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Morgenausgabe

Nr. 553

A 278

46.Jahrgang

Böchentlich 85 Bt. monatile 3,60 m. Im soraus zahlbar. Boftbezug 4.32 2. einschließlich 60 Bfg. Boftzeitungs- und 72 Big. Boftbeftellgebühren. Auslands abonnement 6- M pro Monat.

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Der Borwärts ericetnt wochentag lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, die Abendausgaben für Berlin und im Handel mit dem Titel Der Ubend". Jlluftrierte Beilagen Boll und Zeit" und Kinderfreund. Ferner Unterhaltung und Wissen..Frauen. timme". Technit Blid in bie Bücherwelt und Jugend- Borwärts

Vorwärts

Berliner Boltsblatt

Dienstag

26. November 1929

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.

Die stafpetttee Ronpareillezette 80 Pfennig. Reflamezeile 6.- Reichs mart Aletne Anzeigen das iettge brudte Mort 25 Bfennig( guläffig met Fettgebrudte Borte), jedes weitere Bors 12 Bfennig. Stellengesuche das erste Bort 15 Bfennig, jebes mettere Bors 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben ablen für met Borte Arbeitsmarb Belle 60 Pfennig. Familienanzeigen Beils 40 Pfennig. Anzeigen annahme im Haupt elchäft Lindenstraße 3, wochentäglic von 8 bis 17 Ubr.

Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Redaktion und Verlag: Berlin SW 68, Lindenstraße 3 Vorwärts- Verlag G.m.b.H.

Fernsprecher: Donhoff 292-297. Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin .

Kabinettskrise in Belgien .

Regierung Jaspar durch den Sprachenkonflikt gesprengt.

Brüssel , 25. Kovember. Das belgische kabinett ist heute abend zurüdge. treten.

Die Demission des Kabinetts Jaspar ist auf die Gegen­fäße zwischen Flamen und Ballonen in der Sprachen frage zurückzuführen. Dieser Gegensatz übertrug sich auch auf die beiden Regierungsparteien, da die in ihrer großen Mehrheit wallonischen Liberalen mit den Zuge ständnissen nicht einverstanden waren, die die in der Haupt­fache flämischen Katholiten den Wünschen der Flamen zu machen bereit waren.

Innerhalb des Kabinetts hatte man das Menschenmögliche versucht, um durch ein Kompromiß die seit zwei Wochen drohende Krise zu vermeiden. Das Kompromiß sah nament lich eine weitgehende Flamisierung der Genter Universität vor, die hisher in der Hauptsache franzöfifch war und von den Flamen als ein Fremdkörper, mitten im Herzen ihres Sprachengebietes empfunden wurde.

Die liberalen Minister hatten sich, wenn auch schweren Herzens, mit dieser Neuregelung und mit anderen Einzel­heiten des Kompromisses einverstanden erklärt. Es scheint aber, daß die Rebellion in ihrem Lager so start war, daß

diese Einigung wieder rüdgängig gemacht werden mußte. Daher die nun beschlossene De mission der Regierung.

Eine Lösung dieser Krise ist schwer zu erbliden. Die einzige Partei in Belgien , der es gelungen ist, unter sich Sozialistische Arbeiterpartei . Aber nach den eine Einigung über die Sprachenfrage zu erzielen, ist die jüngsten Erklärungen ihres Führers Bandervelde auf dem fürzlich abgehaltenen belgischen Parteitag ist die belgische Sozialdemokratie entschlossen, in diesem Barlament feine Regierungsfoalition einzugehen. Daher sind Neuwahlen als einziger Ausweg nicht undenkbar.

Die belgische Krise tann aber noch eine besondere außen­politische Bedeutung erlangen. Der bisherige Mi nisterpräsident Jaspar mar befanntlich zum Präsiden ten der Haager Konferenz bestimmt worden, die zur Zeit nur als vertagt gilt. Ihm lag nun die Auf­gabe ob, die Schlußtonferenz einzuberufen Es wird Aufgabe aller beteiligten Regierungen sein, dafür zu sorgen, daß durch die belgische Krise und ein mögliches Ber­schwinden Jaspars aus der Regierung nicht etwa ein neuer Grund zur abermaligen Berschiebung des Zusammentretens der Haager Schlußkonferenz entstehe, und damit in den Augen der Tardieu und Maginot ein neuer Borwand für die Berzögerung der Rheinlandräumung.

