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Beilage

Donnerstag, 14. November 1929

Der Abend

Shalausgabe des Vorwire

Der permanente Revolutionär

Leo Trotzkis Autobiographic

Leo Trogti hot in Konstantinopel ein Buch über sich selbst| mirti nicht ganz würdig, erklärt sich aber aus der taktischen Absicht geschrieben: Mein Leben. Verfuch einer Autobiographie." Es ist des Buches, nachzuweisen, joeben im Verlag von S. Fischer erschienen.

Trogti ist ein Mann, der Ungeheures erlebt hat und ausge­

zeichnet schreiben fann." Kein Wunder, daß sein Buch fabelhaft

interessant ist.

Manche werden es verschlingen wie einen Sensationsroman. Andere werden es denfend lesen, wozu es reiche Gelegenheit gibt. Es ist eine unaufhörliche Polemit: erst gegen den westländischen Sozialismus, dann auch gegen den Bolschemismus von heute. Es perherrlicht die Theorie der permanenten Revolution" und recht­fertigt ihren Praktiker: Trojki.

Die Rechtfertigung ist nicht ohne Gereiztheit und nicht ohne Eitelkeit, mas übrigens bei einem Mann, dem so übel ntitgespielt murde, menschlich verständlich ist. Der Hohn, mit dem er zum Schlußz die europäische Demokratie behandelt, weil sie ihm das Asyl ver= weigerte, ist leider nicht unberechtigt.

Trotzki , der dieser Tage die Fünfzig überschritt, ist der Sohn eines kleinen jüdischen Grundbefizers. Er hat die Kindheit im russischen Dorfe verbracht und

als 18jähriger Student in der Kleinstadt Nikolajew sozialistische Agitation unter den Arbeitern zu freiben begonnen.

Er erlebt seine ersten Gefängnisse, seine erste Berbannung und feine erste Emigration. Sein Weg geht über Wien , wo ihm 2dler meiterhilft, nach London zu Lenin .

In Wien hat der junge unbekannte Flüchtling aus Sibirien seinen ersten Zusammenstoß mit dem europäischen Sozialismus. Austerlig mill ihn nämlich nicht zu Adler lassen, weil Sonntag ist und der überarbeitete Dottor menigstens am Sonntag seine Ruhe haben soll. Der junge Mann philosophiert: Es ist nicht möglich, daß die Sonntagsruhe über den Forderungen der Revolution steht"- und setzt sich durch. Wenn Sie Nachrichten über die russische Revo­lution bringen, dürfen Sie auch in der Nacht bei mir fäuten," jagt Viktor Adler .

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In London trifft er den zehn Jahre älteren Lenin und andere Emigranten. Man debattiert über Margismus und die deutschen Revisionisten. ,, Anhänger von Bernstein gab es unter uns nicht." Wie sollte es auch?

Rußland hatte ganz andere Probleme als Deutschland .

Trogli hat die sozialistischen Parteien Deutschlands , Frankreichs , Englands, Desterreichs, Belgiens , Ameritas von der Nähe gesehen. Berstanden hat er sie nicht. Immer sieht er sie mit den Augen des jugendlichen Berschwörers aus Nikolajem. Keine Partei, tein Führer, bis auf ganz geringe Ausnahmen, besteht vor seinem prüfenden Blick die Probe. Was er von ihnen zu sagen weiß, ist amüsant und als Karikatur oft porträtähnlich. Niemals taucht die Frage auf, marum das alles so ist. Sieben Jahre verlebt er in Wien , ist Mitglied der Partei, aber nicht ein einzigesmal kommt er mit den leitenden Personen zu einer offenen Aussprache. Sie sind ihm zu bürgerlich. Ich empfand die sozialdemokratischen Führer als fremde Menschen. Nicht anders geht es ihm in Berlin , Baris, New Yort. Köstlich seine Schilderung der New- Yorker fleinen Partei, deren Amerikanismus er ungeheuer fomisch findet. Ganz fern liegt ihm die Erkenntnis, daß diese meist aus Europa eingewanderten Männer noch viel zu wenig Amerikaner waren, um Erfolge erringen zu können.

