Morgenausgabe
Nr. 545
A 274
46.Jahrgang
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Mittwoch
20. November 1929
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An die Sozialdemokraten Berlins ! Arbeitsmarkt im Winter.
Die Sozialdemokratische Partei in Berlin hat seit ihrem| gegen die Sozialdemokratische Partei , es hatte den Zwed, Bestehen noch nie einen so schweren Wahlkampf ihre starke Position zu erschüttern und damit den Einfluß führen müssen, wie den, der am 17. November seinen Ab- der Arbeiterschaft im Berliner Rathaus zu brechen. schluß gefunden hat. Die Kommunisten haben in Gemein- Auch die Deutsch - Demokratische Partei hat im schaft mit den bürgerlichen Parteien die Sflaret- Affäre Kampf gegen die Sozialdemokratie mit den unsaubersten strupellos gegen die Sozialdemokratische Partei ausgebeutet, Mitteln gearbeitet. Demokratische Wahlzeitungen haben bei obwohl Angehörige der Deutschnationalen Partei, den Kommunisten Anleihen aufgenommen, um unsere Partei der Deutschen Volkspartei , der Kommunisti zu infamieren. Der neugewählte demokratische Stadtverschen und der Demokratischen Partei, wie Stadtrat ordnete Dr. Theodor Heuß verstieg sich in einem ZeitungsBege, Stadtrat Benede, Stadtverordneter Rosenaufsaz zu der Behauptung, daß neben den Kommunisten die thal und die Stadträte Gäb el und Degner in dieser Sozialdemokraten in der Sflaref- Angelegenheit am meisten Angelegenheit auf das schwerste belastet sind. Bevor die verstrict" seien, während er gegen seine eigenen ParteiUntersuchung überhaupt abgeschlossen war, hat man Männer freunde fein Wort der Beschuldigung fand. des öffentlichen Lebens, soweit sie der Sozialdemokratischen Partei angehörten, als Lumpen und Verbrecher hingestellt. Nach dem Bericht des untersuchenden Regierungsbeamten Tapolski an den Untersuchungsausschuß des Landtags, steht fest, daß der kommunistische Stadtrat Degner der böse Geist der ganzen Geschäfts= praftifen der Stlarets war".
Die Sozialdemokratie hat von Anfang an erklärt, daß fie rücksichtslos und ohne Ansehen der Person durchgreifen wird, wenn bewiesen wird, daß einzelne ihrer Bertrauensmänner auch nur die geringste Schuld auf sich geladen haben. Sie wird den Beschluß des Bezirksparteitages Dom 12 Oktober durchführen. Ehrlicherweise follte aber von allen Parteien der allgemeine Rechtsgrundfah anerfannt werden, daß der Beschuldigte erst nach erfolg ter Ueberführung verurteilt werden fann.
Was in diesem Wahlkampf von unseren Gegnern an Verleumdungen geléiftet murde, mar geboren aus dem Haß
Die Sozialdemokratie murde in gemeinsamer Front von allen Parteien bekämpft.
Der grenzenlosen Aufopferung und Treue unserer Funtfionäre und Mitglieder ist es zu verdanken, daß fie troh alledem wieder als die stärkste politische Partei Berlins aus den Wahlen hervorging. Diese Selbstaufopferung unferer Genoffinnen und Genoffen hat gezeigt, daß bei uns eine Mitgliedschaft vorhanden ist, wie in feiner anderen Partei. Sie hat im Sturm standgehalten und jeden Angriff der Gegner mit verdoppelter Kampfluft erwidert.
Ihre unermüdliche Arbeit führte der Partei in den letzten Wochen neue Kämpfer zu. Es gilt, auch weiter alle Kraft einzusehen! Nach wie vor werden wir Sozialdemokraten für den Aufstieg der Arbeiterflasse fämpfen. Aller Hetze unserer Gegner zum Troß nun erst recht:
Es lebe die Sozialdemokratie!
Bezirksvorstand der SPD . Berlin : Franz Künstler , Karl Litfe, Gustav Sabath.
Paris , 19. November. Botschafter von Hoesch hatte heute nachmittag Unterredungen mit Außenminister Briand und mit dem Generalsekretär im Außenministerium Philippe Berthelot . Es bestätigt sich, daß der Wunsch der französischen Regierung nach Berschie bung des Schlußteiles der Haager Konferenz auf Anfang Januar sich lediglich darauf gründet, daß einmal ber franzöfifche Finanzminister Chéron während der im Dezember zu Ende zu führenden parlamentarischen Erörterungen des französischen Staatshaushaltes nicht ab tömmlich ist, zum andern die Kom missionsarbeiten bezüglich der Frage der sogenannten Ostreparationen ein nach französischer Auffassung bisher ungenügendes Ergebnis geliefert haben. Die Tatsache, daß im Dezember in Deutsch land der Boltsentscheid stattfinden wird, hat, da es sich dabei nm eine rein innerdeutsche Angelegenheit handelt, bei der Stellungnahme der französischen Regierung feine Rolle gespielt. Quertreibereien von Havas "-in weffen Auftrage? Etwa zur selben Zeit meldet WTB.:
In Berliner politischen Kreisen hat es Befremben erregt, daß die Agentur Havas in einer Polemik mit der„ Bossischen Zeitung" die Hinausschiebung der Haager Konferenz unter anderem auch damit begründet, daß zunächst das Ergebnis des Bolts entscheids vorliegen müsse.
