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Nr. 515 46. Jahrgang

1. Beilage des Vorwärts

bend,

Sonnabend, 2. November 1929

Tropenpracht in Potsdam  .

Draußen im Bart von Sanssouci   fiegt der Herbst. Blutrot leuchtet der milde Bein, buntgefärbt sind die Blätter der Bäume, sam zartesten Gelb bis zum fräftigsten Orange; nur noch ein furzes Dasein fristen fie, dann werden auch sie sich dem dicken, gelbrot Burchwirkten Laubteppich einordnen, durch den man schreitet. Herbst. stimmung, langfames Todesahmen in der Natur.

Und mitten hinein in diese schmermütig- schöne Herbststimmung- wie ein fröhlicher Afford in eine leidvolle Melodielacht üppigstes farbenfrohes Blühen, hochsommerliche Reife, Wärme, Leben. Unter halb der Orangerie liegen die Gemächshäuser der Bart. verwaltung, die kurz vor dem Kriege erbaut und jeztmieder zu neuem Leben ermedt wurden. Unter den Glasdächern grüßt die üppige Bracht des tropischen Urwaldes. Durch einen dicht bewachsenen Laubgang von prächtigen Farnen, hochauiragenden Bal men und Gummibäumen geht es zu den einzelnen Gewächshäusern. Zuerst zu den Orchideen, diesen lieblich- zarten, fremdartig fchönen Pflanzenkindern, die hier in der feuchtwarmen Heimatluft ein ſtillverträumtes Dasein führen. Die ganze schillernde, unheimliche Schönheit des Urwaldes offenbart sich hier dem Besucher; die klaffen­den, blutrot gefärbten Blütentelche, die wie gierige Schlünde nach Beute gieren und neben ihnen im frassen Gegensatz Blüten, die in ihrer ätherischen Bartheit an Form und Farbe unwirklich schön, märchenhaft erscheinen. Da ist die üppig- schöne Cattleya Fabia, Cattleya Wendlandiana, Gigas und wie ihre verschiedenen Spiel­

Johann Komáromi:

19]

He, Koraken!

Caus dem Ungarischen

von Cllexander von Sacher Masoch  Copyright by Büchergilde Gutenberg, Berlin  .

Da nun von übernatürlichen Dingen die Rede mar, ent­fernten fich auch die Kosaken immer mehr vom wirflichen Leben. Und wie es näher auf Mitternacht   zuging, schweiften fie immer mehr auf unbekannte Gegenden ab, an die die Menschen glauben, besonders wenn sie arm sind. Sie erschauern vor der großen Fremde, aber sie hoffen, daß sich drüben alles zum Besseren tehren werde, und dieser Glaube erfüllt sie mit Frieden. Die Kosaten mußten seltsame Fälle über gestorbene Geometer, die in Gestalt von tanzenden Flammen über den Sümpfen des Medvec ihr Wesen trieben, weil sie vor hundert Jahren bei der großen Erdvermessung das Volk zugunsten Der Herren betrogen hatten, nun hatte sie das arme Bolf ver flucht und seither irren ihre Seelen über den meglojen Tiefen der Sümpfe und locken einsame nächtliche Wanderer mit ihren Lampen in fürchterliche Abgründe, während sie scherzend immer wieder rufen: Komm... Lomm...

Erschroden lauschte ich unter der Dede und das Gruseln lief mir über den Rüden. Der Qualm war did, die Rojaten tranten. Nach längerem Schmeigen begann Andreas Vitor: Ich habe mich einmal mit so' nem Geometer geohrfeigt, daß sie der Teufel reite.

Die Rojaten lauschten, rauchend, mit gesenkten Köpfen, Andreas Bifor fuhr fort: Das war so, daß ich vor etwa fünfzehn Jahren aus dem Walde von Abara eine Fuhre Holz führte. Es war ein regnerischer Herbst, ich wurde von der Dunkelheit überrascht. Bir überquerten noch beizeiten die Latorca- Brüde, aber am diesseitigen Ulfer war es schon fo finster, mie in einem Sod. Mein Knecht war mit mir und ich sage zu ihm: Gehen wir nur tapfer los. Nun, wir gingen auch los, aber es war schon fo spät, daß man faum mehr den Hintern der Bierde sehen fonnte. Wie wir in das Röhricht der Medvec hineingerieten, schlingerte der Weg und der Kot reichte bis an unsere Knie. Da sehe ich, daß die Geometer lints sowohl als rechts mit ihren Lampen herumhüpften. Einmal laufen sie bis hinüber zur Grenze von Rezpest, dann wieder leuchten sie gerade vor

