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Beilage

Sonnabend, 23. November 1929

VER

DUN

Der Abend

Shalausgabe des

Vorwäre

Reiben und Sterben für eine große Shee absensoll; Leiden und Sterben für das Baterland ist beilig."

Berner Beumelburg, Douaument". Ueber die ungezählten Schädelstätten des Weltkrieges, beren es am Totensonntag zu gedenken gilt, erhebt sich als blutiges Fanal Berdun. Der Tod von Berdun hatte sein eigenes Gesicht. Er sprang uns inmitten einer blühenden Frühlingslandschaft weit hinter Der Front an, er umtofte uns mit gellendem Gafreisch in den um­gemühlten Balbschluchten, durch die wir über die zerrissenen Körper derer hinhezten, die er blindmütig als Opfer auserforen hatte. Sein eigentliches Reich aber bildeten die Bergtuppen des Douau­ mont und des Fort Vaur, der Tote Mann und die alte Erbe". Hier tanzte der Tod von einem feurigen Kranz tofender Granateinschläge umhüllt, einen rafenben Tanz der Ber nichtung. Und das Leben entwich stöhnend diesen Stätten des Grauens.

Wir, die wir Tag um Tag, Monat um Monat und Jahr um Jahr mit dem Tode auf Du und Du gestanden haben, hatten ver­lernt, den Sinn des Sterbens zu begreifen. Bir haben es nie recht nerftehen tönnen, daß blühendes Leben um uns plötzlich in das Richts versant oder verstümmelt und zerfest fich am Boden mand. Haben mir aber darum dieses sinnlose Sterben vergessen tönnen? Niemals!

Verdun hat die Kraft zmeler Bölfer gefressen. Mit dem Blute von anderthalb Millionen Menschen ist seine Erde gedingt und von diesen liegen 500 000 auf den Bergtuppen, in den Baldern, Schluchten und Trichtern begraben. Aber auch die ungezählten anderen, die dem Leben wiedergegeben wurden, hat das Ungeheuer Verdun nicht mehr losgelassen. In mirren Träumen taucht es aus den Tiefen des Bewußtseins auf, preßt den Schläfer, wie ihn der Druck der schweren Granaten zu­fammengepreßt hat, und zerrt an ihm, wie die Schreie hilfloser Berwundeter damals an seinem Innersten gezerrt haben. Wer in die große Dunkle Gruft Berdun hineingeblickt hat, trägt daran ein Leben lang.

Das Reichsarchiv, das die Geschichte des Krieges bearbeitet, hat jetzt ein dreibändiges Best Die Tragödie von Berdun, Berlag Gerhard Stalling , Oldenburg , herausgegeben. Das Berf führt uns den langen Todesweg vom Beginn der Berdunschlacht im Februar 1916 über die Zermürbungsschlachten im Frühling und Sommer bis zu dem großen Gegenschlag der Franzosen im Oktober und Dezember 1916.

Der wudytige Angriffsstoß der Deutschen hatte die franzö fischen Truppen auf das stärkste erschüttert. Bis in die Straßen von Berdun hatten sich Teile des Regiments 347 geflüchtet. 3mei dabei befindliche Unterleutnants wurden auf Befehl des Divisionskommandeurs General Boyer magen Feigheit erschossen."

Den in den deutschen Reihen plaßgreifenden Demoralisierungs­prozeß schildert das Reichsardhin mit der folgenden einfachen, aber für jeden Mitkämpfer vielsagenden Feststellung:

,, Wieder eine jener furchtbaren Ablösungen vor Berbun in Nacht und Regen, über Höhen und durch Schluchten, zerschossenen Wald und wegloses Trichterfeld... ohne Schutz der Hölle des Sperrfeuers preisgegeben. Führer werden durch Berfügung ge= stellt, Führer, die sich selbst nicht zurechtfinden und im Dunkel der Nacht verschwinden, wenn ein Feuerüberfall die Truppe zu Boden schlägt. Und wie viele von der eigenen Iruppe verschminden mit ihnen, denen die Nerven fraft gegenüber den Schreden einer solchen Nacht versagt.... Bayerische Truppen werden durch die beginnende Lageshelle ge nötigt, in der Albainschlucht zu vermeilen, wo die dürftigen Unter­fchlüpfe teinen Schuß gegen ein vom Morgen bis zum Abend rajendes Trommelfeuer, von feindlichen Fliegern auf die er spähten Reserven gelenti, gewähren. Und die Truppen, die folche seelischen Martern ertragen haben, müssen in der nächsten Nacht in die vorderste Linic... die Kompagnien noch 60 Mann start."

Immer wieder dringt auch in dem Generalstabswert des Reichs: archivs die Frage durch: Warum Fortsetzung dieser sinn los gewordenen Schlacht? Warum Aufopferung und De­moralisierung sämtlicher verfügbaren Eliteforps, die, mie die anderen alle, schon durch das furchtbare Feuer in der tilometerweiten Tiefen zone versprengt und dezimiert an die Front gelangten. So zeigt uns dieses Generalstabsmert unbewußt die Tragödie von Verdun als ein grauenvolles Symptom für die Sinnlosigkeit des Krieges überhaupt.

Härten mit fallender Stimme, alles fei verschüttet und vernichtet. Ein Rompagnieführer aus der Verdun - Linie wanfte mit wilden Armbewegungen, von dreien seiner Beute gehalten, durch die dröhnenden Gänge und schrie mit heiserer Stimme, er molle feinen Rommandeur erschießen. Ales faß eng zu famanengebrängt und biß die Zähne aufeinander. Es tonnie nicht lange so bauern..

Bon dem in vorderster Linie eingefeßten Bataillon der Leib­Grenadiere zählte man am Abend dieses furchtbaren Tages ins­gesamt 3 Offiziere und 64 Mann. Die fauerten irgendwo im Innern des Douaumont a ßen nicht und redeten nicht und ließen sich auch durch den Kampflärm über ihnen nicht emporreißen. Die fünf legten Tage im Trichterfeld hatten ihnen die Seele aus dem Leibe gehämmert." Fünf Monate später:

...

,, Abermals begann vor, auf, neben und in dem Douaumont ein furchtbarer Tanz. Der letzte. Splitterndes Getrach sausender Eisengefäße sang die schaurige Ouvertüre. Letzte Schreie vieler Hunderter von Sterbenben, hohles Röcheln aus zerschoffener Brust, Chaos truntener Bernichtungsträfte lärmte im aufdonnernde Erdspalten, zerbrechende Mauern, ein irres höllischen Orchester, als am Nachmittag des 23. Oftober 1916 der Douaumont aufstand und Flammen spie

Bur Untätigkeit verdammt, warteten die Douaumont- Berteidiger in den Rasematten und Gängen. Da vollzog fich das Berhängnis ... 12% Uhr mittags ist es gewesen... Für die Dauer einer Gefunde wurde der ungeheure verworrene Bärm der Artillerie­schlacht überbrüllt von einem fürchterlichen Laut. Wühlend fuhr es in den Douaumont und verbreitete tief in seinem Bauch einen aufbrüllenden Donnerschlag, der Menschengeschrei brutal verschlang. Schwefelgestant und Feuerschein zog umher. Der erste Souß einer bisher undekannten schweren Artillerie. Er mar mitten ins Lazarett gegangen. Wie gelähmt wartete alles, was Leben zwei drei pier. hatte im Fort, zählte die Minuten. Ein

-W

Ehe zehn Minuten vorbei waren, brüllte der zweite Schlag. Wieder das hoch ausholende Geheul... in gieriger Heiserfeit und Glut fast fentrecht herabstürzend... Die in der Kasematte 8 gelegen haben, erzählen nichts davon, wie es geschehen ist. Die ganze Stasematte Der sechste Schuß endlich trifft tödlich..." ist zugeschüttet." Die ganze Besagung drängt sich im unteren Gefechtsgang zu­drinnen raffeln sammen. Draußen lärmt die Artillerieſchlacht..., die Kettenerplosionen der Maschinengewehrmunition... heulen und sausen die Flammen. Mit ungeheurem Zischen explodieren Der Franzose hält alle Aus: stapelweise die Leuchtkugeln.... gänge unter Gasbeschuß..

Im Morgengrauen des 24. Oftober bewegt sich ein seltsamer Bug über das Nordglacis des Douaumont. Immer zwei Gestalten tragen zwischen sich eine Bahre. Stolpern... sezzen ab

schnaufen... erbrechen sich... und wanken weiter." Die Letzten vom Douaumont!

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Leiden und sterben für eine große Idee ist ehrenvoll; Leiden und Sterben für das Bater land ist heilig." Werner Beumelburg hat diese Worte seinem Douaumont vorangestellt. Niemand von uns, der den Spruch nicht fennt. Vor dem Kriege wurde er in die Köpfe der Schüler und Mo- fennt. Refruten eingehämmert, aus dem Arsenal des klassischen Altertums übernommen, wurde er durch die Jahrhunderte hindurch von Kanzeln und Kathedern herunter den Völkern gepredigt und auch heute noch

Wie alle friegsgeschichtlichen Werke, behandelt auch die Arbeit des Reichsarchivs die Geschehnisse vom rein militärischen Stand punkt. Das Bestreben zu möglichst objektiver historischer Forschung ift anzuerkennen. Eine besondere Note erhält das Werf durch die häufige Inanspruchnahme französischer Quellen. Da erfährt man van den gleich schweren Konflikten innerhalb der französischen Gene­ralität wie im Hauptquartier der Deutschen . Die Meinungen platzen Noch eindrucksvoller ist das gleichfalls vom Reichsarchiv heraus aufeinander. Soll die Massenschlächterei aufgegeben, soll sie fort gegebene Buch von Werner Beumelburg : Douaumont gesetzt werden? Immer wieder sehen sich aber auf beiden Seiten( Berlag Gerhard Stelling, Oldenburg .) Beumelburg , der lange Mo­die Generäle im Kriegsrat durch, die an die 3meifler mit dem 2n nate vor Berdun als Pionier gelegen hat, fragt in diesem Buch nicht, sehen der Nation und mit dem Prestige der Armee was gut oder schlecht, was falsch oder richtig war, er zeigt das Ge­appellierten und Fortsetzung des Kampfes bis zum Weißschehen in seiner ganzen Geschlossenheit; ,, wie das Douaumont uns So wurde Division auf Division in den Schicksal wurde. Dieses Erfaffen von Berdun", diese Kraft der brobelnden Herenfeffel geworfen, zu Schlacke ausgebrannt, durch Darstellung gehört zu dem Stärksten, was die Kriegsliteratur bisher neue Truppen ersetzt, bis auch diese zermahlen und zerschrottet geschaffen hat. An dieser Feststellung ändert auch die Tatsache nichts, daß Beumelburg aus seinem Erleben nicht die Folgerungen zieht, die von der überwiegenden Masse der Frontfämpfer und dem größten Teil der Menschheit gezogen werden, die mehr als vier Jahre unter der Geißel des Krieges geblutet und gelitten hat. Aber dies ist hier nicht das Entscheidende, denn die Kraft der Darstellung ist groß genug, um jedem Leser eigene Schlüffe aufzuzwingen. Raffen wir Beumelburg selbst sprechen:

bluten erzwangen.

maren.

Auch die Verfasser dieses rein friegsgeschichtlichen Bertes fönnen sich dem Grauen, das die Schlachtfelder vor Berdun beherrschte, nicht entziehen:

gen an.