Demgegenüber wird in diesen Kreisen mit allem Nachdruck darauf hingewiesen, daß eine Berquickung der Frage der etwaigen Verschiebung der Konferenz mit dem Volksentscheid nicht in Betracht kommt, weil dieser Volksentscheid eine rein inner beutsche Angelegenheit ist.
Es muß in der Tat auffallen, daß seit einigen Monaten bie offiziöse Havas - Agentur immer wieder Meldungen verbreitet, die geeignet sind, Mißverständnisse zwischen Deutschland und Frankreich zu erzeugen. Es wird auf die Dauer schwer fallen, anzunehmen, daß es sich dabei um bloße Reglefehler handle. Vielmehr ist anzunehmen, daß es in den Bariser Aemtern, einschließlich des Auswärtigen Amtes, Stellen gibt, die durch Berbreitung tendenziöser In
formationen Briand Knüppel zwischen die Beine werfen wollen. Charakteristisch für dieses Treiben war eine Havas Meldung aus Madrid am Tage der Ankunft Stresemanns zur dortigen Ratstagung, wonach Briand selbstverständlich" sich sprechen würde, die direkt auf der Tagesordnung des Rates nur über solche Fragen mit dem Reichsaußenminister ausstünden( also nicht über die damals in Aussicht genommene Reparations- und Räumungstonferenz). Briand hat damals bestritten, daß er diese Meldung inspiriert hätte, und er hat auch Ort, Termin und Tagesordnung der fommenden Konferenz mit Stresemann verhandelt. Später hat während der Haager Konferenz die Havas - Agentur wiederholt ähnliche Tendenznachrichten verbreitet, die vorübergehend zu ganz überflüssigen Spannungen zwischen Deutschland und Frank reich führten.
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charakteristisch. Man muß sich wirklich fragenda bie Der neueste Fall von Quertreiberei ist nicht weniger Redakteure der Agentur sicher nicht auf eigene Faust Berthelot selber, ber gegenüber Briand stets die bremoperieren mer dahinter steht. Ist es der Generalsekretär senden Auffassungen der diplomatischen Zunft des Quai d'Orsay vertritt? Ist es Herr Massigli, ehemaliger Spezialist für Sanktionen" und Investigationen", der den bösen Geist der Botschafterkonferenz. deren Sefretär er jahrelang war, auch auf die heutigen deutsch - französischen Beziehungen zu übertragen bestrebt ist? Oder wird Havas direkt aus der Umgebung des Kriegsministers Maginot inspiriert der, zumindest mit freundlicher Duldung durch den Ministerpräsidenten Tardieu, die deutsch - französische Berständigung zu hemmen versucht?
Frankreichs Borschlag: 6. Januar. Paris , 19. November. Außenminister Briand hatte heute nachmittag eine Unter. redung mit Botschafter von Hoesch. Intransigeant" will wissen, daß Briand im Einvernehmen mit Ministerpräsident Tardieu der Reichsregierung vorschlagen werde, sich damit einverstanden zu erflären, daß die zweite Haager Konferenz zu Beginn des Monats Januar, vielleicht am 6. Januar, zusammentreten soll.
Die große Arbeitslosigkeit des vergangenen Winters ist uns allen noch in trauriger Erinnerung. Es ist daher verständlich, daß weite Kreise unseres Volkes, insbesondere die arbeitenden Klaffen, jetzt, wo ein neuer Winter vor der Türe steht, wieder mit Bangen der Zukunft entgegensehen. Wenn wir auch nicht fürchten wollen, daß wir in diesem Jahre wieder von einer solchen sibirischen Kälte heimgesucht werden, ftillegte und dessen mittelbare Wirkungen fich in einem nie wie sie der letzte Winter brachte, der alle Außenarbeiten gekannten Ausmaße auf zahlreiche Wirtschafts- und Erwerbszweige erstreckte, so dürfen wir uns nicht darüber hinwegtäuschen, daß der deutsche Arbeitsmartt auch im tommenden Winter alles andere als günstig sein wird und manche fleißige Hand zwingen wird, zu feiern. 3war brauchen wir uns nicht denen anzuschließen, die die wirtschaftliche Lage Deutschlands für die kommenden Monate grau in grau malen. Der erhoffte Konjunkturaufftieg läßt zwar immer noch auf sich warten, die Kapitalnot ist nach wie vor groß, die Finanzlage des Reichs, der Länder und Gemeinden immer noch äußerst gespannt.
