Unterhaltung mit Ausländem. Zur Eröffnung der Sprachgemeinschaften im Köilnischen Gymnasium.
Während der Sommerferien und auch nachher haben w,r mehr- fach auf das Unternehmen der Stadt Bertin hingewiesen, die im sogenannten„io�er scolaire" Schüler oberer Klassen unserer höheren Schulenzu Sprachgemeinschaften zusammengefaßt hat. Wir berichteten damals von den Er- folgen, die die Berliner Jungen mit ihrer Kenntnis von Sprache und Kultur des fremden Landes davontrugen, zumal da es ja der Stadt Berlin gelungen war, deutsch - französische Ferienschulen in Verbindung mit dein Ministermm auf französischem Boden, in Zloallon und St. Omer , zu gründen. Zu unserem, Ende August er- schicnenen Artikel„Schüler in Paris " geben wir der Hoffnung Aus- druck, daß die Bemühungen unserer städtischen Schulbehörden auch weiterhin von Erfolg begleitet sein werden, und wir ließen durch- blicken, daß der mit dem„loyer scolaire" verbunden« Schüleraustausch sich nicht nur aus Frankreich beschränken möge. Di« im In- teresse unserer modern zu erziehenden Jugend geäußerten Hoff- nungen scheinen in der Tat nicht zu kühn gewesen zu sein. Am vergangenen Mittwoch konnte die inzwischen ins Leben gerufen« deutsch -englische Sprachgemeinschaft im Köllnischen Gymnasium ihren Eröffnungsabend abhalten. Herr Studien- rat Dr. Ernst Schwarz ist auch im Winterhalbjahr wiederum von der Stadt mit der Organisation der oertchiedenen, inzwischen wesentlich vermehrten Sprachgruppen betraut worden. Unter dem Protektorat der Oberstudiendirektoren Dr. Bolle und Dr. Kawerau finden üch Schüler der verschiedensten höheren Schulen Berlins in dem zu diesem Zweck freundlich ausgestatteten Lesezinmier des Köllnischen Gymnasiums monatlich in einer Haupt- fitzung zusammen, um in gänzlich zwangloser Form, durch die Unterhaltung mit in Berlin wohnenden oder ge- rad« anwesenden Franzosen bzw. Engländern ein lebendiges Stück fremder Kultur in sich aufnehmen zu können. Di« Abend« der französischen Studiengemeiirschaften finden bei der hiesigen französischen Kolonie überaus reges Interesse. An allen Enüsnungsabenden sprach außer dem Organisator, Herrn Dr. Schwarz, der Lektor für romanisch« Sprachen, Herr Professor Jourdan. über Wesen und Zweck des„ko�er scolaire". Gemeinsam mit den Schülern suchte man die Jnteresienkreise der jungen Menschen zu erforschen, um sie nach kurzen Vorträgen zu Meinungsäußerungen und knappen Diskussionen in der Fremd- spräche anzuregen. Dabei bemühen sich zahlreiche Damen- und Herren der französischen Kolonie mit großer Lieb« und Hingabe an die edle Sache, die jungen Menschen für Sprache und ihnen naheliegende Kulturkreise Frankreichs zu begeistern. Es versteht
sich von selbst, daß auch die sechs Austauschprofesioren, die für die Dauer eines Jahres verschiedenen Schulen zugeteilt sind, an diesen anregenden Abenden nicht fehlen. Französische und englisch « Zei- tungen liegen aus, um den Teilnehmern alles Wissenswert« aus der jüngsten Vergangenheit ihrer Länder zu vermitteln. Der oben erwähnte Erösfnungsabend der englischen Sprach- gemeinschast bot den Teilnehmern am letzten Mittwoch lieber- raschungen besonderer Art. Dr. Schwarz konnte als Leiter der Gruppe die Gattin des bei der Jugend so sehr beliebten Schriftstellers Jack London , Mrs. Charmion London , unter den an- wesenden ausländischen Damen und Herren begrüßen und ihr für ihr Erscheinen danken. Bereitwillig