Der Abend
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Nr. 548 B 273 46. Jahrgang
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Hugenberg Parteipapst
Seine Richtlinien werden für unfehlbar erklärt.- Deutschnationale Reichstagsfraktion soll fuschen.
Staffel, 22. November.
Auf der Borstandssihung der Deutschnationalen Bolkspartei in Raffel, die sich vom Nachmittag bis in die späten Abendstunden hin30g, legte der Parteivorfizende Hugenberg in längeren Ausführungen die Leitfäße seines politischen Handelns und Wollens dar. In zu fammengefaßter Form wurden diese Leitsäge vom Parteivorstand als für alle Parteiorganisationen bindend mit 80 gegen 6 Stiminen
zu einer Art Parfeidogma erhoben.
Damit hat ber Barteivorsigende praftisch eine Erweiterung seiner Befugniffe erhalten.
Nach der Billigung der Thefen, die Hugenberg aufgestellt hat, beschäftigte sich der Parteivorstand der Deutschnationalen Bolts. partei noch in mehrstündiger, lebhafter Aussprache mit dem§ 4 des Inflationsgesetzes. Wie verlautet, endete die Aus: Sprache mit einem
Bertrauensvofum für den Parteivorfihender, bas mit starter Mehrheit angenommen wurde. Es wird versichert. daß von den nicht ganz 100 Mitgliedern des Parteivorstandes 85 an mesand waren, darunter auch eine Anzahl von denen, über die betannt ist, daß sie einen anderen tattischen Standpunkt einneh: nen als die Parteiführung.
Das Bertrauensvotum ist aufgebaut auf der Forderung Hugenbergs, daß das Gesetz in seiner jezigen Form ohne jeden Borbehalt unterstützt werde, d. h. also, daß der Parteivorstand sich dafür entschieden hat,
den§ 4 nicht fallen zu lassen.
Er hat dazu die Erwartung zum Ausdrud gebracht, daß auch die Raichstagsfrattion der Deutschnationalen Boltspartei für den§ 4 stimmen werde,
Die Stimme der Opposition.
Die deutschnationale Berliner Börsen- Zeitung" schreibt zu der Borstandssigung der Deutschnationalen Bartei in Kassel :
„ Das Referat des Abg. Sugenberg war nach unseren Informationen lediglich der Ausgangspunkt einer Debatte, die sich über fünf Stunden hinzog und in der der§ 4 des Volksbegehrens eine sehr starte Rolle spielte. Leider mußte der Abg. Schiele schon um 7 Uhr die Bersammlung verfaffen, um sich zu einer Landbundversammlung zu begeben. Nach teilweise sehr lebhafter Debatte wurde eine Entschließung angenommen, die politische Richtlinien für die Deutschnationale Boltspartei mit Bezug auf Boltsbegehren, Bolksentscheid usw. enthält und bei der der„ bindende Charakter" für alle Barteiinstanzen, ganz besonders für die Reichs. tagsfrattion, das hervorstechendste Merkmal ist. Die Entschließung wurde mit 80 gegen 6 Stimmen angenommen. Ein anderes Stimmverhältnis in diesem Gremium, das feinerzeit durch Geheimrat Hugenberg zusammengesetzt wurde, war nicht zu erwarten, um so mehr auch, als die mehr freikonser vative Richtung der Reichstagsfraktion nicht in corpore, sondern nur durch einige Herren vertreten war. In der Reichstagsfraktion hatte, soviel mir wissen, der Parteivorsigende es mit mefentlich anders gelagerten Stimmverhältnissen zu tun. Es bleibt daher ab. zumarten, welchen Eindrud die„ Bindung" der Partei- Instanzen in dem gestrigen Beschluß des Parteivorstandes auf die Reichstagsfraktion in der nächsten Woche macht, wenn der Reichstag zusammen. tritt. Die Entscheidung darüber, ob der Kurs der deutsch nationalen Balifit an der Seite Hitlers weitergeht oder nicht, scheint also um furze Zeit, vielleicht auch nur um wenige Tage vertagt zu sein,"
Arbeitslosenversicherungsgesetz in England. Im Unterhause empfahl der Arbeitsminister, Frau Bond. field, einen Geseßentwurf, der folgendes vorsteht:
Bom Jahre 1931 an Herabjehung des Bersicherungsalters, Erhöhung der Arbeitslosenentschädigung für junge Leute sowie für Er wachsene und deren Familien, verschiedene Berbesserungen zugunsten der Arbeitslofen, die tatsächlich Arbeit fuchen
Das neue Gesetz wird eine Erhöhung der Ausgaben um 12 Millionen Pfund Sterling jährlich erfordern, was die Gesamtausgabe für die Arbeitslosenversicherung auf 24,5 millionen Pfund Sterling bringen wird.
