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Beilage

Freitag, 1. November 1929

Heinrich Hemmer:

Der Abend

Snätausgabe des

Vorwärte

Somebody loves me in Florida  

,, Somebody loves me"( ,, So manch einer liebt mich") jauchzte das Saxophon auf der Marmorterrasse unter dem Zeltdach der sechzehn stockhohen Pension Florida  , das wie über ein kaiserliches Heerlager von Fiveoclockern gespannt war. Die Sonne war noch extra durch japanische Tischbaldachine ausgesperrt: dafür strahlten um so heller die Juwelen an den nackten Armen und Hälsen, an den über­manikürten Fingern und bloßgefämmten Ohren der Wasser- und Lansportmillionärinnen, die ein Minimum von Kleidung und ein Maximum von Pictin und Edelsteinen zur Schau trugen. Nebenan entführte ein Pologigeri eine grünseidene Badenymphe, deren Kostüm durch einen Ring zu ziehen ginge; ein mageres Tennisgirl umfaßte cinen fetten Trikotjüngling und eine seufzende Seequalle ließ den Eintänzer fommen.

,, Somebody loves me" fummle ein helles Stimmchen, das an uns vorbeigelanzt tam: es war die goldblonde Amazone in hell­braunem Reitdreß, die heute früh auf einem Fabben an uns vor­übergeritten war: Harry hatte unter Lebensgefahr das ihren Händ­den entglittene Zigarettenetui zwischen den Hufen eines nach­kommenden Pferdes gerettet, jetzt stieß er mich mit dem Fuß an. Somebody loves me", jagie er, wenn sie wüßte, daß ich derzeit Geschirrmacher auf der Irene" bin!" Harry war nämlich eine Art Schriftsteller, aber ein unruhiger Geist: seine Frau in Wien   mußte in jeden Donnerstag an den Schreibtischstuhl anbinden, bis er sein Wochenfeuilleton fertig geschrieben hatte.

Somebody loves me", piff ein Aeroplanagent am Rebentisch und zog aus seiner Revolvertasche ein flaches, wie ein Magenwärmer geformtes Flächschen, mit dem er seinem Kaffee Geist einflößte. Harry

schielte auf die nach Rum duftende Blechfiole, winkte dem Kellner und schielte wieder: er wollte sich Courage antrinken, aber sein Schielen und Deuten half ihm nichts: der Kellner wollte nicht ver stehen. Da entfernte sich Harry; nach fünf Minuten fam er freide­weiß zurück: er hatte ein Glas Bier" getrunken. Es wird wohl Aether gewesen sein. Ich mußte ihn in eine Apothefe führen.

,, Somebody loves me" flang das Jazz bei der Schönheits­fonkurrenz in der Strandarena, wo Harry und ich die verloren­gegangene braunceltgoldene Amazone zu suchen begamen, sowie er wieder auf dem Damin war. Wir drängten uns durch das Publikum, vor dem die konkurrierenden Benusse auf einem ringsum laufenden Holzsteg in Trikot onmarschiert tamen. Vampyre und Gretchens, Amazonen und Mimoien, lokett und bescheiden Tuende, Raffinierte und raffiniert Einsache, ter Steg und Podium waren beladen mit melichen Reizen, aber das, was er wollte, suchte Harry vergebens. Wir hatten auch im jeudalen Gentry- Nacht- Klub fein Glück und wurden als Eindringlinge unter den Klängen des Sdlagers hinaus geworfen. Auch nicht bei den still belebten Gondelfahrten, mo Techtelmechtel angebahnt und Ehen abgebaut werden, nirgends in Palmbeach fanden wir die Amazone, aber überall wurde es geblasen, gezupft und gejungen: Somebody loves me."

*

Harry verfiel in Schwermmit; seine schmachtende Seele verlangte nach Alkohol, und auf Suche tanach, lenkten wir unsere Schritte wieder dem Hafen zu. Sanftbewegte Palmen glänzten blaugrün im Mondschein; immer wieder huschten weiße Lichtkegel über die Straßen. Fernes Gelächter und nahes Geflüster in der milden, blütengeschwängerten Luft: wir ließen alles hinter uns. Trübe gleißten die Lichter des Hafens; hier beginnt wieder die reale Welt, hier lag festangefeilt unser braves Schiff Irene", und vom Deck herab hörten wir einen Heidentärm. Somebody loves me" grölte Jim, der Senegalese  , und fam uns schon an der Fallre: p entgegen getorfelt, eine Whiskyflasche in der Hand.

