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BERLIN  Mittwoch 4. Dezember 1929

Der Abend

Erscheint täglich außer Sonntags. Sugleich Abendausgabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Pf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Expedition; Berlin   SW 68, Lindenstr. 3

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Nr. 568

B 283

46. Jahrgang

66 Anzeigenpreis: Die einspaltige Nonpareillezeile

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Austritte am laufenden Bande.

Heute: Kendell- Schlange- Lindeiner- Hoetsch- Mumm- Behrens- Fromm

Die deutschnationalen Abgeordneten von Lind. einer Wildan, Schlange Schöningen und von Kendell, der ehemalige Reichsinnenminister, haben ihren Austritt aus der deutschnationalen Reichstagsfraktion dem Grafen Westarp erklärt. Der Abgeordnete von Lindeiner- Wildau hat in seinem Schreiben an den Grafen Westarp des weiteren zum Aus­drud gebracht, daß er einen entsprechenden Schritt der Partei gegenüber im Benehmen mit seinem Wahlkreis unternehmen werde. Gleichzeitig hat der Abgeordnete von Lindeiner- Wildau die Wahlkreisleitung seines Wahl­freises Hessen- Nassau   um die sofortige Einberufung einer Vertrauensmännerversammlung ersucht. Auch der Ab­geordnete Schlange- Schöningen   wird weitere Schritte der Partei erst im Benehmen mit seinem Landes: verband unternehmen.

An der gemeinsamen Besprechung deutschnationaler Abgeordneter haben sich inzwischen auch die Abgeordneten Koch Düsseldorf, der frühere Reichsverkehrs­minister, sowie die Abgeordneten Dr. Rademacher und Schiele beteiligt, ebenso einige Landtagsabge vrducte, u. a. der Abgeordnete Rippel.

Freude bei den Auserwählten

Th

Die Lambach Gruppe aus der DNBP. ausgetreten? Im Reichstag   fand am Mittwoch vormittag eine Gut, daß diese Proteten von Arbeitnehmern gegangen sind! Endlich ist man wieder unter sich:"

Sonderbesprechung der deutschnationalen Abge­wrdneten Dr. Klönne, Dr. v. Dryander, Behrens, Dr. Mumm, Fromm, Dr. Strathmann und Leo pold statt, die zur Stunde noch andauert. Für 2 Uhr ist eine deutschnationale Fraktionssitung anbe raumt, die aber, wie erklärt wird, sich nur mit Fragen der Tagesordnung" beschäftigen soll. Voraussichtlich wird nach der Volljitung eine neue Fraktionssitung statt. finden.

Hoeksch, Mumm und Behrens.

Wie die Telegraphen- Union in der Mittagstunde be­richtet, haben inzwischen auch die Abgeordneten Professor Hoeksch, Dr. Mumm und Behrens ihren Austritt aus der Deutschnationalen   Partei erklärt.

*

Wie wir weiter erfahren, hat auch der Abg. Fromm seinen Austritt aus der Fraktion bereits erklärt. Weitere Austrittserklärungen stehen bevor.

Im Reichstag   wird als feststehend mitgeteilt, daß Graf Westarp bei Beginn der foeben eröffneten Fraktionssihung seinen Vorsih niederlegen wird.

Arbeit am laufenden Band.

Die Mitglieder der deutschnationalen Reichstagsfraktion waren heute schon frühzeitig bei der Arbeit. Ein Teil saß im offiziellen Fraktionssaal, ein zweiter Teil hatte in einem neutralen Sigungs­zimmer Unterfunft gefunden, mehrere andere Gruppen saßen oder standen in Räumen des Hauses herum. Es wurde beraten, ge­sprochen, geflüstert. So soll es nach der Fibelschilderung im Hühnerhof aussehen, wenn ein Gewitter im Anzug ist.

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Der Chronist konnte gar nicht schnell genug den Vorgängen folgen. Es war wie eine Arbelt am laufenden Band: alle Viertel­flunde ein Austrift. Zuerst Herr von Lindeiner Bildau, dann Schlange- Schöningen, weiter Herr von Keudell, dann Lejeune   Jung und schließlich Trepiranus. Aber weitere Austritte stehen bevor. Von Klönne und Schiele ist schon gesprochen worden, aber auch die Herren Dryander, Behrens, Stöders Schwiegersohn Mumm, der frühere Minister Koch   und noch andere tragen sich mit der Absicht, Herrn Hugenberg die Gefolgschaft aufzusagen.