Eine Armee der Weltrevolution mit einheitlicher Uniform und einheitlichem Ererzierreglement, das ist wohl das Idealbild, das ihm verschmebt. Nrigends findet er es verwirklicht und darum erfährt so gut mie alles, was er sieht, zornige oder verächtliche, Ablehnung. Nirgends eine Spur des Verständnisses dafür, daß die mirtliche Weltrevolution, die permanente", von der er schwärmt, sich in den verschiedenen Ländern in verschiedenem Tempo und nach verschiedenen Methoden vollziehen muß. Die permanente Revolution, das ist für ihn die permanente Verschwörung, der permanente Aufstand, die permanente Gewaltanwendung. Internationalist, der er zu sein glaubt, sieht er doch die ganze Welt durch eine Brille, die in Rußland geschliffen ift.

Die Revolution von 1905 bringt ihn vorübergehend in sein Vater­land zurück, an die Spitze der Arbeiter von Petersburg . Die revo­lutionäre Hegemonie des Proletariats war zur unbestreitbaren Tat sache geworden." Wenn dies die Macht des jungen Proletariats in Rußland ist, fährt er fort ,,, wie mag dann seine Macht in den Dorgeschrittenen Ländern aussehen!"

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In Rußland aber das gilt für 1917 ebenso wie für 1905 gab es ein Bürgertum und eine Bauernschaft als politische Klaffen­mächte überhaupt noch nicht. Die wirtschaftliche Rückständigkeit und der Barismus hatten ihr Auftommen verhindert. In dem Augen­blic, in dem der 3arismus manfte oder fiel, wurden die notdürft gen Arbeiterorganisationen der wenigen Großstädte ausschlaggebend. In den vorgeschrittenen Ländern aber hatten Bürgertum und Bauern schaft sich längst als politische Machtfaktoren konstituiert und hatten den staatlichen Machtapparat in ihren Händen.

PT

Dem Zusammenbruch der Revolution folgen wieder Gefängnis, Sibirien , abenteuerliche Flucht, jahrelange Emigration. Spaltungs­fämpfe zwischen Bolschewifen und Menschewifen, wobei auch ein im Vorwärts" erschienener Auffaz Tropfis eine erhebliche Rolle spielt. Trotti versucht zwischen beiden Richtungen zu vermitteln und kommt dabei manchmal zwischen zwei Mühlsteine. Allmählich treten die führenden Personen der großen russischen Revolution in Erscheinung, fie werden meist nicht allzu günstig charakterisiert. Bon Lenin freilich spricht er nur in Tönen der höchsten Berehrung, er betont die enge Freundschaft mit ihm und zitiert forgfältig jedes Wort der Anerkennung, das ihm aus dem Munde des überragenden Führers guteil wurde. Diese ständige Berufung auf den Meister

daß er, Trokki, der echte Erbe Lenins jei, Stalin aber der falsche.

Der Weltkrieg bringt erst ein ruhelofes Wanderleben durch die Schweiz , Frankreich , Spanien , Amerika , England. Ausweisungen, Konzentrationslager, spannende Abenteuer. Die Kerensti- Revolution befreit ihn, sie öffnet den Weg nach Rußland und in die Welt­geschichte. Oftoberrevolution, Friedensverhandlungen in Brest Litowst, Schaffung der Roten Armee, Krieg mit den Weißen, Machtfülle im Kreml an der Seite Lenins . Noch lebt der Führer, aber die Schatten des Todes umschleichen ihn, und der Kampf ums Erbe beginnt. Tropki nennt ihn ,, die Berschwörung der Epigonen. Trozki der alleinige Führer der Partei und des Staates? Den

Sinowiew, Kamenew , Stalin ist diese Aussicht nicht man kann es zwischen den Zeilen angenehm. Tropki ist sie es lefen um so mehr.

Handelte es sich um einen Zusammenstoß zwischen zwei Ten­denzen oder nur um einen ordinären Rivalitätskonflikt? Nach der Darstellung Trottis handelt es sich mehr um den zweiten als um den ersten. Troßti will der Führer sein, die anderen lehnen ihn ab und wollen die Macht untereinander teilen. Persönlicher Haß ver­schärft die sachlichen Meinungsverschiedenheiten.

