Einzelbild herunterladen
 

Nr. 50946. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

Mittwoch,

30. Oftober 1929

Der werdende Oranienplatz. Mitten im Wahlkampf.

,, Die Erde mar müft und leer", erzählt die biblische Schöpfungsge­schichte. Wüst und leer ist seit langem auch der in Berlin Südost ge­Legene Oranienplag, auf dem es früher einmal ganz nett und ordentlich aussah. Aber er wird nun richt mehr lange so wüst bleiben Schon vor einer Reihe von Schren hatten die Untergrundbahnbauten an der Dresdener Straße einen Teil des Plazzes zerstört. Dann tam neue In­prdnung infolge der Zuschüttung des Luisenstädtischen Kanals und des Ab­bruchs der Oranienbrüde. Auf dem Gelände des zugeschütteten Kanals entsteht eine Schöpfung des Garten­fünftlers, eine Grünanlage, die der Bevölkerung des an Grünflächen

J

ch

11

wirklich nicht reichen Südostens sehr b millkommen sein wird. Im Zusam

menhang mit diesen Arbeiten mird

auch der Dranienplatz wieder in Ord

GA

D.

( D

0

Nach ste

Bedürfnis anstalt bahnhof Montep

Die Lichtreflame im Dienste der Partei.

Knapp drei Wochen trennen uns noch von dem Tag, an dem die Berliner Bevölkerung die Entscheidung über die zukünftige Politik der Reichshauptstadt zu fällen hat. Ueberall in den Ge meinden hat der Wahlkampf mit großer Intensität eingesetzt, mit ganz besonderer Schärfe aber in Berlin , wo das Privatkapital mit allen Mitteln gegen eine erfolgreiche öffentliche irtschaft kämpft.

Die Sozialdemokratische Partei fann für sich in Anspruch nehmen, auch in diesem Wahlkampf führend zu sein. Sie verdankt diese erfolgverheißende Stellung wiederum in erster Linie der aufopfernden, freiwilligen und zähen Agitations= arbeit der vielen ungenannten Funktionäre und Mitglieder. Die Grundlage aller Parteierfolge ist die immense, oft so schwierige feinarbeit, die jeder Sozialdemokrat freudig für das gemeinsame Ziel leistet. Welches Ausmaß diese Arbeit in einem modernen Wahlkampf erreicht, zeigt die Tatsache, daß die vom Bezirksverband Berlin herausgebrachten, durch zahlreiche Illustra tionen besonders lebhaft gestalteten Flugschriften allein in einer Auflage von über vier Millionen Exemplaren in Groß- Berlin perbreitet werden.

In überaus geschickter und wirkungsvoller Weise hat man auch

nung gebracht werden und ein freundliches Aussehen erhalten. Etaubplage gelitten. Dafür werben sie, menn die Grünanlage wichtigsten Berkehrszentren fordern große Transparente die Ber­ | die Lichtretlame in den Dienst der Werbung gestellt. In den Lange genug haben die Bewohner der Nachbarhäuser unter der fertig sein mird, es um so besser haben.

Neue Schiffstatastrophe in USA . Schiffsuntergang auf dem Michiganfee. 20 Zote.

"

New Yort, 29. Ottober.

Infolge des starten Sturms ist auf dem Michiganjee der Dampfer Wisconsin gefunten. Das Schiff hafte 60 Personen an Bord, von denen 20 ums Leben gekommen find. Auf die SOS- Rufe der Wisconsin waren Hilfsschiffe herbeigeeilt, die jedoch wegen des hohen Seegangs nur schwer an die Unfallstelle gelangen fonnten.

Milde Strafe für reuigen Sünder.

Er half feinem Bater in der Rot.

Durch ein reumütiges Geständnis erwirfte fich der zwanzige jährige kaufmännische Angestellte Sch. beim Amtsgerichtsrat Dr. Besenberg in der Verhandlung vor dem Schöffengericht

Berlin- Mitte ein mildes Urteil.

fannte auf zwei Monate Gefängnis, davon wurde ein Monat auf die Untersuchungshaft angerechnet und für den Rest Bewährungsfrist bewilligt. Auch der Haftbefehl wurde aufgehoben. Auf Anraten von Rechtsanwalt Themal nahm der Angeklagte mit Freuden die Strafe sofort an.

Wir denken nicht daran, das Urteil zu fdjelten", denn es er< öffnet einem bürgerlichen jungen Menschen, der immerhin recht fräftig geftrauchelt ist, trotzdem den Weg zur Rückkehr in ein ehr­bares Leben. Wünschen wollen wir indessen, daß dasselbe große Berständnis und dieselbe milde auch ben iungen Menschen des Proletariats entgegengebracht wird, die aus Not, aus Verzweiflung und aus Gesetzesuntenntnis straucheln.

