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BERLIN Donnerstag 12. Dezember

1929

Sup

Der Abend

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B 290 46. Jahrgang

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Schacht als Regierungsstürzer?

Ergebnislose Beratung der Parteiführer im Reichstag.

Die Krife oder der frisenähnliche Zustand, in dem wir uns be­finden, iff lehten Endes zurückzuführen auf den vom Reichsbaut. präsident Schacht ausgeübten Finanzdespotismus, der die fajwierige Kaffenlage des Reiches dazu benützt, der Reichsregierung und dem Reichstag feine Diffate aufzuerlegen. Im Augenblic wird angenommen, daß die turzfristige Anleihe von 25.0 Millionen, die das Reich zum Ultimo braucht, faum zu haben sein wird, wenn nicht der Reichstag zuvor noch nach dem Willen Schachts Steuererhöhungen im Betrage von einigen hundert Millionen beschließt.

Daraus erklärt sich die große Rolle, die in diesem Augenblick in den Beratungen der Parteiführer das fogenannte Sofortpro­gramm der Regierung spielt. Die ursprünglich von der Regierung gewünschte mehr oder weniger platonische Zustimmungs­erklärung des Reichstags zu dem Finanzprogramm der Regierung hat feine besondere Bedeutung. Das sind Fragen, über die man mit Stilijierungen urd Formulierungen hinwegkommen tönnte.

Als entscheidend wird die Frage angesehen, ob der Reichstag in der nächsten Woche die Beitrags­erhöhung zur Arbeitslosenversicherung und die Erhöhung der Zabatiteuer beschließen wird, oder ob etwas anderes gefunden wird, was an die Stelle dieser geplanten Verbesserungen der Reichs­cinnahmen gesetzt werden könnte.

Diese Frage kompliziert fich nun in etwas eigenartiger Weije mit der Frage des Bertrauensvotums. Noch bis geffern shien es, als ob alle Regierungparteien bereit wären, der Regie­rung das Bertrauen zu votieren. Neuerdings stellt sich die Bolts. partei als rabiate Gegnerin einer jofortigen Beitragserhöhung in der Arbeitslosenversicherung auf den Standpunkt, daß ein Bertrauensvotum als Zustimmung zu dieser Beitragserhöhung aufgefaßt werden könnte, daß sie also

nicht in der Lage sei, für ein solches Vertrauensvotum au stimmen.

Es muß sich im Lauf der nächsten Stunden oder spätestens des morgigen Tages zeigen, ob nicht doch noch eine Trennung dieser beiden Materien möglich ist, wie sie der Logik entspricht. Da alle Regierungsparteien dringend das Bleiben der Regie. rung wünschen, weil teine, wenn sie stürzt, einen Ausweg fieht, ist es auch logisch, wenn ihr alle das Bertrauen votieren.

Hat die Regierung das Vertrauensvotum des Reichstages, fo mag sie weiter sehen, wie sie sich durchsetzt, entweder dem Reichs­tag gegenüber, indem sie ihr Sofortprogramm zustande bringt, oder der Finanzwelt gegenüber, indem sie die notwendigen Barmittel erhält, für die das Reich angesichts seiner ungeheuren Einnahmen wahrlich immer noch gut ist.

Ob eine Entwirrung der Situation noch möglich ist, dafür wird viel von der Rede des Reichskanzlers abhängen, die man im Reichstag mit ganz außerordentlicher Spannung erwartet. Der Reichsfinanzminister wird heute noch nicht sprechen, sondern erst in der Debatte das Wort ergreifen. Die Parteiführerbesprechung des Vormittags blieben ohne Ergebnis. Die für 12 Uhr mittags angesetzte sozialdemokratische Ergebnis. Die für 12 Uhr mittags angesetzte sozialdemokratische Fraktionssihung wurde abgesagt. Die Fraktion fritt nach der Regie­rungserklärung Müllers wieder zusammen.

Schaumburg- Lippe .

Der Miniaturffaat, der nicht sterben tann.

