Nr. 575 46. Jahrgang
4. Beilage des Vorwärts
Eine Million soll hungern!
Unternehmer und Arbeitslose.
Sonntag, 8. Dezember 1929
Daudet sagt im„ Tartarin ", daß der Südländer nicht lü, Er sehe die Dinge eben anders. Das mache die Sonne. Eine Jahrestemperatur von minus acht Grad scheint die Phantasie noch ungleich stärker zu befruchten. Das Nordlicht ist offenbar gefährlicher als die Sonne. Potemkin ist übertrumpft.
Beitragserhöhung ist für die Herren„ Wirtschaftsführer" in den Eine Beseitigung des zu erwartenden Defizits durch Leistungs- Was der Arbeiter in Rußland verdient.
Unternehmerverbänden ein zu primitives" Hilfsmittel. Senfung der Leistungen der Arbeitslosenversicherung er. fcheint ihnen weniger primitiv. Die Herren find großzügig im Rechnen. Sie wollen grau in grau malen und sprechen daher von einem Zuschuß bedarf der Reichsanstalt in Höhe von 300 Mil lionen. Tatsächlich sind es rund 260, und davon lommen noch 60 Millionen, die das Reich für die Arbeitslosigkeit des fommenden Winters bereits vorgesehen hat, in Abzug. Es bleiben also eigentlich rund 200 Millionen Zuschußbedarf.
Richtig ist, daß vom 1. Januar bis zum 1. April durch eine Beitragserhöhung um 4 Broz. nur 50 Millionen hereingeholt werden tönnen. Es rächt sich jetzt, daß die Beitragserhöhung nicht schon im April erfolgte, wie die freien Gemertschaften das forderten. Hätte man ihnen gefolgt, dann hätte die Reichsanstalt jegt 150 millionen Reserve, und die Schwierigkeiten maren so gut wie behoben. Aber die Wirtschaft" darf ja nicht belastet werden. Zum Lafttier eignet sich viel besser der ausge. marcelte Arbeitslose. Er soll hungern, bis es ihm schwarz vor die Augen wird.
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Die humanen" Unternehmer erklären furz und bündig, daß der Zuschußbedarf der Reichsanstalt nur durch eine neue Reform" der Arbeitslosenversicherung, auf deutsch : durch eine Sentung der Leistungen hereingeholt werden dürfe, nicht aber durch Beitragserhöhung und nicht durch Reichshilfe.
Was bedeutet das? Der Zuschußbedarf beträgt, wenn das Reich und die Beitragserhöhung gänzlich ausgeschaltet bleiben, 260 Mil. fionen. Ein Hauptunterftügungsempfänger toftet im Monat 80 m.
Potemkin übertrumpft.
Rüdblid auf das Jahr 1948.
Mis
Befannt find die sogenannten Potemkinaden. Ratharina II. mit ihrem Günſtling Botemfin die von diesem ver maltete Strim besuchte, war sie entzüdt von dem Empfang. Ueberall
faubere Dörfer, gut angelegte Chausseen, große Blehherden, gut
genährte Bauern.
Es gab aber weber Chauffeen noch Dörfer. Das ganze war ein Kulissenschwindel.
Diese Methode hat sich auch im bolichemistischen Rußland erhalten und scheint es übrigens dort zu einer befonderen Blüte gebracht zu haben. Die neueste Leistung stellt aber alles, was man bisher darüber gehört und gelesen hat, in den Schatten. Potemfin erscheint daneben ein arm fettger Stümper.
Das offizielle Berliner Stalin- Drgan bringt am Sonnabend auf der 2. Beilage, über die ganze Breite des Blattes, folgende Ueberfchriften: Bom Siebenstundentag zum Fünfftundentag. Das Land mit der fürzesten Arbeitszeit der Welt. 3m Jahre 1948 bei fünfftündiger Arbeitszeit und sechefachem Friedensteallohn die hundertfache Jahresleistung. Perspektiven des sozialistischen Aufbaus.
Es bedarf mohl teiner besonderen Erwähnung, daß dieses Land der Verheißung Somjetrußland ist. Der gläubige Sowjetleler mehe ihm, wenn er nicht gläubig ift! wird sagen: Fünfstundentag und sechsfacher Friedensreallohn seht ihr, so fieht es in Sowjetrußland aus!"