Konstantinopel - Berlin in neun Stunden.

Das Arado - Spezialpoftflugzeug der Deutschen Lufthansa, bas am Freitag in etwa elfftündigem Flug ohne Aufenthalt Post von Berlin nach Konstantinopel gebracht hatte, ist Dienstag morgen um 4 Uhr im Flugplay San Stefano bei Konstantinopel zum Rückfluge nach Berlin gestartet. Die etwa 2000 Kilometer lange Strede murde in überraschend furzer Zeit bemältigt. Nachdem das Flugzeug fchon, um 10.25 Uhr über Wien gesichtet worden war, landete es um 13.10 Uhr in strömendem Regen im Flughafen Tempelhof , also nach einer Flugzeit von nur neun Stun ben, was einem Geschwindigkeitsdurchschnitt von mehr als 210 Kilo­metern in der Stunde entspricht. Dieses Unternehmen stellt bekannt­regelmäßigen Luftpoftverkehr nach Konstantinopel dar.

Der Angeklagte mar beschuldigt, als Bertreter von Fir men Geldbeträgefassiert und für sich verbraucht zu haben. Er war feinerzeit verhaftet und dann freigelassen worden. Bor Gericht machte er nun das überraschende Geständnis, daß er nach feiner Freilassung noch in sehr erheblichem Maße, weit über die Anklagepunkte hinaus, in vielen Städten Deutschlands in Perfelben Weise Betrügereien verübt hat, durch die er 3 ehnlich eine Borbereitung für einen für das tommende Jahr geplanten taylende von Martvereinnahmt hat. Sch. ftaminte aus cuter Familie und besuchte die handelshochschule, mußte das Stu bium aber abbrechen, weil die Familie durch das Siechtum des Boters in Rot geriet. Die Familie führte große Auf­wertungsprozesse, die viel Geld verfchlangen. Troh seiner Sugend hat der Angeklagte die Mittel für die Prozesse und auch für Ben Krankenhausaufenthalt feines Vaters allein aufgebracht. Er Tecte dem Gericht die Poft quittungen vor, um zu beweisen, Das er alles Geld, das er erübrigen fonnte, nach Hause geschickt hatte, um seinem Vater über die schlechten Zeiten hinwegzuhelfen. Tatsächlich hat dieser auch die Prozesse inzwischen gewonnen, und es geht ihm jest wieder gut, so daß der Ungeflagte versprechen fonnte, nach Kräften den angerichteten Schaden wieder gut zu mochen. Das Gericht nahm eine fortgelegte Handlung an und er.

Johann Komáromi:

16]

He, Koraken!

Caus dem Ungarischen

von Culexander von Sachen Masoch Copyright by Büchergilde Gutenberg, Berlin . Nachdem draußen jeder menschliche Lärm verflungen mar, trat er vorsichtig zur Türe und untersuchte das Schloß. Dann nahm er die Hängelampe herunter und trat an mein Bett. Als er sich jedoch überzeugt hatte, daß ich schlief, trat er auf den Fußipißen zur Ofenbant, stellte die Lampe darauf, breitete seinen Belz davor aus und setzte sich darauf. Dann jah er sich noch einmal um, ob ihn niemand im geheimen beob­achtete. Ich lugte mit ftodendem Atem unter der Dede hervor und fonnte mir nicht vorstellen, mas der Alte vor hatte? Der Obertofat tat jezt das folgende:

Er fnöpfte feine Beste auf und dann fein Hemd. Man fonnte seine grau behaarte Brust sehen. Und dann band er von seinem Halse einen schmierigen Beutel herunter, der ihm auf die Brust herabbaumelte. Es war ein gefüllter Beutel. Jetzt legte er den Beutel vor sich hin auf den Pelz und leerte ihn mit einer jähen Geste. Ein ganzer Haufen Silbermünzen follerte flingend daraus hernor. Fünftronenstüde und Gulden. Lange, sehr lange betrachtete er das Geld, während er un­verständliche Worte vor sich hin murmelte.

