Beilage
Dienstag, 5. November 1929
Der Abend
Shalausgabe des Vorwärts
Jahre der Not und des Aufbaus
Erfolge sozialdemokratischer Wohlfahrtspolitik
Troß großer Belastung durch die Wirtschaftskrisen und starker| meil sie nicht willens find, mit den Sozialdemokraten zusammen Gegnerschaft der Rechtsparteien hat die Sozialdemokratie den Etat zu machen. Dadurch ermöglichen fie den Gegnern Zu die Wohlfahrtspflege in Berlin systematisch ausgebaut. Die geständnisse, die in Bezuschussungen ihrer Kindergärten und-horte arbeitsrechtliche Sicherung des Lebensunterhaltes füt pollerwerbs bestehen. fähige Menschen durch das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung wird den Gemeinden weitere Fortschritte auf diesem Gebiete ermöglichen. Bie start ihre Grenzen auch in Zu funft noch die Wohlfahrtspflege belasten werden, das hängt ab von der Arbeitsmarktlage und von einer weiteren gesetzlichen Siche rung gegen übermäßige Ausschaltung der Menschenkraft durch Rationalisierung der Betriebsführung. Diese hat be
Tageskurftälle für Frauen in Oberschönereide reits eine starte Abbrängung arbeitsfähiger Menschen mit unter: haltspflichten auf die Wohlfahrtsämter verschuldet Zwischen den Jahren 1926 und 1928 hat sich das Unterstützungswesen nach einer sehr bemerkenswerten Weise entwickelt. Die Zahl der laufend unter stützten Personen erhöhte sich in diesem Zeitraum um 59 Prozent, die der mitunterstützten Angehörigen um 117 Prozent
Die Stadtgemeinde Berlin erhöhte ihren Unterſtühungsaufwand in der Zeit von 1926 bis 1928 um 181 Pro3. Die Deutsch nationalen verfolgten in den Kommunen dieselbe Berelendungspolitit, die sie im Reichstage z. B. bei der Arbeitslosenversicherung unter Assistenz der Volkspartei durchzudrüden versuchten. Die Kommunisten treiben eine praktisch völlig mertloſe, unverantwortliche Agitationspolitif, Für eine Fa milie mit 3 Kindern forderten sie einen Unterstützungssatz von monatlich 280 Mart, dazu lebernahme der Miete bis zu 50 Mart, für Neubaumohnungen und finderreiche Familien auch den 50 Mart übersteigenden Mietbetrag. Die Frage nach Deckung der dadurch entstehenden Mehrausgaben ist ihnen völlig gleichgültig. Das ist feine verantwortliche Arbeit. Das Streben der Sozialdemo fratie war stets darauf gerichtet, systematisch die Auswirkungen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung von der proletarischen Be nölferung abzuwenden. Das ist in beachtlicher Weise geschehen durch den Ausbau der Fürsorge für Mütter, Kinder und Jugendliche. Der Sozialdemokratie ist die Einführung der Wochen hilfe in der Reichsversicherungsordnung zu verdanken. Sie schüßt die im Erwerbsleben stehende Mutter und durch die Familienfür forge auch die Familienangehörigen des frankenversicherungspflich tigen Mannes. Die Fürsorgepflichtverordnung auferlegt den Gemeinden Wochenhilfe für alle hilfsbedürftigen Frauen, die nicht durch die Bestimmungen der Reichsversicherungsordnung erfaßt werden. Die Hilfe soll das sicherstellen, was die Reichsversicherungsordnung den Familienangehörigen eines Versicherten gewährt. Die Wochenfürsorge der Stadtgemeinde Berlin geht weit über die reichsgesetzlichen Vorschriften hinaus. Das Recht der unehelichen Mutter, mit ihrem Kinde wenigstens örtlich zusammenbleiben zu fönnen, ift durch die Stadtgemeinde dadurch gesichert worden, daß die llebergabe an auswärtige Kosten träger mur mit Einwilligung der Mutter erfolgen darf. Die Bestimmung der Fürsorgepflichtverordnung, nach der die Uebergabe eines Hilfsbedürftigen von einem fostenerstattungspflichtigen, aus. märtigen Ort verlangt werden kann, hatte mancherlei Härten mit ⚫ sich gebracht.