Es sind sicher nicht die schlechtesten Männer aus der deutsch  nationalen Fraktion, die jetzt ihrer Partei den Rücken fehren. Und wenn auch die Sozialdemokratie mit manchem von ihnen häufig genug in scharfer Auseinandersegung gestanden hat, so tann man von den Ausgetretenen im allgemeinen doch sagen, daß sie den fenntnisreicheren Teil der deutschnationalen Fraktion bildeten. Borläufig bleiben Herrn Hugenberg aber noch die Leute von der geringen Qualität, von den Mannen der Hitler  - Partei gar nicht zu reden.

Erflärung Lejeune Jung  .

Der Abgeordnete Lejeune Jung   veröffentlicht zu seinem Austritt aus der Deutschnationalen   Voltspartei folgende Erklärung: ,, Trotz der Ereignisse, die sich im letzten Jahre in der Deutsch­ nationalen Volkspartei  , insbesondere in der Konkordatfrage ab­spielten, habe ich es bisher für meine Pflicht gehalten, im Interesse der vaterländischen Sache in der Partei auszuharren in der 5 off­nung, neue Möglichkeiten für ein überzeugtes und freu­biges Mitarbeiten auch für die katholischen Mitglieder der diges Mitarbeiten auch für die katholischen Mitglieder der Partei wiederzuschaffen. Hierzu veranlaßte mich nicht zum wenig sten auch die durch langjährige Arbeit in der Partei unter der Füh

rung von Hergt und Graf Westarp nur bestärkte Ueberzugung, daß zwischen den positiv- evangelischen und den katholischen Vollsteilen eine schicksalsbestimmte Abwehr- und Angriffsgemeinschaft gegenüber dem zersetzenden Zeitgeist besteht.

Heute habe ich die schmerzliche Gewißheit, daß sich diese Schicksalsgemeinschaft, daß sich überhaupt christlich- fonjer. vative Weltanschaung unter dem jetzigen Parteivorsitzenden   in der Deutschnationalen   Bolfspartei nicht mehr in der erforderlichen Frei­heit auswirken kann. Aus diesem Grunde habe ich mich mit dem Reichstagsabgeordneten Treviranus   solidarisch erklärt und meinen Austritt aus der Partei und der Fraktion vollzogen.

Treviranus  ' Abschied.

Der Abschiedsbrief des Reichstagsabgeordneten Trevi­ ranus   an den Grafen Westarp hat folgenden Wortlaut:

Sehr verehrter Herr Graf! Ich erkenne dankbar an, daß die Reichstagsfraktion unter erschwerenden Umständen versucht hat, mir ein Berbleiben in Partei und Fraktion zu ermöglichen. Die durch das Vorgehen des Herrn Parteivorsitzenden   in Kaffel und die weitere Entwicklung der Debatten in der Deffentlichkeit für mich geschaffene 3wangslage bedingte eine öffentliche Rechtfertigung meiner politischen Arbeit. Der Herr Parteivorsigende hat den Ent­schluß zu einer entsprechenden Klärung nicht gefunden. Damit find

für mich die sachlichen und menschlichen Voraus­jetungen für meine weitere Mitarbeit unter der heutigen Leitung der Partei fortgefallen. Ich bin daher ge­zwungen, meinen Austritt aus der Deutschnationalen Volks­ partei   zu erklären und demgemäß meine Mitgliedschaft in der Reichstagsfraktion aufzugeben. Ich bleibe in alter Dankbarkeit und Berehrung

Ihr aufrichtig ergebener

gez. Treviranus, M. d. R."

Klönne flieht in die Deffentlichkeit.

In der Deutschen Allgemeinen Zeitung" nimmt einer der Aus­getretenen, der Abg. Könne, selbst das Wort und schreibt:

,, Die Spalten flaffen heute weit auseinander. Das ist eine Tragit, die man bedauern, aber nicht aus der Welt schaffen kann. Zweifellos ist der neue Parteiführer Hugenberg   ein Mann von Qualitäten, ist flug, wirtschaftlich mächtig, aber die Eignung zum

Schluß am Weihnachtsabend. liftlichen Führer in heutiger Zeit hat er nicht. Er glaubi, eine

Sozialdemokratischer Antrag angenommen.

woch der 5- Uhr- Ladenschluß am Weihnachtsheiligabend an. Jm Sozialpolitischen Ausschuß des Reichstags wurde am Mitt­genommen. Ausgenommen sind die Verkaufsstellen, die vor­wiegend oder ausschließlich Lebens- und Genußmittel sowie Tabatwaren handeln. Für diese ist die Schlußst unde auf 6 Uhr festgesetzt. Auch der Handel mit Weihnachtsbäumen fällt unter die Ausnahme. Der sozialdemokratische Antrag auf all. gemeinen Ladenschluß um 5 Uhr wurde von allen bürger­lichen Parteien abgelehnt!

