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BERLIN Sonnabend 7. Dezember 1929

Der Abend

Erfdetuttaglio enter Sonntags. Sugleich Abendauegabe des Vorwärts". Bezugspreis beide Ausgaben 85 Vf. pro Woche, 3,60 M. pro Monat. Redaktion und Expedition; Berlin SW 68, Lindenstr. 3

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Nr. 574

B 286

46. Jahrgang

66. Anzeigenpreis: Die einfaltige Stenpareillezeile

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Die Schußlinie bei Stolberg .

Schöffe und Kreisarzt gegen Schießfachverständige.

L. R. Hirschberg. 7. Dezember.( Eigenbericht.) Man steht heute noch unter dem zwiespältigen Eindrud des Lokaliermins. Es ist stets das gleiche: Zwar hat er, wie die Gesamt­beweisaufnahme, bis zum Augenblick nichts Bemerkenswertes unb noch weniger etwas Entscheidendes ergeben. Es fann so gemesen fein, mie der Angeklagte es schildert, es tann aber auch anders ges mejen sein. Insbesondere mollte es gestern den Schöffen nicht ein Leuchten, daß der Anschlag des Todesgewehrs in der Höhe der Bade des Angeklagten gewesen sein sollte. Als Dr. Brüning das Ende der Schmur, die den Anschlag markieren sollte, zu niedrig hielt, meinte einer der Schöffen: Halten Sie doch die Schnur höher!" Hierbei jah der Borsigende den Angeklagten scharf an. Als heute morgen tie Aerzte den Zustand des Erschoffenen schilderten, hielt sich der An.. geflagfe die Dhren zu das Ausfehen des alten Grafen war fat fächlich schrecklich genug. Der Sanitätsrat, der bereits seit 37 Jahren die gräfliche Familie fennt, gibt eine vernichtende Charakteristit. Seit Jahrhunderten, fagt er, hätten die Stolbergs nichts Gefcheites gelernt, und Chriftian sei zwar in seiner Denfungsweise findlich, fahrte aber trotzdem den Grandseigneur hervor. Adelsstolz nannte das gestern ber Ungeflagte. Einen Word traut ihm der Arzt nicht au, glaubt auch nicht, daß die Mutter, die die Söhne vollkommen beherrschte, Chriftian. zum, Mord qugestiftet, haben tönnte. Die Mutter Grifa Stolberg ist heute erschienen, obgleich fie in der Zeugen liste nicht aufgeführt war. Borläufig wird aber das Berbrennen ihrer Briefe erörtert. Es find drei Partien von Briefen verbrannt morben: Im Schlafzimmer der Gräfin, in der Küche und im Schlaf­zimmer der Mädchen. Beide Mädchen sollten so tun als wüßten sie nichts. Auch an die Mädchen stellt der Vorsitzende die Frage: Trauen Sie dem Angeklagten den Mord zu?" Natürlich geben fte biefelbe Antwort, die man bereits aus dem Munde sämtlicher Angestellten gehört hat. Niemand traut ihm den Mord zu. Bemerkenswert ist bie Unordnung, die im gräflichen Schlosse geherrscht hat. Im März fand man noch" Rußschalen und Kuchenreste, stumme Zeugen ver­gnügter Stunden. Von dem Grad der Nachlässigkeit, in dem fidh biefes gräfliche Haus befand, fonnte man sich gestern beim Lotal termin selbst überzeugen,

Zweiter Sitzungstag.

Zu Beginn des heutigen zweiten Sigungstages, an dem womöglich noch stärkerer Andrang der Zuhörer zu verzeichnen ist, murden die Zeugen aufgerufen, unter denen sich auch die Mutter des An. geflagten, Gräfin Erita zu Stolberg , befindet, die in tiefer Trauer erscheint und nach der Belehrung durch den Vorsitzenden aus. drücklich auf das Recht der Zeugnisverweigerung verzichtet. Dann murde in der Beweisaufnahme fortgefahren und Sanitätsrat Dr. Baniz über bie