Hannover , 12. Dezember( Eigenbericht. In der Mittwochsizung des Schaumburg- Lippischen Landtages fam die Frage des Anschluffes an Preußen wieder zur Sprache. Staatsrat Genosse Lorenz beantwortete eine Anfrage an die Regierung dahin, daß im September diesen Jahres erneute Be­fprechungen im Breußischen Ministerium des Innern stattgefunden hätten, sie hätten aber noch nicht zu bestimmten Bindungen geführt.

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Das Diätengesetz.

Mein Schmerz ist ungeheuer; Auch Lärmen wird jetzt teuer!

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Jugendselbstmord.

Mit 16 Jahren in den Tod.

Heute früh gegen 8 Uhr fand man am Wasserturm auf dem Güterbahnhof Wildpark den 16jährigen Kaufmannslehrling Werner Lemm aus Pots­ dam , Werderscher Weg 26, erhängt auf. Der Ver­storbene war als Lehrling bei der Firma Bolle in Pots­ dam , Blücherplak, beschäftigt; er soll sich dort ver­schiedene Unregelmäßigkeiten haben zuschulden kommen lassen.

Schreckensherrschaft in Kabul .

Auch Nadir Khan läßt hinrichten.

Peshawar , 12. Dezember.

Zur Unterdrüfung einer oppofifionellen Bewegung hat Nadir Khan eine Straferpedition in den Nordwestbezirk Kohidaman entsandt. 20 Angehörige des Stammes der Kohidaman sollen nach der Hauptstadt Kabul gebracht und dort hingerichtet worden fein. In der vergangenen Woche sind in Kabul neun Personen hingerichtet worden, da sie ein komploff zum Sturze der Re­gierung Nadir Khans geplant hätten.

Unternehmer machen in Krise.

Kampf gegen Sozialismus und wirtschaftliche Demokratie.

der Presse über die Finanzreform bekanntgeworden sei, fönne der Industrie nicht genügen. Dem Regierungsprogramm der Finanz­Sofortige Hilfe reform fehle die große wirtschaftspolitische Linie. sei für die Wirtschaft notwendig, nicht ein Programm auf die Dauer von fünf Jahren. Die Wirtschaft sei, am Ende ihrer Kraft"!

Der Reichsverband der Deutschen Industrie hat heute seinen| daß diese Versammlung überflüssig gewesen ist. Das, was aus Generalangriff auf Regierung, Reichstag und öffentliche Meinung zur Durchsehung feiner finanz- und wirtschaftspolitischen Forderun­gen in einer Riefenversammlung in der Scala fortgesetzt. Die Krollschen Festfäle waren für die erschienenen Dreitausend zu klein. Das Reich war in der Versammlung durch den Reichsaußenminiffer Dr. Curtius, durch den Reichswirtschaftsminister Profeffor Moldenhauer vertreten, Preußen durch den Handelsminister Dr. Schreiber, außerdem jah man Herrn Eckener, Dr. Dorp­müller, natürlich Herrn v. Siemens und Herrn v. Raumer.

Nur einen sah man noch nicht, auf den die ganze Berjamm­lung, wie selbstverständlich wartete, und sie wartet noch auf ihn in dem Augenblic, wo wir diesen Bericht geben, das ist der Reichs bantpräsident Dr. Schacht. Sein Erscheinen in diesem Unternehmerparlament, das drei Stunden vor dem Zusammentritt des Reichstages seine Forderungen noch einmal in die Deffentlichkeit hinaustrug, ist allerdings überflüssig. Herr Dr. Schacht hat die Hauptarbeit, die für den Reichsverband der Deutschen Industrie zu machen war, bereits vorher getan.