arten heißen mögen, arten heißen mögen, die schönste unter ihnen ist die prächtige Brasso- Cattleya, mit ihren großen, lilafarbenen Blüten. Schön ist das reine Gelb des Oncidium varicos, die eigenartigen Farbentöne der Cypripedien. Sie allesamt scharen sich um ihre Königin, das blaue Wunder des Tropenwaldes, die Vanda coerulea, die auch hier in der Fremde einen Ehrenplay erhalten hat. Eine große Traube hellblauer, zartopalisierender Blütenfeldhe ruht auf einem langen, zartgeschwungenen Stengel und fonnt sich. Die Vanda coerulea ist das Sonnenkind des Urwaldes, fie gedeiht, gleich ihren Artgenossen, auf seinem höchsten Blütendach und wirkt in ihrer wundervollen 3artheit ganz eigenartig schön.d

Nun führt unser Weg zurüd in die rauhe Wirklichkeit der heimatlich- fälteren 3one. 3mei große, gut durchlüftete Gemächs­häuser die Temperatur darf hier kaum 10 Grad Wärme erreichen

bilden einen Riesenhain prachtvoller Crysanthemen. lleppignolle Blütenköpfe von ungeahnter Farbenpracht neigen sich unter der Schwere ihrer Last. Von der schneeweißen Ondine über die zartroja getönte wundervolle Mona Davis zur rötlichen Edith Cavell  , über die glühenbrote George Monro jr. zur fupferfarbenen Red Cavell find alle Farben in Bastell- und leuchtenden Tönen ver­treten. Und was in den Tropen das blaue Wunder der Vanda coerulea, das ist bei uns im falten Norden die Chrysantheme: die Königin des Spätsommers. Diese selten schönen Zuchtprodukte haben auch ein verhältnismäßig langes Leben, sie sollen noch einige Wochen die Besucher erfreuen. Die Meister der Liebhaber- Gartenkultur und mit die Züchter der schönsten Chrysanthemenarten sind befanntlich die Japaner, die, mit der Natur und ihrem Blühen gleichsam ver­machfen, seit Jahrtausenden mit einer wahrhaft tultischen Liebe ihren Garten bestellen. So erzählte Gartendirektor Krache unter anderem, daß das ganze japanische Bolf eine tiefe Liebe zu den Blumen zeigt und daß jeder einer seltenen Blume megen, die nach Ansicht des Gärtners zu einer ganz frühen Morgenstunde sich erschließen soll, gern seine Nachtruhe opfert; auch gibt es dort Menschen, die un­gezählte Kilometer wandern, um eine neue Blütenart oder irgendeine jeltene Züchtung zu sehen. feltene Züchtung zu sehen. Nachbarn der schönen Chrysanthemen find die Cyclamen, ein Blütenhain in lachsrosa und rotlila, der fich auch über zwei Gewächshäuser erstreckt.

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sonders schön die buntlaubigen Cordylinen, Drazänen, Dieffenbachien usm. Der Pflanzenfreund, der sich nicht nur an Blüten, sondern auch am Blattwert erfreut, findet hier allerlei Interessantes.

Hier sind es vor allem, oder, besser gesagt, immer wieder die eigenartig- schönen Katteen und Aloen in ihren bizarren Formen. Eine bunte, schier unübersehbare Fülle pflanzlicher Eigen­arten, eine überreiche, verschwenderische Phantasie in der Natur.

Schließlich gehts hinaus aus dem Paradies tropischen Gedeihens, in den naßfalten, norddeutschen Herbst, wo die Natur langsam zum Winterschlaf rüstet.

Lohngeldraub in Altona  .

Der Täter entfommen.

Altona  , 1. November.

Ein dreister Raubüberfall wurde heute npr. mittag in der Kruppstraße ausgeführt. Ein Kontor bote der Tapetenfabrik Hansa A.-G. hatte 10 500 Mart Lohngelder von der Bank geholt, er wurde auf dem Rückweg von einem Manne niedergeschlagen, der ihm die Aktentasche mit dem Geld entriß und in einem hereitstehenden Auto davonfuhr. Das Auto ist wahn scheinlich in Hamburg   gestohlen worden. Es teng die Nummer H H 3070.