,, Rum runners", gluckste er, zog uns zur Reeling und zeigte uns die Schnapsslotte. Es war eine internationale Armada. Der Union Jack slatterte neben der Sonne Japans   und der Schlange Meritos. Schmußige fleine Segler, Motorschiffe ältesten Datums, dazwischen lilienweiße mißbrauchtreibende Millionärsjachten, fleine unschuldsvoll aussehende Dampfbartassen, ausrangierte Küsten­dampfer: das war die Floite König Altohols. Unauffällig waren die Schiffe gekommen, die Schmuggelpolizei hatte nichts Böses ver­mutet, gewöhnlich wird außerhalb der Meilenzone verhandelt, das Extrem ihrer Kedheit schützte die Schmuggler in diesen Tagen vor Verdacht. Neben uns lag ein Segler mit dem hochtrabenden Namen

voller Fahrt. On est parti", rief Jim, wir hatten gut, ihm zu sagen, daß er nur in der Einbildung fahre; er ließ sich's nicht nehmen und ging an Deck.

Wir fuhren wirklich. Die Rumladŋ erblaßte, der Manager tobte, der Obeinige schlotterte und der Dandy bekam einen Nerven­anfall, als man ihn mitteilte, daß wir in See gestochen seien, weil uns die Polizei auf den Fersen war. Die Versteigerung war nun überflüssig geworden, fein Mensch dachte mehr daran; wir wünschten uns nur mehr, die einen über die Meitengrenze, die anderen nach Palmbeach zurüd. Ein wohltätiger gütiger Rebel hatte sich herab gesenkt und die Börsen der Auktionäre öffneten sich jetzt für den Preis eines kleinen Bootes, in dem man uns aussehen sollte. Wir wurden mitgenommen, unter der Bedingung zu rudern. Harry

mollte seiner Amazone ins Boot helfen, aber sie wollte nicht ein­steigen. So wenig, wie sie Furcht gezeigt hatte. Es war die Frau des Whiskykapitäns.

,, Somebody loves me" flang das Grammophon zum Abschied uns nach. Wir ruderten auf die Lichter zu, langten zwei Stunden später im Hafen an, mit nicht mehr Whisky, als wir in uns hatten, und der war längst verflogen in der Aufregung und im Gefnatter ferner Schüsse.

Harry schlief diese Nacht nicht, ich hörte ihn sich in der Koje herumwälzen, und viele Male begann er zu summen: Somebody loves me". Frühmorgens weckte er mich und zog mich nach der Reeling. Dort lag der Londonbon" von Blueboys( Marine­foldaten) besetzt, und leere Flaschen schwammen um ihn herum. Die braungelbgoldene Amazone mußte hinter Schloß und Riegel figen.

Der entgötterte Goethe

Ein psychoanalytischer Versuch

A. Theilhaber: Goethe, Serus und Eros  "), das auf stürmi Im Horen- Verlag, Berlin  , ist ein Werk erschienen( Feiig schen Protest der Rechtspresse, aber auch darüber hinaus eines Teiles der bürgerlichen Presse stößt. Niemand wird diesen Blättern das Recht auf Kritik absprechen können, wenn auch die Art der Kritik zum großen Teil jede Objektivität vermissen läßt. Abgelehnt wer­den muß es dagegen, wenn sich die Gesellschaft für Deut­iches Schrifttum e. V." an verschiedene Redaktionen mit einem Schreiben wendet, in dem aufgefordert wird, mit einer Stellung nahme zu dem Werf, das als ein typisches Buch des zersetzenden Geistes unserer Zeit" und als ein ,, beschämendes Zeichen der Ehr furchtslosigkeit" bezeichnet wird, zu warten, bis man in der Lage sei, Kritiken, von der Gesellschaft für Deutsches Schrifttum e. V. geliefert, 31 publizieren. Das ist ein Beeinflussungsversuch und ein Versuch, ein wissenschaftliches Werk niederzukämpfen, der nicht scharf genug zu­rückgewiesen werden kann. Persönlichkeiten wie der Philosoph Eugen Kühnemann  , der Vorsitzende der Demokratischen Partei Dr. Koch- Weser, Gerhart Hauptmann, her mann Stehr und Frank Thieß   sizen im Präsidium dieser Gesellschaft. Man darf annehmen, daß das Schreiben ohne Wissen des Präsidiums versandt wurde und daß das Präsidium den Schrittlichkeit braucht, auch zu seinem Werk.

