Morgenausgabe
Nr. 591
A 297
46.Jahrgang
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Vorwärts
Bücherwelt" und Jugend- Vorwärts" 50 50
Mittwoch
om 18. Dezember 1929
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Frankfurt a. M., 17. Dezember.
Die Erwerbslosendemonstration, zu der die Kommunisten aufgefordert hatten, führte heute abend zu schwersten Ausschreitungen.
Die Demonstranten zogen vor das Rathaus. Die Polizei wurde mit Backsteinen beworfen. Sie zerstreute die Ansammlungen mit dem Gummiknüppel.
Bei der wilden Flucht wurden viele Personen verlett. In verschiedenen Straßen der Altstadt sowie auf der Zeil bis zur Hauptwache versuchten die Ruhe störer immer wieder, sich zu sammeln und in die Gegend
des Rathauses zu gelangen. Die Polizisten mußten von Straße zu Straße eilen, da die Angriffe von den ver schiedensten Seiten aus gleichzeitig erfolgten.
Bei dieser Säuberungsaktion gab es auf beiden Seiten Verlegte. An der Hauptpost geriet eine Polizeistreife so in Bedrängnis, daß sie von der Schuhwaffe Gebrauch machen mußte. Cb es hierbei Verlekte gegeben hat, konnte noch nicht festgestellt
werden.
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An der Liebfrauenstraße wurden fünf große Schau fensterscheiben eines Konfektionsgeschäfts eingeworfen. Noch in den späten Abendstunden kam es wiederholt zu Zusammenrottungen, bei deren Zerstreuung die Polizei öfter Schreckschüsse abgeben mußte.
Bis gegen 11 Uhr abends wurden etwa 20 Ber. fonen wegen Widerstandes und Beleidigung der Polizeibeamten vorläufig festgenommen.
Nach einer Mitteilung des Polizeipräsidiums kam es gegen 11 Uhr abends zu erneuten Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten, wobei die Polizei wiederum mit Steinen beworfen
wurde. Am Domplah versuchten die Demonstranten da s Straßenpflaster aufzureißen. An einer anderen Stelle wurde ein Personenwagen beschossen. Der Schuß ging durch die Windschutzscheibe; doch wurde niemand verlegt.
Die Polizei sah sich darauf genötigt, wiederum Feuer zu geben. Von den Polizeibeamten warden drei leicht verletzt. Die Zahl der verlegten Demonstran ten steht noch nicht fest. Die Tumulte dauern zur Zeit
noch an.
Die Zollforderungen der Industrie
Deutschnationales Einheitsfrontmanöver mit der Bolkspartei.
Der Handelspolitische Ausschuß des Reichs| rische Boltspartei ließ durch ihren Bertreter Rauch erklären, daß fie tages war am Dienstagabend mehrere Stunden beisammen, um bie neue 301Iporlage fomeit mie irgend möglich zu beschleunigen. Die Sitzung nahm aber einen höchst sonderbaren Berlauf und ein unerwartet schnelles Ende.
Es ging um die Borlage des Reichsrates über eine meitere Erhöhung von Industriezöllen. Hierzu be antragte der volksparteiliche Abgeordnete Schneider zunächst nicht rair die Garne, sondern auch die Gewebe der Tertiljabrikation bei der Erhöhung einzubeziehen. Hiergegen wandte fich Abgeordneter Krähig( Soz.) mit aller Entschiedenheit. Wenn die Garnzölle um die hundert Prozent erhöht würden, die der Reichsrat vorschlage, dann würden Hunderte von fleinen Betrieben der verarbeitenden Textilindustrie vernichtet. Wenn der Ausschuß trotzdem diese Erhöhungen beschließen sollte, dann sehen sich die sozialdemokratischen Bertreter genötigt, mit weiteren Verhandlungen dar. über ihre politischen Fühter zu betrauen.
