Sonnfag
3. November 1929
Erfolg hatte.
,, Unentschieden!" ruft nach drei Minuten der Chef. Der nächste Match in der nächsten Vorstellung! Beginn in zehn Minuten! Es wird gerungen bis zur Entscheidung! Generalprämie für Fred, falls er fiegt, volle 50( 1) Mart!"
Friedrich Wolf ift der Autor von Kolonne Sund" und Rampf| fieren wir ein paar Gänge Gürtelkampf nach Art des Schweizer im Rohlenpott" und bes Dramas„ manfali", das in Berlin so großen„ Schwingens". Die Gegner packen sich an den Gürtelgriffen und Mein Freund Hayn, furz Aubade" genannt, erschien eines suchen einander aufzuheben und niederzufanten. Morgens gegen 7 Uhr auf meiner Bude über dem Neckar . Mit den Worten: Erhebe dich und wandle!" und mit der Spize seines Alp: stods trieb er mich vom Lager. Eine Stunde später zogen wir zwei Tübinger Studenten des Jahres 1908 bereits gen Süden. 22 Mart betrug unfere ,, Börse". Alb und Hegau glühten in tropischer Sonne. Am fünften Tag, dem Tag vor Pfingsten, tamen wir in Konstanz Die Stadt glich einem Heerlager Bei der Verbrennung des Hus' fann es nicht bunter gewesen sein. Das ganze Landvolk war zur Kirmes in dem Ort. Vergebens fuchten wir ein Bett oder nur einen Stuhl. Es war schon Nachmittag.
ail
Da gingen wir zum See. Die Körper brannten uns von den fünf Sonnentagen über die Kalf- und Wacholderfeßen des Hegan. Bon einer Bootsverleiherin, did wie ein Walfisch und gutmütig wie Hinaus auf den See! Die ein Lamm, nahmen wir einen Kahn. Broden herab und ins grüne, glashelle Baffer! 3mei Stunden tollten wir vom Waffer ins Boot, vom Boot ms Wasser.
Wir stehen wieder in unserer Garderobe.„ Der Schinder! Baß uff! Der beschummelt dich!" fmurrt Jenny, in deren Riefendamen hirn ein Gedanke sich gebiert. Plöglich legt sie in einer Art Solidarität ihre gigantische Hand auf meine Schulter: Soll ihm versalzen werden, dem..." Strahlend springt der Chef herein: Los, Freunde! Wieder rappelvoll! Der ganze Markt steht vor der Bude!" Mir ist doch nicht ganz wohl in der Manege. Der Publiko setzt Erwartungen auf mich. Die Gegner reichen sich die Hände, verpflichten sich, nach den Regeln der allround catch as catch can in fairem Stil zu fämpfen und schwören einander ewige..." Wir haben schon losgelegt. Jenny lupft mich einige Male und wirbelt mich wie einen Ball durch die Arena. Ehe ise aber wieder am Mann ist, stehe ich wieder. Doch unmöglich, im Gürtelkampf bei dem Koloß etwas auszurichten.
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Eimal, da Aubade" fich trodnet, ich ihn wieder taufe, er mir nach will, tippt das Boot. Die Kleider rutschen ins Wasser und beginnen zu verfaden. Gerade noch greifen wir zu. Klatschnaß ,, Der zweite Gang unentschieden! In der nächsten Borfizen wir im Kahn. Die Kleider haben mir; aber der Inhalt der Taschen liegt drunten im See; Aubades Uhr und alles Geld. Keinstellung..." Aber da kommt er beim Publikum jetzt recht. Ein Pfennig ist uns geblieben, nicht einmal ein Pfand zum Verseßen. ohrenbetäubendes Gejohle:„ Entscheidungskamps! Kassa!" Der Chef Und die Miete für das Boot? Wir überlegen einen Augenblid, ob droht mit der boa constricta, die er loslassen will. Er macht sich wir im Gebüsch an Land gehen und das Boot dem Spiel der Wellen völlig madig. Wir fahren übergeben sollen. Doch es obfiegt das Gute in uns. zu unserm Walfischweib und legen die Bootsleine und unser Schicksal in ihre Hand. Saudredete Kerle", gurgelte es aus ihrer Brust; dann aber umschleiert sich ihr Auge. Sie greift in den Seitenschlitz ihres Rodes und gibt jedem von uns einen Fünfziger fürs Vesper und für den Markt. Dies Bootsweib gehört in die Legende.
Wir Rohlinge sind nicht einmal gerührt oder beschämt. In einer halben Stunde ist die Mart hin; jetzt beginnt der Hunger, der wie eine Feile an der Magenwand reibt.