den so gearteten Verhältnissen zu einem förperlichen Besiz der Ge­durchweht sind, Werke wie Tasso" und" Werther". Nie kam es int liebten, und dieser Besitz wurde von dem Dichter auch nicht ernst­haft erstrebt. Er bricht mit Friederike, flieht vor Lili, kämpft nicht einmal um Lotte Buff  , sondern seht ihr im Werther  " ein Denk= mal, um sich acht Tage später gleichzeitig in Sophie Laroche   und ihre Tochter zu verlieben.

verurteilt.

Wir lassen einen Auffah über Theilhabers Wert, der als Psycho­loge und Segualwissenschaftler bereits einen Namen hat, folgen.

Uns liegt ein lebendiges Goethe- Buch vor; freilich schrieb dieses Buch feiner der fleißigen Philologen, sondern ein Arzt, Dr. Felix A. Theilhaber, der das Problem Goethe vom Standpunkt des modernen Mediziners und Psychologen aus anpact. Theilhaber geht von der Tatsache aus, daß Goethe aus einer erblich schwer belasteten Familie stammt. Der Vater des Dichters war das zehnte Kind eines 53jährigen Vaters, und auch die Mutter dieses Kindes war bereits 42 Jahre alt. Von diesem Großvat.r berichtet ein befreundeter Arzt, er sei ein artiger, aber eingebildeter Mann", und registriert nach seinem Tode, der verstorbene Goethe sei durch seinen Hochmut von Sinnen gefommen". Von den drei überlebenden Kindern dieses Baters war der Aelteste, Joh. Michael, ausgesprochen geistestrant. Der zweite Bruder, außerordent­lich roh und zanfsüchtig, galt als minderwertig. Des Dichters Bater endlich zeigt in seinem ganzen Leben die Züge eines Son= derlings. Ohne Beruf und Berufung nimmt er nirgends teil an dem regen Leben der Stadt, eitel genug, um sich durch den er­

fauften Ratstitel Relief geben zu wollen. Steif und pedantisch, ein hypochondrischer Quälgeist", von Frau und Kindern ungeliebt, lebt er ein im eigentlichen Sinne leeres Leben und stirbt, zweiund­siebzigjährig, in den letzten Jahren einen erschreckenden geistigen Verfall zeigend, ohne Gedächtnis und Besinnlichkeit". Auch der

"

Es gibt allerdings eine Zeit im Leben des Dichters, die der Theorie von seinem nur schwach ausgeprägten Geschlechtstrieb zu widersprechen scheint: die wilde" Leipziger Studentenzeit mit ihren feruellen Ausschweifungen. Aber diesen Ausschweifungen wird plötzlich durch einen Blutsturz ein Ziel gefeßt, ein Symptom, das auf eine beginnende Tuberkulose hindeutet. Damit die gesteigerte sexuelle Reizbarkeit Tuberkulöser ist ja bekannt ist die veränderte Haltung Goethes zu Segus und Eros, die bis in die Weimarer Zeit   hinüberreicht, hinreichend erklärt. Und schon genügen diese geschlechtlichen Erlebnisse seinem Eros nicht mehr. In Char­ lotte von Stein  , der um Jahre älteren, frigiden, in einer unglücklichen Ehe lebenden Frau, die unter der robusten Sexuali ät ihres Ehemannes leidet, findet er die Ergänzung, die feine Persön

Die Anziehung, die sie auf ihn ausübte, war vor allem geistiger Natur, und Frau von Stein war zufrieden mit dem übcrsinnlich­finnlichen Freier", zu dem Goethe nun wurde. Mit seiner Liebe zu Frau von Stein sind alle Liebeleien, alles Aeugelchen machen beendet. Zehn Jahre lang dauert diese merkwürdig durchgeistigte Liebe, und Goethe selbst empfindet sie nicht mehr wie eine Leiden­

schaft

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sie ist eine Krankheit". Zehn Jahre hindurch lebt er in dem zu ewigem Unerfüültsein verdammten Liebesverhältnis

Es

ist die Zeit, in der die bei ihm ohnehin schmale Brücke zwischen Segualität und Erotik endgültig bricht.