Borgänge nach der Erfchießung des alten Grafen bernommen. Der Zeuge hat lediglich den Tod des Grafen Eberhard feststellen können, der durch einen Schuß von hinten eingetreten war. Der Tod mußte unmittelbar eingetreten sein, da der Kopf völlig zer­stört, Gehirn und Rückenmark durchgeschlagen waren. Nach Fest­stellung des Zeugen mußte der Schuß auf Graf Eberhard von oben her in zwei Meter Entfernung abgegeben worden feln. Sanitätsrat Dr. Banik hat darauf den Angeklagten untersucht, der einen zwar binfälligen, aber nicht geiftesabwesenden Eindruck machte. Graf Christian habe auch über Brechrelz und trockenes Gefühl im Munde geflagt und feine Mitteilungen nur stoßweise gemacht. Der Güter­birektor Gombert habe nach der ärztlichen Untersuchung sofort den Reugen gefragt: Halten Sie Christian Friedrich für den Täter?" Als Sanitätsrat Panth dies bejahte, erflärte Gombert: Ich auch." Als dann der junge Graf ein wenig später auf dem Hof die lauten Drohungen gegen die angeblichen Einbrecher ausftiek, ftieg mein Berdacht noch mehr. Berdächtig war auch, daß Graf Chriftian, der in einer Ede mit dem Güterdirettor Gombert fprach, erregt erflärte: Das tann ich mir nicht gefallen laffen." Borf.: Herr Gombert, mas hatten Sie denn dem Angeklagten gesagt, daß er eine solche Antwort gab? Dr. Gombert: Daran tann ich mich nicht mehr erinnern. 3euge: Ich fprach dann mit Herrn Gombert noch ausführlich über den Fall, und wir waren beide ber Minung, daß die Gesichte mit den Einbrechern eine inte fei, und daß wahrscheinlich Graf Chriftian den Beter erschossen hatte Uns fiel ferner das gleichgültige Benehmen des Angeklagten auf. Er tat, als gehe ihm die ganze Sache nichts an. Die Mutter dagegen zeigte einen echten Schmerz. Sie war äußerlich gefaßt, aber inner, fich niedergebrochen. Ich bat die Gräfin, die einen besonderen Ein­fluß auf ihre Rinder hatte, doch auch auf den Grafen Christian ein­zumirten, die Wahrheit zu sagen. Die Gräfin lehnte das aber ab Forthegung auf der 2. Seite.)

Hugenberg an sein Volf.

Ein Aufruf gegen die Rebellen.

Hugenberg läßt durch seine Ill. folgenden Aufruf verbreiten: Der Kampf gegen den Pariser Tributplan steht auf dem Höhe. puntt. Schwerste Wirtschaftsfrisen und Finanztatastrophen ziehen berauf, Die Polenverträge bedrohen Ditmark und Landwirtschaft. Führer der Sozialdemokratie rufen offen zum Bürgerkrieg auf. Das jeßt dem Reichstag vorliegende Severingsche Zuchthausgesetz soll die marzistische Diftatur auf der Grundlage der heute gegebenen Berhältniffe legalisieren. Nie war deutsches Bolfstum und deuische Wirtschaft schmerer bedroht als jeßt. Nie war eine starte und ge­fchloffene Rechte nötiger als legt.

| schlußverfahren gegen einzelne Abgeordnete mar nur ber äußere Anlaß. Die jetzt in Artikeln und Erklärungen ausgesprochenen An sichten sind nur Scheingründe. Wir fragen aber, warum die Aus geschiedenen sie nicht vor dem Kasseler Barteltag zu vertreten wag ten, 3hr Schritt tommt lediglich dem in der Regierung ver anferten Margismus zugute. Der sogenannte Bürgerblod, der ohne die Deutschnationalen nicht möglich ist, wird dadurch nicht erreicht.

Der Weg führt zwangsläufig in den Brei der Mitte, den Spuren Strejemanns nach.

