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Beilage

Donnerstag, 31. Oktober 1929

Schülerschwund

Die Aushöhlung der oberen Jahrgänge der Volksschule Was bedeutet der Ausdruck: Aushöhlung? Man verstehi barunter die Tatsache, daß durch Schülerschwund der acht­stufige Aufbau einer Schule von einem gewissen Zeitpunkte ab gefährdet wird, daß insbesondere die ln möglichteit eintritt, die Parallelklassen von Beginn der Schulpflicht an bis zur Beendigung derselben durchzuhalten. Daß eine derartige Aus­höhlung der oberen Jahrgänge der Volksschule besteht, wird von Kennern der Verhältnisse nicht, bestritten. Der 3u strom zu den höheren Schulen ist ein dauernd steigender, wenn auch hier und da einmal die Zahl der die Grundschule verlassenden Kinder zurückgeht. Ehe mir auf die vielen Fragen eingehen, die auftauchen, sobald man die Tatsache der Aushöhlung näher betrachtet, muß vorerst noch einmal erörtert werden, weshalb denn wohl in so unge­heurem Maße die Flucht aus der Volksschule besteht. Die Ursache für diese Erscheinung ist zunächst die Nachwirkung der Ber  achtung, in welcher sich in der Borkriegszeit Boltsschule und Volksschullehrerschaft bewegen und entwickeln mußten. Bei Geburts­tagsfeiern des Landesherrn wie bei ähnlichen Festen erstreckten sich die Einladungen höchstens bis auf die Mittelschullehrer und die geprüften Rektoren der Bolksschule. Beispiele für die Ueberhebung der Akademiker aus jener Zeit gegenüber den halbgebildeten" Volksschullehrern haben sich in manchen Kreisen bis auf den heutigen Tag erhalten. Es sei erinnert an einen bekannten Charlotten burger Mediziner, der bei jeder passenden Gelegenheit den Abstand zwischen sich und einem Schriftsteller aus dem. Volts. bei schullehrerstande stets dadurch unterstreicht, daß er Zitierung des letzteren stets den Berufsstand als Volksschullehrer im Sinne eines Minuspunktes hinzufügt. Die Volksschullehrerschaft im ganzen hat unter solchen Verhältnissen schwer gelitten und stets nersucht, in möglichst großer Zahl in andere, weniger mißachtete Lehrergruppen hinüberzuwechseln.

Die Geringschäzung des Standes ist noch nicht ganz über­munden und wirfte sich insbesondere auch bei der Bewertung der Arbeit der verschiedenen Lehrerfategorien deutlich aus. Besonders geringsdäzig wurden im späteren Leben ehemalige Bolts ichüler angesehen. Der Aufstieg nach dem Berlassen der Volksschule war glatt unmöglich, es sei denn, daß die Last getragen wurde, durch Privatstunden unter großen Opfern an finanziellen Mitteln das nachzuholen, was Kinder aus bemittelten Häusern unter wesentlich günstigeren Bedingungen sich erwerben fonnten, nämlich einen Berechtigungsschein, fet es die Reife für Obersekunda, sei es das Abiturientenzeugnis. Daß nach dem Welt­friege die Verhältnisse günstiger geworden sind, ist ja bekannt,

Die breite Masse der arbeitenden Bevölkerung ist nunmehr zu der Einsicht gelangt, daß der sicherste Aufstieg durch eine gediegene Schulbildung vorbereitet ist, und daß dieser Aufstieg günstige Aussichten bietet auch in wirtschaftlicher Hinsicht. Man hat auch allgemein erfammt, daß der erfolgreichste Kaufman, der wohlhabend gewordene Handwerker usw. in gewissen Kreisen über die Schulter angesehen wird, wenn nicht gleichzeitig ein ganz bestimmtes Maß von Schulbildung zur Verfügung steht Schließlich brachte die Besoldungsordnung nach dem Kriege die Belehrung, daß die Arbeit eines Akademikers ganz anders bewertet wird als die eines mit gleich schwerer Last bedachten Beamten ohne Hochschulausbildung. Man fah, in wie relativ furzer Zeit das mehr an Ausbildungskosten innerhalb der besseren Gehaltsstala ausgeglichen wurde. Alle diese und viele andere Erwägungen, auf die im Rahmen eines Zeitungsartikels nicht eingegangen werden kann, führten nun dazu, daß nicht nur die Kreise, die herkömmlicherweise ihre Kinder der höheren Schule zuführten, dem Universitätsstudium zusteuerten, sondern auch der Nachwuchs aus solchen Bolfsschichten, die vor dem Weltkriege es faum gewagt hätten, den dornenvollen Weg des akademischen Studiums für Söhne und Töchter zu wählen. Trozz aller Warnungen maßgebender Stellen hält die Tendenz an, jedes einigermaßen begabte und gesunde Kind auch aus den Kreisen des unteren Mittelstandes wie des strebsamen Arbeiters von der Grund­schule aus in eine höhere Schule zu geben. Wer gegen diese Tendenz arbeitet, verkennt den Geist der Zeit und muß blind sein gegenüber dem zweifellosen Vorsprung, den eine gute Schulbildung jedem Menschen in jedem Stande gewährt.

