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1 Beilage zumVorwärts" Berliner VolfMatt. Ur. 55. Dmmrrstagl, den 5. Mär; 1896. 13. Jahrg. Neichskag. 51. Sitzung vom 4. März, INHr. Am Tische des Bundesraths: v. Bötticher, Graf Posa- d o w s k y. v. H a m m e r st e i n. In Anwesenheit von 14 Mitgliedern, außer dem Bureau, eröffnet der Präsident die Sitzung. Eingegangen ist die Denkschrift über die Thätigkeit des Patentamtes. Die erste Berathung der Zuckersteuervorkage wird fortgesetzt. Abg. Götz von Olenhusen (Welse): Wir sind bereit, auf den Boden der Berlage zu treten, damit die Zuckerfabriken, mit deren Bestand die Landwirthe rechnen müssen, erhalten werden. Wir betrachten die Vorlage als ein Kampfgesetz gegenüber einem unhaltbaren Zustand. Das Sleigen der Preise hängt zusammen nicht mit den: Rückgang des Rübenbaues, sondern nur mit dem Fehlen des kubanischen Zuckers. Wenn die Vorlage zu Fall kommen sollte, so werden die Preise wieder erheblich fallen. Die billigen Zuckerpreise sind entstanden durch die deutsche Zuckerindustrie, welche kräftig genug war, sich auszudehnen trotz der ausländischen Konkurrenz. Wenn die Zuckerindustrie Deutschlands einmal ruinirt sein wird, dann werden die Preise noch ganz anders steigen. Redner empfiehlt die Annahme der Vorlage als Landwirth, nicht als Mitglied des Bundes der Landwirthe, dessen Agitation ihm oft als gefährlich erschienen sei. Die Landwirthe in Braun« schweig und Hannover stehen nicht auf dem Boden dieser Agitation, die nicht nach deutscher Art ist, trotzdem das Organ des Bundes die Devise an der Stirn trägt: Für Kaiser und Reich, für deutsche Art, für deutsche Arbeit in Stadt und Land. Trotz aller Artistenkunststücke kann ich die Agitation des Bundes nicht billigen, weil sie der Landwirthschaft nicht nützt. Ich hoffe, daß die Vorlage die Genehmigung des Hauses finden wird. Abg. Paasche(natl.): Ich werde mich im allgemeinen an die schärfere Tonart halten, die durch Herrn Bock zum Ausdruck gekommen ist. Es ist nicht wahr, daß es sich nur um ein einziges Jahr des Rückganges handelt, sondern um einen dauern- den Rückgang handelt es sich.(Widerspruch des Abg. Rösicke.) Ich habe die Ergebnisse von einer ganzen Reshe von Zucker« sabriken. welche das beweisen.(Zuruf Richter's ; Vorlegen!) Ich kann doch die mir diskret anvertrauten Zahlen nicht hier offen bekannt machen.(Lachen links.) Die Zuckerpreise sind erheblich zurückgegangen; Redner giebt die Zahlen bis 1894.(Zurus Richter's: Weiter!) Ja, daß die Preise jetzt hoch sind, das weiß ich; das bestreite ich auch nicht. Der Minister hatte vollständig recht, wenn er Herrn Richter das Berständniß für landwirthschaftliche Dinge bestritt.(Zuruf Richters: Aber Sie haben es!) Ja, als gelernter Landwirth habe ich das Ver- ständniß. Die Prämien haben die Konkurrenz aus dem Welt- markt aufrecht erhalten; da kann man nicht sprechen von der Belastung des armen Mannes. Die Prämien haben die Ueber- Produktion geschaffen und damit den Zucker verbilligt für den armen Mann.(Gelächter links, Zuruf: Professorenweisheit!) Die Prämien sind bis auf den letzten Pfennig den Konsumenten zu Gute gekommen.(Gelächter links.) Wes- halb ängstigt man sich in Frankreich und Oesterreich um unsere Prämie? Doch nur, weil sie den Weltmarktpreis drücken wird.(Zuruf Richter's : Erhöhung der Verbrauchsabgabe um S M.!) Die kommt auf der andern Seite.(Lachen links.) Halten Sie mich denn für einen so schlechten Rechenmeister? (Zurus Richter's: Jawohl!) Ich will Ihnen ja nur vorrechnen, daß Sie falsch gerechnet haben, daß Sie etwas abstreichen müssen von der berechneten Belastung. Derjenige, der den billigsten Preis stellt, bestimmt die Höhe des Preises.