Der Markt! Buben an Buden. Schießstände, Freßzelte, Schaugerüfte. Jeber Hofenmaß hat seinen Groschen. Nur wir sind ,, aller Mittet entblößt". Dabei zauberhafte Attraktionen: Wetttauchen von Niren und Seelöwen! Lotterie mit Ringwerfen, morin ich schon als Junge geradezu ein Champion war und mit fünf Würfen einmal eine Wanduhr und ein Bowlenservice gewant. Damm ein Bachkabinett, eine Teufelstreppe, eine Jusionistenschau mit ber Dame phne Kopf im Sarg. Und hier eine richtige Bildweft bube mit der ,, boa constricta gigantica", mas da ist die original meritanische Riesenschlange, die da mißt von der Zungenspige bis zum Schwanz 12 Meter, Don dem Schwanz bis zur Bungenipige hin wiederum 12 Meter, in ganzer Länge aljo 24 Meter! Die wahre Meltattraktion bietet sich aber zu sehen, meine Herrschaften, in Jenny, der Riefendame, dem stärksten Weib des Kontinents, welches zum griechisch- römischen Gürteltampf herausfordert jeden Mann, wes Standes und Landes er auch sei! Wer aber Jenny im Gürtelfampf zu besiegen vermag, für den sind an der Kasse hinterlegt. 50( 1) Mart!"
Baufenwirbel! Fanfare!
Aus dem Dunkel des Zeltes tritt... Jemmy! Sehr beachtlich, Fehr selbstbewußt, sehr fompatt! Sie treuzt nach Art der Schwer gewichtler ihre Arme auf die Brust und blickt mit fühlem Marmorblid auf uns Stimmerlinge da drunten, die wir noch nicht die 3meizentnergrenze erreicht haben.
Na?!" stößt mich Aubade in die Rippen.
Sein Hohn peitscht mich. Wie ein grimmiger Hund habe ich chon die ganze Zeit die 50(!) Mart an der Kassa" angeftiert. Unfaßbar, was man dafür essen, trinken, leben könnte! In München und Nürnberg hatte ich mir im Fünftampf erste Preise geholt. Sollte man den Fleischkloß, da wirklich nicht erledigen? Also feiner der Herren?" ruft der Herr Direktor.
Auf einmal, wie von einem Wind hinaufgeweht, stehe ich oben. Der Herr Direttor starrt mich entgeistert an. Sofort aber ist er wieder Herr der Lage, flüstert etwas mit mir armem Irren und zerrt mich nach vorn. Trommelwirbel! Fanfarenstoß! Meine Meine Damen und Herren! Der Mann ist gefunden, der da wird tämpfen mit Jenny, dem Riesenamazonenweib des Kontinents. Es ist Fred Wurmsam, der Studentenchampion von Westeuropa ! Meine Damen und Herren! In nie dagewesener Weise werden sie heute sich paaren sehen Kraft, Schönheit, Grazie und Ehre um den General gewinn der Hauptprämie von 50(!) Mark, ausgefeßt für den Sieger
von der Direktion!"
Die letzten Worte gehen unter im Ansturm der Massen. Im Nu ist die Vorstellung ausverkauft. Ich selbst harre in einer durch eine Zeltbahn abgeteilten Ecke der Bude meines Schicksals. Leicht erschöpft will ich mich auf einen Sack sehen; doch darin schlebt etwas in dicken Bindungen; die„ boa constricta gigantica".
Dann tommt Jenny mit dem Chef. Wir machen Shakehands. Jenny tagt mich mit einem Blick und scheint sehr beruhigt. Der Chef aber ist sehr erregt: man müsse die Nummer in mehrere Biecen" aufteilen. Der Laden sei gerammelt voll, und draußen warte mindestens noch dreimal soviel Bublikum! Wir sollten zuerst Gewichte stemmen die erste Nummer; dann etwas Ringen mit Griffefuchen und Badenkampf, doch ohne Entscheidung die zweite Borstellung mit Bublifumwechsel; wiederum Scheinkämpfe und dann der letzte große Clou um die Hauptgeneralprämie! Fünf Enüppelvolle Borstellungen feien gesichert!
Na und?" fragt Jenny und legt den Kampfgürtel um ihre Hüften. Der Chef versteht, Jeder von euch beiden erhält 2 Mart Gratifitation pro Borstellung!" Jenny sieht mit einem Marmor blid auf den Mann im Frad. Dann mit einer Kopfbewegung gegen mich: Und wenn er siegt?" Der Frad schüttelt sich vor Lachen über diesen guten Wig. Er läuft hinaus in die Manege, da bas Bublitum schon ruft und johlt.