Terror in Polen .

Neues zum Offiziereinbruch in den Gejm.

Der polnische Ministerpräsident Switaliti hat in einem öffentlichen Vortrag ziemlich deutlich den Staatsstreich für den Fall angekündigt, daß das Parlament nicht selbst beschließe, seine Rechte bis zur Bedeutungslosigkeit einzuschränken. Das ist derselbe Herr Swilalski, der am 31. Oftober bei der Sejmeröffnung plötzlich frant" war, um sich nicht wegen dem Offiziereinbruch verantworten 30 müffen. Ueber jene und manche anderen Borgänge unter dem Pilfudffi- Regime dringt nach und nach mehr durch; wir feilen einiges davon im Folgenden mit.

Ganz nahe vom Sejmgebäude ist ein Militärhospital. Darin war am 31. Oktober ein Infanterieregiment versteckt, sein Kommandeur war mit bei den Offizieren im Sejmgebäude, und es waren in diesem Spital Betten, Operations- und Verbandmaterial sowie heißes Wasser vorbereitet. Die Offiziere waren in den Sejm vollbewaffnet eingedrungen, obwohl der polnische Offizier den Säbel nur dann zu tragen verpflichtet ist, wenn er das ganze Riemenzeug anhat. Außer Säbel und Pistole trugen die Offiziere auch- Reitpeitschen. Einer von ihnen stand vorn an der Saaltür, um ,, nötigenfalls die anderen herbeizurufen. Der Plan war, wenn sich die Opposition gegen Pilsudsfis Schimpfereien auflehnen follte, hineinzuffürmen und über die Protestierenden herzufallen, den bekanntesten Gegnern der Dif­tatur die Kleider herunterzureißen und ihre nadien Körper vor aller Welt zu peifschen.

Diesen Offizieren trug der Senatspräfident, ein Augenarzt, persönlich Stühle in die Borhalle, damit sie nicht stehen müffen. Und als der Sejmmarschall Dafzinski dem Marschall Pilsud­sti vorhielt, daß bewaffnete Offiziere ins Barlament eingedrungen feien, fragte Bilsudski, woher Daszinski wiffe, daß diese Offiziere

bewaffnet seien.

Pilsuditis Attentatsfurcht.

Seitdem der ehemalige Revolutionsfämpfer Pilsudski den Dik­tator mimt, fürchtet er Anschläge auf sein Leben. Diese Angst hat fich zu jenem frankhaften Maß gesteigert, wie es etwa von dem ruffischen Zar Paul berichtet wird, dessen Schreckensherrschaft die Berschwörung des Grafen Pahlen ein Ende gemacht hat. Pilsuditi mohnt im Belvederepalast. Bor seinem Fenster im Erdgeschoß stand ein Gendarm Posten. Eines Tages wurde dieser Gendarm durch einen Schuß aus dem Zimmer getötet.

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Das sozialistische illustrierte Familienblatt Bobubta"( Für die Hütte) hat in einer Reihe seiner Nummern alle, die über die Todes ursache jenes Gendarmen etwas wüßten, aufgefordert, sich zu melden....

Die Verfolgung der Arbeiterpresse. Der Barschauer Robotnit" leidet unter der Konfistationswut bes Bifubfti- Surfes bald fo, wie er zur Zeit ber Redaktionsführung

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-Pilsudskis die zaristischen Verfolgungen zu spüren hatte. Außer dem versucht man, die materielle Schädigung unseres Bruder­blattes noch folgendermaßen zu steigern: Wenn in gespannter Situation, wie in den Tagen nach dem 31. Oftober, der Robotnit" oder seine Extrablätter mit besonderem Interesse erwartet werden, besetzt die Polizei die Warecastraße, verhindert das Weg­tragen der Blätter, tastet sogar jeden Bassanten ab, ob er nicht Zeitungen bei fich trage und gibt die Berbreitung erst fret, menn Regierungsblätter erschienen sind, die sich inzwischen die felben Nachrichten haben verschaffen fönnen. So wurde es zum Beispiel gemacht, als der Robotnit" den Wortlaut des amtlichen Briefwechsels zwischen dem Staatspräsidenten und dem Sejm marschall veröffentlichte.