Publikum als Kriminalhelfer.
am
Die Verbrechensreihe in Düsseldorf , die 3. Februar d. 3. mit dem Ueberfall auf eine Frau Kühn begann, die durch 21 Mefferstiche verleht wurde, hat bisher neunzehn Opfer gefordert, und leider noch nicht zur Ergreifung des Täters geführt. Es ist vielmehr bei diefer ganz außergewöhnlichen Mordserie eine Art feelischer Epidemie im Spiel.
Es scheint sich bei dieser ungewöhnlichen Menge von einzelnen Bluttaten um mindestens drei Täter zu handeln. Der erste, Johann Staußberg, den man für die ersten fünf Mordanfälle und Morde in Anspruch nimmt, ist gefaßt, abgeurteilt, und da auf ihn der§ 51 zur Anwendung fam, in der Provinzial- Heil anstalt zu Bedburg- Hau interniert worden. Der zweite Täter bat in einer Nacht drei Messerattacken auf einen Mann, eine Frau und ein Mädchen verübt. Seine ganze Art des Ueberfalls und die Manier, wie er ohne jede Borbereitung auf die Opfer losstößt, vor allem aber seine von verschiedenen Zeugen ganz einwandfrei ge schilderte Persönlichkeit machen es zur Gewißheit, daß dieser Mensch nicht der Kinder- und Mädchenmörder ist, der Düsseldorf noch in Schreden versezt, sondern daß für die bluttriefenden Verbrechen und Morde an jungen Mädchen und Kindern ein Dritter in Frage fommt. Und dieser Dritte ist offenbar der Unhold, den eines seiner Opfer, die einundzwanzig Jahre alte Gertrud Schulte, mir wie folgt geschildert hat:
Der Mann war mittelgroß; im Untertiefer fehlten ihm zwei Zähne. Er hatte eine hohe, zurüdliegende fliehende Stirn, blaugraue Augen und einen stechenden Blid. Das Haar des Mannes mar blond, sein Gesicht schmal Er hatte eine ziemlich große, spige und dabei eingebrüdie Nase( sogenannte Sattelnase) und fchwache Lippen. Eine nicht zu übersehende Merkwürdigkeit des Gesichts bestand darin, daß man zwischen den schmalen Lippen beim Sprechen die Zunge spielen fah. Seine Ohren scheinen meder groß noch abstehend gewesen zu sein. Der Anzug ist gestreift gewesen, wahrscheinlich hellgrau. Der Mann trug einen grauen, offenbar weichen Hut. Gertrud Schulte erzählt, der Mann, der etwa 24 Jahre alt war, habe sich ihr vorgestellt als: Friz Baumgard.
Profeffor Jagdschein.
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Prof. v. Möller, ber die Republik beschimpfte, wurde auf Grund des 51 StGB.( Unzu rechnungsfähigkeit) freigesprochen.
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Meine Herren Unsern Heldenteifer hat uns diese Saurepublif genommen, aber den& s1 fann uns fein Gevering und fein Grzesinsti rauben!
