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Beilage

Mittwoch, 6. November 1929

Der Abend

Shalausgabe des Vorwans

Sozialdemokratie und Religion

Grundsätzliches zum Thema konfeffioneller Friede" von Friedrich Wendel

Wir sehen hiermit die Diskussion über den konfeffionellen Frieden fort.

Die Stellung der Sozialdemokratie zur religiösen Frage ist immer noch am fichersten und flugsten mit dem altbewährten Saz umrissen: Religion ist Privatsache! Die Partei ist in erster Linie interessiert nicht daran, ob einer zur Messe läuft oder nicht, sie ist in erster Linie intereffiert daran, ob er als Sozialist feinen Mann steht oder nicht.

Diese Toleranz der Partei aber bedeutet selbstverständlich nicht, daß sie an dem fulturellen Klärungsprozeß, der sich im Streit der Meinungen über die religiöse Frage vollzieht, achtlos und unbeteiligt vorüberzugehen habe. Sie darf das schon deshalb nicht, weil die Gedankenwelt des Sozialismus so wichtige Elemente des philo­fophischen Denkens und so bedeutsame Handhaben einer verläßlichen Orientierung im lippenreichen Gebiet der großen Welt- und Menschheitsfragen enthält, daß falsch handeln würde, wer schweigen wollte, wenn er Fragenden Antwort geben tann.

Daß viele Dinge der religiösen Sphäre erneut zur Debatte gestellt worden sind, kann nicht bestritten werden. Auch sozialistische Kreise find an dieser Debatte beteiligt. Die Organisation der religiösen Sozialisten ist da und macht Fortschritte, an ihrer sozialistischen Zuverlässigkeit ist kein Zweifel, und nur die liebe Dummheit kann behaupten wollen, daß alles, was in ihr debattiert wird, ins Gebiet der lieben Dummheit gehöre. Was in jener Vereinigung fatho fischer Sozialisten sich regt, die um das in Köln   erscheinende Rote Blatt" fich gruppiert, iſt mindestens mert, genau verfolgt zu Rote Blatt" fich gruppiert, ist mindestens mert, genau verfolgt zu merden. Aber auch die offiziellen Kirchen überprüfen ihr Inventar; und es wirkt wie ein ironisches Symbol, wenn man vielerorts in Anschauung des Zustandes der Hochaltäre zur An­fchaffung von Staubsaugern übergegangen ist. Wer die katholische Welt von heute nur nach den Bade- und Turnerlassen hinter­weltlicher Dorfpfaffen zu beurteilen unternehmen will, wird sich fagen lassen müssen, daß er um entscheidende Dinge nicht weiß. Rom   hingegen weiß sehr wohl, daß seit 1914/18 allerlei Dinge in der Welt fich ereignet haben, Dinge, die auch den bravsten Schafen im Stall Stunden der Unruhe bereitet haben.

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Wer den veralteten Borstellungen und Lehren der Kirchen den Stamps ansagt, hüte sich, den Kampf gegen sie in einen Kampf gegen das religiöse Gefühl überhaupt entarten zu lassen. Was hat man denn unter dem religiösen Gefühl zu verstehen? Nun, unzweifelhaft wohl das Gefühl der Berbundenheit des einzelnen mit der menschlichen und kosmischen Umwelt. Das ist durchaus nicht ein psychisches Phänomen, über das man, die Bücher des seligen Haedel unter den Arm geklemmt, die Nase zu rümpfen hat, das ist vielmehr eine seelische Erscheinung, die aller Ehren soziologischer Nobilität wert ist! Bitte: wenn mir die Natur­wissenschaft, nehmt alles nur in allem, beweist, daß ich, der Mensch, das Produkt eines Entwicklungsprozesses bin, wenn sie mir unpider­leglich beweist, daß ich in jedem Atemzug meines Daseins bedingt bin durch die tausend Faktoren der mich umgebenden Welt, daß ich unlöslich verbunden bin mit ihr, was ist das schließlich weiter, als eine Bestätigung jenes Berbundenheitsgefühls? Von diesem Berbundenheitsgefühl aber ist zu sagen, daß es als das religiöse Grundgefühl anzusprechen ist. Jede Debatte, die in den Kern der Dinge vorstoßen will, muß von ihm seinen Ausgangspunkt nehmen. Man muß sich bei Betrachtung der in Frage kommenden Dinge mir davon frei machen, den Begriff des Religiösen mit der Gottvorstellung zu verquiden! Mit Gott   fang an" da cben leider fängt der verhängnisvolle Irrtum an! Vielleicht hat sich all­mählich in Europa   herumgesprochen, daß im Jahre 1787 ein gewisser Immanuel Kant   alle denkbaren Gottes beweise fritisch der­maßen zerpflückt hat, daß nur noch die Angabe der heutigen Kirche, im Jahre 1 unserer Zeitrechnung habe der liebe Gott feinen Sohn in die Welt gesetzt, als leßfer Beweis" übriggeblieben ist. Die Gottvorstellung hat mit dem Gefühl der Berbundenheit des einzelnen mit der Umwelt nichts zu tun, es sei denn das, daß sie nur eine besondere( aber sehr unzulängliche) Aeußerungsform eben jenes Verbundenheitsgefühls darstellt.