Anschlag auf einen D- 3ug.

Die Täter noch nicht ermittelt.

31/ 9/ nicht

Braunschweig  , 1. Stovember. Auf der Strecke Magdeburg- Braunschweig ist ein Eisen­bahnattentat entbedt worden. Amtlich wird dazu mitgeteilt: ,, 2m 31. Oftober murden an der Ueberführungsbrüde ber Brain­chweig- Schöninger Eisenbahn am Kilometer 7,6 der Strecke Magde­burg- Braunschweig Atded bohlen über die Gleife geworfen, die vom D- Zug 40 erfaßt und zur Seite geschleudert worden sind. Die Täter konnten noch nicht ermittelt werden." Staatsanwalt. schaft und Kriminalpolizei nahmen die Ermittlungen auf. Die Untersuchung ist noch im Gange.

Erdbeben in Südosteuropa  .

Bukarest  , 1. November.  ( Eigenbericht) In Rumänien   wurde am Freitagvormittag ein schweres Erdbeben verspürt. In der Provinz stürzten zahlreiche alte Häufer ein. In Bukarest   wurde eine alte Frau beim Berlassen der Kirche von einem herabftürzenden Turmfreuz erschlagen. Im Bufarefter Obfervatorium sind sämtliche Seismographen be­schädigt worden. Das Erdbeben hatte eine Heftigteit von 8 Grod. Bufarest wäre heute nur noch ein Trümmerhaufen, wenn das Beben 9 Grad erreicht hätte.

Innerhalb der Bevölkerung wurde eine starte Panit her vorgerufen. In Butareft brachen zahlreiche Frauen auf den Straßen ohnmächtig, zusammen,

Sofia  , 1. November.  ( Eigenbericht.).

Am Freitagvormittag um 9 Uhr wurden in Bulgarien   bref starfe pertikale Erdstöße verspürt. Der Erdbebenherd liegt im Kreise Burgas  , wo zahlreiche Häuser große Riffe erhielten und Schornsteine einstürzten.

Neuer Versuchsflug des R 101".

Das englische Luftschiff R 101" ist am Freitag um 9,40 Uhr zu einem dritten Versuchsflug aufgestiegen. Der Zmed des Fluges, der je nach den Witterungsverhältnissen 7 bis 8 Stunden banern

Neben den vielen Palmen und Farnen wirten noch be wird, gilt einer Erprobung der Maschinen bei Höchstgeschwindigkeit.

der Nase der Pferde. Ich gab nicht viel auf fie, obgleich sie mich immerfort lodten, aber da fliegt plötzlich die Achsenspelle heraus, das eine Hinterrad fällt ab und der Wagen senkt sich nach dem Hinterteil. Na, ich fluchte nicht schlecht, was wir jetzt in dieser Finsternis beginnen sollten. Wie ich nun ab­fteige und im Dred stehend mich hinter den Ohren fraute, mich fragend, wo die verdammte Spelle   wohl zu finden wäre. da sprang der eine Geometer gerade vor die Pferde und rief immerfort: Komm... fomm... In meinem großen Aerger rief ich ihm zu: Ich gehe schon, du Gaunerseele, vorerst aber leuchte hierher, denn ich sehe das Rad nicht. Und auf einmal springt eine der Lampen zum Wagenende, aber ich fonnte vor ihrem Glanze den Geometer nicht sehen. Nachdem wir das Rad aus dem Kot gezogen und auch die Spelle   zum Vorschein tam, hebe ich unter großem Schwigen den Hinterteil des Wagens und der Knecht plagt sich mit der Spelle   ab. Ich ächze nur so wie ein und unter dem Gewicht und der Geometer rief nur in einem fort: Komm... fomm.. Ich wurde wütend, da er mich nicht in Ruhe ließ und rief: Hebe dich fort, sonst tret ich dir gleich vor den Sigfnollen. Da gab er mir im gleichen Moment eine Ohrfeige, daß ich unter den Wagen fiel. 3ch raffe mit auf, von oben bis unten fotig, um das Schwein in den Bauch zu treten, aber da tanzte er mit seiner Lampe schon über die Wiesen von Rast... So war es."