Jenny sieht ihm nach. Auf einmal bligt es in ihrem breiten Gesicht, vielleicht die But des Schaustlaven: Snider! Scheißteri! Gongschlag! Die Gewichte werden nach draußen geholt. Gongschlag! Bir springen in die Arena!
Bir beginnen zu stemmen und mit den Grifffugeln zu merfen. Man hat mir ein blaurotgeftreiftes, ärmellojes Tritot angezogen; ich mar damals prima in Form, riß rechts einen Zentner; das Gewichtemerfen war meine Spezialität. Der hat Bouillon!" tommis Don ber Rampe. Der Bublito ist auf meiner Seite. Dann mar
Da flüstert mir Jenny zu: Los du! Es ist gleich aus!" Mitten in dem Tumult beginnen wir wieder zu ringen. Sofort Totenstille. Wir sind jetzt warm. Das ist kein Weib, das ist eine riesige feindliche Maffe. Immer wieder muß ich fugeln; da benutze ich eine Finte: ich bleibe wie erledigt liegen; wie sie herankommt, unterlaufe ich fie, daß sie stolpert und wie ein Berg hinknallt.
Rajender Beifallsdonner!
Beilage des Vorwärts
Jenny liegt noch immer wie betäubt; ich drehe sie auf die Schultern. Der Beifall wird Orkan. Bravo, Fred! Fred hat gefiegt! Auszahlen! Kaffa! Kassa!"
Undeutlich höre ich, wie der Chef protestiert wegen, unfairen Kampfes". Doch das Volk ist entfesselt; es dröhnt durchs Zelt wie
von hundert Donnern.
Ich selbst kniee neben meiner gefällten Amazone und halte ihr immer noch trampshaft die Schulter nieder, als fönne der Sieg mir noch entwunden werden. Plötzlich pact mich das Entsetzen: wenn der Koloß bei dem Sturz sich das Genick gebrochen?! Ich öffne vorsichtig ihre Lider; da lacht sie wie ein Lausejunge, platzt furz heraus und schließt schnell die Augen.
Als der Chef mit Hilfe der Boa" wirklich die Kasse retten will, fommt es faft zu einer Lynchjustiz. Mit Messern und Zelt= pflöden rückt man gegen ihn vor. Die Platzpolizei greift ein. Ein Verhör stellt mit überwältigender Mehrheit aller Zuschauer fest, daß ich Jenny regulär und fair" geworfen habe. Das sind die ersten 50( 1) Mart, die ich in knapp einer Stunde verdient. Jenny beglückwünscht mich in der Garderobe:„ Er plagt vor But!" Sie lacht wie ein Erdbeben.
Der Chef tommt und läßt uns nicht mehr aus den Augen. Er fieht aus, als wollte er sich gleich auf mich stürzen. Während ich das Tritot ausziehe, halte ich mit der einen Hand das Geld in meinem Hosensad fest.
Draußen hebt eine frenetische Menge mich auf die Schultern und trägt mich eine Strecke durchs Getümmel. Aubacke schreitet er
hobenen Hauptes daneben. Es wird noch ein wilder Abend; wir schlafen auf einem Billard. Meine Hosentasche habe ich mit einem Bindfaden zugebunden.
Am nächsten Morgen, Pfingstsonntag, gehen wir an den See zu der Bootsfrau, did wie ein Walfisch. Sie ist baff, wie wir ihr das entliehene Bootsgeld aushändigen. Sie blidt auf uns, als seien wir der Heiligenlegende entstiegen, wir saubredeten Kerle".
Dann fahren wir mit dem nächsten Dampfer über den ganzen See nach Lindau ,
Otto Flake : Bilder aus Colmar
Das ist eine Stadt, von der ich oft geträumt habe: weil ich in ihr heranwuchs und sie dann, seit meinem zwanzigsten Jahr, nicht mehr sah. Ich träumte daher von ihr auch nicht romantisch als einem Drt, den man gern tennenlernen möchte, sondern tiefer, geheimnisvoller, fast wie von einer Boregistenz.
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Die eine oder andere Gelegenheit, diese Stadt wiederzusehen, ließ ich abfichtlich unbenutzt Wiedersehen unterbricht die Gerbebe der Erinnerung. Dann fam der Krieg und die Jahre nach ihm: die Stadt der Kindheit lag nun unzulänglich in einem fremden Land. So wurde fie vollends Bergangenheit, und als diefer Prozeß vollendet war, fuhr ich neulich eines Tages hin, durchaus nicht sicher, ob ich nicht unberührt durch ihre Gaffen gehen würde, unfähig, mir felber, wie ich einst war, zu begegnen.