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Der Raum verbietet, auf all das einzugehen, was sich aus der näheren Betrachtung des religiösen Grundgefühls ergibt. Aber auch die knappste Stizze läßt hervortreten, daß geläuterte Religiosität durchaus kein Ding ist, das unvereinbar wäre mit der Ideologie des Sozialismus. Karl Marg hat gejagt, Religion wäre Opium fürs Bolt? Man lese die Stelle im Zusammenhang; natürlich ſt unter ,, Religion" der ganze Qualm und Schwalm einer autoritären Gottesdogmatik gemeint. Im übrigen: menn nach marristischer Auf­faffung jede materiell- wirtschaftliche Basis einen durch fie bedingten ideologischen Ueberbau vorweist, der da laut Aufzählung der be­fannten Stellen( in der Kritif der politischen Defonomie") in a) den Rechtsbegriff, b) ben politischen Zielsetzungen, c) den Borstellungen des religiösen Lebens, d) den Schöpfungen der Kunst und e) den Betrachtungen und Lehren der Philofophie Ausdrud gewinnt, so muß doch wohl auch die Ideologie einer sozialistischen   Wirtschaftsbafis in den genannten Erscheinungsformen Ausdrud gewinnen, das heißt, auch im religiösen Borstellungsleben!. Ebenso wenig wie die Gebiete des Rechts, der Politif, der Literatur und Kunst und der Philosophie aufhören werden zu existieren auf Grund der fozialistischen Birt schaftsbasis, ebenso wenig wird das Gebiet des Religiösen aufhören zu existieren auf Grund jener Basis! Die Formen des ideolo gischen Widerspiels bleiben unter allen Umständen dieselben, nur ihr Inhalt ändert sich gemäß bekannter Bedingtheit.

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Man fann also Don einer Religions- Feindschaft" des So. zialismus nicht sprechen. Man möchte fast formulieren: selbst wenn der Sozialismus religionsfeindlich sein wollte, sp fönnte er es nicht sein, er würde eine ihm widersprechende Richtung nehmen. Eine Religionsfeindschaft wäre unvereinbar mit der wissenschaftlich marristischen Grundlage der sozialistischen   Arbeit. Wenn die Ber­fechter der wissenschaftlich nicht mehr haltbaren und( sieht man die Ströme des Blutes an, die im Namen Gottes vergossen worden. find) auch' moralisch völlig diskreditierten Gottvorstellung sich durch die Arbeit des Sozialismus auf die Zehen getreten fühlen und daraus eine Religionsfeindschaft des Sozialismuis ableiten wollen, so find fie nur Opfer der Berwechslung, auf die hinzuweisen der Zwed diefer Beilen ist.

So ergibt sich denn am Ende der Ueberlegungen, daß der So­zialismus an einer Störung deffen, mas man tonfeffionellen Frieden nennt, nicht das geringste Interesse hat, daß er aber als Förderer und Klärer der religiösen Diskussion, wo immer fie geführt werden mag, sich durchaus berufen fühlen darf.