Bie starb General Zagoriti?

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Man erinnert sich noch der Affäre jenes polnischen Generals Man erinnert sich noch der Affäre jenes polnischen Generals 3agorsti( sprich Sagorffi), der von Wilia nach Warschaut gebracht oder berufen wurde und dort spurlos verschwunden" ist. In Wahr heit hat man seine Leiche schon am nächsten Tage gefunden ohne Kopf! und schnell vergraben. Der Senator Dr. Tromp czynsti, Führer der Rechten, ehemaliger Reichs- und Landtags: abgeordneter in Berlin , brachte diese schauerliche Mordtat im Aus­Schuß zur Sprache. Die Presse griff fie auf. Mehrere Journalisten wurden darauf nachts überfallen und schwer mißhandelt, einem dabei ein Auge ausgeschlagen. Die Täter waren in einem Auto bes- Bolizeipräsidiums gelommen und davon gefahren!

präsidenten Moscisti, der ihr aber versicherte, ihr Bruder lebe. Die Schwester Zagorffis führte bitterste Klage beim Staats Darauf die Schwester in ihrer Berzweiflung: Dann, Herr Bräfi­dent, wünsche ich Ihnen nicht, daß Ihre Kinder ebenso leben!" Kurz darauf starben aus bis heute ungeklärter Ursache Mosciftis Sohn und Schwiegerfohn. Der Staatspräsident war über diefes Omen", über diese Rache des Opfers" so bestürzt, daß er zurücktreten wollte. Doch Pilsubsti erlaubte es nicht....

Mobilisierung der Eisenbahner!

Um einem Berkehrsstreit gegen einen Staatsstreich vorzu­beugen, beabsichtigt man, die Eisenbahner- Reservisten noch vor der neuen Sejmtagung zum Heeresdienst einzuberufen, so daß man sie megen Streifens vor Offizlersgerichte stellen könnte. Es ist das eine Methode, die vor vielen Jahren in Frankreich und fonsiwo an gewendet worden ist aber nicht von Sozialisten wie Pilsuditi und feinem Minister Moraczewski, der früher felbft t.t. Eisenbahn­beamter gewesen iff..

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Geduld, ihr Herren!

Gegen die falschen Meffiaffe der Reichsfinanzreform

Was will die demokratische Presse vom Reichsfinanz­ministerium? Bugegeben, daß an ihm und seinen Taten manches fritisiert werden tann! Auch wir haben schon an ihnen Kritik geübt und behalten uns vor, es meiter zu tun. reform noch nicht herausgekommen ist, dünkt uns eine Aber ihm Vorwürfe zu machen, weil es mit seiner Finanz­Spigenleistung der Berantwortungslosigkeit.

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Bölkerrechtlich hat der Dames Plan noch nicht zu bestehen aufgehört. Wahrscheinlich wird er durch den blatt" mit Recht als das fleinere Uebel" bezeichnet ,,, fo furcht­Young Plan ersetzt werden, den das Berliner Tage­bar schwer und drückend auch seine Lasten find". Furchtbar schwer und drückend sind die Lasten des Young- Plans, den mir bekommen sollen, noch viel schwerer, viel drückender sind tragen müßten, wenn der Young- Blan noch scheitern sollte. die Lasten des Dames- Blans, die wir bis auf weiteres weiter­

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nationales Gesez ist, tann teine deutsche Solange der Young Plan nicht inter­Finanzreform gemacht werden, die sich auf ihm aufbaut. Das dürfte so ziemlich jeder einsehen, bloß das Berliner Tageblatt" sieht es nicht ein. Denn gleich neben seinem vortrefflichen Leitartikel steht ein Aufruf zur Selbsthilfe", der mit folgenden ehernen Sägen be­ginnt:

Gegenwart und Zukunft, der gründlichen Reform unserer ,, Die Regierung zeigt in der brennendsten Frage der deutschen Finanzen, teine ausreichende Initiative. Das ist eine feststehende Tatsache, mit der man rechnen muß, so bedauerlich sie auch ist."

