1929
10 Pf.
Der Abend™
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Spälausgabe des„ Vorwärts"
46. Jahrgang
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Ende November hatte die Stadt Berlin mit ameri kanischen Banken einen Anleihebertrag über 15 Millionen Dollar, das sind mehr als 60 MilIionen Reichsmart, abgeschlossen. Fast drei Wochen hat die von dem Reichsbanfpräsidenten Dr. Schacht beherrschte Beratungsstelle benötigt, um überhaupt erst zu dieser Frage Stellung zu nehmen. Die entscheidende Sikung war auf heute mittag 12 Uhr angesett. Jetzt kommt die alarmierende Nachricht, daß die Beratungsstelle ihre Situng auf unbestimmte Zeit bertagt hat.
Diese Vertagung kommt einer Ablehnung der Amerika Anleihe der Stadt Berlin gleich. So werden die Bemühungen der deutschen Reichshaupt stadt, aus ihrer Finanzkalamität herauszukommen, fa
botiert!
Der Leiter dieser Sabotageaktion ist der Reichs bankpräsident Dr. Schacht. Er will seine seit Jahr und Tag betriebene kommunalfeindliche Politik init der finanziellen Abwürgung der deutschen Reichshauptstadt frönen. Die Stadt Berlin hat in folge ihrer finanziellen Schwierigkeiten bereits vor Wochen Ausgabedrosselung vorgenommen, deren Folgen für das Groß- Berliner Baugewerbe und den Arbeitsmarkt geradezu verhängnisvoll waren. So waren für notwendige Bauten von der Stadt 121 Millionen vorgesehen, dagegen wurden nur für 23 Millionen Bauten ausgeführt. Bor etwa zwei Monaten sind weitere Bauten im Werte von 18 Millionen zurückgestellt worden, die als unaufschiebbar anzusehen waren. Die Ende November abgeschlossene Amerika - Anleihe der Stadt sollte zur Abdeckung drückender kurzfristiger Schulden dienen, von denen am 1. Januar bereits 40 Millionen fällig werden.
Herr Schacht kennt diese Zusammenhänge nur zu gut. Was aber schert ihn die tajnitrophale Lage des Berliner Arbeitsmarktes, was fümmern ihn die dringendsten Aufgaben der deutschen Kommunen, er treibt ganz bewußt eine Katastrophenpolitit, bei der das Privat tapital im Trüben fischen will!
Es wird nun versucht werden, der Stadt Berlin unter Juanspruchnahme des deutschen Geldmarktes mit Silfe Preußens zu helfen.
Es erhebt sich die Frage: wer regiert in Deutschland ?
Die Arbeit des Reichstags.
Zolländerungen und Arbeitslofenbeitrag.
Die heutige Reichstagssigung beginnt bereits un 13 Uhr. Auf ber Tagesordnung stehen die erste Beratung des Gesezentwurfes über Zolländerungen und in Verbindung damit eine große Anzahl außenpolitischer Abkommen, die mit dem Zollgesetz in Verbindung stehen. Am Schluß der ersten Beratung wird der Reichs tag die Borlagen dem Handelspolitischen Ausschuß überweisen. Dieser hält bereits heute mittag eine Besprechung der Geschäftslage ab. Da dem Reichstag nur noch wenig Zeit zur Erledigung der Borlagen bleibt, rechnet man damit, daß der Ausschuß die Borlagen unter Zuhilfenahme von Abendsizungen erledigen muß. Auch Besprechungen unter den Regierungsparteien werden wiederholt notwendig jein, da in der Zollfrage noch erhebliche Meinungsverschiedenheiten bestehen.
Airßerdem find in dieser Woche noch die Initiativ. geseze zur Erhöhung des Arbitslosenversicherungs. beitrages und der Tabatsteuer zu erledigen. Diese Geseze be. dürfen nach ihrer Einbringung ebenfalls noch einer Ausschußberatung
Seute vormittag tagte im Reichstag außerdem der Haushalts ausschuß, um die Berahing des voltsparteilichen Antrages auf Startung der Stellung des Spartommiffars fortzusetzen.
Raubmord an einem Chauffeur.
Von seinem Fahrgast bei Malchow hinterrücks erschoffen. 1000 Mart Belohnung ausgesetzt.
Die Spuren eines schweren Verbrechens verfolgt die Berliner Polizei seit heute früh. Auf der Chauffce zwischen Lindenberg und Blankenburg wurde eine scheinbar führerlofe Autodroffe aufgefunden. Ein Wächter des Gutes, der auf den Riefelfeldern Nachtdienst hatte, fah, daß der Chauffeur tot auf dem Führersitz in fich zufammengefunken dalag. Die Mordkommission crfchieu alsbald am Tatort. Schon der erste Befund ergab, daß der Chauffeur, ein 34jähriger Ewald von Schalepaniti, von cinem noch unbekannten Täter hinterrüds erfchoffen und
| tung Carom ging, das Schiebefenster, das die Verständigung zwischen Fahrgast und Chauffeur ermöglicht, heimlich nach links hinübergeschoben und dann den Chauffeur durch einen Schuß in den Hinter fopf getötet haben. Bei der Waffe muß es sich um eine leirfalibrige Pistole gehandelt haben. Schalepanfti hatte feine Handschuhe noch an und die Hände hielten das Steuer krampfhaft umflammert. In dem augenscheinlich mur furzen Todeskampf muß Schalepansti mit dem Fuß noch die Bremse in Tätigkeit gesetzt Der Mörder hat dann fein Opfer ausgeraubt und den Wagen haben, so daß der Wagen augenblicklich zum Stehen gekommen ist. mit brennenden Lichtern stehen laffen. Die ausgeworfene Patronen. hülfe wurde auf dem linfen Trittbrett gefunden. Bei dem regne
dann beraubt worden ist. Den dem Täfer fehit bis zur Stunde jebe Spur. Für feine Ergreifung bzw. zweddienliche Angaben, die zu feiner Festnahme führen können, find 1000 mart Beloh- rischen Wetter, das am Sonntagabend und während der Naat nung, die ausschließlich für das Publikum bestimmt sind, ausgefest. Der Wächter befand sich gegen 6 Uhr früh auf einem Rundgang und sah an der Wegekreuzung zwischen Lindenberg und Blantenburg in der Dunkelheit eine Autodroschke stehen. Der Chauffeur faß auf dem Führersig, mit dem Kopf auf das Starer gelehnt. Der Wächter glaubte zuerst, daß der Chauffeur angetrunten gewesen und eingeschlafen sei. Als er hinzutrat und ihn wach rütteln wollte, mertte er zu seinem Entsezen, daß er einen Tofen vor sich hatte. Der Wächter benachrichtigte sofort das zuständige Polizeirevier. Die Polizeibeamten erkannten sofort, daß der Chauf fcur einem Berbrechen zum Opfer gefallen sei und benachrichtigten die Mordkommission. Soweit bis jetzt festgestellt werden konnte, hat Schalepansti von rüdwärts einen Schuß in den Kopf
erhalten.