Ich konnte den Alten gut beobachten, weil die Lampe fein Gesicht von der Seite erhellte. Sein Haar fiel ihm, aus dem Verband hervorbaumeind, über die Augen, feine schnabel förmige schmale Nase hob sich scharf ab im ungemiffen Licht, und feine fleinen, schwarzen Meuglein beäugten mit einem verschlagenen Ausdrud das Geld. Von diesem Beutel und dem Silbergelb hatte ich schon früher einiges durch meine Großmutter erfahren, aber auch sie wußte nicht mehr, als daß der Alte ihn auf seiner Brust trug und eifersüchtig vor jeder mann verbarg. An den Sonntagmorgen, an welchen es seine Gewohnheit war, sich bis zum Gürtel zu waschen, jagte er alle aus dem Borderhaus und schloß sich ein, damit niemand den Beutel fähe, wenn er ihn herunternahm. Ueber dieses Geld waren vielerlei Geschichten im limlauf und niemand mußte, mie stark die Summe war. Bor Jahren hatte es sich ereignet, daß der Alte von einem Markt aus Nagymihaly

Zuckerfabrik niedergebrannt.

Güstrow , 29. Oktober.

liner auf, ihre Stimme am 17. November für die Sozial­demokratie in die Wagschale zu werfen. Am Potsdamer Platz ist am Eckhause des Café Josty eine 5% x 3 Meier große Lein­wandfläche mit der Ausschrift: Wählt am 17. November iste 1 Sozialdemokraten" angebracht. Diese, vom frühen Abend bis in die späte Nacht tages hell beleuchtete Fläche zieht nicht nur die Blicke aller Passanten des Plazes auf sich, sondern ist bis ein Stück die Königgräger Straße in Richtung des Anhalter Bahn­weit in die Leipziger Straße hinein sichtbar. Gehen wir hofs hinauf, so sehen wir hoch auf dem Dach des Europa­hauses die große Leuchtschrift aufflammen, die gleich­falls die Vorübergehenden mahnt, am 17. November für die Sozialdemokratie zu stimmen, und die an jedem Abend breihundertmal aufleuchtet. Am prächtigsten und eindrudsvollsten ist jedoch die Wirkung am

Hermannplah in Neukölln.

Solch einer Werbung kann sich kein Passant entziehen. Auf dem Dach des Hauses Kaiser- Friedrich- Straße 248, an der Ede Kott­busser Damm, erstrahlen bei Eintritt der Dunkelheit drei gemal­tige, hell leuchtende Buchstabenreihen. Abend für Abend rufen sie der arbeitenden Bevölkerung Neuköllns zu:

Wählt am 17. November Liste 1 Sozialdemokraten

Die beiden oberen Reihen werden von weißen Leuchtkörperr gebildet, mährend die unterste Buchstabenreihe in rotem idr gehalten ist. Jeder einzelne Buchstabe ist über 1,20 Meter hoch. Die Schrift selbst nimmt eine Länge von zirka 14 Meter ein. Auf dem Hermannplatz herrscht des Abends beinahe Tages= helle. Wenn in den Hauptverkehrszeiten das große Warenhaus die Käufer aufsaugt und gegen Berkaufsschluß die Besucher das ge­maltige Haus verlassen, fann man stets zahlreiche Gruppen von Menschen beobachten, die lange interessiert auf das Dach des Hauses

In der letzten Nacht wurde die hiesige Buderjabrit A.-G. durch Feuer fast völlig eingeäjchert. Die Maschinen, Emrichtungen und Bagerungen von Zucker und Sirup usw. find fast ganz ve nichtet. In der seit dem 15. Oktober in vollem Betrieb stehenden Fabrik wurden etwa 275 Arbeiter und Angestellte beschauen, von dem das Licht in die Nacht hinausruft: schäftigt. Nach den bisherigen polizeilichen Ermittlungen ist das Feuer in dem Aufbewahrungsteller für Versand aufgekommen.

heimkehrend, den Beutel in seiner Berstreutheit in den Aermel seiner Jade stedte und als er daheim angelangt war, nicht mehr vorfand. Er brüllte erbittert auf, warf sich gleich mieder aufs Pferd und raste aus dem Dorf wie der Wind. Bald darauf erblickte er im Graben neben der Landstraße einen Wanderburschen, der gerade friedlich das gefundene Geld zählte. Der Alte sprang ab, nahm das Geld an sich und verabreichte dem Burschen gleich dort im Stehen einige Ohr­feigen. Nicht ein Gulden fehlte.

Und jetzt glänzten die geheimnisvollen Münzen im gelben Licht der Lampe .

Der Oberfosat starrte sie an, mit einem langen, schmeren Blid. In gewissen Pausen brummte und seufzte er. Ich achtete mit angehaltenem Atem auf alle seine Bewegungen. Nach einer geraumen Weile regte er sich und holte aus dem Aermel seiner Jacke eine verforfte Flasche und ein Stück Beug hervor. Er nahm behutsam einen Gulden auf, träufelte aus der Flasche irgendeine Flüssigkeit darauf und begann ihn mit dem Zeug zu reiben, mit großer Geschwindigkeit. Nach turzer Zeit hielt er das Geld vor die Lampe : Das Gulden­stück Sprühte und glitzerte.