Die Rosaken schwiegen und sahen mit zusammenge­Eniffenen Augen vor sich hin oder auf den rot glimmenden Docht der Lampe  . Aber da regte sich auf der Ofenbant Josef Baczal und nahm die Pfeife, die feinen Stiel hatte, aus dem Mund: ,, Auch ich begegnete einmal einem Gespenst. Sch fomne da nachts von Imreg heim, der Mond leuchtete schön. Wie ich gerode zwischen Rezpest und bara bin, gerät mir auf der Wiese eine Ruh in den Weg, eine Ruh sage ich euch! Ihr Kopf war in Nezpest und ihr Hintertcil reichte bis 2bara. Wie lang fie mar, meint ihr? Eineinhalb Rilometer. Was rede ich da! Mindestens drei!

Josef Bacgal schludte einmal und lehnte seinen Rüden an den Kamin. Die Kosafen betrachteten ihn seltsam. Es entstand eine Bause. Dos Gesicht des Obertofaten, der auch jetzt am Ehrenplay saß, lief feuerrot an und er hieb auf den Tisch: Du lügst, du fügst, gottloser Halunte! Aber du mirst dein Lebtag so ein Schmußfint bleiben!"

Josef Paczai lehnte sich mit übergeschlagenen Beinen an den Kamin und begann leise zu miehern.

An den Samstagabenden jaßen die Kosaten beisammen, aber am ersten Morgen der Woche verschwanden sie wieder

aus dem Dorf. Georg Vajda hatten wir seit langem nicht mehr gesehen und auch mein Vater war verschollen.

Der Oberfosat hielt sich größtenteils daheim auf, aber auch er verschwand von Zeit zu Zeit. Oft sahen wir ihn tage lang nicht, dann zeigte er sich wieder. Ein-, zweimal behielt er auch Josef Baczal zum Essen bei sich. Der Alte dann am Kopfende des Tisches, zumeist weichgefochte Pilze, der ab­gerissene Barfüßler hingegen löffelte auf der Ofenbank den Bohnenbrei. Nach dem Essen streichelte er sich den Bauch: Na, jezt bin ich voll wie eine Trommel." Dann verschwanden beide.

Inzwischen wurde es Frühling und das Dorf war tags­über leer wie ein Friedhof. Alles war auf den Aeckern be schäftigt, nur die ganz kleinen Kinder spielten im Staub, und in den Vorhäusern saßen ganz alte, verrunzelte Weiblein und beaufsichtigten die Kleinen. Ueber den zwei Kirchtürmen freisten den ganzen Tag Störche und die ganze Gegend blühte auf. Mein Großvater begleitete manchmal Brugos auf seinem Gang, oder er hielt sich in der Ede des Wirtschaftshofes auf, wo seine Gefellen die Arbeit bereits begonnen hatten. Manch mal stieg auch er aufs Dach hinauf mit der Art in der Hand, schnitte an den Balfen herum oder nahm Maß mit dem 3al­stoc, und die Zimmerleute lauschten seinen ernsten An­weisungen sehr aufmertsam. Ich sah ihnen stundenlang zu, mie sie oben mit leisem Gesang arbeiteten. Mein Onkel war ihr Borarbeiter.

Am liebsten jedoch spielte ich mit Bandi im gräflichen Garten. Nach der Schule spielten wir auf den viel gewun­denen Wegen barfuß das Pferdchenspiel, sprangen über den schmach grünen Rasen oder spielten hinter dem Glashaus und über den alten Kellergewölben in den Winkeln des Fichten­gehölzes Verstecken. Das waren zerfallene Keller, aber Andreas Bitor wußte von ihnen, daß jenseits der zer brödelten Kellermünder, fünfzig Schritte weiter drinnen, zmeihundertjährige Weine reiften in ihrer eigenen Haut. Der arme Rakoczi hatte sie hier vergeffen, als er vor den Dester reichern gegen Bolen flah oder vielleicht der König Mathias. Er mußte es selbst nicht mehr genau. Aber es war Tatsache, daß in der unterirdischen Feuchtigkeit die Dauben vom Weine heruntergefault waren und der Wein selbst im Laufe der vielen Jahre sich zu Mus verdichtet hatte, so daß man ihn nur mehr mit dem Löffel zerteilen fonnte. Andreas Pitor hatte in ganz jungen Jahren auch mal drei Löffel von einem Weine getoftet und mar davon eineinhalb Wochen hindurch betrunken gewesen.

( Fortsetzung folgt.);