-

Die kurze Ausschußfizung zeigte die deutschnationalen Vertreter in einer wahrhaft beschämenden Rolle. Der deutschnationale Ab­geordnete of erklärte sich nur dann für den 5- Uhr- Ladenschluß am Weihnachtsheiligabend, wenn das Gesetz am 1. Januar verkündet werde, also acht Tage nach Weihnachten  . Abg. Sollmann( Soz.) nagelte an, daß der deutschnationale Abg. Mumm sich als einer der ersten Vorfämpfer des 5- Uhr- Ladenschlusses dem Ausschuß vor­gestellt habe, nun aber fehle, um zu sehen, wie sämtliche deutsch­nationalen Ausschußvertreter den Antrag aus ihrer eigenen Fraktion zu Fall zu bringen suchten. Mumm wurde nun schleunigst herbeigeholt und trennte sich bei allen Abstim mungen von seiner Ftration, um gemeinsam mit der Sozialdemo. fratie zu stimmen.

Als sowohl der sozialdemokratische Antrag wie der des Abgeord neten Mumm auf allgemeinen 5- Uhr- Ladenschluß abgelehnt war, erklärte Aufhäuser, daß die Sozialdemokratic, um mög­lichst viel zu retten, damit einverstanden sei, daß die als Ausnahmen vorgesehenen Geschäfte bis 6 Uhr offen halten dürfen. Zentrum, Bayerische Bolkspartei, Deutschnationale, Wirtschaftspartei und der Demokrat Büll stimmten für 7- Uhr- Schluß der Ausnahmegeschäfte. Da aber der Abg. Mumm sich an die Seite der Sozial demokratie stellte und der Demokrat Lemmer   gegen 7.Uhr. Schluß für die Ausnahmegeschäfte stimmte, wurde der 6- Uhr- Laden­schluß für die Ausnahmen erreicht.

Der allergrößte Teil der Geschäfte wird also unter den 5- Uhr. Ladenschluß fallen, und für die übrigen Geschäfte ist wenigstens eine Stunde früherer Ladenschluß erzielt.

große Partei wie ein Armeekorps befehlen und benußen zu fönnen, um auch Andersgesinnten seine Meinung auf­zuzwingen. Er will lleberzeugung durch Gehorsam, innere Treue durch 3 wang ersetzen. Nur der übergroßen Loyalität der Mannen­trene der deutschnationalen Reichstagsabgeordneten hat er es zu ver= danken, daß dieses System nicht längst zusammengebrochen ist. Aber die Bänder, die die einzelnen Glieder der Partei heute noch ver­binden, sind mürbe geworden, sie drohen bei der geringsten neuen Spannung zu zerreißen. Der Moment ist, gekommen, wo auch die Treuesten nicht mehr gewillt sind, Klarheit und Wahrheit einer über das Maß des Erträglichen in Anspruch genommenen Loyalität zum Opfer zu bringen. Hugenberg   hat es sich zur Aufgabe gesetzt, noch einmal, in einer legten Anstrengung ,, alle nationalen Kräfte" zu­sammenzuraffen, um das entschwindende Ziel zu erjagen. Dabei ließ er leider den strategischen Blick und das Gefühl für die Grenzen

des Möglichen durchaus vermissen. So kam er zu dem verzweifelten Verfuch eines Volksbegehrens. Seite an Seite mit den halb­marristischen Nationalsozialisten gegen alle übrigen bürgerlichen Kreise des Volkes, gegen den Reichspräsidenten  , gegen die Vernunft. Es gehörte nicht viel dazu, vorauszusehen, daß der Angriff scheifern mußte. Das hat Hugenberg   vermutlich selber gesehen, aber er trug den Angriff trotzdem vor, um einen Block nationalen Widerstands­willens zu schaffen. Er gleicht dabei dem Heerführer, der seine Truppe in eine schon vor dem Beginn verlorene Schlacht führt, um zu beweisen, wie brav sich seine Truppe auch unter so ungünstigen Voraussetzungen schlägt. Ein Heerführer, der so handeln wollte

nicht zu einer Teiloperation, nicht zu einer Entlastungsoffensive, sondern für seine ganze Armee würde vor ein Kriegs­gericht gestellt werden, und der Ausgang des Prozesses wäre nicht zweifelhaft. In der Deutschnationalen   Volksparter ist heute ein solches Kriegsgericht gegen den Parteiführer un­möglich, da Hugenberg   das ganze Regime der Partei auf Dit­tatur gestellt hat, deren Inhaber er ist. Nicht so in der Reichs­tagsfraktion, die immer noch vom Grafen Bestarp geführt wird."

Klönne schließt seine Erklärung mit dem fennzeichnenden Satze: ,, Es gilt aber, die richtige Front aufzurichten, die Front der Männer, die bereit sind, auf der Grundlage des heutigen Star auf der Grundlage der heute gegebenen Verhältniffe für i'r land zu arbeiten und zu fämpfen."