Trozti entdeckt ,, den Kleinbürger im Bolschewit", den reaktio­nären ,, Thermidor" in der Revolution. Er fühlt sich anders als die

anderen:

,, Wenn ich an den Bergnügungen, die in der neuen regierenden Schicht immer mehr Sitte merden, nicht teilnahm, so nicht aus moralischen Prinzipien, sondern weil ich mich der Folter schlimmster Langeweile nicht aussehen wollte. Gastgebereien, fleißiges Besuchen des Balletts, gemeinschaftliche Trinkabende und dem dabei unver­meidlichen Klatsch über die Abwesenden hatten für mich keine Anziehungskraft... Die durch und durch philisterhafte, uns wissende und einfach dumme Heze gegen die Theorie der permanenten Revolution entsprang gerade diesen psychologischen Quellen. Bei einer Flasche Wein oder auf dem Heimweg vom Ballett sprach ein selbstsicherer Bureaukrat zum anderen: Der hat immer nur die permanente Revolution im Kopfe."

Tropfi fämpft im Namen der permanenten Revolution gegen den Opportunismus und macht sich unbeliebt, sogar verdächtig. Shon seine Reise nach Berlin im Jahre 1926 tommt nur nach Ueberwindung polizeilicher Schwierigkeiten zustande.

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Denn schon hat er die fraktionelle Arbeit" aufgenommen und tämpft wieder auf dem fonspirativem Wege mie einst der fleine Stubent in Nikolajew um die Macht. Das fann tein gutes Ende nehmen, der Apparat ist zu start. Wieder geht es gut russisch zu mit geheimen Bersammlungen, illegaler Literatur, überraschend zustande tommenden Straßendemonstrationen, Jagd der Bolizei nach den Verschwörern.

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Ist die Darstellung Trogfis richtig, so fann man nicht daran zwelfeln, daß seine Berbannung nach Alma Ata in Zentralasien und dann els diese sich als unzureichend erwies, um die Bewegung abzuftoppen feine Ausweisung aus Rußland für die russische Re­gierung ein Att der unvermeidlichen Notwehr war. Andernfalls wäre die ,, permanente Revolution" über ihre Köpfe hinweggegangen und hätte vielleicht auch ihre Köpfe mitgenommen. Aber die polizet. lichen Maßnahmen allein wären unzureichend geblieben. Um die Partei zu beruhigen, waren sachliche Konzessionen an den Trotz­tismus notwendig. Sie realisierten sich in dem neuen Bauerntum und im Stampf gegen die rechte Gefahr.

Nun fit Trozti, ber permanente Revolutionär, der glänzende Schriftsteller und Redner, aus seinem Vaterlande verjagt, von allen anderen Ländern zurückgewiesen, in Ronstantinopel und martet auf feine Stunde. Wird sie kommen? Es wäre für Rußland und die übrige Welt kein Glüd!

Irrtum. In der Welt außerhalb Rußlands sieht er seit dem Kriege Im Schlußkapitel feines Buches wiederholt er feinen alten feine wesentliche Aenderung. Nur die russische Ottoberrevolution ist ein Versuch, das Leben umzubauen", der Versuch einer neuen Gesellschaftsordnung":"

Sie beschuldigen, sie habe in zwölf Jahren nicht den all­gemeinen Frieden und Wohlstand gebracht, fönnen nur stump­futnige oder bismillige Menschen. Nimmt man dieselben Maß­stäbe der deutschen Reformation und der franzöfifchen Revolution, die in einer Entfernung von etwa drei Jahrhunderten zwei Etappen in der Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft dar­ftellen, fo fann man nur darüber staunen,

daß das zurückgebliebene und einfame Rußland zwölf Jahre nach der Umwälzung den Volksmaffen einen Lebensdurchschnitt gesichert hat nicht tiefer, als er am Borabend des Krieges war.

Das soll eine Verteidigung sein, eine Berherrlichung jogar, ift aber ein Geständnis. Denn die Arbeiterklasse durch jahrzehntelange Rämpfe, durch unermeßliches Elend führen, um dann nach zwölf Jahren! fagen zu können, jetzt lebe sie menigstens nicht mehr schlechter als vor dem Beginn dieser Ereignisse, das kann nicht unsere Aufgabe als Sozialisten sein! Die Arbeiter Europas oder Ameritas würden Führer, die ihnen etwas Derartiges zumuten wollten, für verrüdt erklären und davonjagen. Denn für uns besteht der Sinn der sozialen Revolution nicht darin, einer Theorie zam Siege zu Die verhelfen, sondern darin, arbeitenden Schichten des Bolkes freier und glüdlicher zu machen. Wir verstehen es, daß in den Kämpfen zwischen Adel und Bürgertum die Massen bloßes Ranonenfutter maren und bluteten, hungerten und froren. Nach unferer Auffassung aber foll sich die soziale Repolution pon deit Maffenfämpfen vergangener Zeiten badurch unterscheiden, daß die Maffen dabei nicht mehr die Leidenden, sondern die Gewinnena den sind. Darum

fönnen wir uns die permanente Revolution" nicht anders vor­stellen, denn als einen permanenten Kampf um bessere Lebens­bedingungen.