Was

Wie liegen nun die Dinge bei objektiver, unvoreingenommener Betrachtung? Sie liegen in Wahrheit so, daß sich zum Beispiel das Berliner   Schulwesen auf die Dauer mit den bisherigen Zuständen wohl nicht abfinden darf. Wir haben überall regulär ausgebaute Grundschulen, nämlich: zwei VIII., zwei VII., zwei VI. und zwei V. Klassen. In dichtbevölkerten Schulbezirken kommen auch dreifach besetzte Klassenstufen vor Bleiben wir aber zum besseren Berständnis béi unferem Regelfalle. geschieht nun nach Absolvierung der V. Klasse? Je nach Lage der Schule in einem reicheren oder einem ärmeren Stadtteile, gehen bis zu 50 Proz. zur höheren Schule bzw. zur billigen" Mittelschule über. Mit geringen Ausnahmen sind es die intellektuell besten Kinder. Aus den zwei V. Klassen fann somit beim besten Willen nur eine IV. Rlaffe( die Gerundklasse der vier oberen Jahrgänge) gebildet werden.

Der Oberbau der Volksschule steht somit schon jetzt auf tönernen Füßen. Zu bedenken ist übrigens auch, daß ir IV. Klasse sich nicht selten noch Kinder befinden, die zwar die Grundschule noch geschafft haben, die aber beim Pensum der IV. Raffe hängen geblieben find. Durch den Uebergang der Besten aus den V. Kaffen fehlen die ,, Borspannpferde", denen die schwächer begabten Kinder nacheiferten. Ohne Schrittmacher wird aber das Tempo des Fortschrittes naturgemäß ein langsameres

Nun ist aber auch die Volksschule in ihren oberen Jahr gängen einer weiteren Aushöhlung ausgefeßt. Für Knaben gibt es einen Uebergang nach dem fünften Schuljahre, für Mädchen nach dem sechsten Schuljahre und für Knaben und Mädd, en( durch Uebergang zu den Aufbauklassen) nach dem siebenten Schuljahre. Schon jetzt fann gesagt werden, daß der zuletzt genannte Ueber­gang zu Ostern 1930 ein erheblich stärkerer sein wird. Man kann sich unter diesen Umständen vorstellen, wie start nach Intelligenz wie nach Zahl die I. Klasse der Volksschule noch fein Tatsächlich mußten schon 1929 eine ganze Reihe von Schulen ihre I. Klaffe fchließen und die Kinder an Nachbarschulen abgeben. Die Verhältnisse wären noch wesentlich ungünstiger, wenn nicht die Berseßungsprüfung fort gefallen und eine recht milde Beurteilung der zur Versegung Stehenden Schüler zur Herrschaft gelangt märe.

fann.

Universitätsprofeffor Dr. Julius Schapel:

Der Abend

Shalausgabe des Vorwäre

Hochschule und Staatsumwälzung

Bor der Novemberrevolution

Die geschichtliche Entwicklung bringt es mit sich, daß die Hoch schulen des gegenwärtigen Staates ein Teil der bürgerlich tapitalistischen Klasse sind. Klaffengebunden sind sie geworden und bleiben von sich aus flaffengebunden. Der Feststellung dieser Tatsache*) wollen wir Einzelbetrachtungen folgen lassen und zunächst das Verhalten der Hochschulen zur Deutschen Republik allgemein beleuchten. Was wir dabei durch Beispiele tennzeichnen, wird in der Folge bei den Fragen der Organisation, des akademischen Nachwuchses, der Studentenschaft, des Lehr- und Forschungsbetriebes und der neuen Aufgaben weiter unter Beweis gestellt. Deffentliche Aeußerungen von Hochschulvertretern im Kriege waren dermaßen bis zu allerletzt und darüber hinaus auf Sieg und Eroberung eingestellt, daß ihnen die moralische Niederlage völlig entging und die militärische von ihnen in der ganzen Schwere nicht erkannt wurde. Das Wiedererwachen der proletarischen Internationale gerade im Kriege lag selbstverständlich erst recht außerhalb des Dentbereiches standesbewußter Akademiker, die zmar gern Führer der Nation" sein wollten, ohne die Untertanenschaft in der Monarchie aufzugeben.