Die Sozialdemokratie hat 54 städtische Kindergärten und -horte geschaffen und die Angliederung solcher Einrichtungen in allen neu erstehenden Siedlungen durchgejekt.
Im sozialdemokratisch geleiteten Weißensee ist erst vor wenigen Tagen ein schönes Kinderhaus, Krippe, Kindergarten und-hort um fassend, eröffnet worden. Eine umfassende Kindererholungsfürsorge muß es ermöglichen, einmal im Jahre alle Kinder aus der engen Stadt heraus in die Weite des flachen Bandes, auf die Höhen der Berge oder an die See gu bringen. Mit 65 000 Kindern, die alljährlich für die Dauer von sechs Wochen hinaustommen, ist ein anerkennenswerter Anfang gemacht worden. Scheuen in der Lüneburger Heide , Nest an der Ostsee , Zossen bei Berlin sind mit einer Aufnahmefähigefit für 600, 900 und 1200 Rindern große Kinderfiedlungsfomplege geworden, von benen sich das Berlin der Vorkriegszeit nichts hat träumen lassen. In Arendsee an der Ostsee wird im nächsten Jahr ein neues städtisches Kinderheim eröffnet werden.
Für berufsschwache Jugendliche ist auf Beranlassung der Sozialdemokratie in den Etat 1929 erstmalig ein Betrag von 30 000 Mart aus. gefegt morden.
Da nicht nur Berliner Kinder, sondern aus ganz Deutschland Kinder reisen und sehr viele von ihnen durch Berlin fommen, haben wir für sie im Haus der Jugend", in der Scharnhorststraße, 400 Betten und 200 Notlager geschaffen. 36 000 fleine und jugendliche Gäste haben mir 1928/29 dort beherbergt.
Der Bezirk Treptom machte im Jahre 1926 durch Errichtung der Tagesturstätte für Frauen in Oberschönemeibe einen erfolgreichen Anfang mit der Erholungsfürsorge für Frauen. Sie befindet sich auf dem 12 300 Quadratmeter umfassenden Gelände einer Villa, hat landschaftlich eine herrliche Lage mit Ausblick auf die Spree und die Wuhlheide. Die Kurstätte wird von Frauen, leiden, in Anspruch genommen. Die Kurstätte hat in den drei Jahren die an allgemeiner Körperschmäche, Blutarmut und Nervenschmäche ihres Bestchens den Beweis erbracht, daß auch mit einem Tages aufenthalt( täglich von 9 bis 18 Uhr) ohne erhebliche Kosten schon
viel erreicht werden tam. Auf ein etwas größeres Maß mird diese Fürsorge ausgedehnt durch die Richffnien, die neuerdings von der Wohlfahrtsdeputation ausgearbeitet worden sind. Danach soll die Erholungsfürsorge über 21 Jahre alten Hilfsbedürftigen gemährt werden, wenn eine wesentliche Stärkung der Erwerbs oder Arbeitsfähigkeit des Verschickten zu erwarten ist oder eine vorauszusehende Minderung der Erwerbs- oder Arbeitsfähigkeit verhindert werden kann.
So bewegt sich ein reislauf vorbeugenber und heilen der Fürsorge um Mutter und Kind. Daß außerdem alle nach Lebenslage und körperlicher und geistiger Be
Haus der Kinder in Weißenfee
schaffenheit Hilfsbedürftigen, Ermerbsbeschränkte, Gefährdete und unsere nicht mehr arbeitsfähigen Alten, mit gleicher sozialer Ver antwortung erfaßt werden, ist selbstverständlich.
Berliner Wähler und Wählerinnen, verstärkt die Zahl der Pioz
niere für diese Kulturarbeit, indem ihr am 17. November die Kandidaten der Liste 1, der Sozialdemokratischen Partei, wählt!