Auf diese feststehende Tatsache" gründet sich der Aufruf zur Selbsthilfe. Offenbar in Erinnerung an die Zeit, in der der Ruf ,, Alle Mächte den Räten!" durch Deutschland ging, mird dazu aufgefordert ,,, einen Rat der Wirtschaft auf Grund eigener Initiative zu bilden", der die Sache in die Hand nehmen soll: 1

,, Man muß sich nur finden. Iemand muß die Stimme erheben und die zur Mitarbeit Willigen zusammenrufen. Wenn zum Beispiel ein Mann wie Dr. Silverberg, der sich türzlich in Köln für beschleunigte Finanzreform einsetzte, Industrie und Gewerkschaften, Landwirtschaft, Handel, Bantwelt sowie andere Wirtschaftsgruppen zu einer Zusammenkunft einladen würde, fönnte Bertreter von Reich, Ländern und Gemeinden hinzubitten so wäre wohl bald eine Anzahl der besten Köpfe beisammen. Man zwölf bis zwanzig Mann in ein bis zwei Wochen intensiver, ( Wie nett! Red. D. ,, Vorwärts") und in einem fleinen Kreise von praktischer Arbeit die Grundlagen einer Finanzreform aus­arbeiten."

genug Raffeehäuser, die Vereinszimmer abendweise abzugeben Ja, das könnte man wirklich tun! Es gibt in Berlin haben warum sollen also Herr Reinhold und Herr Stolper nicht noch zehn oder achtzehn Mann dorthin bitten, um ihnen ihre Lieblingsideen vorzutragen? Dagegen ist gar nichts einzuwenden, desto mehr aber dagegen, daß ein großes demokratisches Blatt den Plan, einen solchen Privat­zirtel zu gründen, offenbar für einen politischen hält.

Es scheint uns notwendig, über diese Dinge ein paar offene Worte zu sagen: Schon vor längerer Zeit sind einige Meffiaffe der Finanzen erstanden, die predigend durch das Land ziehen. Sie verheißen eine schleunige, eine aller­ichleunigste, eine durchgreifende, ein tiefftdurchgreifende Finanzreform, die zugleich mit einer allgemeinen Steuer­sentung eine unerhörte Blüte der deutschen Wirtschaft bringen foll. Sie erwecken auf diese Weise Hoffnungen, von denen jeder Nüchterne weiß, daß sie niemals erfüllt werden

tönnen.

Wirtschaft herbeigeführt werden? Indem man die Ka­Wie soll durch die Steuersenkungen eine neue Blüte der pitalbildung fördert! Die ganze fommende Finanz­reform soll auf diese eine Notwendigkeit, die Notwendigkeit der Kapitalbildung, zugeschnitten werden. Zugegeben, daß bildung und der Verhinderung der Kapitalflucht berücksichtigt bei jeder Finanzreform die wichtigen Fragen der Kapital­werden müssen.

Wem aber will man einreden, daß man die Kapitals­bildung wesentlich fördern fann, indem man die Besiz= steuern senft? Ein Teil der Steuerermäßigung wird in den Lurustonfum gehen, der verbleibende Teil, man mag ihn noch so hoch schäßen, ist gegenüber dem Kapitalbedarf der deutschen Wirtschaft nicht viel mehr als ein Tropfen auf einen heißen Stein.

Man soll sich davor hüten, das Problem der Kapital­bildung, so wichtig es auch ist, als das allein Ausschlag­gebende der deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik zu be­trachten! Sobald sich nämlich herausstellen wird und das wird nicht ausbleiben, daß diesem Problem von der Steuer­feite her nicht beizukommen ist, wird der Ruf ertönen, daß die Lösung auf dem Gebiet der Lohn und Preis= politit gesucht werden müsse. Da soll jeder, der sozial­politische Eisenbart- Kuren scheut, mit uns dabei sein, wo es gilt, den Anfängen zu wehren.

Um jedes Mißverständnis zu vermeiden, sei wiederholt: