Der Abend
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Nr. 564
B 281 46. Jahrgang
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Freiheit und Friede!
Die Befreiungsfeiern am Rhein. - Friedenskundgebung der franzöfifchen Sozialisten. - Otto Wels spricht in Champigny .
Die franzöfifche Sozialdemokratie veranstaltete am Sonnfag auf dem Schlachtfeld von Champigny eine Friedensfundgebung. Auf ihr hielt der Vorsitzende der Sozialdemofratischen Partei Deutschlands , Otto Wels , die folgende Ansprache:
Es gibt zweierlei Methoden, an Gräbern von Kriegsgefallenen zu demonstrieren. Die eine besteht darin, sogenannte vaterländische Reden zu halten, oft mit chauvinistischem Anstrich, die militärischen Tugenden zu rühmen, die Kriege der Vergangenheit zu verherrlichen, wenn man dem siegreichen Lande und auf fünftige Revanchen anzuspielen, wenn man dem besiegten Staate an gehört. Die andere Methode besteht darin, die wahre, die einzige Lehre aus dem Opfer zu ziehen, das die Gefallenen gebracht haben: nämlich
die Toten zu beklagen, daß jie Opfer der Fehler der Menschheit wurden;
die Menschen und noch mehr die Ideen zu verfluchen, die für die Massenschlächtereien verantwortlich sind, welche die Welt bis in eine noch junge Bergangenheit heimgesucht haben. Seinen Willen zu verkünden, für die Besserung der Menschheit zu arbeiten und zu tämpfen ebenso gegen die Menschen, die auf den Gedanken des Krieges nicht verzichten wollen, wie auch gegen die sozialen und wirtschaftlichen Erscheinungen, die nach unserer fozialistischen leberzeugung die Tiefen und wirklichen Ursachen der Kriege darstellen. Die triegerischen Kundgebungen auf den Gräbern der Kriegs= gefallenen oder vor den Denkmälern, die ihnen zu Ehre errichtet murden, die wollen wir anderen überlassen. Wir Sozialisten sowohl in Frankreich wie in Deutschland und in der ganzen Inter
nationale, wir akzeptieren nur die andere Methode des Gedenkens Am 30. November wurde die zweite Rheinlandzone endgültig von der Besatzung frei. Unser Bild zeigt an die Opfer des Weltkrieges. Es ist die Methode, die sich in jenes Gelöbnis zusammenfassen läßt, das Millionen von sozialistischen Arbeitern in unseren verschiedenen Ländern ablegen:
Nie wieder Krieg!
Und darum Genoffinnen und Genossen, habe ich die Einladung unferes Freundes Albert Thomas und der sozialistischen Gemeindes vertretung von Champigny angenommen, in meiner Eigenschaft als Vorsitzender der Deutschen Sozialdemokratie, an der heutigen Kund
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Fuperr
KÜL 2.Zone.
Euskirchen
Ahrweiler
3.
Malmedy
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Grenze der 2. Zone. Annektiertes Gebiet. Reichsgrenze.
Cochem
Boppard St.60ar
Bad Ems
gebung teilzunehmen. Ich habe diese Einladung angenommen, obmohl meine Pflichten als Abgeordneter mir die Reise von Berlin nach Paris gerade im jezigen Augenblid sehr schwer machen. Denn gerade in diesen Tagen spielt sich in unserem Parlament ein für die Idee des Friedens michtiger Kampf ab. Es handelt sich um die von dem deutschen Nationalismus eingeleitete Offenfive gegen das Reichskabinett unter der Führung meines Freundes Her mann Müller,
der vor seiner Reichstanzlerschaft zusammen mit mir den Vorsiz in der Partei führte. Ein Volfsentscheid bereitet sich gegen die Politik friedlicher Abmachungen vor, die in Locarno eingeleitet und
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in Genf und im Haag fortgesetzt wurden, stets unter dem An- 1 in seiner Begründung geschrieben, daß der fetzte Krieg wirklich dev trieb der sozialistischen Parteien Frankreichs , Deutsch letzte gewesen sein sollte. Und doch lands, Englands und Belgiens . Das Endergebnis dieses Volksentscheids ist nicht zweifelhaft:
Sein vollständiger und läglicher Mißerfolg ist voll. fommen sicher. So kam ich, in Ihrer Mitte an dieser anderen Rundgebung gegen den Krieg und gegen den Geist des Krieges teilzunehmen. Der Geist des Krieges, das ist jener, der darin bestand, sowohl im Jahre 1870 wie auch 50 Jahre später
den Tod menschlicher Wesen jeweils zu feiern oder zu beklagen, je nachdem er mit der Idee des Sieges oder der Niederlage verknüpft war.