Reichswirtschaftsminister Dr. Moldenhauer legte ein offenes Bekenntnis für das kapitalistische System ab. Er stehe nicht auf der Seite derjenigen, die glauben, daß die Zeit des freien Unternehmers und des Gewinnstrebens als wichtigster Boraussetzung zum wirtschaftlichen Aufstieg vorüber sei. Aber trotz dieses Bekenntnisses fam der volksparteiliche Minister nicht daran vorbei, daß ohne die Berücksichtigung der Machtverhältnisse nicht regiert werden könne.

in dem Wandel der wirtschaftlichen Verhältnisse tomme dem fozialen Moment immer wachsende Bedeutung zu, eine Wirtschaftspolitik, die diese fozialen Momente nicht berück­sichtige, müsse an den dadurch erzeugten Spannungen zerschellen. luftleeren Raum gemacht werden, sie müffe erfolglos fein, luftleeren Raum gemacht werden, fie müsse erfolglos sein, menn sie die Gesetze der Wirtschaft nicht beachte. Für seine Person die Berantwortung ab. wenn das Programm nicht ganz durchgeführt werde, lehne er stehe und falle er mit dem Finanzprogramm des Kabinetts;

Freilich dürfe aber auch die Sozialpolitit nicht im

Geheimrat Duisberg eröffnete furz nach 10 Uhr die Ber­sammlung. Als er die Gäste begrüßte, begrüßte er auch den Reichs bankpräsidenten Dr. Schacht. Aber es war bemerkenswert, daß sich auch ein sehr vernehmliches 3ischen in den spontanen Beifall mischte, der bei der Erwähnung des Namens Schacht in hundertprozentig reinen Sapitalistenparlament, wie es eine Ber der Versammlung ausbrach. Das gibt es also selbst in einem so fammlung des Reichsverbandes der Deutschen Industrie darstellt. Herr Duisberg verwahrte fich dagegen, daß die Arbeit und die Forderungen des Reichsverbandes irgendetwas mit 3wed. bandes durch durch seine Tätigkeit im Aufsichtsrat des pessimismus oder gar mit Katastrophenpolitik zu G. Farbentrusts bekannt ist und da er auch politisch den tun hätten. Allmählich komme in der deutschen Wirtschaft und auch Interessen der Schwerindustrie und ihren Zielen nahesteht. in der deutschen Deffentlichkeit die Einsicht, nachdem der Reichsver­band von 1925 bis 1928 vergeblich gegen die zerstörerische Wirtschafts- und Sozialpolitik sich gewendet habe.

3wed

Das Drängen nach einer die Wirtschaft erleichternden und die Erfolg geführt, zu dessen Herbeiführung auch die heutige Bersamm Kapitalbildung fördernden Reichsfinanzreform habe endlich zu einem lung einberufen worden sei. Herr Duisberg muß aber zugestehen,

Der Minister fand starken Beifall. Es ist nicht ganz ver­wunderlich, da er gerade dem Präsidenten des Reichsver­

Dann ergriff Herr Duisberg noch einmal das Wort. Er nagelte den Reichswirtschaftsminister auf dessen Wort fest, daß er Vertreter und Anhänger des tapitalistischen Systems sei. Er rief dem

Minister zu:

Landgraf werde und bleibe hart! Die Parole für diese Tagung der Unternehmer ist damit gegeben. Es geht mit aller Schärfe gegen alles, was Sozialismus, soziale und wirtschaftliche Demokratie heißt. Das fam auch in dem Referat

Die Schaumburg- Lippische Regierung werde Anfang Januar 1930 Die Zuchthausrevolte von New York . musdruck, das Dr. Müller- Derlinghausen über

Dem Landtag eine Borlage zugehen lassen. Die preußische Gesamt­regierung werde sich mit dieser Frage aber erft beschäftigen, wenn ein von 3meidritteln der Abgeordneten unterstützter Antrag Schaum­ burg- Lippe vorliegt.

Die Berliner Stromtarife. ( Siehe 7. Seite.)

,, Wirtschaft und Sozialpolitik" hielt. Wenn man den Kapitalismus wolle, so rief er aus, dann mache man ihn ganz ohne. Kom­promisse. Wolle man aber den Sozialismus, dann mache man auch diesen ganz, und wenn er zum Bolschewismus führe!