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Ich bin in Düsseldorf den Zusammenhängen der Mordserie und den Befundungen der Opfer, soweit sie noch leben, selbst nad). gegangen und habe festgestellt, daß Gertrud Schulte, die am 25. August überfallen wurde, trotzdem sie lebensgefährlich verletzt war, sofort der Polizei die obige Schilderung des Täters geben tommte. Diese Personalbeschreibung hätte fofort überall in Düsse dorf und seiner weiteren Umgebung groß plafatiert werden müssen. Daß dies nicht geschehen ist, hat die Entdeckung des Mörders nach meiner Ueberzeugung mindestens verzögert. Denn ich behaupte und will es an einer Reihe von Beispielen beweisen, daß speziell in Mordsachen, wie die hier vorliegenden, einzig und allein das Bublifum durch seine allgemeine rege Mithilfe bei den polizeilichen Nachforschungen imstande ist, derartige Untäter dingfest zu machen. Es handelt sich hier ja nicht um Verbrecher im gewöhnlichen Sinne. Einbrecher, Diebe, Betrüger und Fälscher betreiben ihr Metier handwerksmäßig, wie man ein Geschäft be= treibt, von dem man lebt. Ganz anders der Sexualverbrecher. Er fann neben seiner unheilvollen Mordtätigkeit ein in Geldsachen durchaus ehrlicher, scheinbar normaler Mensch sein, der sich jeden Tag auf seinen Arbeitsplatz begibt und niemanden sonst zu nahe tritt. Diese scheinbare Unbescholtenheit, die sich fast bei allen derartigen Monomanen mit einer außerordentlichen Verschwiegenheit verbindet, macht es so schwer, hinter sein Tun und Treiben zu fommen. Und hier fann, wie gesagt, nur die intensivste Aufmerk jamkeit des Publikums und die immer von neuem angestachelte Neugierde und private Detektivtätigkeit aller Mitbürger helfen.- Bor etwa zwanzig Jahren haben wir eine derartige
gehabt. Es wurden damals drei kleine Mädchen erstochen und verletzt. Auch mehrere erwachsene Frauen wurden Opfer des Messerstechers. Und alle Bemühungen der Polizei waren umsonst, denn der Täter war wohl von eingen der Verletzten beschrieben, aber diese Beschreibung war nicht in geeigneter Weise veröffentlicht worden. Erst lange Zeit nachher kam der Verbrecher zur Strecke; als er nämlich mit noch einem Komplicen eine alte Papierhändlerin überfiel, dabei gestört und ergriffen wurde. Dieser Mann hieß Minow, war Epileptiker und kam, da er die Verbrechen in einem pathologischen Rauschzustand begangen hatte, in die Irrenanstalt Herzberge. Hätte man auf Minow das Publikum aufmerksam gemacht, so wäre er wahrscheinlich vorher erkannt und unschädlich gemacht worden. Weit furchtbarer hat sich die Gleichgültigkeit des Publikums und leider auch der Behörden in der Affäre des berüchtigten Frauenmörders Karl Großmann aus gewirkt, der nachts am 21. August 1921 in der Langen Straße in Berlin verhaftet murde, als er eben wieder eine Frau förmlich geschlachtet hatte. Großmann mar, nachdem er in Hof in Bayern wegen zweier am gleichen Tage begangener schwerer SittlichkeitsDerbrechen an Kindern fünfzehn Jahre Zuchthaus abgesessen hatte, im Jahre 1913 nach Berlin gekommen. Er hat also hier acht Jahre gemohnt. Es liegen fichere Anzeichen vor, daß dieser entsetzliche Mensch schon 1913 eine oder mehrere Frauen er mordet hat. Mit Schaudern fragt man sich, wieviele arme Menschenfinder in den acht Jahren, die der Berbrecher noch leben durfte, den schrecklichen Leides und Todesweg haben antreten müffen. Denn die sieben Mädchenmorde, die man dem Berbrecher nach wies, waren in den letzten beiden Monaten nor feiner Ergreifung geschehen. Zu wiederholten Malen hatten Frauen, die er attadierte ,. die Polizei auf sein Treiben aufmerksam gemacht. Es waren dies jedoch stets arme Straßenmädchen gewesen, die der babiate Mensch dadurch unglaubwürdig machte, daß er selbst fofort zur Polizei ging und behauptete, diese oder jene Frauensperson habe ihn bestohlen. Die Mädchen wurden dann mit ihren Klagen abgewiesen. Aber auch Mitbewohner des Hauses und das übrige Publikum trugen ihr Teil schuld, wenn Großmanns Treiben nicht früher zum Abschluß fam. Alle die vielen, vielen Beuginnen, die später aufmarschierten, hatten vorher geschwiegen. Und dieser Elende wäre noch nicht einmal in jener Augustnacht verhaftet morden, wenn nicht schließlich doch ein Mieter des Hauses zur Polizei gelaufen wäre und ihn angezeigt hätte, Roch meit auf