den Tod von Menschen, die sich noch nie gesehen hatten, die sich nicht fannten, die sich nie etwas zuleide getan hatten und die dennoch gezwungen waren, sich gegenseitig abzuschlachten. Der Geist des Krieges wurde systematisch in die Herzen der Kinder gepflanzt, man schürte bei ihnen Haß gegen andere Völker. Und dabei verkündet die Gesellschaft, daß das Menschenleben heilig sei. Wehe dem, der sich an ihm vergreift. Ihn trifft in jenem Lande die volle Schwere des Gesetzes, der Massenmord aber ist fatrosantt. Er bringt Ehre und Ruhm. Unter rauschenden Festen wird der Sieger gefeiert. Wer fragt nach den Witwen, die Weisen, nach den Klagen der Bräute oder Mütter, die ihr Teuerstes auf den Schlachtfeldern ließen. Nein, vor dem Gewissen der Menschheit tragen alle die Feste der Sieger den Stempel der Unwahrheit. Die Wahrheit liegt im alten deutschen Wort:
,, Doch der Lärm von faufend Siegen
starrt heute die Welt noch in Waffen.
Damit dieser Zustand aufhöre, müssen wir in der Welt den inter nationalen Geist verstärken. Wir müssen den Menschen begreiflich machen, daß ihre Arbeit und ihre Produktionsmittel über die Grenzen hinweg miteinander solidarisch sind. Nie habe ich selber dieses Gefühl in solchem Grade gehabt wie im Laufe des gestrigen Tages, als ich von Berlin bis Paris , vom Morgengrauen bis zur Nacht, durch ein Industriegebiet nach dem anderen fuhr. Schon waren die Betriebe der deutschen Hauptstadt in vollster Tätigkeit, ehe der Tag angebrochen war. Einige Stunden später fuhr ich an den großen Werfen von Hannover vorbei, am Nachmittag durch das gewaltige Industriegebiet der Ruhr mit den Türmen seiner Kohlenschächte und seiner Hochöfen. Später, nach Einbruch der Dunkelheit, bot sich das gleiche Bild der Arbeit in der Gegend von Lüttich und Charleroi . Endlich, in den letzten Stunden des Tages, von Maubeuge bis Paris , sah ich noch immer die Lichtfluten von Fabriken in voller Tätigkeit. Nun, ob Deutsche , Belgier oder Franzosen,
es ist dasselbe Schaffen, es ist das gleiche Leben, es ist dieselbe wirtschaftliche Aktivität, die nur im Frieden und auf der Grundlage polifischer und wirtschaftlicher Abmachungen inferuaticnaler Art gedeihen kann.
nicht zu vergessen die internationalen Abkommen sozialer Art, die nicht weniger unerläßlich und wohltätig sind und die unser Freund Albert Thomas an der Spitze des Internationalen Arbeitsamtes sich mit steigendem Erfolg bemüht, zu verwirklichen und dabei die wohlverdienten Früchte eines Glaubens und seiner Hartnäckigkeit erntet. Wenn wir Sozialisten uns ,, International" nennen, dann leugnen wir keineswegs, die Bedeutung und den Wert der einzelnen Nationen. War es nicht euer großer Jean Jaurès , der diese elementare Bahrheit in einer wunderbaren Formel verfündete:
Kann den Jammer einer Mutter um ihr Kind nicht überwiegen." Hier auf einem der Schlachtfelder von 1870 empfinden wir aufs neue und besonders lebhaft das Erinnern an das graufige Morden des legten vierjährigen Strieges. Noch bluten die Wunden, die er schlug. Noch ist der Frieden der Welt nicht wiedergefehrt. Eine den Frieden gefährliche Mentalität ist im Faschismus erstanden. Sein Hoherpriester Mussolini hat die friegerische Periode Italiens für das Jahr 1935 verkündet. Seine Expansionspolitit droht, den Balkan wiederum zum Schauplatz der ersten Kämpfe zu machen. In Osterreich und Polen bereitet der Faschismus sich zum Kampf gegen die Demokratie. Jeder, welcher Nation er auch angehören mag, ist berufen, dieses Attentat auf die Kultur, diese Bernichtung so vieler für die wirtschaftliche Eristenz der Menschheit In seinem Geiste, der auch der Geist von Bebe I, von Marcel unerläßlichen Güter zu verhindern. Der Völkersund wurde als ein Sembat und von Ludwig Frank war, und der mehr denn Organ geschaffen, um dem Frieden zu dienen. In seinem Statut steht| je der Geist aller Sozialisten Frankreichs und Deutschlands ge=
„ Die Nationen find das Schahkäftlein des menschlich Gegebenen." und hat er nicht selber durch sein Leben und durch seinen Tod den schönsten Beweis dafür geliefert, daß man ein guter internationaler Sozialist sein kann und zugleich ein guter Franzose?