Nr. 505* 46. Lahrgang
3. Beilage des Vorwärts
Sonntag, Tl. Oktober 4929
Cbavlctlcnbuvg einst and
Vier Jahre sczialdcmekralischen Wirkens K Von Stadtverordneten Dr. S. Kenvevau
Charlotteqburg wich in Groh-Berlin ungefähr so einge- kchöKt wie Kay'ern ün Reiche. Viesen Ruf verdankt es in erster Linie der Tatsache, daß es sich besonders heftig gegen die Ein- oemeindung zewehrt hat. Wie hoben sich doch die Zeiten puc. ändert, als noch der Omnibus vom Brandenburger Tor aus die Chaussee herunterschuckelte und vor der. Abfahrt wartete, bis er beseht war:.Mer ist noch Platz vor eene lumpichte Person!' Die Zeiten, wo die. chaugkraben Wurst- waren aus Charlottenburg durch die Berliner ..Portontrolle zu schnuggSn pflegten: die Zsiten. wo. die Charlottenburger Pferde- bahn am Lbtzoipplatz an der Schillftraßen-Seite chr« Endstation hatte und am Spanhauer Berg noch zwei weiter« Pferdchen vor- spannen mußte, um den Wagen berghinan zu ziehen! 1871 hatte das Städtchen rund 20 000 Einwohner. Heute zählt der Bezirk 352 700 Bewohner. Heute verfügt die Sozialdemokratie im Charlottenburger Be- zirksparlowent noch nicht über«in Diertel der Stimmen, aber, der starke Aufstieg der Partei ist auch in diesem Bezirk unoerkennbar. IkiKh musterte» wir 38 700 Stimmen. Bei der letzten Wahl konnten wir einen Zuwachs von rund 20 000 Stimmen feststellen. Die Sozialdemokratie ist auch in Charlottenburg die stärkste Partei. We Initiative ging von der Linken im Raihause aus. die Rechte beschränkte fich auf reine Defensive. und gelegentliche Deklamationen. Die ÄPD. drängte zu- nächst ihren Fraktionssührer hinaus, chren fähigsten Kops, und ver- lor stch dann in öde Münzstroßen-Parolen. Ein« solche Kon- fusion riß bei ihr ein, daß sie am 26. Juni 1929 in namentlicher Abstimmung zusammen mit Deutschnationalen. Wirtschaftlern und den Pfar- rern gegen dic-Eheberätungsstelle stimmt«! Trotz aller Widerstände von rechts und link», fetzte die Sozialdemokratie die Errichtung einer weltlichen Schul« durch, die am 1. April 1926«rösfnet wurde. Die Schaffung einer zweiten in Nord- Chärtottenburg ist die Ausgabe der nächsten Wohlperiode. Die Rechte protestiert« wild gegen diese Schule(setzt tn der Pestalozzistrotzc). sie wollte erst das Reichsschulgesetz abwarten. Der Prälat Lichtem b«rg bemühte Porsasiimgs- und Gefetzesparagraphen. imt sie in seinem Sinne gegen die Schule auszudeuten— alles vergeblich? Die groß« Dappelvolksschul«, die am Rande der Jungfern- Heide vorbereitet ist. wird im neuen Wohnviertel die Kinder sammeln und hoffentlich in unserem Sinne erziehen! Leber 3600 Neubauwohnungen wurden errichtet. Ig, wenn von Wohnungen gesprochen wird, wie schilt dann der brave Spießbürger über das Bersagen der Instanzen! Wie groß die Rot ist. das wissen wir gbnau: wir wissen aber auch, wie sehr wir mit allen Mitteln gearbeitet haben, sie zu lindern, und daß wir nicht wenige Erfolge aufweisen können. Von 192» bis zum 30. Zuni 1929 sind in Charlottenburg ZSSS Wohnungen in 600 Reubaulen geschaffen worden. Auf das letzte halbe Jahr kommen allein 1131. Bon 1926 bis 1929(30. Februar) schufen die gemeinnützigen Daugesellschaften 2215 Wohnungen,, die privaten Bauherren 1011. Bon diesen privaten Wohnungen hätte rund ein Aiertel sieben und mehr Wohn- räume! Wie dit Interessenten und ihre Vertreter, die Rechts-, Parteien, in Wohnungsfragen denken, kann man auch aus ihrer Haltpng in Sachen des Mieterschutzes erkennen: die Rechte stimmte am 14. September 1927 gegen unseren Protest betr. Erhöhung der Mieten!.. Grünflöcheu, Spielplätze, Lugendheime. Gerade die Wohnungsnot, so muß dsr verantwortungsbewußte