Diese Bedenken wurden auch von Ministerialdirektor Poffe unterstützt. Er wies namentlich darauf hin, daß Deutschland in feinen Handelsverträgen mit allen Tertilzöllen gebunden set. Noch deutlicher wurde Minister Dietrich, indem er erklärte, daß sich die Reichs
mindestens sofort noch die Automobilzölle erledigt wiffen möchte. Der Abg. Rademacher versuchte danach noch ein legtes Manöver, indem er beantragte, die noch ausstehende Abstimmung über die Aluminiumzölle ebenfalls so lange auszufezen, bis fich die Regierung über die anderen Industriezölle geäußert habe. Der Ausschuß lehnte jedoch diesen Antrag ab und nahm die Aluminiumzölle in der von der Regierung vorgeschlagenen Form endgültig an mit einem Ergänzungsantrag, der von den Regierungsparteien über Aluminiumspäne. nachträglich noch eingebracht worden war.
Die Abstimmung über die Entschließung der Regierungsparteien soll zwar erst Mittwoch vormittag stattfinden, jedoch steht jetzt schon fest, daß diese Entschließung angenommen wird und infolgedessen die weitergehenden Anträge auf Erhöhung der Industriezölle vorläufig erledigt sind.
Steuer und Monopol.
Zur Erhöhung der Tabaksteuern.
Der Tabat ist nach berechtigter allgemeiner Auffassung als tragfähige Steuerquelle in Deutschland bisher noch nicht ausreichend ausgeschöpft. Durch ein staatliches Tabatmonopol tönnen für den Staat ohne jede Mehrbelastung des Konsumenten jehr beträchtliche Mehrerträge herausgemirtschaftet werden, die von bürgerlicher Seite auf mehr als eine halbe Milliarde Mark geschätzt werden. In der Zigarettenindustrie ist der Konzentrations- und Vertruitungsprozeß bes reits jomeit norgeschritten, daß alle Voraussetzungen für ein⚫ staatliches Zigarettenmonopol gegeben sind. Auch im bürgerlichen Lager haben die führenden Finanztheoretiker den Monopolgedanken für die Tabakwirtschaft aufs eindringlichste befürwortet. Aber alle bürgerlichen Barteien leisten der Einführung auch nur eines Teilmonopols für Zigaretten den aller stärksten Widerstand. Unter diesem Umstän ben fonnte in fo furzer Zeit, mie sie zur Verfügung stand, die Monopolfrage nicht mit Erfolg aufgerollt werden. So tonnte die Sozialdemokratie vor allem nur dafür Sorge tragen, daß durch die neuen Maßnahme die Verbraucher fo menig wie möglich belastet und feinesfalls der Weg für die Einführung des Tabafmonopols in einem späteren Zeitpuitt verbaut wird.
Die Steuererhöhung wird nur die 3igarette und den Rauchta bat umfaffen; die Zigarre foll mit Rüdficht auf die schwierige Lage, in der sich die Zigarreninduftrie befindet, von Steuererhöhungen verschont bleiben. Der Rauchtabat ist bisher außerordentlich stark gegenüber den anderen Labalmaren begünstigt, so daß eine stärkere steuerliche Her anziehung des Rauchtabats nicht ungerechtfertigt ist. Die Sozialdemokratie ist bemüht. die billigsten Tabat. maren ganz von der Steuererhöhung zu be* freien, um so ben Bedarf ber ärmsten und anspruchs losesten Verbraucherschichten nicht zu verteuern. Mit der Zigarettenindustrie laufen ferner Verhandlungen, um eine fühlbare Preisherauffezung als Folge der Steuererhöhung zu verhindern. Bei den enormen Geminnen der Zigaretten Neuerburg. der heute schon mehr als 90 Proz. der gesamten industrie oder besser gesagt des Großfonzerns Reemtsma Zigarettenindustrie fontrolliert, tönnten die Produzenten einen beträchtlichen Teil der Steuererhöhung selbst tragen. Wenn die Kontingentierung durchgeführt wird mir werden noch von ihr sprechen, fallen auch sehr große Reflame- und Ausstattungsausgaben( heute mehr als 100 Millionen Mart im Jahr) zum großen Teil weg. Endlich könnte die noch immer viel zu hohe handelsspanne zum Ausgleich der Steuererhöhung herabgefeßt merden, so daß eine Preis erhöhung vermeidbar erscheint. Jedenfalls follen in das Gesetz Sicherungen eingebaut werden, die eine wesentliche Breissteigerung für 3igaretten verhindern.
