfalls Be­ftechung im Amte zum Vorwurf gemacht. Stiebig war mit der Ver gebung und leberwachung von Aufträgen betraut, die sich auf Kabel­verlegungen bezogen, die nicht von der Post selbst ausgeführt, sondern Hoch- und Tiefbaufirmen übertragen werden. Schon seit einiger Zeit waren Gerüchte durchgefickert, daß bei Vergebung dieser Auf­träge nicht alles in Ordnung zugegangen und daß einige Firmen in merkwürdiger Weise bevorzugt worden seien. Stie­biz, der sofort einem eingehenden Verhör unterzogen wurde, hat zugegeben, Summen von 800 bis 1000 Mart für seine Gefälligkeiten von den Firmen erhalten zu haben. Die Oberpostdirektion hat eine Untersuchung zur vollen Klärung dieses neuesten Standals eingeleitet.

Anmaßung der Industrie". Das Eisenbahnpersonal soll brüstiert werden. Der Vorstand des Reichsverbandes der Deutschen Industrie hat auf seiner Sigung in Saarbrüden gegen die Bertretung des Eisen­bahnpersonals durch die Gewerkschaften bei den Parijer Reichsbahn­verhandlungen in einer Entschließung scharf Stellung ge­

nommen.

Die Reichsbahn sei meder eine Einrichtung der Eisenbahnbe. amten oder der Eisenbahnarbeiter noch der Verfrachter. Um so mehr erhebt der Vorstand schärfsten Einspruch dagegen, daß die Reichsregierung den Eisenbahnergewerkschaften die Möglichkeit der Vertretung einseitiger Sonderinteressen geschaffen hat und er er fucht die Regierung, diese Vertreter alsbald von den Berhand­lungen zurückzuziehen, um die Verhandlungsführung objettiven Vertretern der Reichsregierung ohne gewerkschaftliche Kontrolle zu überlassen."

Will die Industrie", daß nur Vertreter der Reichsbahngefell schaft in Paris mitsprechen dürfen, die in Paris einen ganzen Stab von Vertretern hat? Bei den Verhandlungen wer­den wichtige Personalfragen mie Arbeitszeit usw. er­örtert. Es ist selbstverständlich, daß die Personalvertreter bei der Regelung der Personalfragen herangezogen werden,

Parteiausschußfißung am Sonntag.

Baris, 26. Ottober.( Eigenbericht.)

In der französischen Ministerkrise ist seit der Berufung des Präsidenten der radital- sozialen Partei zur Bildung der neuen Regie­rung feine entscheidende Aenderung eingetreten. Die radikale Kammerfraktion hat sich Freitagnacht nach Schluß der zweiten Plenarsizung des Kongresses in Reims vereinigt und Daladier for

Arno Holz ,

ist in der Nacht zum Sonnabend gestorben. ( Siehe auch 3. Seite.)

mell beauftragt, der Aufforderung des Präsidenten der Repu blit Folge zu leisten und als ersten Schritt

eine Einladung an die sozialistische Partei 3weds Beteiligung an der Regierung ergehen zu laffen. Dieser Schritt wird heute früh erfolgen. Er wird aller Wahrschein lichkeit nach die Einberufung des außerordentlichen National rates der sozialistischen Partei für morgen, Sonntag, zur Folge haben. Da auch Daladiers Verhandlungen mit den übrigen Links parteien von der Entscheidung der Sozialisten abhängig sind, so ist eine entscheidende Wendung der innerpolitischen Situation nicht

Dor Montag zu erwarten.

Das Drgan der sozialistischen Partei, der Populaire" nim: nt heute eine abwartende Stellung ein, dach erklärt Baul Faure, daß, ob die Sozialisten nun auf den Bänken der Opposition oder der Regierung fäßen, es eine Sache gebe, in der ihre Politik feine. Aenderung erfahren werde, nämlich in dem mit aller Energie fort gesetzten Bestreben nach einer unmittelbaren Berwirklichung der sozialistischen Forderungen. Niemand, und auch der Kongreß von Reims nicht, habe das Recht, sich über diesen Bunft irgendwelchen 3weifeln hinzugeben.