gab Mrs. London über alle an sie gerichteten Fragen, die sich naturgemäß aus das Leben und die Werk« ihres Mannes bezogen, Auskunft. Sie dankte mehrfach für das reg« Interesse der anwesenden Schüler, über deren ver- schiedenartig« Typen sie— wie sie sagte— außerordentlich überrascht war. Professor Hendricks von der Saltlak« University sprach zu Beginn des Abends über die amerikanische Jugend, über den Sport, vornehmlich über„koot-bair-Spiele. In kleineren Gruppen sah man die in Berlin lebenden Herren Professor Al vorjon- Salt- lake-Unioersity, Mr. Elmer A. Leslie, Mr. Clar'e, Shafer-Cam- bridg« in angeregter Diskussion mit unseren Schülern. Wie wir hören, wird auch der Lektor der hiesigen Umversitöt, Mr. Pender, sich künftig an den Gruppenabenden der deutsch -englischen Gemein- schaft beteiligen. Es ist kein Wunder, daß sich unser« Schüler an solchen zwanglosen Abenden wohl fühlen. Die.Neuen" unter ihnen versicherten immer wieder, daß sie sich das Zusammensein so schön und gemütlich nicht hätten träumen lassen. Manche unter ihnen konnten offenbar nicht fassen, daß ein von Schulbchärden einge- richteter Sprechgirkel m so selbstverständlicher, man kann wohl sogen geselliger Form, stattfinden könnte. Man sah, daß es ging, sehr gut sogar. Die zu diesen Abenden herangezogenen Pädagogen, die Herrn Dr. Schwarz assistieren, sind überzeugt davon, daß bei einer Arbeit dieser Art, einer Arbeit, die nicht nur sprachliche Werte. sondern vornehmlich auch Verständnis für das Kulturgut unserer Nachbarn erzielen soll, jeder.schulische" Zwang vom Hebel ist. Sie sehen die Zusammenkünfte als ein« Interessengemeinschaft junger, lernender Menschen an, die von dem, was andere ihnen an Gutem und Schönen bieten können, Nutzen ziehen wollen, einmal für die Verständigung all derer, die ein« Verständigung und Ge- meinschaft suchen, und weuerhin auch für die Bertiefung in die Eigenart und das Wesen der eigenen Nation.
Geständnis Dr. Gutimanns. Er gibt zu, seine Frau erdrosselt zu haben. Seit Tagen sind die Staatsanwaltschaft und Berliner Kriminalbeamte beschäftigt, den Tod der Frau Dr.(Butt- inann in Schwedt a. d. Q. zu klären. Bekanntlich hatte die Lbduktion Guttinann erheblich belastet. Guttmann selbst bestritt in allen Verhören, seine Frau ermordet zu haben. Nach einem stundenlangen Verhör, das gestern von der Staatsanwaltschaft und Berliner Kriminal- bcamten im Amtsgericht Schwedt a. d. C. vorgenommen wurde, bestritt Guttmann zunächst jede Schuld, bis er schließlich ein Geständnis ablegte. Der Zahnarzt gestand, seine Frau im Schlafzimmer mit einem Handtuch erdrosselt zu haben. Nachden» er sich vom Tode seiner Frau überzeugt hatte, schleppte er den Leichnam vom Schlafzimmer nach der Badestube, hierbei ist er mit der Leiche über die dort stehende Leiter zu Fall gekommen, wodurch die Verletzungen am Kopf der Er- mordeten hervorgerufen wurden. Nach dem Geständnis ist Guttmann vollständig zusammengebrochen, so das? eine weitere Vernehmung auögeseht werden mußte. Weiter ist der Verdacht aufgetaucht, daß Dr. Guttmann an dem ebenfalls sehr plötzlichen Tobe seines Baters Schuld haben könnte. Der alt« Dr. Guttmann hatte eine Jagd in der Nähe von Bad Schönfließ gepachtet, wo er sich mich eine Jagdhütte erbauen ließ. Dort starb er plötzlich im Frühjahr vorigen Jahres, wie man damals annahm, an Herzschlag gerade während eines Be- fuches seines Sohnes.