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Leider nun werden auch oft Sozialisten Opfer dieser Ber  - Sozialdemokratische Partei   mit dem Stimmzettel eine Frage ent­mechslung. Auch sie unterscheiden nicht scharf genug zwischen der scheiden, an der der tiefste Geist der deutschen   Gegenwart, Friedrich Gottvorstellung und dem religiösen Gefühl schlechthin, dem Ver- Nietzsche, doch letzten Endes zerbrochen ist? Warum muß die Partei bundenheitsgefühl, wie es aben dargelegt worden ist. Auch die im protestantischen Deutschland   ganz unerhörte geistige Kräfte brach­Propaganda des Freidenkerverbandes weist in diefer liegen lassen, ja, warum treibt sie sie durch ihre einseitige Stellung­Hinsicht mancherlei Unflarheiten auf, die zu sehr unerwünschten Ausnahme in religiösen Dingen zum Teil sehr gegen ihren, der Pro­mirtungen führen können. Was um so badauerlicher ist, als die bestanden, Willen der wirtschaftlichen Reaktion zu? Rein ernster Protestant wird die Sünden der evange tragenden Pfeiler der gedanklichen Welt des Freidenferverbandes der lischen Kirche beschönigen wollen, von Luthers Sendbrief gegen Marrismus und die naturwissenschaftliche Betrachtung sind. die aufrührigen Bauern an bis zum Versagen im Weltkriege, aber Hand aufs Herz! hat die Partei im Weltkrieg nicht auch vers sagt? Darum fämpft für die Lösung des Staats von der Kirche, viele ernste Protestanten fämpfen mit euch darum. Geißelt die politischen Entgleisungen ihrer Diener, viele ernste Protestanten schämen sich ihrer. Kämpft für die Befreiung der Schule vom fonfeffionellen Zwang, der freie Protestant in der freien protestantischen Kirche wird sich freuen, wenn das Baterunser durch Einpaufen in der Schule nicht mehr entweiht wird, fämpft, tampft, fämpft gegen jeden geistigen Zwang, das ist allerechtester Protestantismus!- Aber bitte, fämpft auch gegen den geistigen 3mang in eurent eigenen Reihen! Es ist zum mindesten noch nicht erwiesen, ob der allgemeine Rüglichkeitsstandpunkt für die Bildung fittlicher Bersön lichkeiten dasselbe leisten wird, wie die Bergpredigt. Bergeßt duch nicht, daß unser Ideal der politischen Freiheit in gerader Linie van gegen die Bauern. Ist es denn nur ein Zufall, daß nur katholische der evangelischen Freiheit" abstammt, trotz Luthers Sendbrief Länder der Diftatur verfallen find, und in protestantischen Landen eine Dittatur nicht einmal vorstellbar ist? Gibt das nicht zu denken?

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Ein Außenseiter hat das Wort

Darf in diesen Spalten auch ein nicht der Partei angehörender Beser des Vorwärts" das Wort ergreifen? Gerade die feindliche Stellung der Partei zur Kirche ist es, die weiten Kreisen des protestantischen Deutschland   den Weg in die Partei versperrt. Es handelt sich da für den überzeugten Brotestanten auch Goethe nannte sich ja in weiterem Sinne einen Protestanten um eine Gewissensfrage, einfach um die Schicksalsfrage für werden, daß die von der Sozialdemokratie geförderte Kirchenaus Deutschlands   geistige Zukunft. Es muß einmal sehr deutlich gesagt trittsbewegung ganz einseitig die protestantische Kirche trifft und für die katholische Kirche   überhaupt teine prattische Be beutung hat. Es muß weiter gesagt werden, daß die katholische Kirche   infolge ihrer ganz außerordentlich gefchickten Konjunktur. politik eine Machtstellung nach der andern nimmt, und daß die Sozialdemokratische Partei   beim besten Willen bei der augenblic lichen innerpolitischen Lage sie nicht daran hindern fann. Ich er­innere in diesem Zusammenhange nur an die Zurücknahme von Otto Brauns Präsidentschaftskandidatur zugunsten des Zentrums­fandidaten. Und eben erst hat die Kurie vom Freistaat Preußen  " ein Kontordat erzwungen, durch das ihr der Staat nennen wir doch das Kind beim richtigen Namen! wichtige fulturpolitische Rechte auf unbegrenzte Zeit abtritt.