Einige Blätter der großen Informationspresse, so der Petit Parifien" und der" Matin", wissen übrigens zu berichten, daß am Freitag in Reims im radikálen Lager einer Kombination Baul Boncours gegenüber eine weit weniger ablehnende Stimmung geherrscht habe als noch am Vortage. Ein Teil der Radikalen foll bereit sein, für den Fall, daß die Kombination nicht zustande foment, thre Unterstützung jeder anderen Linksregierung zuteil werden zu laffen. In den radikal- sozialistischen Organen selbst ist für diese Tendenz feinerlei Bestätigung zu finden,

Briand läßt durchblicken.

Paris , 26. Oktober. Wie Havas berichtet, soll Daladier vor seiner Abreise nach Reims Briand besucht und ihn gefragt haben, ob er eventuell bet der Bildung der Regierung auf ihn rechnen könne. Briand soll sich jeine Antwort vorbehalten haben, aber doch durchblicken lassen, daß es im Interesse der geplanten Koalition angebracht wäre, wenn das Außenministerium einem anderen Politiker anvertraut werden

würde.

Kulistreit stört den Straßenbahnprofit. Französischer Proteft in Pefing- 1200 Kulis interniert Peting, 26. Ottober.

Der französische Gesandte ist bei der chinesischen Regierung wegen der in Pefing ausgebrochenen Unruhen vorstellig ge­worden. Er wies darauf hin, daß durch die Unruhen in Peking die franzöfifchen Interessen ft art geschädigt jeien, weil die Rifjcha­Kulis die Arbeit der Pefinger Straßenbahn unterbrochen hätten, an der französische Banten intereffiert seien. Die französische Regierung hoffe, daß die chinesischen Behörden Maßnahmen ergreifen würden, um die Ruhe in Pefing wieder­herzustellen.

Die chinesische Polizei hat das Mitglied des Bollzugsausschusses der kommunistischen 3nternationale, Schenschiiju, verhaftet; er leitete den Aufstand der Ritscha- Kulis. Schenfchfiju wurde zum Tode verurteilt. In Peking find über 1200 Rifscha­Kulis verhaftet und in ein Internierungslager gebracht worden.

Bürgermeister Schneider diszipliniert.

Wie der amtliche preußische Pressedienst mitteilt, hat der Ober­präsident von Brandenburg heute gegen den Bürgermeister Friz Schneider vom Bezirksamt Berlin- Mitte das Diszi⭑ plinarverfahren eröffnet und die Suspension vom Amt

verfügt.

Strafanträge in Frankfurt .

Der Staatsanwalt verlangt schwere Gefängnisstrafen. L. R. Frankfurt a. d. O., 26. Oftober.( Eigenbericht.) In dem Prozeß wegen der Eisenbahnschlägerei mit Todesfolge beantragte Oberstaatsanwalt Rothe für Jaschet unter Berweigerung mildernder Umstände 4 Jahre Gefängnis, für Stirn und Hahn unter Zubilligung mildernder Umstände je 2 Jahre Gefängnis, für lehteren wegen unbefugten Waffenbesihes außerdem noch drei Monate Gefängnis, für Malschäret wegen Beteiligung an einer Schlägerei, die den Tod eines Menschen zur Folge hatte, 6 Monate Gefängnis.

Zum Fall Schütz- Leow.

Was die Rechtskommunisten zu ihm sagen. Zum Fall Schütz- Leow schreibt die rechtskommunistische Zeits schrift Gegen den Strom":

Das Bild, das sich hier ergibt, ist äußerst trübe. Mar Schüß ist selbst durch und durch torrupt. Leow res handelt mit Leuten, die die Rote Fahne" als Erpresser bezeichnet Das Ergebnis dieser Berhandlung wird verschwiegen. Es entsteht der Eindruck, daß hier Enthüllungen gegen Enthüllungen in Cafés ausgetauscht werden und daß man gegenseitige Bertuschung treibt. Was die Rote Fahne" vom Verhalten Leows erzählt, zeugt von äußerst schlechtem Gewissen.

Nicht erst seit heute werden gegen Leom Vor­würfe erhoben. Sie können nicht durch Beschlüsse und Redens­arten entfräftet werden, sondern nur durch die rücksichtslose Offenlegung alles Materials, das zu diesem Fall vorliegt. Nicht nach der Methode des Falles Wittorf dürfen die Korrup­tionsantlagen behandelt werden, sondern nur durch öffentliche Klärung von Vorwürfen, die öffentlich erhoben werden."