(Widerspruch links.) Sie werden mir diese ökonomische Lehre nicht ausreden. Daß wir niemals zu einer Beseitigung der Prämien komme» werden, wenn wir allein unsere Prämien aufheben, darin stimme ich den Vertretern der Regierung zu. Man spricht von einer ungesunden Ausdehnung der Industrie, aber nur bei der Zucker- industrie; wenn die Eisenindustrie oder eine andere Industrie sich ausdehnt, trotzdem hin und wieder eine Krisis eintritt, so spricht man von einem technischen Fortschritt. Dem Kapital fällt gar kein Gewinn zu. Man hat es geleugnet, daß die Preise durch spekulative Thätigkeit gesteigert sind. Im Februar 1896 war ein Weltvorrath von Zucker vorhanden von 2 300 099 Tonnen, 1895 von nur 2 500 000 Tonnen, 1894 von nur 1 800 000 und 1893 von nur I 600 000 Tonnen, also jetzt 1 Million Tonnen mehr als in normalen Jahren. Was will dagegen der Aussall in Kuba von 700 000 Tonnen bedeuten? Dieser Ausfall kann auch noch verschwinden. Ob die Vorlage unverändert angenommen werden kann, ist allerdings zweifelhast. Abg. von Komierowski(Pole) erklärt sich gegen das Abg. Meyer-Danzig (Rp.): Meine Freunde werden die Vorlage unterstützen, wie sie alles thun wollen, was für die Landwirthschaft und namentlich für die Zuckerindustrie Nutzen bringen kann. Die Belastung des Verbrauches wird als eine unerträgliche dargestellt. Aber gerade die ge- schützte Industrie hat die billigen Preise erst zu wege gebracht. Meine Freunde halten eine Kontingentbemessung auf 17 Millionen Doppelzentner mindestens für nothwendig; ein Kontingent von nur 14 Millionen würde eine Zurückschraubung unserer Industrie sein. Die Preissteigerung begann mit dem Bekanntwerden der kuba- nischen Ernte und wurde beeinflußt durch die Borlage, mit deren Zustandekommen die Spekulation natürlich rechnete. Aber für die Dauer der ganzen Kampagne wird der höhere Preis nicht gelten. Kommt die Prämie zum Ausdruck im Weltmarkt- preise, so haben wir einen höheren Preis; geschieht das nicht, so werden die Konkurrenten beeinträchtigt und schränken ihre Produktion«in. Ohne Kontingent können wir die Prämie nicht erhöhen, ohne eine un- gemessene Ausdehnung der Industrie herbeizuführen. Wir wünschen ferner, daß wir zur Abschaffung der Prämien kommen »lögen, natürlich pari xasmi(im gleichen Schritt) mit anderen Staaten. Wir wünschen serner, daß bei Ermäßigung der Prämien auch die Konsumabgabe ermäßigt wird. In anderen Punkten gehen unsere Anschauungen auseinander. Wir hoffen aber zu einer annehmbaren Vereinigung zu kommen. Eine Prämie von 4 M. halten wir als unbedingt nothwendig für die Möglichkeit deS internationalen Wettbewerbs. Wir werden eifrig in der Rommission arbeite», um die Vorlage zu stände zu bringen. Minister v. Hammerstei»: Ich habe gestern mitgetheilt. daß eine Fabrik, die für 600 000 M. erbaut war, für 75 000 M. verkauft worden ist. Ich kann heule hinzufüge», daß eine Fa- brik, die 1 400 000 M. gekostet hat. für 300 000 M., also mit einem Verluste von 1 100 000 M. verkauft worden ist. An die Herren von der polnischen Fraktion möchte ich die Bitte richten, an den Verhandlungen in der Kommission möglichst objektiv theilzunehmen und zu prüfen, ob nicht doch die Anschauung die richtigere ist, daß die Interessen der östlichen Industrie mit denen der westl'hen und mitteldeutschen identisch sind. Ich warne davor, au' Kesem Gebiete eine Jnteressentheilung herbei- zuführen.