Wie Krebskranke ,, behandelt" werden
Eine Stichprobe
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Die Bekämpfung der Krebskrankheiten ist was die theoretische| Seite anbelangt sicherlich sehr gut organisiert. Es besteht eine deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung des Krebsjes, die in ihrem Aufgabenkreis fegensreich wirkt, es werden nationale und internationale Rongreffe abgehalten, es gibt eine umfangreiche Aufklärungsliteratur, Rundfunkvorträge finden statt, Merkblätter werden an die Bevölke rung und an die Aerzte verteilt, die Zeitungen leisten Aufklärungspropaganda ujm. Der Krebs ist in seinen verschiedenen Formen in den Anfangsstadien heilbar; es handelt sich also darum, der Bevölferung intensiv die Notwendigkeit der Frühbehandlung vor Augen zu führen. Erschmert wird diese theoretische Auftlärung dadurch, daß die Frühsymptome der Krebserkrankungen schmer er tennbar sind. Eine Aufklärung bleibt daher erfolglos, Stüdwerf, wenn nicht der Arzt eine rechtzeitige Diagnose noch in den Anfängen der Krankheit stellt. Das Schwergewicht wird immer wieder auf dem schnellen Eingreifen des Arztes
beruhen.
In der Münchener medizinischen Wochenschrift", Nr. 38 ,, macht nun ein Berliner Arzt, Dr. Paul Gornid, a ufsehenerregende Enthüllungen über die Art, wie Frauen, die an Gebärmutter frebs leiden, von Aerzten untersucht worden sind. Die Beobachtungen wurden an der Klinik Professor Liepmanns gemacht. Das Ergebnis der Gornickschen Untersuchungen ist niederschmetternd. In dem Zeitraum Dom 1. Oftober 1928 bis zum 30. April 1929, alfo in fieben Monaten, wurden in der Frauenklinik und Entbindungsanstalt Cecilienhaus" 93 Frauen mit einem Gebärmutterfrebs, die noch teiner spezifischen Behandlung unterzogen worden waren, aufgenommen. Bon diefen 93 Frauen Einst durchzogen die Berliner Waisenfinder unter Leitung von waren nur 55 Frauen sogleich bei der ersten Befragung des Arztes Diakonen die Straßen Berlins und sangen um einen„ Gotteslohn" vaginal untersucht worden. 38 Frauen wurden vam ,, vorbehandeln in den Höfen. Damals( noch kurz vor dem Kriege) trugen sie, ein- den" Arzt ohne diese unerläßliche Untersuchung abgefertigt. Von förmige, gleichmachende Anstaltstleidung. Unter fo3ialistischer diesen 38 Frauen, die bei der ersten ärz lichen Konsultation vaginal Leitung verschwand das graue Einerlei. Unsere Waifenfinder gehen nicht untersucht worden sind, wurden nur 8 Frauen bei der zweiten farbenfreudig gekleidet, wie es sich für Kinder gehört. In unserem Arztkonfultation und 13 Frauen erst bei dem dritten Arztgange neuesten Kinderheim in Werftpfuhl machen die Haushaltsfchüle. paginal untersucht. Bei 10 Frauen fand erst nach eimnonatiger, rinnen ihre ersten Schneidereiverfuche an buntem, zweckmäßigem bet 2 Frauen erst nach zweimonatiger und bei 3 Frauen nach drei Reinfinderzeug. Die Zahl unserer Waisenheime, ist von 2 auf 8 monatiger Behandlung die erste vaginale Untersuchung statt. Und gestiegen. Zu den Waisenhäusern Afte Jatabftraße und bei 2 Frauen dauerte es fogar fieben Mona'e, ehe die erste vaginale Rummelsburg fommen hinzu: die Heime in, Malchow , Untersuchung stattfand. In diesen beiden Fällen schritten die Frauen Heinersdorf , Gütergos, Haus Kinderschutz in 3ehien zur Selbsthilfe", indem sie einen anderen Arzt aufsuchten, um dorf, Borgsdorf und Werftpfuhl. Durd; eine gute endlich eine vaginale Untersuchung zu erreichen, ärztlich überwachte Ernährung und fargfältige Körperpflege ist die Sterblichkeit der Kleinkinder weit unter den Umfang der Bortriegszeit herabgedrückt worden. Mit den 19 310 Waisenkindern werden auch alle Kinder gezählt, die aus irgend welchen Gründen nicht in der eigenen Familie erzogen werden fönnen. Wir erfassen wohl ziemlich alle in dieser Form hilfsbe bürftigen Kinder.