Die Tage zeigt auf 30,20 Mart, der Wagen hat demnach anscheinend eine längere Fahrt hinter sich. Der Ermordete fann nur einen Fahrgast gehabt haben, da die Uhr auf Tarif I eingeschaltet war. Das Auto, ein 10/50 PS. Horch Wagen, hat Linkssteuerung. Der noch unbekannte Mörder muß nun während der Fahrt, die in Rich
Lange Leitung.
FLORATU
Heinz Stange, Borstandsmitglied der Deutschnationalen Handlungsgebifen, er. Härte feinen Austritt aus der DNBP., weil diese eine reine Arbeitgeberpartei fei.
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Ra- endlich hat er's doch mal bemerkt."
herrschte, ist die entlegene Straße wenig befahren; mit diesem Umstand hat der Mörder auch zweifellos gerechnet. Ein Polizeihund. der Witterung im Wagen nahm, wurde auf die Fährte gesetzt, doch besteht wenig Aussicht, daß diese Aktion erfolgreich fein wird, da der Regen die Spuren auf der Landstraße verwischt hat. Das Auto trägt die Nummer IA 8053 und ist Eigentum der Firma Grüntar aus der Dahlmannstraße in Charlottenburg . Der Wagen ist gestern mittog mit dem Chauffeur von Schalepanski vom Hof gefahren. Er wurde nach Mitternacht in der Garage zurück erwartet. Edhalepanjti wird als pflichttreuer Mensch geschildert, der seinen Beruf sehr ernst nahm und bisher niemals Anlaß zu Klagent gegeben hat.
Bon großer Wichtigkeit ist es, ob Berfonen am gestrigen Sommtag den Wagen IA 8053 irgendwo gesehen haben oder angeben fönnen, wer den Fahrer und an welchem Punkte der Stadt zu einer Fahrt angenommen hat. Der Ermordete trug ein dides braunes Jadett, Schirmmüße und Handschuhe. Alle zweckdienlichen Angaben sind an das Polizeipräsidium, Mordkommission Hraffow- Dr. Bartsch, zu richten.
Bom Gerichtsarzt Profeffor Strauch wurde an Ort und Stelle die Leiche des Ermordeten eingehend untersucht. Dabei stellte sich überraschend heraus, daß Schalepansti zwei Schüsse, von denen je tödlich gewirkt haben muß, erhalten hat. Eine Kugel hat das Gehirn durchschlagen und ist im Augenhöhlenknochen steden geblieben, die andere Einschußöffnung liegt etwa zwei Finger breit vom Ohr entfernt. Diese Kugel hat ebenfalls das Gehirn durchbohrt.
Der Chauffeur war unverheiratet und wohnte zusammen mit seiner Schwester, einer Kunstmalerin, in der Dahlmannstraße in Charlottenburg .
Das eigene Kind erschossen.
Der Vater schwer verleht und vernehmungsunfähig.
Die fragischen, aber noch ganz ungeflärten Vorgänge, die sich bei der Ermordung eines dreijährigen indes, anscheinend durch den eigenen Baler, abgespielt haben, beschäftigen die Berliner Kriminalpolizei.
Im Wartesa al 4. Klasse des Potsdamer Bahnhofs fand man am Sonnabend gegen 23 Uhr einen Mann bewußtlos auf einem Stuhle sizend auf und brachte ihn nach der Rettungsstelle. Hier stellte der Arzt eine lebensgefährliche Schußverlegung in der Herzgegend fest und ließ den Mann nach Sem Elisabeth- Krankenhaus bringen. Aus Papieren, die er bei sich trug, ging hervor, daß er ein 27 Jahre alter Arbeiter Robert Pal= mert war, der in Rangsdorf im Kreise Teltow bei seinen Eltern wohnte. In den wenigen Minuten, in denen der Verletzte zur Befinnung tam, gab er an, er sei am Sonnabend gegen 19 Uhr in der Nähe der Gastwirtschaft von Lorenz in Rangsdorf von einem Unbekannten angeschossen worden. Er sei nach Berlin gefahren. um einen Arzt zu Rate zu ziehen. Diese Erklärung ist aber durch einen späteren Fund nöllig widerlegt. Sonntag früh entdeckten Baffanten etwa
fünf Minuten von der Behausung Palmerts entfernt, am Wegrande die Leiche eines dreijährigen Mädchens, das durch einen Schuß getötet war.
Die Rangsdorfer Polizei fonnte bafb feststellen, daß die Kleine das un