Kommunalpolitiker sagen, gerade sie zwingt zu umsasiender Grünslächen- und Spiesplatzsürsorge. Unsere grak- tion hat in der Näh« des Sportforums die Ausweisung des Morellenberges bis zur Havel durchgesetzt.. Wir find an den systematisch«» Ausbau der Spielplätze gegangen: heufe hat EharloUenburg 6.5 Quadratmeter auf den Kopf der Bevölkerung Spielfläche, d. h. mehr als dos Doppelt«, was der Sozia(hygieniker im Durchschnitt fordert. In diesem Sinne ist der volkspark Zungfernheide von uns geschaffen worden, dies« herrliche Erholungs- stätte der werktätigen Bevölkerung. Ztachdem soeben die Führung des Stichkanals Im Groß-Berliner Schiffahrts- netz festgelegi worden ist. wird nun endlich auch der Ausbau des Tegeler Weg«?, der diesen Stichkanol überguerr. äbschliehend geregelt' werden, und mit ihm wird auch der Berk ehr beguem heran- geführt werden tmrnest. Es sei jernfr an die Kiyderspiel- Plätze aus dem Stuttgarter Platz, am Lützoto, an den Schnjspiel- psotz an her Quedlinburger Straß« erinnert. Hunderte von Bänken sind im Freien ausgestellt worden dank all diesen großen und kleinen(aber nicht unwichtigen!) Maßnahmen unserer Freiluft» fürsorg« ist die Rhachitis heut« in Berlin fast verschwunden. Auch der Ausbau der allen Wofferwerksanlagen auf Westend zu
Durch die Initiative der Soziaidemok' atie war de der Volte park June fern. heule geschajjen.
Blick auf das Freibad,
einem Schwimmbecken fei in diesem Zusammenhang genannt. Eine ganze Reihe neuer Jugendheime tonnte geschaffen werden, so in der S p r e« st r a ß e, in der O l b e r s st r a ß e. auf dem Spielplatz Westend , und neuerdings auf dem Spiel- platz Goethe st ratze. Im ganzen hat Charlottenburg jetzt zehn Jugendheime. Diesen Jugendheimen werden jetzt für j u g e n d- liche Erwerbslose geeignete Wanderbüchereien zur Verfügung gestellt, wie überhaupt die BolksbUdungsarbell— man denke an die Lesehallen, speziell auch für Kinder, an die neue Frei-Hand- Bücherei, an dos Freilichttheater, an die Konzerte usw.— unter unserer Mitarbeit stetig an Einfluß und Bedeutung gewann. Dir' Bildungsarbeit über die Bolksfchule hinaus war früher ein Vorzug der Begüterten. Wir haben das Bildungs- Privileg durch die Staffelung des Schulgeldes, durch Wirtschaftsbeihilfen, freie Lernmittel u f w. g e b r o ch e n. Die Stadt gibt für jedes Volksschulkind rund 170 M. mehr au? all» der Staat, jede» Kind aus der höheren Schule 100 M. mehr. Infolgedessen stieg der Andrang zu den höheren Schulen sprunghallifln� biei T&hren nahm die Zahl derer, die die Grundschule verlassen, um in die Sexten überzugehen, in Chorlottenburg von 25 Proz. auf über 30 Proz. zu. Das Charlottenburger Schulwesen. Zunächst erfolgt« die Reuordnung des Mädchenschul- wcsens. Wir setzten den Abbau der Privatlyzeen durch. Wurden 1925 noch sieben solcher Privatanstallen mit ihrer dumpfen Atmosphäre von der Stadt unterstützt, so ist mittlerweile dies« Frage für Charlottenburg erledigt. Ein Lyzeum wurde verstadtlicht(früher Klockow), eins bleibt ohne städtische Gelder, das katholifche(früher Muche), fünf haben ihre Pforten geschloffen. Für die Lehrkräfte dieser Schulen, die früher so ausgebeutet wurden, hat die Stadt, ohne dazu rechtlich verpflichtet zu sein, großzügig gesorgt. Auf Antrag der SPD. vom 2. November 1927 erhiell die Sophie-Charlotten-Schule die Frauenober- schule, die Königin-Luise-Schule das Oberlyzeum. Di« Westendschule erhielt endlich in einem Neubau das eigene Heim: die früher Klockowsch« Schule wird in dl« Räume der bisherigen H i n de n b u r g- R e a l fch u l e übersiedeln, die Realschule wird ausgelöst. Ebenso