Nach der Novemberrevolution

Nun so kam der November 1918 und seine nächsten Folgen ebenso überraschend, wie seine Vorboten unbemerkt blieben. Nach dem ersten Schreden gab es daher bald wieder akademische Stimmen zu hören, die ungemein zeitfremd flangen. Später beim Kapp Putsch und bei kleineren Ereignissen wurden Professoren­aufrufe einzeln und gruppenweise laut, die zum Glück für ihre Verfasser nicht sehr ernst genommen wurden. Heute lohnt es nicht mehr, die Ratheder- und Buchweisheiten politischer Zoologen, anti­semitischer Geographen, friegerischer Rechtslehrer zu wiederholen, deren Sammlung vielleicht später einmal zur Illustration der Zeit geschichte dienen mag.

Die Kerne des deutschen Hochschulwesens, die Lehrtörper, find in zehn Jahren in die Republik   hineingewachsen, ohne sich zu ändern. Eine der repräsentativsten Persönlichkeiten der Uebergangszeit und sicher einer der Hügsten Taktiker der Hochschul­

*) Siehe ,, Universität und Proletariat" in der Beilage des ,, Abend" vom 10. Oftober 1929.

Warum erhält man nun das einzelne Schulsystem nicht unan­getastet? In Berlin   besteht die Vorschrift, daß auf jede Klasse im Durchschnitt wenigstens 35 Kinder entfallen. Andererseits foll im Einzelfalle eine Klasse nicht bestehen bleiben, wenn nicht wenigstens 25 Kinder darin fizen. Nun kann der Fall eintreten, daß auf den Durchschnitt der Klasse einer Schule 37 Kinder fommen, daß aber die durch Versetzung soeben zustande gekommene I. Klasse mur 20 Schüler zählt. Dann muß nach den bestehenden Vorschriften die I. Klaffe gestrichen, das heißt aufgelöst werden, obwohl der Durchschnitt 3 wei höher ist als die Mindestzahl beträgt. Die Aushöhlung der oberen Jahrgänge an sich wird niemand beseitigen fönnen, mohl aber ihre Folgen. Wenn der Unterbau in Form der Grundschule für geordnete Verhältnisse auf der Oberstufe nicht genügt, dann muß daran gedacht werden, auf 3 mei Grundschulen die oberen Jahrgänge aufzubauen, selbst wenn dann eine Konzession gemacht werden muß an den Gedanken der gemeinsamen Erziehung der Geschlechter.

Dr. Otto Seeling  .

Bom höheren Schul ,, unwefen" Ein Diskuffionsbeitrag

Bor einiger Zeit brachte der Abend" einen Aufsatz über die Notwendigkeit einer radikalen Reform des höheren Schulwesens. Die Redaktion hatte um Meinungsäußerungen dazu gebeten. Leider sind sie bisher nicht erfolgt. Der Grund ist feineswegs einstimmige Zufriedenheit von Eltern, gegenwärtigen und ehemaligen Schülern mit den vorliegenden Verhältnissen, sondern meines Erachtens eine aus der Vergangenheit des Obrigkeits- und Gymnasialprofessoren­staates herrührende Hoffnungslosigkeit, jemals ins höhere Schul­wesen Einheit und Fortschritt hineinbringen zu können. Unser gegenwärtiger Schulsystemwirrwarr ist national liberales Erbe, wie denn auch der Volksparteiler Bölitz durch Einführung einiger neuer Schultypen seinen tapitalistisch- individualisti­ichen Standpunkt zuleht ausprägte. Da haben wir nun 1. humanist:- sche Gymnasien mit Französisch  ; 2. mit Englisch  ; 3. Realgymnasien  ; 4. Oberrealschulen; 5./6. Reform-( Real)-Gymnafien; 7. Deutsche  4. Oberrealschulen; 5./6. Reform-( Real)-Gymnafien; 7. Deutsche  Oberschulen; 8./9. Aufbauschulen; 10. Mittelschulen; 11./12. min. destens noch zwei Schultypen und das Dußend ist fertig. Hinzu kommt noch die Verschiedenheit der Lehrpläne usw. der diversen Nun dente man an unsere durch Berufs- und Erwerbsnotwendigteiten zu wiederholtem Ortswechsel verurteilten Eltern und Schüler; oder aber an die unglücklichen Jungen über die Mädchenschulen be­richtet vielleicht einmal ein anderer Beser-, die eine durchaus nicht ihren. Anlagen und Neigungen entsprechende Schule besuchen müssen, weil sie eben die einzige ihrer Art im Orte ist und der Bater das Geld für Kost und Logis in der Nachbarstadt nicht auf­bringen kann. Vielen solcher Jungen wird dann die Schule zum 3uchthaus, dem sie so schnell wie möglich äußerlich wie innerlich zu entrinnen trachten; wobei denn mancher ich fann an Hand meiner Aften ein Lied davon singen in der wirklichen Strafanstalt endet. Rationalisierung ist da eine dringende Notwendigkeit. Sie bedeutet zunächst eine gewisse Unitarisierung. Zum mindesten in den Jahren, in denen die Begabung und Berufs. eignung der Knaben durchaus noch nicht feststeht, follte einheitlicher Unterricht möglich sein. Ginge es nach mir so würde ich die Schul­pflicht mit dem 7. Lebensjahre beginnen und mit dem 15. enden lassen. Die Grundschule müßte dann 6 Jahre umfassen, deren letzte 2 besonders die Fächer Deutsch  , Naturbeschreibung, Geographie, Zeichnen, Geschichte zu pflegen hätten. Nun müßte folgen a) ein zweijähriger Kursus mit besonderer Berücksichtigung der Bedürfnisse