Diese Entwicklung erfüllt jeden ernsten Protestanten mit tieffter Sorge. Gewissenhafigkeit, ganz persönliche Verantwortung für das Wohl feines Nächsten", das ist der Kern seiner Religion, und mirtschaftlich steht er deshalb vielleicht genau da, wo auch die Sozialdemokratie steht, die ja auch auf fast reinprote­die Sozialdemokratie ftantischem Boden erwachsen ist( in Sachfen), aber tann er sich einer ſtantiſchein Boden erwachsen i fecht  , die Bartet anschließen, die in der für Deutschlands   geistige Zukunft wichtigsten Gewissensfrage nicht neutral bleiben tann? Kann die

Die Kampfstellung der Partei gegen die evangelische Kirche mar notwendig und berechtigt in einer Zeit, wo die Kirche in un leiblicher Weise dem alten Obrigkeitsstaat tributpflichtig war, fie ift heute nicht mehr notwendig. Wer heute durch Zerstörung der evangelischen Kirche freie Bahn für die Ausdehnung der katholischen Kirche   macht, der nüßt nicht der geistigen Freiheit Deutschlands  , sondern gefährdet sie. Welch große politischen Kräfte im Protestan tismus bereitstehen, das zeigt uns England, das zeigen uns vor allem die amerikanischen Quäfer.

Für eine große politische Partei fann es sich nicht um Toleranz oder Intolerang handeln, die Frage ist ganz falsch geftellt. Es handelt sich nur um Neutralität oder um Stellungnahme gegen Pfaffentum und Muckertum, jawohl, wir Protestanten sind dabei! Stellungnahme gegen die protestantische Idee von der persönlichen Berantwortnug gegenüber Gott  : Was hat das mit den Zielen der Sozialdemokratischen Partei zu fun? Gehört die materialistische Weltanschauung mit zum Barteidogma? Uns evangeliſchen Bro teftanten liegt die Kezzerei im Blut. Schade, daß wir außen bleiben müssen! Friedrich Hirsch.

Unterhaltsanspruch bei Ehefcheidung

Und wie das Gericht entscheidet von Amtsgerichtsrat B. Herz

Bei der großen Zahl der Chefcheidungen erscheint eine Betrach tung am Blaze, wie denn das geltende Recht die Unterhal tungsansprüche der geschiedenen Gatten untereinander regelt. Diese Frage hängt naturgemäß aufs engste mit dem Scheidungs­problem überhaupt zusammen. Borweg ist zu sagen, daß, falls beide Ehegatten für schuldig erklärt sind, mit der Rechts­traft des Scheidungsurteils grundsäglich überhaupt jeder Unter haltsanspruch aufhört. Hatte z. B. die Ehefrau eine einst­weilige Verfügung erwirkt, wonach der Ehemann gehalten war, ihr während des Scheidungsprozesses monatlich aber möchentlich... M. Unterhalt zu zahlen, so darf sie vom Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsurteils ab aus dieser einstweiligen Verfügung nicht weiter vollstrecken lassen; und zwar auch dann nicht, wenn allein der Mann für schuldig erklärt ist. Bielmehr muß sie dann neue Schritte bei Bericht unternehmen, weil der Unterhaltsanspruch für die Zeit während der Ehe selbst anders geregelt ist, als für die Zeit nach einer Scheidung.

Das Gefeß stellt mun für den in der Praris wichtigsten Fall, nämlich in Ansehung des Unterhaltes, den der allein für schuldig erklärte Mann der geschiedenen Frau zu gewähren hat, vor allem auf ihren Lebensbedarf ab. Grundsatz ist, daß hier die ge­schiedene Frau Anspruch auf Gewährung standesgemäßen Unter haltes hat. Solcher umfaßt den gesamten Lebensbedarf. Es kommt hier auf die allgemeine Lebensstellung der Parteien an. Wie ist es aber, wenn die Frau selbst Bermögen hat? Muß die Frau hier erst ihr gesamtes Vermögen aufzehren, benar sie sich an ihren früheren Gatten halten kann? Nein! Solches ist nicht er­forderlich. Der Unterhalt fürzt sich vielmehr mur um die Einfünfte, die die Frau aus einem etwaigen Bermögen ziehen tönnte.(§ 1578 BGB.) Allerdings wird der Richter hier Billigfettsmomente fehr mitspielen laffen. In der Bragis wichtiger is: pie Frage, ot der Mann die Frau darauf verweijen fann sich ihren Unter­halt durch eigene Arbeit zu erwerben. Antwort: Ja, soweit solches nach den Verhältnissen, in denen die Ehegatten gelebt haben, üblich ist; und zwar ist ausschlaggebend, daß, was im allgemeinen üblich ist; nicht das, was in der Ehe der Parteien speziell üblich war. Die Not der Zeit zwingt dazu, zu verlangen, daß jeder gefunde erwachsene Mensch sich bemüht, durch ehrliche Arbeit das zum Leben Notwendige zu erwerben. Nicht auf das kommt es an, was der Beklagte zufällig gerade verdient hat, sondern darauf, was er unter bestmöglichster Ausnutzung seiner Arbeitskraft tatsächlich verdienen kann. Gleiches gilt in den ge­nannten Grenzen des allgemein leblichen für die klagende Ehefrau. Selbstverständlich vermag niemand zu zaubern und fann jemand auch bei bestem Arbeitswillen ohne jebe eigene Schuld längere Zeit ermerbslos fein müssen. Hier tommt unendlich viel auf den guten willen an, so wie darauf, die Zeit der unfreiwilligen Muße zu