Und die neue Gesellschaftsordnung tönnen wir nicht anstreben, u102 einmal was anderes zu probieren, sondern nur, weil und insoweit mir bessere Lebensbedingungen für die Arbeiter mit Sicherheit von ihr erwarten fönnen.

Wo teine Verschwörung, fein Aufstand, feine Dittatur, tein Standrecht ist, da sieht Trozti teine Revolution, sondern nur Feig­heit, Verrat, Spießbürgertum und Langeweile. Der bolschewistische Benttag ist ihm schließlich ebenso widerwärtig, mie der reformistische. für ihn müßte immer revolutionärer Sonntag sein, an dem etwas Dramatisches, Gigantisches geschieht. In dieser Stimmung trifft er sich mit den Literaturjünglingen aller Kaffeehäuser der Welt, die dasigen und nicht wissen, was sie mit sich anfangen sollen, nicht aber mit den Arbeitern. Troßfi hat in Nikolajew als Student die Seele des Arbeiters zu suchen begonnen hat er fie gefunden? lleberall, wohin er fam, blieb sie ihm verschlossen, nur in Rußland schien sie sich ihm zu öffnen nur ein tragisches Mißverständnis?

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war vielleicht auch das

Die russische Oktoberrevolution war gewiß ein ungeheures gea schichtliches Ereignis. Sie hat

das rückständigste Land der Welt in den Strom der sozialistischen Weltbemegung mit hineingerissen

da zeigte sich die wadyjende Kraft dieses Stromes. Aber, daß hei dem jähen Zusammenprall dieses rückständigsten Landes mit den fortgeschrittensten Ideen der Welt mancherlei entstand, mas phantastisch- grotest und jenen Ideen gar nicht entsprechend erscheint, ist nur zu leicht erklärlich.

die

Die russische Ottoberrevolution aber und das bolschewistische Rußland verkennen ihre Stellung, wenn sie sich als das Kraft­zentrum der sozialen Bewegung betrachten. Das Kraftzentrums braucht nicht dort zu sein, wo die heftigste Bewegung ist entwickelt sich eher an der Peripherie. Trohli hat die peripherische Bedeutung des Bolschewismus nicht begriffen er begreift fie auch jetzt noch nicht, wo er, aus der Bahn geschleudert, ein einsamer Mann, in Konstantinopel sitzt.

Die permanente Revolution" ist da. sie sieht nur anders aus, als Tropki sie sich vorstellt. Sie wechselt ihre Bewegungsformen mit dem Orte und mit der Bett. Sie fann legal sein oder illegal, pathetisch oder werftagsnüchtern, überbedächtig oder erzelfiv. In den verschiedenen Ländern unter verschiedenen Umständen ruft sie die verschiedensten Erscheinungen hervor. Bollmar nannte cin mal auf einem deutschen Parteitag die Pariser Kommune eine heroische Torheit und entfachte dadurch Stürme des Widerspruchs. Die Kommune hat die Entwicklung der sozialistischen Bemegung in Frankreich für Jahrzehnte zerschlagen- aber ihr heroischer Inhalt appelliert an das Gefühl. Im Berhältnis zur russischen Ottoberrevolution war die Kommune nur eine ganz winzige Episode. Der jahrelang betriebene Bersuch der Bols hewiti, ein zurüdgebliebenes Land nach sozialistischen Grundsätzen zu regleren, ist in der Geschichte der permanenten Revolution" ein ganz großes Faktum Aber der Uebergang der englischen und der deutschen Sozialdemokratte zur Macht ist das auch. Ob nicht ein wichtigeres, wird die Zeit lehren.

Tropki sieht die permanente Revolution" erst nur in Ruß­ land , dann nur in sich selber. Sie wird aber weitergehen, wenn auch anders als er sie sich denkt, auch ohne ihn! Friedrich Stampfer .