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reaktion, der Berliner   Theologe Reinhold Seeberg  , Jagie im Juni dieses Jahres: Man fann eigentlich nicht sagen, daß die Revolution den inneren Zusammenhang des geistigen Lebens an unseren Hochschulen erheblich beeinflußt hat. Niemand wird sich darüber wundern, daß die Dinge vor zehn Jahren sich anders anließen und daß neue Pläne in Menge auftauchten. Die Wucht der Wirklichkeit ist demgegenüber zu stark gewesen." Seeberg meint dann, der Hochschulverband habe vermittelnd und ausgleichend gewirkt. Ich möchte das als Mitglied des Vorstandes dieser Körper­schaft bei ihrer Gründung und während ihrer ersten Sturmjahre sehr bezweifeln, ohne hierüber in eine Diskussion einzutreten. Die Hauptsache für uns ist die sachverständige Feststellung Seebergs, daß die Staatsumwälzung für das Wesen der deutschen   Hochschulen teine Folge gehabt hat. Es ist alles beim 21ten geblieben. leber diese Tatsache konnten sozialistische Länderregierungen Erfahrungen sammeln, die beim Neuaufbau des Erziehungswesens auch an der Hochschule nicht vorbeigehen konnten. Dem Unverständ nis seines Standes verleiht sechs Jahre nach der Störung"( 1923) ein Philosoph in einer der neuerdings beliebten Selbstdarstellungen Ausdruck mit den Worten: Freilich von den schweren Erschütte­rungen unseres Vaterlandes ist auch meine Universität nicht un berührt geblieben. Sie hat sogar einige Jahre der Leidenszeit durchgemacht, wie vielleicht teine zweite ihrer deutschen Schwestern, jogar die des besetzten Gebietes nicht, wie eine von diesen selbst es uns einmal teilnahmsvoll in aller Form ausgesprochen hat. Wir haben, um mit Kant zu reden, eine Misologie", d. i. ein Haß gegen die Vernunft zu ertragen gehabt, daß ihre Folgen noch lange nicht überwunden werden usw...."

Die Zukunft

Wir haben im neuen Staat die Hochschulen des alten Staates. Die Polterer und Putschprofessoren sind verstummt oder werden nicht mehr angehört. Alte Gefühlswerte sind zurückgestellt worden. Man findet sich mit der gegebenen republikanischen Staats­form ab, ohne bemüht zu sein, sie mit Inhalt zu erfüllen, gewiß der Erkenntnis verschlossen, welchem Ziele der gesellschaftlichen Ent­wicklung sie zuführen soll. Wenn überhaupt in diesem Staat die Leitung der Staatsverwaltung etwas bedeutet, dann ist auf jeden Fall am Hochschulapparat die neue Richtung vorbeigegangen, ohne auf ihn einfach verzichten zu fönnen, solange das Berechtigungs­wesen besteht. Es bleibt uns noch alles zu fordern, alle s zu tun. Wir werden es nachholen.

des Handarbeiters, oder b) ein dreijähriger mit einer Fremd sprache( und ,, mittlerer Reife" als Abschluß) für die Ange= stelltenbedürfnisse oder endlich c) eine sechsjährige Ober

schule.