Endlich, nach zehn Jahren, beendet er das Verhältnis auf die für ihn bei allen Bindungen auf erotischer Basis charakteristische Art: durch seine Reise nach Italien  , die im innersten Sinne nichts anderes ist als eine Flucht. Und nun bricht die lange gehemmte, verdrängte Segualität durch; er findet den Mut und das Db­jekt, das sie befreit. Faustina  , eine junge Witwe, Tochter eines Wirtes, wird die Gefährtin seiner römischen Tage und gibt ihm jene Erfüllung seines Mannstums, die er weder bei Friederike, noch bei Lili oder Charlotte von Stein   gefunden hatte. Die Frucht dieser Tage sind die Römischen Elegien".

Bon da an erweist sich der Geschlechtstrieb( Serus)

stärker als die Geistesliebe( Eros  ). Zurückgekehrt, findet

er bei Charlotte von Stein   fein Genügen mehr. Zu gelegener Zeit tommt Christiane Vulpius   in sein Haus, und dieses Mädchen, Kinder. Freilich blieb sie auch als Mutter seiner Kinder noch das er fand, ohne gesucht zu haben, wird die Mutter seiner lange feine Maitresse", gemieden und verspottet von der sonst fo

,, Londonboy", die Mannschaft war zu uns an Bord geftommen in Großvater mütterlicherseits, der Schultheiß Tertor, duldsamen Weimarer   Gesellschaft, und der Herr Staatsminister geradezu spukhafter Weise, hatte einen fameradschaftlichen Abend zeitlebens ein großer Freund des Weines, wird im Alter geits zahlte eher Strafgeld für die uneheliche Geburt seines Sohnes, als inszeniert, und war auf ebenso mysteriöse Weise wieder verschwunden. schwach. Die Schwester des Dichters vier andere Geschwister daß er die Mutter zu seinem angetrauten Weibe machte. Bis zu

Jim wollte den Besuch der Schmuggler erwidern, und wir schlossen uns ihm an. Wie Romeos stiegen wir auf der Strid­leiter herab und fuhren auf einem unserer Boote nach dem ,, Londonboy". Er schien zu schlafen. Raum aber hatten wir

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sterben im jugendlichen Alter leidet in ihrem Geschlechts- und Cheleben Schiffbruch. Cornelia efeit vor meiner Liebe", flagt ihr Gatte; nach der Geburt ihres Kindes bricht sie seelisch zusammen und bleibt zwei Jahre, in Melancholie versunken, in ihrem Bett. Freunden und Zeitgenossen auf.

das Deck betreten, als uns schon zwei bis an die Zähne bewaffnete Ihr Kind übergibt sie fremden Leuten. Ihre franthafte Natur fiel erfüllter indischer Liebe, die, wie diese Gedichte, die Elegien und das

Kerts entgegentamen. We come for tobacco," sagten wir, um unfere Unschuld zu beteuern, aber es war nicht die Hafenpolizei, es war die Whiskypolizei. die Auspaffer. Bald hatten sie Jim er­fannt, und wir wurden in die unteren Räumlichkeiten geführt. Da war es bedeutend weniger prunkvoll, aber viel lebhafter als in der Florida  - Pension. Es war allerdings kein gewöhnlicher Unter­haltungsabend im Gang, sondern eine Auftion. Händler waren er= fchienen und überboten einander auf den Rum und Whisky, als mären es die gesuchtesten Börjenpapiere. Da die stärksten und besten schottischen Marken vertreten waren, wurden die Angebote höher und höher, und es entspann sich um jede Kiste ein wahrer Kampf. Ein rotbärtiger Barbesitzer aus der Stadt geriet mit dem Manager der Florida  - Pension beinahe ins Handgemenge, während ein junger Dandy mit Tausend Dollar- Scheinen harummarf, und eine dicke, aufgetafette Dame mit schriller Stimme auf Rum bot.