verschwand auf Grund unserer Anträge die zwecklose Realschule ain M o m m s« n- Gymnasium, aber auch die Mutterarrstall kann sich nicht hallen und wird an der Heerstraße neu ausgebaut als Schule im Pavillon-Sys(em für das große Neusiedlungsgebiet. Die Sieniens- Oberrealschule entwickelle, ihre realgymnastale Abteilung, die Kaiser- Friedrich-Schule. die schon zu welken schien, baute sich aui unseren Antrdg zum Reformrcalgymnastum um und blülste neu aus. Di« Herder-Schule und die Friesen-Realschul« entwickellen sich zu Oberrealschulen, der Erweiterungsbau.der Friesen-Schul« ist im Gange. Auch auf diesem � Gebiet hat die Sozialdemokratie die Führimg gehakt und die oft zögernd« Schuloerwaltung mit sich fortgerissen. Das alte Mommfen-Gymnasimn wird für Berufs-
Elagtoi
ick Wmstertarm im Volkspark Jongfernbelde.
schulzwecke zur Verfügung gestelli werben, und das Riefen» proiekt des Neubaus zwischen Caprivi- Brücke u n d S ch l o ß b r ü ck«(11 bis 12 Millionen) schreitet seiner Ber- wirklichung entgegen. Altes und neues Charlottenburg . Das alt« Eharlottenburg interessierte sich in erster Linie für höhere Schulen, um reiche Steuerzahler anzu- locken, erst kurz vor dem Kriege begann man sich um die Volksschulen eingehender zu bekümmern(und steckt« dann in die Neubauten— höhere Schulen!), aber die allen Volksschulen und das Fachschutwesen sind traurig« Dokumente kurzsichtiger konununal- liberoler Wirtschaft. Darum sind ja heut« so unzötilige Problem« auf allen Gebieten zu lösen, weil man sich in den„fetten' Jahren allzu behaglich treiben ließ. Revollttionäre Taten sind die Bauordnung von 1925, die. Schulgeldstastelung, die Verkehrsgesellichast- Di« Menschen sind ja so'kurz von Gedächtnis! Wie war es im städtischen Verkehr vor dem Kriege, wie 1923 und wie ist es heute! Der Aus- bau des in städtische Hand übergegangenen Omnibusver» kehrs, besonders zum Grunewald zu, kam in erster Linie Eharlottenburg zugute. Es sei auch an die Verbesterungen im Straßenbahnwesen, z. B. an die Querverbindung der 77. an den Ausbau der Untergrundbahn, an die neuen Ausgänge am Zoo. a n der Bismarckst.ratze erinnert. Einige Strahenbahn-Wartehallen wurden auf unser Drängen errichtet. Die ehemals staatliche Schloßbrücke mußt« erneuert werden und wurde breiter und praktischer von der Stadt wieder ausgebaut. Der große Straßenbahnhof ist fertig geworden, und im Interesse des Verkehrs wurde der Bau einer neuen Kirche auf dem Gustaf-Adolf-Plotz verhindert. Schließlich ist der Aus. bau des Messegeländes in erster Linie den Charlottenburgern zu. gute gekommen. Um die Erneuerung der großen Verkehrsstratzen haben alle Parteien ständig gekämpft, die Finonznot brachte immer wieder unliebsame Streichungen. Die Deutsch , kommunistische N a t i o n a l p a rte!, wie man dieses Bündnis zwischen Herrn von Jecklin und Herrn Fritz Lange in Berlin nennt, ist in Chorlottenburg und in Berlin ewig und immer der Hemmschuh. Die KPD. lehnte jeden Etat ab. die Deutschnationalen pflegen im Bezirk zuzustimmen und erst in Berlin abzulehnen. Wir. haben zwar, iy Charlottenburg� mir Herrn von-Jecklin und nicht Herrn Fritz Lange ;- aber die Gesmnungs. Verwandtschaft in Sabotage und hohler Demonstrationspalittk führt die Partejen. immer wieder, auch Tn Charlottenburg,, zusammen. CharloUcnbnrg hat aufgehört,«in rein bürgerlicher Bezirk zu-sein. Unaufhaltsam ist der Ausstieg der organisierten arbeitenden Klassen. Das neue Charlottenburg ist und wird sein' ein Werk der Sozialdemo- kratie. Wir misten, daß auch in Charlottenburg die Liste 1 am Tage der Stadtverordnetenwahlcn siegreich sein wird.