Voruntersuchung gegen Wächter Schulz Wegen Mordes an Hilde Zäpernick. Getrennt von dem verfahren wegen vlotfchande an seiner Tochter wird jeht gegen den Vauwächter Richard Schulz die Voruntersuchung wegen VI o r d e s an der kleinen Hilde Zäpernick eröffnet werden. Bisher fies erst ein Ermittlungsverfahren. Auf Grund der in dem Verfahren wegen Blutschande zutage getretenen Tatsachen hat sich nunmehr die Staatsanwaltschaft entschlosien, die Boruntersuchung der Mordaffäre zu beantragen. Es wird eine sehp umfangreiche Beweisaufnahme nötig werden, da nicht nur die Zeugen, di« die Keine Zäpernick und Schulz am Tage der Tat gefchen und beobachtet haben, zu vernehmen sind, sondern es wird auch nötig sein, die gesamten Arbetter, die auf dem Bau beschäftigt waren, und deren Zahl über 150 beträgt, eingehend zu hören, um ihr Alibi genau festzustellen. Die Arbeiter sind zwar schon m dem früheren Verfahren gegen Schulz vernommen worden, der Untersuchungsrichter wird aber nochmals ihr Alibi nachprüfen imissen. Voraussichtlich wird auch«in neuer Lokaltermin statt- finden. Allerdings sind durch die inzwischen erfolgte Fertigstellung des Baues die Oertlichkeiten völlig verändert. Die Anklage gegen Schulz wegen Blutschande wird voraussichtlich getrennt vor dem Schöffengericht Bcrlin-Lichtenberg stattfinden. Trotz des Ge- ständnisies des Angeklagten ist die Anklage noch nicht erhoben worden, da Schulz erst auf seinen Geisteszustand untersucht werden soll. Der Rechtsanwall des Wächters Schulz hat beantragt, den bekannten Psychoanalytiker Hugo Staub zuzuziehen, �der auch im Langanki-Prazeß als Sachverständiger aufgetteten ist.
Lugendlicher Räuber festgenommen. Wie wir vor wenigen Tagen berichteten würbe di« Haus- hälterin Frau W i ch« r t in der Wohnung Bayreuther Straße 10 von zwei Burschen überfallen und erheblich verletzt. Die beiden Täter hatten ein« fingierte Rechnung über Maurer- arbeiten vorgezeigt. Als Frau W. sich weigerte, den Rechnungs- betrag zu begleichen, sielen di« beiden über die Wehrlose her und schlugen sie nieder. Die Kriminalpolizei ermittelte gestern einen der Täter. Es ist ein 20 Jahr« alter Maurer Karl Matthias, der sich wohnungs- und arbeitslos umhertreibt. Er legt« auch nach
fewaZA Sie war müde, träumte vor sich hin, dachte vielleicht an Amerika — die anderen standen vom Tisch auf, hantierten; sie saß nun allein in Gedanken für sich. Ohne daß sie darauf merkte, kam eine Pflegerin vom Nachtdienst herein; sie holte von einem Schränkchen die Spiritusflasche, um den Behälter unter dem Kessel zu füllen.— In diesem Moment schoß ein dicker blaugelber Strahl auf Christine zu— die Pflegerin kreischt auf— Christine will entweichen, unter den Tisch — schon zu spät— sie brennt— das Hemd schlägt in Flammen — sie ist wie ein schlanker brennender Baum. Alles rennt weg, kreischt, jagt durch die Flure.„Christine brennt!" Die Aerzte erwachen. Stimmen rufen Christine zu, die herum in der Stube jagt, verzweifelt versuchend, an ihrem Körper zu löschen.—„Wirf dich hin, Christine!— Auf den Boden! — Wälz dich herum!"— Die Stimmen kommen durch den Brand an ihr Ohr, sie tut es, stürzt sich zur Erde, sie wälzt sich— dann liegt sie still. Niemand nähert sich ihr; niemand kommt, um mit Decken das Brennen zu ersticken. Christine brennt: sie liegt still. Ein wohles Gefühl umhüllt ihr Be- mußtsein: Nun ist alles aus, nun kommt Ruhe und Schlafen, nun Schmerzlosigkeit. Ihre Lider ruhen. Aber dann ist es wieder Schmerz. Und: Wirf dich herum!— Herum!— Wälz dich umher!— Christine!— hört sie von fern durch den Schmerz. Sie wälzt sich, schreit, brüllt. Und Decken fallen. Die Aerzt« sind da. Christine ist still In das Schweigen, das durch sie selber entsteht, hört sie die Stimme des Arztes reden. Er ordnet an—„für den Fall, daß sie über zwei Stunden noch lebt."—„Ich— ie— e— beee!" brüllt Christine—„ich— lebe— ich— wer— de— le— den — ho— hohhh—" Der Schmerz, ja der Schmerz. Sie brüllt und hört nicht zu brüllen auf. Der Leib ist ein Brand, ein einziger Brand!—„Ich brä— hon— ne!" brüllt Christine, „ich brenne!"
seiner Derhastung ein Geständnis ab. Sein Helfershelfer soll ein junger Bursche sein, den er nur unter dem Spitznamen „Hann e" kennen will. Matthias hatte seinerzeit in der Wohnung des Wohnungsinhabers einen Wandgeldschrank eingemauert und da- bei die Oertlichkeit kennen gelernt.