Latein sollte jebe Oberschule treiben, desgleichen Französisch Doch müßte die Zielfezung eine andere fein wie bisher. Es feuchtet mir nicht ein, weshalb es nötig ist, die Abiturienten Uebersetzungen aus dem Deutschen   ins Lateinische machen zu lassen, bei denen streng darauf geachtet wird, daß die goldene Latinität" Ciceros  , nicht etwa die filberne" des Tacitus   zur Berwendung kommt. Nicht Pädagogit, sondern Philologendünfel hält das für Als ich Unterprimaner war, wollte ein fatholischer unerläßlich. Bauernjunge gerne das Abiturium machen, um Priester zu werden. Man ließ ihn durchfallen, weil er in der lateinischen Klausurüber­fegung Sertanerfehler gemacht hatte; als ob nicht gerade die durch die Aufregung erklärlich gewesen wären. Da der Junge arm war und damals für das zahnärztliche Studium nur das Primazeugnis nötig war, wählte er das letztere. Hoffentlich hat er seitdem recht piele verknöcherte Altphilologen auf seinen Operationsstuhl be= tommen.

Latein braucht der angehende Sprachler, Mediziner, Jurist, Historiker, Naturwissenschaftler, Apothefer, Chemiker, Philosoph, Theologe, Kunstgeschichtler, Mufifer und manch anderer noch; doch alle diese nicht mehr davon, als gegenwärtig etwa ein Gefundaner einer Lateinschule sein eigen nennt. Was darüber hinausgeht, sei einem Fachstudium vorbehalten. Griechisch, Englisch  ( oder Spanisch, Russisch), Hebräisch mag in den letzten 3 Jahren der Oberschule mit mathematischer Wissenschaft zur Wahl gestellt werden. Es ist näm­lich durchaus zu beachten, daß für Mathematit höchstens ein Biertel der Schüler begabt ist und daß ein großer Teil der ehemaligen höheren Schüler für das, was über die elemen­tarsten Begriffe der Geometrie hinausgeht, feinerlei Verwendung im Leben hat. Wieviele Schüler find aber an der Mathematik ge­scheitert, die vielleicht einen hervorragenden Historiker, Juristen oder Bolkswirt abgegeben hätten! Die Oberschule habe also im Unterbau ( 3 Jahre): Deutsch  , Geschichte, Latein, Französisch, Elementar­Mathematik zu Hauptfächern. Der Oberbau lasse an die Stelle der Mathematik Phyfit treten und 1 bis 2 alte bzw. neue Sprachen bzw. schwierigere Mathematit wahlfrei sein, derart jedoch, daß das Gewählte dann für den Schüler Hauptfach wäre.

Mindestens ebenso wichtig wie das Schulsystem ist dann weiter die Gestaltung der Lehrpläne im einzelnen. Auf den Lateinunterricht ging ich schon ein. Wie hier, müßte auch in an­deren Fächern aller Ballast über Bord geworfen werden, damit mehr Raum bleibt für eingehendere Behandlung aktuellen Stoffes Während die altsprachlichen Stunden die Lektüre entsprechender Texte ermöglichen sollen, müßte der neusprachliche Unterricht den prattischen Umgang in der Sprache erzielen.

Daß unter Einschränkung des rein gedanken und gedächtnis­mäßigen Elements die Eziehung nicht zu leiden braucht, zeigt das Beispiel der englischen Schulen, die trop mancherlei alter tümlicher Spielereien und mancher Sportfegerei doch die jungen Leute ungleich lebenstüchtiger erziehen als unsere alten Stoffeinpaut institute Gewiß haben wir eine ganze Reihe tüchtiger Schulmänner unter unseren Genossen; leider sind ihnen die hande gebunden solange nicht das starre System von heute aufgelockert wird.

Auf jeden Fall muß uns die Kluft erschrecken, die das Denken des heutigen Durchschnittsstudenten von dem des Bolksschulabsol venten trennt. Da ist eine Aenderung des Systems und auch eine Aenderung im Personenwesen notwendig. Die Jeziale Republik darf ihre Jugend nicht Leuten ausliefern, die asoziale Persönlichkeits= Politur treiben, statt die Jugend einer Gemeinschaftskultur zuzu­führen und dadurch aus geift'ger Schmach das Baterland, das Bolf E. Kürschner- Tegel vom Elend zu erretten".