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Daß es erst in 20 Jahren so aussehen follmenn man nach zwölfjährigem Banterott den bolfchemistischen Propheten noch ein Bort glauben darf und daß es einfach idiotisch ist, heute Dorauszusagen, in welchem Berhältnis Lohn, Leiftung und Arbeitszeit sich in 20 Jahren verhalten werden, das ficht einen gläubigen Stalinisten nicht an. Alle Wunder beruhen auf ähnlichen Aus
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fentung mürbe bedeuten, daß im Winter
rund eine Million Hauptunterstüßungsempfänger zum Teil teine, zum Teil nur eine lächerlich geringe Unterstüßung erhalten. Man stelle fich vor: Eine Million Menschen, die ohne ihre Schuld arbeitslos geworden sind, soll also hungern! In England erhält die Arbeitslosenversicherung von der Regierung einen Kredit 650 millionen in Anspruch genommen worden. Darüber hinaus soll in Höhe von rund 800 millionen Mart, davon sind der Arbeitslosenschuh nun noch verbessert werden. Deutsch land ist gewiß nicht so wohlhabend wie England, es ist aber auch nicht so grm, daß es eine Million Arbeitslose im Winter hungern laffen muß.
Wollen die Herren Wirtschaftsführer eine Krise entfesseln? Das Bombenwerfen gegen die Reichsregierung ist zurzeit ja für viele, die sich als Retter aus der Not vorkommen, die Lieblingsbeschäftigung. Im Arbeitgeberlager scheinen manche Leute vollständig verblendet zu sein. So fragt die Arbeitgeber zeitung, ob die Vorlage des Reichsarbeitsministers auf Erhöhung der Beiträge etwa die Antwort auf das wirtschaftliche Erneuerungsprogramm der deutschen Industrie sei.„ Wir können uns," jo erklärt das Arbeitgeberblatt großspurig, nicht denken, daß das schaffende heißt es: Herum das Steuer, aber gründlich und sofort!" Bürgertum fich solchen Bahnsinn noch weiter, gefallen läßt. Jetzt
Der Finanzdiktator, der die Reaktion und der sich selbst präsen tiert, weil im demokratischen Staat die reaktionären Pläne feine Aussicht haben, auf dem Verfassungswege verwirklicht zu werden, scheint in erster Linie als Hungerdiktator bestimmt. Was ihn uns nicht sympathischer macht.
geburten einer frankhaften Phantasie. Wenn ein Kind aus Wolfengebilden eine Frauengestalt herausfah, dann braudyte nur noch ein tüchtiger Pfarrer im Dorf zu wohnen, und das Wunder der Erfcheimung der Jungfrau Maria war vollbracht. So verhält es fich scheinung der Jungfrau Maria war vollbracht. So verhält es sich mit dem Lande ,, mit der türzesten Arbeitszeit".
Auch 3 ahlen enthält der Artikel, die nicht minder phantastisch sind und deren Herkunft nicht minder miratulös ist. Manchmal aber spurt in diese Gespensterwelt die nadie, traurige Birklich teit hinein: ,, Sozialistischer Aufbau in Sibirien ist eine der Ueberschriften eines Bersammlungsberichts auf derselben Seite. Da heißt es:
,, Rurnosento sprach. Zehn Minuten. Jedes Wort eine Sprenggranate. Jede Silbe Fanatismus. Fanatismus für eine Sache, die fiegen wird Gold wird sein, und Platin und Graphit. Fabriken werden ihre Schlote aus dem Urwald zum Nordlicht emporreden und elektrisches Licht wird kommen. Neue Dampfer werden fahren... Aus dem Eis mird der Sozialismus erstehen. wie im Süden aus den Giganten der Jchwarzeń Erde,"
Arbeitslöhne in der Großindustrie.
Die Statistika Truda"( Nr. 5-6), die Monatsschrift des Statistischen Zentralamts des Arbeitskommissariats, gibt eine lebersicht des durchschnittlichen Monatsverdienstes für die erste Hälfte des Wirtschaftsjahres 1927/28 und 1928/29 in den einzelnen Indienst in den einzelnen Industriezweigen ein durchaus ver dustriezweigen. Daraus ist zu ersehen, daß der Monatsperchi e den hoher ist. Die Metallarbeiter, die Buchdrucker, die Bekleidungsarbeiter, die Lederarbeiter, die Lebensmittelarbeiter und die Arbeiter der chemischen Gruppe liegen mit ihren Lohnbezügen über dem Durchschnitt, während auffallenderweise die Bergarbeiter und ferner die Holzarbeiter, die Papierarbeiter, die Textilarbeiter, die Arbeiter der Glas und Fayenceindustrie und die Arbeiter der Zuckerindustrie( 44,73 Rubel Monats verdienst!) zum Teil sehr start unter dem Durchschnitt von 70,29 Rubel ( 1. Hälfte 1928/29) liegen. Daraus ergibt sich, daß bei der Bemeffung des Arbeitsverdienstes allen örtlichen Verhältnissen.( Land Stadt) und den sonstigen die Lohnhöhe in Westeuropa beein flussenden Momenten auch in Sowjetrußland Rechnung getragen wird.