Es ist tragisch, daß die Kommunisten der Grhaltung ber firch Lichen Horte und Kindergärten aus Mitteln der Stadt Silje leisten,
| Diese Frauen find also von den Aerzten, an die sie sich um Hilfe gewandt haben, erst nach Wochen und Monaten überhaupt der grundlegenden Untersuchung unter 30 gen worden.
Dr. Gornid prüfte auch nach, nach welcher Zeit die 93 frebsfranken Frauen von den vorbehandelnden" Aerzten der Frauen ftinit überwiesen worden sind. Dabei stellte sich heraus, daß 43 Frauen. alio annähernd 50 Proz. aller Frauen, die in dem angegebenen Zeitabschnitt mit einem Gebärmuserfrebs in die Klinik
aufgenommen wurden, länger als zwei Monate nach der erften vaginalen Untersuchung in ärztlicher Behandlung" standen, 26 Frauen länger als 4 Monate und 18 Frauen, annähernd 20 Broz., länger als 6 Monate!
Von den 93 Frauen, die mit Gebärmutterkrebs in 7 Monaten in der Frauenklinik Professor Liepmanns eingeliefert, worden sind, find also nicht weniger als 87 Frauen durch die Schuld der vorbehandelnden Aerzte um 2 bis 6 Monate später der flinischen Behandlung zugeführt worden, als dies erforder lich ist! Das ist ein Resultat", schreibt Gornid, zu dem ein Prädikat zu finden nicht leicht ist! Mit„ betrüblich" ,,, erschreckend", sogar mit vernichtenb", ist es 11. E. noch nicht genügend getennzeichnet."
In seinem Lehrbuch der Gynäkologie erflärt einer unserer ersten Frauenärzte, Professor Stödel: Es tommt leiber immer noch täglich in Hunderten von Fällen vor, daß das für„ Blutungen" bereitliegende, fertig gedruckte Styptizinrezept ohne jede Unter fuchung verabfolgt wird. Das ist einer Karzinomatösen ( Krebsfranten) gegenüber ein Verbrechen." Und dieses Verbrechen wurde von vorbehandelnden Aerzten an 93 Proz. der Frauen, die im Laufe von 7 Monaten bei Professor Liepmann eingeliefert wurden, begangen!
Man darf diese furchtbare Statistit nicht etwa als Einzelerscheinung ansehen. Sie wurde bei Liepmann durch fieben Monate geführt. Daraus läßt sich mit größter Wahrscheinlichkeit schließen, daß Prüfungen gleicher Art an anderen Frauenkliniken, wenn sie wirklich durchgeführt würden, zu dem gleichen Ergebnis führen müßten. Ob dies auch anderswo geschieht, entzieht sich allerdings unserer Kenntnis. Aus dem niederschmetternden Bericht Gornicks fann man sich jegt ungefähr eine blaffe Borstellung machen, wie gebärmutterfrebstrante Frauen von praktischen Aerzten im allgemeinen untersucht und behandelt" werden, besonders im Massenbetrieb der faffenärztlichen Behandlung. Was nüßt die Bolks aufflärung über die Gefahren der Krebserkrankungen, was nüßen Rundfuntvorträge, Merkblätter, Rongreffe, Zeitungsaufrufe, wozu überhaupt die ganze ungeheure Organisation der Krebsbekämpfung. wenn diejenigen, auf die es ankommt, die einzelnen Aerzte, derart verjagen! Außerdem noch eine andere Frage: Was ist das Bor. gehen der vorbehandelnden" Aerzte, die diese 38 trebstranten Frauen nicht sofort einer gründlichen Un'ersuchung unterzogen, fondern, toftbare Wochen und Monate verstreichen ließen, ehe fie sich dazu entschlossen, anderes als Kurpfuscherei?
Der Bericht Gornicks ist ein furchtbarer Mahnruf! Wir er warten, daß ohne Rücksicht auf eine falsch verstandene Kollegialität die berufenen ärztlichen Instanzen sofort die notwendige Unterfuchung anstellen. Hier gibt es fein Vertuschen! Wer die Krebs. frankheit ernstlich bekämpfen will, darf sich mit einer noch so gut organisierten Aufklärung" nicht begnügeal 9 Saboteuren der Krebsbekämpfung unter den Aerzten energi au Leibe gegangen werden, denn es handelt sich um die Gesundheit des Volkes