eigener Spezialausbildung tunlichst zu benutzen. Auch das Gesetz berücksichtigt besonders die Notlage des allein für schuldig erklärten Ehegatten, der einfach außerstande ist, auch noch dem anderen Ehegatten Unterhalt zu gewähren. Zunächst hat hier das Gericht alle sonstigen wirklich bestehenden Berpflichtungen des Unterhalts­schuldners zu berücksichtigen; diese gehen hier vor. Waren z. B. Möbel auf Abzahlung gekauft, und hat der Mann noch mehrere Hundert Mart in Raten abzuzahlen, so fann er nicht einfach den gesamten Betrag der Schulden kapitalisiert von seinem Einkommen abziehen, sondern eben nur jeweils die fälligen Raten.

Zu berücksichtigen wären ferner z. B. Rentenbeträge, die der allein für schuldig erklärte Mann einem unehelichen Kinde Rechtens zu zahlen hätte.

Ferner wird ihm nicht zugemutet, feinen eigenen Unterhalt zu gefährden.

Tritt ein eigener Mehrbedarf z. B. infolge Krankheit oder dergleichen ein, so ist auch solches mit in Betracht zu ziehen. In all solchen Fällen fann der Mann von den zu seinem Unterhalt perfügbaren Einfünften zwei Drittel, mindestens aber soviel zurückbehalten, um felbft notdürftig" leben zu fönnen( also nicht standesgemäß"). Die Gerichte gehen überhaupt im allgemeinen davon aus, insbesondere. auch bei bestehenden Ehen, daß grundsäßlich der Ehefrau etwa ein Drittel vom Einkommen des Mannes ge­hört. Nun ist aber häufig die Not und der Notbedarf noch größer. Entweder find minderjährige unverheiratete Kinder do, oder der Ehemann verheiratet sich wieder, dann lassen sich überhaupt keine ziffernmäßigen Regeln mehr geben. Es ist vorgekommen, daß der für schuldig erklärte Ehemann einen Tag, nachdem er die Unter­haltstlage feiner, geschiedenen Ehefrau zugestellt erhielt, eine neue Ghe einging und nun im ersten Termin, schließlich und endlich mit Recht verlangte, daß seine Berpflichtung vom Gericht ent­Sprechend eingeschränkt würde. Hier muß alles dem Ermessen des verständigen Richters überlassen bleiben, der unter Umständen vor äußerst unangenehme, weil tief in das Leben der Beteiligten ein­greifende Entscheidungen gestellt ist und gewärtig sein muß, daß beide Teile fein Urteil doch schelten. Das Leben des einzelnen entzieht fich letzten Endes jeder genauen aiffernmäßigen Berechnung.

Wie hilft sich nun aber eine Partei, wenn die wirt. schafts- und Lebensverhältnisse, die für die Bestim­mung der Höhe der Unterhaltsrenten im Gerichtsurteil maßgebend waren, sich danach wesentlich andern? Hier muß neu getlagt werden; und zwar ist in solchem Falle jeder Teil berechtigt, eine entsprechende Abänderung des Urteils zu verlangen, soweit neue erhebliche Momente eingetreten sind. Uebrigens darf das erste Urteil( oder frühere Urteil) mur für die Zeit nach Erhebung der Ab. änderungsflage ausgesprochen werden. Wir haben hier also eine Art Regulator, um spätere Unbilligkeiten zu verhüten.