So verging eine Stunde, die Spirituesen waren schon alle in den Besitz der Käufer übergegangen, und Käufer, Verkäufer, Be­fazung und Besuch in angeheitertster Stimmung, als plößlich das Grammophon zu freischen begann: Somebody loves me". Eine Stimme jang mit, die wir beim Fiveoclod gehört hatten. In einer dunkien Ede neben dem Grammophon faß mer? Die braungeib goldene Amozone! Horry hatte jeßt Courage, näherte sich ihr und fprach unauso jeßt. Ich weiß nicht, wie die Zeit verging. plötzlich fdien fich alles um mich zu drehen. Als ich aufblickte, war die Bejagung verschwunten und ich hatte das Gefühl, wir seien in

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Aus diesem franken Stamm bricht nun wie eine wundervolle Blüte das Phänomen Goethe, der Götterliebling", und es wäre um so merkwürdiger, daß nicht auch er an dem Schicksal der Familie tragen follte, als fein eigener Sohn jung in Rom   einer Gehirn frankheit erliegt, und in seinen Enkeln, die von gläserner Mauer umbaut, allem lebendigen Leben jernbleiben, das belastete Geschlecht erlischt. Beide sind cheloſe Sonderlinge, alte Leute schon in ihrer Jugend", nach dem Urteil eines 3eitgencffen.

Nein, so nimmt Theilhaber an und versucht in seinem Werk den Nachweis dafür zu erbringen, auch der Dichter mußte dem Schicksal seinen Zoll bezahlen. Es erscheint auf den ersten Augen­blid barod, wenn Theilhaber von Goethe, dem ewig Liebenden, behauptet, daß er an einem Mangel eigener Männlich feit gelitten habe und daß bei ihm die Spaltung zwischen geist g- erotischer Liebe und Geschlechtstrieb anormal gewesen fi. Dem starken erotischen Bedürfnis Goethes, so sagt Theilhaber, dem wir auch in den weiteren Ausführungen folgen, entspricht nicht eine gleiche Stärke des feruellen Triebes Beide Strebungen richten sich auf ganz verschieden geartete Frauentypen, und das löst einen merkwürdigen Widerspruch auf, den wir in allen Werfen Goethes finden. Den Fraueninp, dem seine geistig- erotische Liebe, sein Eros zuneigt, finden wir in jenen Wahlverwandtschaften von der Friede rite von Gefenheim bis zu Charlotte von   Stein. Ihnen gelten jene zarten Liebeslieder, die von unstilibarem Sehnen

sechs Monaten verreist er und läßt sie allein Läßt sie allem, auch verheiratet sein konnte, als Goethe". Nur wenige Gedichte hat er menn fie in Kindesnöten ist, so daß schließlich ,, niemand weniger Chriftiane gewidmet. Ganz anders geartet sind dies: Dokumente noch lennen, der Deffentlichkeit entzogen wurde, geistig unbedeuten­Tagebuch, das 1880 von jener Art Staatsanwalt, die wir auch heute den, gesellschaftlich tief unter ihm stehenden Frauen galten, als die Dichtungen, die feiner geistigen Liebe entsprangen. Die Erklärung ist in der Spaltung der Persönlichkeit Goethes zu finden. Nur eine Gretchennatur" gab ihm die letzte Erfüllung. Seine geistige, feine

gesellschaftliche Ueberlegenheit kompensierten hier den Mangel

eigener Männlichkeit. Aus dieser Triebzerriffenheit entsprang das

Schuldgefühl, das Goethe den Frauen gegenüber empfand und das ihn im wesentlichsten Teil seiner Dichtung beschäftigte.

Erblühten aus seinem Verhältnis zu   Christiane auch feine Liebeslieder mehr, hier fand er die Kraft, den" Faust" zu vollen­den, dieses Werf, das von dem ersten Befenntnis: Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust", bis zu dem letzten Ausklang: Das Ewig- Weibliche zieht uns hinan", Rechenschaftslegung und Recht­fertigung ist, Rechtfertigung auch für den Mann, durch den Gretchen schuldlos schuldig wird. Für Thelihaber bestehen Einn und Wert des Faust in der Erfaffung des mit dem Geschlechtlichen ringenden Menschen", und so feiert er Goethe als den Vorkämpfer des Sexualproblems.

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Das ist ein furzer Abriß der Gedankengänge Theilhabers, dem das Berdienst zukommt, versucht zu haben, Goethe nicht mehr als eine unvermittelt und ohne Beziehung auftretende Wunder erschei nung, sondern psychoanalytisch als Folgeersche nung seiner differen­zierten Beranlagung zu erkennen.

Rose Ewald.