Vevkebvsjpcliiik für S chatten dt e Wablkamptmetheden der fgegner Je mehr sich der Wahltampf der Entscheidung nähert, um so mehr werden alle Arbeiten der städtischen Berwallung, an denen Sozialdemokraten hervorragend beteiligt sind, von der gegnerischen Presse einer Kritik unterzogen, die allerdings manch- mal sehr schneidig klingt, die aber auch nur die Spur von S a ch- l i ch k« i t vermissen läßt. In den Kreis dieser lediglich herunter» reißenden Ärittk sind natürlich auch die Berliner Verkehrs- v e r h ä l-t n i s s e hiireingezogen worden, für die der manchen polllischen Parteien unbequemen Berkehrsdezernent, unser Genosse, Stadtrat Reuter, verantwortlich gemacht wird. Daneben wird auf die BVG. geschimpft, well sie das Kunststück noch nicht fertig bekam, in einem Zeitraum von knapp Jahr alle die ungezählten Wünsche der einzelnen Bezirk« nach besteren Der- kehrsverbindungen zu befriedigen. Jede Erwellerung des Liniennetzes ist selbstverständlich mit einem weiteren Ausbau des Wagenparks verbunden. Tatsächlich hat hie BVG. bei allen drei Verkehrsmitteln sowohl bei der Straßen- bahn als auch beim Omnibus und bei der Untergrundbahn die Zahlder Wagen erheblich vermehrt. Es ist allgemein bekannt, daß an der R« o r g a n if a t i o n der Straßenbahn ge- arbeitet wird. Di« BVG. beabsichtigt nicht nur 30 Proz. des Wagenparkes der Straßenbahn durch neue Wagen zu ersetzen, son- dern darüber hinaus den Wagenpark entsprechend den zu stellenden Anforderungen zu vermehren. Auch hierbei handev es fich um Millionen-Projekte, dl« sehr sorglich vorgearbeitet werden wüsten und die neben den großen Kosten auch Zell erfordern. Es werden einige Jahr« vergehen, bevor die jetzt in Angriff g«. nmnmenen Arbellen, stch auswirken werden. Wenn heute beim Spitzenverkehr sämtliche Fohrzeuge überiiillt sind, jo hängt dos einfach mll der Entwicklung der Großstadt an sich zusammen. In allen Weltstädten sind die öfieiulichen Verkehrsmittel zurzeit des Spitz enverkehrs überfüllt. In solchen Stunden werden alle ver- fügbaren Wagen zur Bewälligung des Verkehrs eingesetzt. Wenn behauptet wird, daß die Ueberfüllung der Wagen gerade jetzt größer sei als früher, so beweisen dl« st a t i st i s ch« n Angaben, daß das Gegenteil der Fall ist. Nach Mitteilungen der BVG. beträgt die Ausnutzung der Wagen für das erste Halbjahr 1929 bei der Straßenbahn 31,1 Proz.(34,1 Proz.). beim Omnibus 48,5 Proz.
Am 17. November 50!>SiÄSM0iCSteNl