20 Opfer eines Hauseinsturzes. Unter den Trümmern zweier Mietshäuser in Marseille . In den Morgenstunde» de» Sonnabend ereignete sich in Marseille in der Rue d'Endoume ein furchtbares Einskurz. unglück. Zwei dreistöckige Miethäuser, die von elwa 40 Personen bewohak waren, stürzten plötzlich zusammen. Laute Schreckens- und hilseruse drangen au» den Trümmern, unter denen schätzungsweise 20 Menschen verschüttet waren, und zwar zumeist Frauen und Kinder, da sich die Männer bereits an ihre Arbeitsstätten begeben hatten. Polizei, Feuerwehr und Militär nahmen sosort die Rettungearbeilen ans. Um 10 Uhr vormittags war es bereits gelungen, zwei Tote und sechs verwundete freizulegen. Dann mußten trotz der sürchter- lichen hitsernse die Rettungsarbelten unterbrochen werden, um die noch stehenden Mauerreste zu stützen. Die erste Leiche, die geborgen wurde, war die einer sechzig- jährigen Frau, deren Mann sich unter den Schwerverletzten
befindet. Der Schädel der Frau war völlig zertrümmert. In ihrer erstarrten Hand hiett(ie noch«ine Zahnbürste fest»mklamniert. Die drohende Gefahr war von einem Hausbewohner bemerkt worden, als er auf seinen, Wege zur Arbeit die Treppe hinunterging und lautes Krachen vernahm. Er schlug sofort Alarm, doch glaubte nie» mond an die nahe bevorstehende Katastrophe. Der bettesiende Be- wohirer hatte gerade noch Zeit, seine Frau in Sicherheit zu bringen, als der Einsturz erfolgte. Schon vor drei Tagen hatten die Mieter der beiden Häuser gemeinsam Klage über den schlechten Zustand d«r Häuser erhoben. Die Dorwürfe der Oesfentlichkeit richten sich sowohl gegen di« Hausbesitzer wie gegen das leichtsinnige Verhalten der Gemeindeverwattung.
Bestrafte Schwarzhörer. In den Monaten Jull bis September 1929 sind wegen nicht genehmigter Errichtung oder nicht genehmigten Betriebs von Funk- anlagen 217 Personen rechtskräftig verurteilt war- den, gegenüber 177 im gleichen Zeitraum des Vorjahres und 238 in den Monaten April bis Juni 1929. Abgesehen von der Einziehung des vorgefundenen Funkgeräts ist zum Teil aus recht empfind- l i ch e Strafen(Geldstrafe bis 190 M., in einem Falle zwei Wochen Gefängnis) erkannt worden. Unter den Verurteilten befinden sich neun, die wegen Beihilfe oder Mittäterschaft verurteilt wurden. Ein« Person wurde wegen Pfandoerschleppung mit einer zusätzlichen Strafe von 20 M. belegt.
So wurde die Schönheit der jungen Christine durch den sinnlosen Zufall in Fetzen zerrissen; ihr Gesicht hatte noch am wenigsten Wunden davon, aber schon der Hals und die Brust, ach die Brust. Sie log da und konnte kein Wort mehr reden, denn ihre Kehle war überschrien, sie war mit feuchten Tüchern umwickelt, und die Haut wurde schwarz und löste sich los. War sie nicht noch immer ein biegsamer Stamm? Aber die Soldaten, die noch gestern hinter ihr hersehen mußten, kümmerten sich heute nicht mehr um sie, und der junge Blonde, mit hoher Stirn, der stundenlang zu ihr hin- übergestarrt hatte, wenn sie etwa lesend am Fenster gesessen, schrieb jetzt Gedichte an sonst irgendwen und rauchte seine Pfeife dabei. Der Krieg geht weiter, er ist noch immer nicht aus; Christine erhält von ihren Eltern keine Nachricht, kein Wort. Christine liegt da und kann nicht mehr sprechen, so ist ihre Kehle von Schmerz überschrien. Später schreibt sie einen Brief an Esther, und Esther antwortet gleich aus der Haupt- ftadt; aber kommen kann Esther Rubin nun nicht, um Christine Gast zu besuchen. Ob sie ihre Schwester Magda veranlassen solle, nach der kleinen Stadt zu Christine zu reisen?