Morgenausgabe
Nr. 551
A 277
46.Jahrgang
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Vorwärts
Berliner Boltsblatt
Genntag
24 November 1929
Die
Groß- Berlin 15 Pf. Auswärts 20 Pi.
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Volfsentscheid oder nicht? Was ist Marrismus?
Montag endgültige amtliche Feststellung.
Der Reichswahlausschuß tritt am Montag vor mittag um 10 Uhr im Bureau des Reichswahlleiters zur Prüfung der Ginzeichnungen für das Bolts begehren zusammen.
Die genaue endgültige Zahl der Eintragungen wird wahrscheinlich am Montag noch nicht festgestellt werden fönnen, jedoch wird der Ausschuß endgültig feststellen, ob die erforderliche Einzeichnungsziffer überschritten ist oder nicht.
Wahrscheinlich wird die erforderliche Zahl erreicht wor ben sein aber der Ueberschuß wird außerordentlich geringfügig sein.
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Der einmütige Wille.
Hugenbergs Programm- und wie sie es auffaffen. Nach dem Aeußeren zu urteilen, hat die gesamte Deutsch nationale Partei vor dem Diktator Hugenberg gefuscht, fein Wille ist zum Dogma erhoben, und jede Abirrung von der Linie der unversöhnlichen Opposition wird als Regerei ver dammt. Das ist die hugenbergoffizielle, orthodore Anfchauung. sch
Die Deutsche Beitung" ats Stabstrompeter Hugenbergs schmettert also:
Hände weg von Hugenberg ! Man darf diefen Barteitag chne Uebertreibung: nis gefchichtliches Ereignis westen. Denn es handelt sich darum, der größten Partei der nationalen Opposition die fittliche, politische, wirtschaftliche und tattische Grundlage zu geben. Die tleinlichen Norgelelen wirt. topfiger Ehrgeiziger, die sich in legter Zeit hier und da bemerkbar machten, haben das eine Gute gehabt, daß sie diese Notwendigkeiten besonders unterstrichen haben... Alle grundlegenden Beschlüsse wurden in allen Instanzen einstimmig oder mit überwältigender Mehrheit gefaßt. Einstimmig wurde Dor allem das von Hugenberg niedergelegte politische und tattische Programm gebilligt.
Diefer einmütige Wille wird nun hinausftrömen ins Cand. Jetzt, wo es tein Drehen und Deuteln mehr geben tann, wird man in den weitesten Kreisen auch das verstehen, was hugenberg am Schluß seiner großen Rede am Freitag feststellte: Daß feinem Stand unseres Voltes mit augenblicklichen Borteilen geholfen wird, sondern einzig und allein durch Aenderung der inneren Machtverteilung."
Einmütiger Wille, fein Drehen und Deuteln mehr! Aber ach, schon liest man in der Kreuz 3eitung": Mit anderen Worten bedeutet also die Auffassung des Partei. vorsitzenden, die vom Parteitag geteilt wird, ein Festhalten an
Unzufriedenheit in Moskau . Demonftration gegen die Sowjetreaierung.
Bie dem Mitteilungsblatt der russischen Sozialdemokraten aus Moskau berichtet wird, ist es dort am Sonntag, dem 3. November, zu einer spontanen Rundgebung der Unzufrieden heit der Arbeiterschaft mit der Politik der Sowjetregierung getommen. Im Arbeiterbezirk Bresnja fand im Laufe des Abends ein Maffenauflauf am Roten Presnja- Platz ftatt, der sich allmählich in eine vielhunderttöpfige Bersamm. lung verwandelte, in der im Berlauf einer Stunde mehrere Redner 1charfe Kritit an der Regierung übten. Als fich die Bersammelten in Bewegung fetten, um in geschlossenem 3uge das Stadtzentrum zu erreichen, wurden sie von heraneilenden ( Schuhpolizei) ausein Milizabteilungen
Bon der Sowjetpresse wird dieses unandergetrieben gewöhnliche Ereignis ängstlich verschwiegen.
Es wird pünktlich geräumt. Briand im auswärtigen Kammerausschuß. and im
Paris , 23. November.( Eigenbericht.) Briand berichtete am Freitag vor der auswärtigen Kommission ber franzöfifden Rammer über die schwebenden internationalen Fragen. Er erflärte. Daß selbst, wenn bis zum Januar noch ge. wife Schwierigfelten über Einzelfragen beftünden, dies die Ratifi.
fation der Haager Abkommen nicht verhindern fönne. 3u ter Frage der Rheinlandräumung werde man allerspätestens bis Ende februar wissen, ob der Young- Plan in Kraft treten fönne oder
der bisherigen nationalen Opposition, die teinerlei Kompromiffe zu machen geneigt ist. Selbst perständlich. hat aber die unentwegte Opposition für einzelne, Berufsstände gewisse Nachteile im Gefolge. Es ift deshalb zu begrüßen,
Privatiffimum für einen Geheimrat.
Eine altrussische Anekdote erzählt: In Petersburg wird miles insuauf der Straße ein Mann fürchterlich verprügelt. Baffanten machen Miene, ihm zu Hilfe zu eilen. Da wendet sich einer der Angreifer ihnen zu und ruft: Wißt ihr denn nicht, mer das ist? Das ist ein Kommentator!" Ach so," sagen die Baffanten ,,,, bann verdient er die Prügel", und gehen weiter. Was in dieser russischen Anekdote der Kommentator" ist, das ist für den Geheimrat Hugenberg und seine Schwarzen Hundert der Margift". Nämlich das eine wie das andere ist ein Wort, bei dem sich mindergebildete Leute nichts Dorftellen fönnen. Wird es aber in Verbindung mit Ausdrücken heftigsten Abscheus gebraucht, so entsteht die Borstellung, daß sich hinter ihm etwas geheimnisvoll Feindliches und Gefährliches verbergen müffe.
daß, wenn auch nicht in der öffentlichen Rede, so doch nach den bekanntgewordenen Berichten über die Tagung des Parteivorstandes einzelnen Berufsständen, besonders der nofleidenden Landwirtschaft gewiffermaßen zugejagt worden ist, daß hier eine Zusammenarbeit mit den staatsbürgerlichen Parteien von Fall zu Fall troh der grundsätzlichen Opposition mohl möglich ist. Insbesondere ist hier wohl an die Grüne Front gebachi worden, die sich von den Deutschnationalen über das Zentrum bis zur Bolfspartei erstrect." nod
Bor den Kulissen: Kein Drehen und fein Deuteln! Hinter den Kuliffen: wie wir es auffaffen. Bor den Kulissen: unentwegte Opposition! Hinter den Kulissen: opportunistische Tattik im Parlament! Bor den Kulissen: feinem Stand fann augenblicklich geholfen werden! Hinter den Kulissen: aber natürlich wird den Agrariern geholfen!
aber mit
Da hätten wir also den einmütigen Billen der Hintertürl Fünfzigprozentig Hugenberg, und fünfzigprozentig Reichslandbund. Jedem das Seine!
Der Privatbrief von Treviranus . Der peinliche Zwischenfall" während der Tagung des deutsch nationalen. Parteiporstandes bestand. nach einer Mitteilung der Hamburger Nachrichten in folgendem:
dt Im Rahmen der Diskussion hat Hugenberg dem Bartel Dorstand Kenntnis gegeben von dem Inhalt eines Schreibens, das der Abgeordnete Treviranus an einen ihm berannten Bolititer gerichtet hat und in dem er sich fritisch mit der Politif des Barteivorsitzenden beschäftigt und um die Mitteilung der Ansicht seines Freundes bittet über die Frage, wie angesichts der gegebenen Berhältnisse eine wirtlich tonservative Politit betrieben Politit betrieben werben fönne, vor allem, ob der Weg einer Neugründung einer Bartei gangbar wäre. i zalid blen
Auf welche Weise dieses Schreiben in die Hände des Partei vorsitzenden gelangt ist, ist bis zur Stunde noch nicht aufgeklärt.
Menschen von niedriger Bildungsstufe leiden bekanntlich überhaupt an der Neigung, in einem verdächtig scheinenden Bersonenkreis die geheime Ursache aller Uebel zu erbliden. Juden, Jesuiten oder Freimaurer haben in ihrem primitiven Denten die Funktion der Heren und bösen Geifter übernehmen müffen. Alles Fatale, das im privaten oder öffentlichen Leben passiert, wird ihrem geheimen bösen Einfluß zugeschrieben.
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Der Geheimrat Hugenberg glaubt nicht an Juden, Jesuiten oder Freimaurer dazu fennt er feine Redakteure zu gut. Dafür aber hat er die Weisheit entdeckt, daß alle lebel der Welt, von den Zahnschmerzen angefangen bis zum Young- Plan, einzig und allein vom Margismus herrühren.
Was ist Margismus? 3weifellos etwas, worüber man, wenn der Geheimrat Hugenberg nicht dabei ist, sehr ernst reden fann. Karl Marg, den die Gelehrten ohne unterschied der Partei als einen der größten Geister des neunzehnten Jahrhunderts anerkennen, hat auf das politische, soziale und ökonomische Denken unserer Zeit einen gewaltigen Einfluß. Dieser Einfluß beschränkt sich längst nicht mehr auf eine Partei oder auf eine Gruppe von Parteien; er wirft weit in bie bürgerliche Wissenschaft und durch sie in bürgerliche Kreise hinein. Gewisse naive Theorien zur Berteidigung des tapitalistischen Systems oder ebenso naive Versuche, die Tatsache der Klassengegen= fäße abzuleugnen, sind seit Marg so unmöglich geworden, daß man sie nicht einmal mehr auf einem deutschnationalen Parteitag vortragen fönnte, ohne ausgelacht zu werden.
Wer vermöchte heute die Tendenz des Kapitals zu immer stärkeren Zusammenballungen, mie fie Marg so genial vorausgesehen hatte, zu bestreiten? Wer ist noch so blind, die unDiefer Zwischenfall wird natürlich die zuständigen Parteiinstanzen geheure Bedeutung der Klassentämpfe in der Entwicknoch beschäftigen, von deren Spruch es abhängen wird, ob berung der Menschheit zu übersehen? Und hat nicht die marristiAbgeordnete Treviranus noch Mitglied der Deutschnationalen sche Erkenntnis der tiefen Zusammenhänge zwischen den materiellen Produktionsformen der Gesellschaft und ihrem Bolkspartei bleiben fann." geistigen Sein den Gelehrten ohne Unterschied der Bartei neue Wege fruchtbarer Forschung geöffnet?
Die Beinlichkeit hat also darin bestanden, daß Herr Hugenberg im Besize eines Privatbriefs war, den Herr Treviranus an einen Dritten geschrieben hat. 113
nicht Falls nicht, so fönne von einer Räumung selbstverständlich feine Rede sein. 3m entgegengefeßten Fall jedoch habe Frankreich teinerlei Interesse daran, die Räumung hinauszuschieben. Briand betonte, daß in dieser Frage zwischen ihm und Tardieu feiner lei Divergenzen bestünden. Er stimme mit Tardieu dahin überein, daß bis zur Ratifikation des Young- Planes die für die Räumung vorgesehenen Fristen noch nicht zu laufen begonnen hätten. Da aber die Ratification aller Boraussicht nach spätestens im Februar erfolgen werde sei es immer noch möglich, die Räumungsarbeiten abzufürzen, so daß die Räumung der britten 3one zu dem vorgesehenen Termin, also zum 30. Juni 1930, be= endet fein werde.
Truppen und Gendarmerie abgezogen.
Die franzöfifche Gendarmerie ist aus Neuwied , Ahrweiler und Andernach abgezogen. Nachdem bereits gestern die franzöfifche Gendarmerie Diez , Montabauer, Oberlahnstein und Bad Ems verloffen hat, ist nun der Koblenzer Brüdentopf rechts des Rheins mit Ausnahme einer fleinen Fahnenwache auf der Festung Ehrenbreitstein von der Besagung vollständig befreit.
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in Aber ohne Bewustfein.
Die Agonie Clemenceaus dauert fort. Der Rrante bat feit Sonnabend früh das Bewußtsein verloren. Man erwartet sein Ableben spätestens Sonntag früh. Um Mitternacht lebte er allerdings noch, entgegen allen Voraussagen der Aerzte.
Mit den Lehren des großen Karl Marg ist es ebenso gegangen wie mit den Lehren aller anderen Großen: ein Teil von ihnen wird geistiges Allgemeingut, ein Teil wird durch neue Tatsachen und Erkenntnisse überholt. Zwischen diesen beiden aber liegt ein dritter wesentlicher Teil, um den noch gefämpft wird. Den Auflösungs- und Berdauungsprozeß. dem jede neue Idee bei ihrer Aufnahme durch die Gesellschaft unterworfen ist, müßte man einmal am Margis mus ausführlich darstellen. Aber freilich könnte das nur ein sehr gelehrter Marrist!
Eine solche Untersuchung würde zweifellos ergeben. daß es heutzutage fein Hirn mehr gibt, das sich dem Lichte Marr selbst nicht das so scher Lehren völlig entziehen tönnte schwer zugängliche Dentorgan des Geheimrats Hugenberg.
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Echter Marrismus ift also eine Angelegenheit der Wissenschaft. Freilich ist er auch für sie eine so vertradte Angelegenheit, daß sie heute raum sagen fann, was er eigentlich ist! Man fann die Lehren von Karl Marg darstellen aber die find noch nicht Marrismus. Marrismus ift An wendung der wissenschaftlichen Auffassun gen von Marg auf die Gegenwart. Marg ist im Jahre 1883 gestorben, und in den 46 Jahren seitdem haben wir in öfonomischer, politischer und allgemein- geistiger Be ziehung einen ungeheuren Revolutionierungsprozeß durch gemacht. Inwieweit dieser Revolutionierungsprozeß die Lehren des Meisters bestätigt hat, wie weit er ihre Neuanpaffung an die Tatsachen erfordert, darüber sind die Meinungen geteilt.
Heute berufen sich Sozialdemokraten und Rommunisten auf Marr. Durch zweierlei Auslegung und Fortbildung ein und derselben Theorie versucht man zwei ganz verschiedene Arten von Politik geistig zu fundamentieren. Wieweit ist nun die heutige Sozialdemokratie und wieweit ist der heutige Kommunismus noch als„ marristisch" zu betrachten? Auch dies ist wieder eine Frage, die nur durch eine langwierige gelehrte Untersuchung und auch dann