> möchte dabei erinnern an die Geschichte von den beiden.vm, die sich aufgefressen haben und von denen nur die beiden Wedel übrig geblieben sind. Ich möchte davor warnen, daß der günstiger Stehende glaubt es länger aushallen zu können und deshalb zweckmäßige Maßregeln zurück- weist. Bei objektiver Berathung wird es gelingen, alle Jnter. essen möglichst zu berücksichtigen. Die Reichsregierung wird gern bereit sein, ihre Hand zur Verständigung zu bieten. Abg. Barth(srs. Vg.): Als der Staatssekretär die Ver- Handlungen eröffnete mit der Bemerkung, er»verde sich anato« mischer Ruhe befleißigen, sah ich darin ein günstiges Omen. Da Anatomen sich nur mit Leichen beschäftigen, so sah ich die Vorlage als eine Leiche an.(Heiterkeit.) Gestern hielt er aber die Vorlage wieder für sehr lebendig, er gab sogar seine Ruhe aus und wandte sich gegen die schlechten Menschen, die von dem Schutz der nationalen Arbeit nichts wissen wollen. Von dem Schutz der nationalen Arbeit haben namentlich die Agrarier profitirt, aber niemals ist so viel gejammert worden, wie gerade jetzt, wo das Schutzzoll-System herrscht.(Sehr richtig! links!) In England klagt man nicht so viel als bei uns; es sind dort wie hier hauptsächlich die Großgrundbesitzer, welche auf die Pachtrente angewiesen sind. Das sind einflußreiche Leute, die der jetzigen englischen Regierung sehr nahe stehen. Da ist denn eine Deputation empfangen worden und Lord Salisbury hat ihnen einige freundliche Worte gesagt, aber er hat bedauert, daß er ihnen nicht helfen könne. Das möchte ich unfern Ministern auch empfehlen.(Heiterkeit.) Unsere Minister erklären aber immer: Wir wollen euch helfen, soweit es in unseren Kräften steht. Im Parlament hat Lord Salisbury jede Protektion für die Landwirthschaft aber weit von sich gewiesen. Es steht mit der Landwirthschaft in England gar nicht so schlecht, die land« wirlhschastliche Produktion steht der deutschen ziemlich gleich. Ein Preisrückgang in Zucker hat stattgefunden; aber die jetzigen Preise entsprechen schon wieder den Preisen vor der Krisis. Die Behauptung des Staatssekretärs, daß die Spekulation die Preise beeinflußt habe, hat nicht an sich unsere Heilerkeit hervorgerufen, sondern nur in dem Zusammenhang, daß die Spekulanten die Preistreibereien veranstaltet habe» sollen, um die Vorlage zu Falle zu bringen. Glaubt der Staatssekretär wirklich, daß die Spekulanten mit Absicht Geld verlieren wollen? Das würde doch aber der Fall sein, wenn sie das Fallen des Gesetzes herbeiführen wollen und trotzdem höhere Preise niachen. Die Vorgänge in Kuba sind ein wahres Glück für die deutschen Rübenproduzenten, weil dadurch gegenüber der Ueberproduklion wieder normale Zustände geschaffen wurden. Die Kontingentirung halben Zweck, das Angebot auf dem Welt« markt zu beschränken. Aber wenn das deutsche Angebot beschränkt wird, dann werden die anderen Konkurrenten erst recht vorgehen, es wird die Produktion erweitert werden, in Frankreich z. B., und die Preise werden erst recht gedrückt auf dem Weltmarkt, während durch die Steigerung der Verbrauchsabgabe der in- ländische Konsum Deutschlands vermindert wird. Die perniciöse Wirkung der Vorlage wird für die Konsumenten lange nicht so groß sein, wie für die Znckerindustrie selbst. Die Stellungnahme des Zentrums entsprich: durchaus dem, was der Abg. Orterer im bayerischen Landtag bereits im Dezember 1894 ausführte, als er von der Mittellinie sprach, die man suchen müsse. Will man einer kleinen Prämienerhöhung wegen die Gefahr der Kontingentirung auf sich nehmen? Lohnt es sich deshalb, die Zuckerproduzenten und die ganze Bevölkerung zu belästigen? Es ist nicht richtig, daß derjenige, der am billigsten produzirt, die Preise bestimmt, sondern jeder nimmt, so viel er bekommen kann. Die Nachfrage entscheidet den Preis auf dem Weltmarkt wie aus dem offenen Markt. Das sind die Anfangsgründe der Volkswirthschast.