— Nein nein, nickt Magda— was soll Magda bei ihr? Christine hat Sehnsucht nach Esther Rubin, weil sie Freundinnen waren und sich ihr« verschwiegenen Wünsche und Gedanken sagen konnten. Der leitende Arzt hat Christine Gast versprochen, den Posten, den sie so lange gehabt, nach ihrer Heilung ihr wieder- zugeben.— Aber nun ist Christine geheilt und steht auf. sie ist blaß und im Gesicht auch ein wenig narbig, aber ihr Ge- ficht ist noch immer schon. Der blonde Soldat mit der hohen Stirn ist längst fort; dafür sind andere da, die sehen Christine an. Aber ihren Posten kann sie nicht wieder haben, denn der Posten ist inzwischen besetzt. Im Bureau gibt man ihr ihre Papiere, und sie sagt kein Wort und wird nur etwas blasser. Sie reist nach Kiel und arbeitet dort auf der Werft. Das war andere Arbeit als die Pflege von Kranken, war aber auch n'cht schlecht. Denn man lebte, man aß und trank — man verdiente Geld. Eines Tages rät ihr eine Arbeiterin, eine schöne kräftige Frau in den vierziger Iahren, die be- merkt hat. mit welch weißen Händen Christine gekommen ist, sich wieder nach einer Stellung in ihrem reckten Beruf umzutun. Und sie kennt ein Lazarett, auch ein Irrenhaus, das noch Personal gebrauchen kann. So wird Christine noch einmal Pflegerin. Und der Sommer ist da. Und weil es
Sommer'.st. will sie Urlaub haben, denn sie will nach Berlin , um Efther Rubin wiederzusehen. Sie schreiben einander immer noch Briefe, denn sie halten beide dafür, daß Freund- schaft unabhängig vom Ort und nicht zu übertragen sei. Und der Direktor bewilligt ihr Urlaub— zwei Tage. Christine fragt ihn:„Sie sind wohl verrückt? Zwei Tage Sommer- urlaub? O, danke!" Sie packt ihre Sachen und reist davon. Aber nicht nach der Hauptstadt— sie reist nach Köln , in Köln braucht man Arbeiterinnen, hat sie erfahren, zur Er- zeugung von Munition. Auch das war anders als die Pflege von Kranken, war aber auch nicht schlecht, denn man lebte— man aß und trank, man verdiente Geld. Mit den Arbeite- rinnen verstand sie sich gut; die schweigsamen, stillen achtete sie, den flattrigen sah sie zu aus der Ferne. Sie tat alles, was in ihrer Lage zu tun das Vernünftige war; sie richtete sich dabei nach dem Beispiel der anderen— sie scheute vor keinem Wechsel zurück, sie ließ das Leben gehen und gmg mit dem Leben, ganz selbstverständlich folgte sie nach, ohne Frage wohin und Schritt für Schritt. Da zerriß die Spannung über der Welt: der Krieg war zu Ende. Durch die Straßen der Stadt zogen singende Scharen, aber ohne Regimentsmusik, und die Lieder, die zum Anfang des Krieges vereinzelt erklungen waren, drangen jetzt wie Hochflut in die Fenster der Häuser hinein Das geschah hier und geschah überall, auch in den Straßen der kleinen norddentschen Stadt. Die Menschen gingen neben- einander, und sie sagten ernst, mit einem ganz leisen ver- schwiegenen Glück in der Stimme: Um diese Stu'.den haben wir lange Jahrzehnte erduldet, ertragen, gelitten, gekämpft. Alles fing von neuem an. Man hätte die Zeitrechnung mit diesem Jahre wieder begmnen können. Dies war das Jahr eins. Alle Gedanken von vorgestern, alle Ideen und Ideale der Vergangenheit lagen auf dem Schutthaufenplatz vor den Städten und warteten, daß man sie davonkarren würde. Durch alle Türen kam frische Luft, und das Jammern der Greise von vorgestern stieg, ungehört, und dann wurde es leiser. Izder sah sich um nach dem neuen Platz, auf den er gehörte— der Druck der untergehenden Welt hob wie am Hebel die neue herauf. Und in diesem W'rrwarr von Leben und Sterben stand Christine vor den Türen der Munit'onsfabrik. die der Friede mit menschlichen Händen verschloß. Christine besaß das Geld für die Reise nach Berlin — aber picht für einen Tag mehr darüber, zu leben.(Fortsetzung folgt.)