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Ich bin nie so durch eine Stadt gegangen. Schatten schritten neben mir und lentten mich. Ich bog um Eden, blieb vor Türen stehen, schaute zu Fenstern auf, Don einem Wissen geleitet, das nicht aus dem Bewußtsein fam. Ich hätte blind sein fönnen und wäre so gegangen. Es war ein Sommerabend, Fledermäuse strichen durch die Dämmerung.
Haus um Haus wußte ich plötzlich die Namen, die vor dreißig Jahren an den Geschäften standen, sah die Gefichter von Menschen, Die vielleicht schon lange im Grabe liegen eine Bädersfrau, eine Wäscherin, den Apotheker, der schwindsüchtigen Papierhändler, der mir Federchen verlauft hatte."
Ich öffnete das Tor des Hauses, in dem ich als sind wohnte, stieg die zwei Treppen hinauf, las im Lichte eines Zündholzes an der Tür unseres Siodmertes einen französischen Namen, und ging zurück und faß zu meiner eigenen Verblüffung unversehens auf dem Treppengeländer, um im Damensitz die vier Abfäge hinunter zugleiten, wie einst der Knabe getan hatte. An den Wendungen zugleiten, wie einst der Knabe getan hatte. An den Wendungen galt es abzuspringen und sich wieder hinaufzuschwingen. Es war stockfinster und doch hatte der Körper noch die Erinnerung an die Balance, die für dieses nicht ungefährliche Kunststüd nötig war.
Unten sprang ich vor einer Frau ab, die aufschrie, fand traft derfelben Erinnerung den Griff des Tores und strich mit unflaren Empfindungen die Häuser entlang, die mir nun in einem toten Brügge zu stehn schienen, so klein und grau waren fie.
landesgerichts diese Ueberlieferung fort, besiedelten ein Biertel. Deutlich lief neben dieser hohen Bourgeoisie die der Rentner aus der französischen Zeit her, ohne sie zu schneiden.
An Bauban erinnert eine Borstadt, seine Bälle verwandelten sich in Promenaden. Die Krutenau ist eine Faubourg aus der großen Revolution; sicher spannten in ihr die Deligencen aus, ficher gibt es alte Stiche von ihr.
Das Marsfeld, auf dem mir Schlittschuh liefen, heißt wieder, wie es vor 1870 hieß, Champ de Mars. General Rapp, der darauf in Bronze steht, schaut nicht mehr zum Bezirkspräsidentenpalais hinüber, fondern zur Präfettur, die eines Erzbischofs würdig wäre. Als ich um das Denkmal ging, fam mir ein Trupp von Gassene findern entgegen und wahrhaftig, sie fangen das elfäffische Lied vom Hans im Schnofeloch, der alles hat, was er will und was er hat, das will er nicht, und was er will, das hat er nicht.
Es ist schon etwas um diesen Nationalgefang. Im Vordersag heißt es, daß der gute Hans hat, was er will, dann wird diese positive Aussage ironisch und selbsterkennerisch in ihre betden Gegensätze ausgelöst. Der Elsässer ist der geborene Dialektiker, aus Zwang, Geschichte, Schicksal, Lage. Wenn er dazu philosophischer begabt wäre, als er, der Alemanne, ist, dann hätte er die hegelschsten aller Philosophen hervorbringen müssen.
Aber er ist Praktiker. Er geht in die Opposition und steht Zeit seines Lebens in ihr, Oppofition ist Reaktion auf das, was scheint mir, begegnet man einem freilich ganz abgeschwächten Angerade ist ihm gefällt es nie. Bei dem flaminverwandten Badener, flang, wenn er seine Säge mit dem berühmten ,, ha, nun" einleitet. Beim Elsässer ist diese Gebärde heftiger, bijfiger, grollender. Gespräch und hatte, nach so vkelen Jahren der Abwesenheit, einen In den Anlagen tam ich mit einem Mann aus dem Volk ins Gespräch und hatte, nach so vielen Jahren der Abwesenheit, einen nahezu metaphyfischen und das heißt nur endgültigen Eindruck vom gereizt steptischen Charakter, diefes Stammes gegenüber allen denen, die ihm mit ihren Forderungen ins Land tommen Forderungen. absolute Werte zu übernehmen, die anderswo ohne sein Zutun geprägt worden waren. So hatten es die Deutschen verlangt, so verlangen es jetzt die Franzosen. Als Franzose vor 1870 gebore.. In den Mannesjahren Deutscher, der in Kiel diente, im Alter wieder Franzose, hatte er ein fast wildes Achselzucken für eine Welt, die von ihm Entscheidungen erwartete.