(Widerspruch des Abg. Paasche.) Bei dieser zweifelhaslen Wirkung der Vorlage muß der Reichstag prüfen, ob er dem Volke eine Belastung mit 50 Millionen Mark auferlegen kann. Ich lehne die Verantwortung für«inen solchen Zweck durchweg ab. Abg. Zimmermann(Reform.-P.): Durch die Unterzeichnung des Antrages Paasche haben wir uns nicht gerade für diese Vorlage gebunden, denn sie enthält manche bedenkliche Punkte. Ich verkenne die Bedeutung der Aussuhr und der Industrie überhaupt nicht, aber die Opposition aus landwirthschastlichen Kreisen scheint mir doch einer Beachtung werth zu sein. Für unsere gesammte Landwirthschaft scheint mir nicht die Rüben- zucker-Jndustrie, sondern der Körnerbau das wichtigste zu sein. Es ist eigentlich wunderbar, daß diese Vorlage vom Regierungs- tische verlheidigt wird, während der Antrag Könitz bekämpft wurde, trotzdem doch beide eine Einwirkung auf den Preis be- absichtigen. Wir wollen den Rübenbauern Helsen , aber es wird sich fragen, ob wir diese Vorlage nicht begrenzen wollen, und zwar für die Zeit, während welcher die Handelsverträge gelten.(Lachen bei den Sozialdemokraten.) Sie haben allerdings unter den Handelsverträgen Ihre Seide ge- spönnen und hoffen das weiter zu thun.(Sehr richtig! rechts.) Die Kontingentirung wird ja manche Härte» mit sich bringen; aber es muß der Versuch gemacht werden, den Rüben- bau zu kontingentiren, nicht die Zuckerproduktion, damit die kleinen und mittleren Landwirthe ihren Rübenbau aufrecht er- halten können. Unsere gesammte Zuckerproduktion werden wir wohl niemals im Inlands verzehren können. Wenn Herr Richter das auf ihn fallende Quantum genießen würde, dann würden seine Reden wahrscheinlich nicht so bitter sein.(Lachen.) Die Arbeiter der Zuckerfabriken haben unter manchen Uebelständen zu leiden; aber Herr Bock hat keinen Vorschlag gemacht, wie diesen Uebelständen entgegengearbeitet werden könne. Wir wollen den Arbeitern wenigstens ihr Brot erhalten. Wenn die Regierung jetzt die Prämie als Kampsmittel betrachtet, so frage ich, warum war man nicht bei den Handelsverträgen ebenso klug, dann hätten wir etwas besser gestanden. Mit Freuden begrüßen wir es. daß bei der Betriebssteuer die Staffel- neuer gewählt ist; noch erfreulicher wäre es, wenn man dieses Prinzip bei der Besteuerung überall durchführen wollte, nament« lich bezüglich der großen Bierbrauereien. Eine Strafe aus den technischen Fortschritt liegt in der Staffelsteuer nicht, denn wer mehr leistet, der wird dadurch auch leistungsfähiger für die Ge- sammtheit. Wenn aus der Vorlage etwas werden soll, dann müssen namentlich die Interessen der kleineren und mittleren Landwirthe berücksichtigt werden. Wie die Vorlage jetzt beschaffen ist, würde sie für mich und einen Theil meiner Freunde unannehmbar sein. Wir hoffen aber aus eine brauchbare, durch allseitige Vereinbarung zu stände zu bringende Vorlage. Abg. v. Staudy(dk.): Herr v. Puttkamer hat schon ange- deutet, daß nicht alle Mitglieder meiner Partei mit ihm überem- stimmen. Eine prinzipielle Meinungsverschiedenheit kann natür- lich nicht vorliegen, denn wir alle stehen aus dem Standpunkt des Schutzes der nationalen Arbeit, wir wünschen de» Schutz der Zuckerindustrie und ihre Unterstützung durch Prä- mien. Es ist keine angenehme Sache, gegenüber seinen bewährten Freunden einen Dissens auszusprechen. Herr Götz von Olenhusen hat sich gegen den Bund der Land- wirthe gewendet. Im Namen aller meiner Freunde kann ich bemerken, daß der Bund der Landwirthe zum Zuckersteuer-Gesetz keine Stellung genommen hat, weil die Landwirthe verschiedener Meinung sind. Wir haben uns ober gewundert, daß Sie, Herr Götz von Olenhusen sich für befugt gehalten habe», dem Bund der Landwirthe vorzuhalten, daß er seiner Devise nickt treu ge- blieben sei. Daß der Rübenbau das Rückgrat der Lanbwirtb- sckast sei, diese Ansicht des Ministers theilen wir nicht. (Sehr wahr! rechts.) Wir meine», daß der Getreidebau die Hauptsache ist.