Das feindliche Artilleriefeuer steigerte fich nachmittags 34 gewaltiger Stärke und tabte als Trommelfeuer besonders auf der Chauffourschlucht. Infolge der allzu starten Häufung von Trup­pen richtete das feindliche Feuer grauenhafte Berheerun­Besonders furchtbar war der moralische Ein. drud der in die Berbandspläße schlagenden Bolltreffer, mo Reihen Schwerverwundeter auf Bahren ihres Abtransports barrien. Ebenso litten die noch nicht geborgenen, hilflos im Chauffourwalde liegenden Berwundeten, die jeden Augenblic er­warten mußten, vollends zerrissen zu werden. Die Selbst. marterung der Gedanken führte hier in mehreren Fällen zu Irrsinn."

Mit wachsender Unruhe sahen die Generale auf beiden Seiten Den erschredenden Zermürbungs- und Demoralisierungsprozeß, der Die Reste der aus der Kampffront zurüctehrenden Truppen erfaßt hatte. Der Franzose Balat, der von dem Reichsarchiv pft als Quelle benutzt wird, gibt von den Kämpfen um die Thiaumont- Feste folgende in all ihrer Rürze erschütternde Schilderung:

Und der Tanz hob an... Seit dem Nachmittag des 18. Mai Derfant das Douaumont hinter einem Borhang von Qualm und Feuer. Es begann eine ungeheure Leidenszeit für die Männer, die in ihm zusammengedrängt lagen.... Sonnenflares Maiwetter strahlte über der Erde. Hoch oben gligerten die Leiber französischer Flieger. Ringsum auf dem Gelände lag ein einziges Gewitterbeben, ein paufenlofes Rollen und Schüttern. Der Hammerschlägen schwerster Granaten langsam zu zerbrödeln, von Douaumont begann unter den unaufhörlich niederbrechenden Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde." 2ier Tage später:

,, Der Südostpanzerturm verfant als lester Beobachtungspunkt in Stein und Eisen. Blind lag der Koloß Douaumont den töd lichen Hommerschlägen ausgesetzt. Er brödelte nicht mehr, er begann tnirfchend zu zerbrechen. Bon vorn tommende Verwundete er

-

Gefühl appelliert und das Gefühl irreleitet, um den gesunden nein, auch heute noch nicht, hat man den Sazz, der an das Menschenverstand zu töten, aus dem Bewußtsein der Völker ver­bannt.

Nun denn, Beumelburgs ,, Douaumont" und das Generalstabs­mert über Berdun sind die besten Kronzeugen, um die grausame Berlogenheit dieses Sages, seine sich hinter einem pathetischen Ethos verbergende Unmoral aufzudecken. Gewiß ist ein Mensch zu ver­ehren, der für eine Idee Leiden und Tod auf sich nimmt, wenn auch das Leiden der Millionen im Weltfrieg, je länger es dauerte, ein vom Militarismus aller Länder erzwungenes war. Aber zeigen nicht gerade die Werke, von denen hier die Rede ist, daß dieses Leiden und Sterben der Millionen, dieses Weißbluten ganzer Bölter einem mutzlofen, in seinen Teilhandlungen und schließlich auch in feinem Ganzen verbrecherisch- wahnwigigen Unterfangen entsprang?

Leiden und Sterben für eine große Idee ist ehrenvoll; Leiden und Sterben für das Baterland ist heilig" aber der Krieg ist es nicht, der Krieg ist ein Verbrechen! Das schreien uns die 12 Millionen Toten des Weltkrieges aus ihren Massen. gräbern zu, das rufen die Toten und Berlegten von Berdun Werner Beumelburg entgegen und auch er müßte unter der Logik diefer furchtbaren Sprache in das Bekenntnis der Friedensfreunde ein­stimmen: Nie wieder Krieg!" Alle Kraft daran wenden, den Krieg aus dem Leben der Völker auszuschalten( und mag die Aufgabe noch fo schmer scheinen), das ist die größere Idee und das ist die heiligere Aufgabe. Rolf Bathe.