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Was die Aufbesserung der Nominallöhne anbelangt, fo ist sie mit 7,6 Prozent im Durchschnitt eine sehr geringe. Auffal lend niedrig ist der Monatsverdienst der Bergarbeiter mit 64,61 Rubel in der ersten Hälfte 1928/29. Was die auftraft der Nominallöhne anbelangt, so ist zu berücksichtigen. daß der 1928/29 Inder der Kleinhandelspreise im Durchschnitt für das Wirtschafts jahr 1927/28 197( 1913 100) betragen hat und in der ersten Hälfte des Wirtschaftsjahres 1928/29( Oftober 1928 bis Oftober 1929) eine fortgesette Steigerung eingetreten ist, die am 1. April 1929( Ende des ersten Wirtschaftshalbjahres) 210 erreicht hat. Daraus ergibt sich, daß eine durchschnittliche Aufbefferung der Löhne von 7,6 Prozent der Steigerung der Kleinhandelspreiſe nicht gerecht geworden ist, daß somit eine Aufbefferung des Real. daß die Warentnappheit in den staatlichen und konsum lohns feinesfalls eingetreten ist, zumal, wenn man berücksichtigt, genossenschaftlichen Läden den Arbeiter zwingt, in steigendem Um
fang beim teuren Privathandier einzukaufen.
Vereinsspielerei bei den Steinsehern.
Zurüd zur Gewerkschaft!
Für die Berliner Steinfeger, Rammer und Hilfsarbeiter menden die Aussichten auf dem Arbeitsmartt immer trüber. Die Pflasterarbeiten, die durch den Untergrundbahnbau notwendig find größtenteils beendet. Durch die Bettung Straßen Ber
ist Kurnofento, der Brophet? Der Bericht fagr:„ Führer bangleise in Rajen, its beebie früher in einplater, shu jest
des Jozialistischen Aufbaus auf einem Territorium, das dreim af größer ist als Deutschland und auf dem nur 25-000 Menschen wohnen." Und wie sieht es in diesem wunderbaren Bunderlande( ,, durchschnittliche Jahrestemperatur minus acht Grad") heute aus? Wir zitieren wörtlich nach dem Bericht:
Steinfegern" ebenfalls ein großes Arbeitsgebiet verloren. Die Droffelung der öffentlichen Arbeiten infolge der Sparmaßnah men macht sich gleichfalls für das Steinfegergewerbe start bemertbar durch die Zurückstellung der dringend notwendigen Reparaturen und Neuanlegung der Ausfallstraßen Berlins . Kurzum, während in Die zwei Milizionäre regelten den Berkehr, was nicht ganz den letzten Jahren im Berliner Steinfegergewerbe eine ausge einfach war. Denn nur auf schmalen Brettern fonnte sprochene Hochtonjunttur herrschte und der Bedarf an Fach man von dem Knüppelmeg, über den fußtiefen| arbeitern oftmals nicht gedeckt werden konnte, ist für die nächste Schlamm, zum Bersammlungshaus turnen, das bekanntlich Zeit mit den schlechtesten Konjunkturverhältnissen zu rechnen. nur für hundert Leute Raum gab."
Dieses Versammlungshaus" ist eine Bretterbude, die als Fabrit" firmiert... Gold wird sein und Platin und Graphit, Fünfstundentag bei sechsfachem Friedensreallohn, bei minus acht Grad Jahrestemperatur. Aus dem Eis wird der Sozialismus erstehen.
Daß die Zeiten niedergehender Konjunktur von den Undernehmern dazu ausgenugt werden, um die Lohn- und Arbeitsverhältnisse zu verschlechtern, ist eine Erfahrung, die auch den Arbeitern im Steinfeggewerbe nicht fremd sein dürfte. Das wirkfamfte Mittel, sich gegen solche Unternehmerabfichten zu wehren, ist bisher immer der straffe gewerkschaftliche Zusammen
als Weih
Der gute Onkel Stiller schenkt jedem Kinde beim Einkauf von Kinder- Schuhen
nachtsgabe ein reizendes Unterhaltungsspiel!
Also, Kindes, auf zu
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