(Sehr wahr! rechts.) Das Gesetz, wi» es v orge legt ist, wird unter den Konservativen ja im ganzen Reichstag nicht eine einzige Stimme finden.(Hört! links.) Unsere Bedenken kon- zentriren sich hauptsächlich auf zwei Punkte: Wir mißbilligen unbedingt die Kontingentirung. Das Eintreten der Krisis habe ich vorausgesehen, deshalb bin ich gegen das Gesetz von 1391 aufgetreten, welches ja überhaupt nur nut drei Stimmen Mehr­heit angenommen ist. Die Ausführungen des Grafen Bismarck, die vermöge ihrer staatsmännischen Diktion und ihrer sachlichen Auffassung einen Eindruck auf uns gemacht haben, gehen davon aus. daß wir dieses Experiment machen müssen. Wirthschast- liche Experimente zu machen, sollte man sich unter allen Umständen hüten.(Sehr richtig! bei den Sozialdemokraten.) Wenn wir unsere Produktion einschränken und anderen Länder» die Möglichkeit geben, ihre Produktion zu erhöhen, wird dadurch nicht unsere Stellung gefährdet?(Sehr richtig! links.) Wir sind auch zu diesem Experimente garnicht gezwungen. Die Preise ivaren erträglich mit Ausnahme eines Jahres. in welchem die Ueberproduktion eine zu große war, nicht blos in Deutschland , sondern auf der ganzen Erde. Jetzt sind die Preise schon wieder solche, daß die Zucker- produktiv» bestehen kann. Ueberall ist 1395 weniger geerntet worden als 1394, also haben wir ein Sinken der Zuckerpreise in nächster Zeit nicht zu befürchten. Durch den Rückgang des Rübenbaues um 26 Millionen Zentner ist die Gefahr der Ueberproduktion beseitigt, namentlich da der Ausfall der kubanischen Ernte noch hinzutritt. Den Prämienkampf mit den anderen Produktionsländern kann ich nicht auf mich nehmen um den Preis der Kontingentirung. Was hat es denn auch auf sich, wenn wir uns den Anbau von einigen Millionen Zentnern Rüben versagen; Rußland und Frankreich würden den Ausfall sofort wieder decken. Das Gesetz soll nur für kurze Zeit gemacht werden; wir müssen aber wünschen, daß die deutsche Zuckerindustrie endlich zur Ruhe kommt, nachdem sie Jahre lang hintereinander gesetzgeberisch beunruhigt worden ist. Es handelt sich darum, die kleinen Fabriken zu erhalten und die größeren zurückzuschrauben. Das richtet sich hauptsächlich gegen die Fabriken des Ostens zu gunsten der gut gestellten Fabriken von Mitteldeutschland . Der Kartoffelbau im Osten ist durch die Branntwein- Kontingentirung erheblich eingeschränkt worden. Kartoffeln und Rüben sollen wir nicht bauen; der Rübenbau lohnt nicht. Will man Getreide bauen, so wird man beinahe aus- gelacht. Was sollen also die Landwirthe machen? Wir wünschen, daß die Staatssekretäre energischer gegen Amerika austreten, wo unser Zucker chikanirt wird, während wir hier die vollste Rück- ficht üben. Im Westen und in Mitteldeutschland befinden sich Zuckerfabriken meist in den Händen von reichen Leuten. Wenn wir im Osten mit dem Westen kämpfen müßten, so würden wir unterliegen. Wir haben die großen Fabriken geschaffen aus unserer Armuth heraus, weil die Kraft des einzelnen nicht ausreicht dazu; wir mußten zu großen Gruppen zusamnientreten. Landwirthe aller Klassen sind zusammen- getreten, wir haben nur Rübenaktien. Wir müssen auf zehn Meilen Entfernung die Rüben zur Fabrik fahren. Wie viel theuerer die Fracht nach Hamburg von uns auS ist als vo» Sachsen aus, ist schon früher berührt worden. Die Kontingentirung hat den Nachtheil, daß sie eine große Beunruhigung in die Zuckerindustrie hineinbringt- in jedem Jahr soll neu kontingentirt werden. Die Beschränkung auf 14 