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Auf der anderen Seite zeigen doch gewisse 3 weige der Wirtschaft eine bemerkenswerte Widerstandsfra ft. So weisen die Produktionsmittelindustrien, insbesondere der Bergbau, noch einen verhältnismäßig hohen Produktions- und Beschäftigungsstand auf. Dasselbe gilt von einer Reihe von Verbrauchsgüterindustrien. Auch wollen wir hoffen, daß die Annahme des Young Planes und die allgemeine Finanzreform, die sich daran an schließen soll, ihre günstigen Wirkungen auf die deutsche Wirtfchaft nicht verfehlen werden. Jedenfalls ist der augenblickliche Zeitpunkt für eine Prognose über den Arbeitsmarkt schlecht geeignet und niemand kann sagen, ob die Optimisten oder die Pessimisten recht bekommen. Immerhin beträgt aber die Zahl der unterstützten Bollarbeitslosen zurzeit bereits rund 889.000, liegt also um rund 200 000 höher als zur gleichen Zeit des Vorjahres. Die Zahl wird fich in den nächsten Wochen schon aus saisonmäßigen Gründen zweifellos erheblich erhöhen.
Was tut der Reichsarbeitsminister, dem die Sorge um das Wohl und Wehe der Arbeitslosen in erster Linie anvertraut ist, um die winterliche Arbeitslosigkeit nach Möglichkeit zu bannen und das Los der von der Arbeitslosigkeit Betroffenen erträglich zu gestalten? Kein Mensch fann natürlich aus dem Winter einen Sommer machen. Die auf die Witterungseinflüsse zurückzuführende Verschlechterung des Arbeitsmarttes läßt sich in vielen ErwerbszweigenLandwirtschaft- gar nicht, in anderen nur unerheblich mildern. Es gibt aber auch Arbeitsgebiete, wo die winterliche Arbeitsruhe nicht ohne weiteres durch die Witterung be= dingt ist, wo vielmehr alte Gewohnheit und altes Herkommen es mit sich bringen, daß im Herbst die Arbeiten eingestellt und erst im Frühjahr wieder aufgenommen werden. Ich denke hier vor allem an die Bauwirtschaft. Gewiß, werden Außenarbeiten nicht möglich sein und auch Innenbei einer Kälte, wie der vergangene Winter fie gebracht hat, arbeiten in Neubauten vielfach an technischen Schwierigkeiten scheitern. Aber in normalen Wintern wird es in vielen Gegenden Deutschlands durchaus möglich sein, auch Hochbauten während des größten Teiles des Winters fortzuführen. Was das für die ganze deutsche Wirtschaft bedeutet, wie es fich auf dem Arbeitsmarkt auswirken würde, brauche ich nicht auseinanderzusehen. Das Reichsarbeitsministerium hat daher dieser Frage schon immer seine besondere Aufmerksamkeit zugewendet und ist vor einigen Wochen erneut an die maß behördlichen Stellen von der großen volkswirtschaftlichen Be gebenden Stellen herangetreten. Dabei ergab sich, daß die deutung des Winterbauens durchaus überzeugt sind, und daß fegungen für gegeben halten. Eine große Zahl von Behörden sie mit gewissen Einschränkungen auch die technischen Voraususw. hat mitgeteilt, daß sie schon bisher darauf hingewirkt hätten, daß vor allem die Innenarbeiten und, soweit möglich, auch die Außenarbeiten in den Wintermonaten fortgeführt würden; sie würden die Bemühungen in dieser Richtung auch in Zukunft fortsetzen. Allerdings ist eine Reihe von technischen Fragen, die sich bei der Durchführung von Bauarbeiten im Winter ergeben( insbesondere Frostschuhmaßnahmen), für die klimatischen Verhältnisse Deutschlands noch nicht völlig geflärt. Das gilt sowohl für die Innenarbeiten wie für die Außenarbeiten. Das Reichsarbeitsministerium wird daher mit Hilfe der Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bauwesen in diesem Winter im Rahmen der Haselhorster Versuchssiedlung einen Verfuch mit dem Bau von 100 Wohnungen durchführen. Verhandlungen über einen anderen Versuch dieser Art in Sachsen schweben noch.
In den letzten Jahren war es möglich, die öffent= lichen Notstandsarbeiten, die vielen Tausenden von Arbeitslosen wenigstens auf die Dauer einiger Monate wieder Arbeit und Verdienst bringen, und sie die physischen