Uebrigens fam ein Geruch, von Wasser und Holunder, und er erregte mich mehr als alles andere: der Sinnbach, an den ich weiß Gott nie mehr gedacht hatte, roch noch wie ein Menschenalter zuvor hunderte mit guten Europäern verforgen. Im Zug von Straßburg
melancholischer Abend.
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Hinter der Stadt steht das Gebirge, vor ihr liegt die Ebene, die zum Rhein zieht und von Wasserarmen burchzogen ist. Bom Gebirge her stoßen die letzten Rebäcker ins Flachland vor, in die Bannmeile der Stadt, Wiesen, Busch und Gärten gebieten ihnen halt. Waffer ist überall, die Ill, die Lauch, die Thur, der Logelbach. Die Hinterfronten des ältesten Teiles gehen auf die Lauch, auf der Lauch fahren die Gärtner ins Borgelände, mo sie die dunkle Erde mit untergeschnallten Brettchen festtreten. In den Rähnen bringen sie Jauche hinaus, mit den Jauchekellen schöpfen sie Wasser aus der Lauch; mancher tleine Stichling gerät so aufs Land und zappelt sich unter den bambushaften Stauden der Sonnenblumen zu Tode.
Der Fuß verästelt sich zwischen den Gärten. Wenn die Gärten aufhören, beginnen die Wiefen, die bis in den Sundgau ziehen. Man kann stundenlang in ihrer gehen, fie find eine Brarie. Drüben auf dem Berg, die Drei- Eren, sind die Striche einer lateinischen Drei.
Aus der römischen Zeit ist nichts geblieben als der Name der Stadt; man leitet ihn von Columbarium , Taubenhaus, ab. Die späteren Perioden mischen sich im Stadtbild wunderbar. Die Klöster und Kirchen, voran Unterlinden und Santt Martin, find Mittelalter. Das Rathaus der Reichsstadt, das Kopfhaus, das Bolizeitommiffariat mit dem entzückenden Erter find Renaissance. Dann tam das achtzehnte Jahrhundert und prägte die entscheidenden Büge: Colmar wurde Juristenstadt mit dem höchsten Appellations hof und den Hotels der Chauffeurgasse.
Hundert Jahre später setzten die Richter des deutschen Ober
Wenn dieses Bauernoolt geistiger wäre, müßte es die Jahre
nach Colmar fuhr id mit jungen Leuten aus Colmarer Familien; sie besuchten die Universität und fehrten abends nach Hause zurück. Die einen lasen Pariser Zeitschriften, die anderen die deutschen Blätter der Heimat. Wenn sie ausgelesen hatten, tauschten sie, wie sie auch mit der Sprache wechselten. Das wäre alles gut und schön, wenn es auf Freiwilligkeit beruhte.
Das Kostbarste, was Colmar befißt, ist Rioster Unterlinden die Kunstschüße und der Bau selbst. Eine klare, quadratische An
lage unschließt einen kleinen, affenen Hof. Um den Hof läuft ein Streuzgang mit Spigbogenfenstern, die bis zum Boden reichen und durch ein schlankes Säulchen halbiert werden.
Wenn die Pforte hinter uns zuschlägt, umfängt uns die Kühle mittelalterlicher Klöster, ohne Kälte, und ihre Abgeschlossenheit ohne Feindschaft. Die Architektur dieses Ursulinerinnenhauses hat nichts Finsteres: Sonntage weden Hof und Kreuzgang zu ihrem geheimsten Leben. Es ist kein Kloster, durch das Inquisitoren schritten, sondern
ein Haus füßer und inniger Mystik.
Mitten im grasbewachsenen Hof steht eine tleine Sandsteinfigur Martin Schongauers von zarten, feinen Dimensionen. Ueber das Dach schwingen fich Bögel in den Hof und nippen aus den Bertiefungen, die der Regen in das Bostament gewaschen hat.
Naturwissenschaftliche Sammlungen, ethnologische, chinesische Rüstungen, Mumien, Bücher, altdeutsche Bilder, die eljässische Maler schule des 19. Jahrhunderts, der Isenheimer Altar und Matthias Grünewald damit ist das Kloster ausgefüllt. Alles, was den zweifelhaften Begriff eines Museums bildet, ist da zusammengestellt. Aber mich verzauberte es, als ich zur Schule ging, und noch immer hat das Wort Museum einen wunderbaren Klang.