Das währte weiß Gott mie lange. Der Oberfojat holte der Reihe nach die Fünfkronenstücke und Gulden hervor, rieb fie und legte sie dann zurück in den Beutel. Borher fpudte er aber darauf, damit sich das Geld auch vermehre. Manch mal feufzte er unwillkürlich auf, mährend sein verbundener Schädel erbebte:

... 50, ho... schwer ist das Los der Armen.. Ich konnte es nicht bis zu Ende abwarten und schlief wieder ein. Aber über das, mas ich in dieser Nacht gesehen hatte, wagte ich zu niemandem zu sprechen.

Am nächsten und am folgenden Tage mar das Haus wieder noll Die Kosaten berieten. Es handelte sich um irgendeine neue Unternehmung. Und am dritten Tage brechen fie mit dem ersten Hahnenichrei mit dreißig Magen auf und raiselten unter großem Lärm und Geflirr ous dem Dorfe. Den ersten Wagen lenkte der Oberfojat, denn auch diesmal führte er die Unternehmung.

Es verstrichen mindestens zwei Monate, bis sie wieder heim fanden. Natürlich unter dröhnendem Gesang. Wie ge­wöhnlich.

Während dieser Zeit hatten die Kosalen, wie wir später erfuhren. ununterbrochen gefuhrmerft. Denn sie verrieten ihre Pläne niemals vor Beginn der Ausführung, damit nie mand sie durchfreuzen fönne. Auch diesmal hatten sie das Dorf so geheimnisvoll verlaffen mie gewöhnlich. Aber auch

Wählt am 17. November Lifte 1 Gozialdemokraten.

von dieser Unternehmung gelang es uns, manches zu er fahren.

In diesen zwei späten Wintermonaten übernahmen die Kosaken schweren Fuhrwerferdienst von llihelp bis Szärnyeg. Auf dem Gipfel der Szärnyeger Berges hatte irgendeine alte gichtbrüchige Gräfin vor drei Jahren ein Schloß aufgebaut. Sie selbst lebte in Wien und sah sich das Schloß erst dann an, als es schon fast unter Dach stand. Da sie aber feinen Gefallen daran fand, befahl sie in ihrem großen 3orn, man solle das Ganze wieder abtragen und von neuem damit be­ginnen, aber diesmal so, wie sie es wollte.

Die Baumeister machten sich darauf in topfloser Hast über die neuen Pläne, da es jedoch gerade bärenmäßig talt war, fanden sie feine Fuhrweser, die sich bereit gefunden hätten, die ungewöhnlich lange Strecke zu fahren. Nun, wenn sich feine fanden, die Kosaken waren da! Sie hörten irgendwie von der Sache, noch während sie in den Wäldern der Ber­hovina mit den Baumstämmen rangen und eine Woche später knirschten ihre schmalen Wagen bereits über die schneever­mehte Landstraße von Ujhely bis Szärnyeg. Und kämpfend mit dem Sturm und mit der Kälte trabten ihre mageren Bferdchen von früh bis spät emsig vor den mit Ziegeln be= ladenen Wagen.

In dieser Zeit fam selten eine Nachricht von den Kosaken. Manchmal erzählte irgendein verirrter Wanderer, er habe fie gefehen, wie sie neben ihren Wagen daherstampften und während sie die dampfenden Pferdchen bitter antrieben, ihre Lammfellhandschuhe zusammenschlugen in der Kälte. In einem anderen Folle machten sie mit etwa sechs Wagen nor dem Wirtshaus in Belejt halt und begannen mit den Slamatenburschen zu raufen. Aber das waren eher jagen­hafte Gerüchte.

Inzwischen begann auf der Ebene der Latorca der Früh lingswind aufzumachen.

Auf einmal von einem Tage zum andern, sprangen die Wildwasser auf und glänzten mie Spiegelflächen in der Sonne. Die runden Wäldchen auf den runden Hügeln nahmen eine flaumig- gelbe Farbe an und die fernen Berge erhielten blaue Streifen. Ueber dem Kirchturm freiste lange ein Storchenpaar.

Die drei Cfitosburschen des Oberfosaten trieben beim ersten wärmeren Wind die Herde auf die Ebene von Nezpest hingus, während sie mit ihren Hezpeitschen Inallten. Das Dorf atmete auf und die Menschen in den Höfen und in den Gärten begannen sich zu regen. Und sie überfluteten die Wiesen, mie die Ameisen. ( Fortsegung folgt.)