Millionen Doppelzentner wäre namentlich für den Osten bedenklich; die Fabriken würden bis 25 pCt. weniger produziren dürfen. Natürlich werden die Aktionäre möglichst viel für sich behalten und die Kaufrüben iverden ausfallen. Das Rückgrat meiner Landwirthschaft ist der Rübenbau; ich könnte 30 pCt. mehr bauen, als ich baue; ick habe das nicht gethan, weil mir die Sache nicht sicher schien. Wenn die Fabrik, an der ich betheiligt Hins mit 100 Aktionären und über 300 Rübenbauern, das will, dann würden nach Annahme des Gesetzes sicherlich 200 Rübenbauern in Wegfall kommen können. weil die Aktionäre mehr übernehmen. Wenn das Kontingent auf 17 Millionen Doppelzentner erhöht würde, dann würde der gegenwärtige Rübenbau ausrecht erhalten bleiben; aber es würde niemand mehr zum Rübenbau übergehen können. Diesen Leuten, welche blos ans den Anschluß an eine Eisenbahn:c. warten, um zum Rübenbau überzugehen, das zu verschränken, das kann ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Unter diesem Gesetz könnte gar keine neue Zuckerfabrik mehr entstehen. Wir würden dann drei Klassen von Landwirthe» haben; die in Mittel- und Westdeutschland, wir Rübenbaucr im Osten und diejenigen, welch« keine Rüben bauen dürfen. Jeder Direktor einer Zuckerfabrik ist natürlich für die Kontingentirung, denn er wird dadurch zum mächtigen Mann; er kann die Rübenlieferung für die Fabrik vertheilen, deshalb sind die Rüben- Hauer vielfach durch die Direktoren beeinflußt. Der Gesetzentwurf ist doch recht sehr fiskalisch. Graf Posadowsky berechnet als Einnahme des Reichs von der Zuckersteuer das, was 1897 eingehen würde nach Wegfall der Prämien. Aber das Gesetz ist doch als ein erbärmliches bezeichnet worden von allen Seiten, und nun soll es bestehen bleiben in bezug auf die Prämien, deren Betrag soll zukünftig ohne weiteres in die Reichskasse fließen und die Einnahmen des Reichs ver- mehren. Die landwirthschaftliche Opposition ist doch keine so kleine, wie Graf Posadowsky gemeint hat; zahlreiche Landwirthe haben sich der Opposition angeschlossen, welche ausgegangen ist von einem bekannten Grundbesitzer, dem Herrn v. Tiedemann- Seeheim. Nachdem die Rede über eine Stunde gedauert, wird d,e Ungeduld des Hauses eine so große, daß sich überall Gruppen bilden, welche sich laut Unterbalten, so daß der Redner immer schwerer verständlich wird. Redner tritt für die Materialsteuer ein und vertheidigt dieselbe im Gegensatz zum Staatssekretär Grafen Posadowsky. Wenn man die Materialsteuer nicht wieder einführen will, dann sollte man die jetzt bestehende Prämie gesetzlich auf die Dauer festlegen. Bei meiner agrarischen Anschauung, zu der ich mich offen bekenne, werde ich alles thun. um der Zuckerindustrie zu helfen, aber wir verlangen Ge- rechtigkeit. Für die Kommissionsberathung trete ich auch ein. (Beifall rechts.) Um 5 Uhr 7 Minuten wird die vom Abg. Richter be- antragte Vertagung abgelehnt gegen die Stimme» der Sozial- demokraten und Freisinnigen. Minister v. Hammerstein: Ich habe den Rübenbau als Rückgrat für die Landwirthschaft bezeichnet insofern, als der- selbe den Ausgangspunkt sür jeden Fortschritt der Landwirth- schaft bildet. Um 5 Uhr 10 Minuten wird der Antrag des Abg. Richter auf Vertagung wiederholt und zugleich die Beschlußfähigkeit be- zweifelt. Da das Bureau zweifelhast ist, so wird zum NamenS- ausruf geschritten, welcher die Anwesenbeit von 165 Mitgliedern ergab, während 199 zur Beschlußfähigkeit erforderlich sind. Die Verhandlung muß desbalb ahgebrochen werden. Schluß nach 5Vs Uhr. Nächste Sitzung Donnerstag 1 Uhr.(Fortsetzung der ersten Beratbung des Zuckersteuer- Gesetzes und zweite Berathung der Novelle zur Gewerbe» Ordnung.)