Ueber ein Dugend Abgeordnete der Deutschationalen Volks Nicht auf der Grundlage der heute gegebenen Berhältnisse. partei haben das Gebot der Stunde nicht erkannt. In fleinen Gruppen, die fich wechfelfeltig aufeinander berufen und durch Soli- fondern in ihrer Aenderung liegen die Aufgaben der Gegenwart und Zukunft. Die Deutschnationale Boltspartei wird in engem Zu daritätserklärungen ermuntern, haben sie die deutschnationale Kampf- fammenwirken zwischen Parteigliederungen und Fraktionen ihrem baritátsertiärungen ermuntern, haben sie die deutschnationale Kampf­feit langem in der Links und Mittelpreffe zur Spaltung der Deutsch - schloffener Kraft den Kampf weiterführen, der das deutsche Bolt front perlaffen. Sie täten es unter Begründungen, mit denen man Weg gehen. Im Geiste Helfferichs wird sie zielbewußt und in ge

nationalen aufgerufen hatte. Sie mögen die von ihnen bewirkte, von der gesamten Linfen höhnisch bejubelte weitere 3ersplitte rung der nationalen Opposition mit ihrem Gewissen ausmachen.

schaft des Maryismus zugebachten Schicksal bewahren soll." vor dem durch die Annahme des Young- Planes und die Borherre

Das Interessanteste an diesem Schriftstüd ist wohl die Fefte

das Gebot der Stunde" anders als Hugenberg zu verstehen. Aus geschieden ist bisher nur genau ein Dußend. Hugenberg gibt au, daß es damit nicht zu Ende iſt.

Die jest mit dem Austritt der Abgeordneten an die Deffentlichstellung, daß über ein Dugend Abgeordnete" sich erlaubt haben feit fommende Barteincubildung mar feit langem Ge­fprächsstoff politischer Klubs und mittelparteilicher Zeitschriften und 3einingen, die durch Indiskretionen gespeist wurden. Die Partei: neubildung wurde in dem Augenblid zur Tatsache, in dem die ihr zufirebenden Abgeordneten erkennen mußten, daß ihre Politif des Hineindringens in die Mitte von der Partei eindeutig abgelehnt murde und ihr

Berfuch zum Sturz des Parteiführers gescheitert war. Durch das Verhalten der Beteiligten selbst erzwungene Aus.

Weiter würden wir Herrn Hugenberg gerne im Reichstag fragen, wann und wo Führer der Sozialdemokratie offen zum Bürgertrieg aufgerufen haben". Dieses Fragen würde aber nichts müßen. Herr Hugenberg würde nur wieder genau wie fonst idiotisch vor sich hinlachen und schweigen. Wir beschränken uns daher auf die Feststellung, daß seine Behauptung erlogen ist.

Die neueste Bildfälschung.

In Nr. 48, 1929, ber tommunistischen A- 3-3( Arbeiter[ frieg eingestellt war, hatte ber Ropffäger leichtes Sptet: auftrierte Zeitung), die im Berlag und unter der Berantwortlich er fonnte im Grafenberger Biertel bas entführte sind abschlachten. feit des fommunistischen Abg. Münzenberg erscheint, findet sich Im Rahmen einer Abhandlung über die Suche nach dem Düffel im Rahmen einer Abhandlung über die Suche nach dem Düssel­ dorfer Mörder ein Bild, das wir hier nachdruden. Dem Bild ist folgende bemußt verlogene Beschriftung beigegeben.

Tatsächlich haben die Polizeibeamten, die bort ftolz auf threu Rossen fihen, mit dem Bürgerfrieg" gegen mehripse Arbeiter" gar nichts zu tun. Nicht einmal mit Düsseldorf . Berliner Tiergarten unb Vielmehr stammt das Bild aus dem von der Beilegung Stresemanns!

In Düsseldorf - Oberbilt standen allein 50 berittene Bo. 11giften bereit, um über mehrlofe Arbeiter herzu. fallen, die den 12. Jahrestag der ruffischen Revolution feierten. Aber auf eine Bilbfälschung mehr fommt es den Kommunisten Bährend der gejamie: Düsseldorfer Bolizeiapparat auf Bürger- nicht an, wenn es gegen Sozialbemotraten geht!