Als ein Erfolg der Sozialdemokratie ist es anzusehen, daß schon in den Borberatungen der Parteien die Dauer der Kontingentierung der Zigarettenproduktion wesentlich herabgelegt wurde. Statt der von der Industrie aeforderten zehniährigen, und der in den Entwürfen vorge fehenen fünfjährigen Kontingentierung ist diese in dem ge Spezialeforderten meinsamen Borfchlag der Regierungsparteien auf 1 Jahr bis zum 31. März 1931 befristet worden. Wenn mehrere Tageszeitungen gestern davon zu berichten
Der Ausschuß mußte hier feine Beratungen abbrechen. Man einigte sich schließlich darauf, die nächste Sigung Mittwoch, morgens 9 Uhr, beginnen zu laffen. Man will dann sofort in die Spezial beratung der Agrarzölle eintreten.
det
regierung mit den Beschlüſfen des Reichsrates besonders über die Staatsgerichtshof/ Hugenbergentscheid wußten, daß alle bürgerlichen Barteien außer der Sozial
Tertilzölle ausgiebig beschäftigt habe und der Meinung sei, daß alle diese Beschlüsse abgelehnt werden müßten.
In dieser gespannten Situation machte Abg. Deffauer( Str.) den Vermittlungsvorschlag, die Abstimmungen über die Anträge des Reichsrates bis nach Erledigung der Agrarzölle zu vertagen. Er betonte dabei allerdings, daß die Industrien sehr berechtigte Wünsche hätten, worunter fich namentlich die Automobilindustrie befinde.
Bezeichnendermeise legte sich hier der Abg. Rademacher( Dnat.) ins Mittel, um zu erklären, daß er sich vom 2bgeordneten Schneider über die Notwendigkeit habe überzeugen lassen, daß die Zertilzölle noch über die Beschlüsse des Reichsrates hinaus erhöht werden müßten,
und daß er deshalb gemeinsam mit diesem einen entsprechenden Antrag eingebracht hätte.
Das schien dem Abg. Schneider selber außerordentlich bedenklich geworden zu sein und deshalb erklärte er, daß die Debatte einen geradezu frisenhaften frifenhaften Charatter an. genommen hätte, so daß er sich genötigt sehe, in eine Ver. tagung über die Reichsratsbeschlüffe einzuwilligen. Allerdings beschwor er dabei die Sozialdemokratie, nicht nur der Landwirtschaft, sondern auch der Industrie durch höhere Zölle zu helfen.
Schließlich brachte Abg. Meyer( Dem.) eine Entschließung ein, worin gesagt wurde, daß der Ausschuß alle weitergehenden Beschlüsse des Reichsrates und die dazu gestellten weiteren Anträge nerschiedener Parteien der Regierung als material übermeile Die Regierung lole fich damit beloffen und bein Ausschuß in allernächster Zeit ihre Stellungnahme dazu mittelfen.
Dieser Antrag wurde von der Sozialdemokratie, dem 8entrum unb ber Boitspartei unterstügt. Nur die Baye
Die Berhandlungen in Leipzig .
Leipzig , 17. Dezember. Der Staatsgerichtshof trat heute zusammen, um über den Antrag der Deutschnationalen Volkspartei zu verhandeln. Der Antrag lautet:
,, Der Staatsgerichtshof wolle beschließen, daß die Teilnahme der preußischen Beamten am Bolfsbegehren und Boltsentscheid grundsäglich zulässig und daß die dagegen gerichteten Kund gebungen des preußischen Staatsministeriums verfassungswidrig find.
Das Land Preußen beantragt, die Klage als unzulässig zu verwerfen, evtl. fie als unbegründet zurückzuweisen.
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Nach Erörterung der Borfrage nahm Rechtsanwalt Dr. Se el mann Eggebert das Wort, um die Aktivlegitimation der Landtagsfraktion zu zu begründen. Ministerialbirettor Dr. Badt bestritt für die preußische Regierung die Aktivlegitima tion der deutschnationalen Frattion. Die Warnung des preußischen Ministerpräsidenten an die Beamten sei fein gerichtsfähiger Att. Es handle sich nicht um eine Beschränkung des Rechts der freien Meinungsäußerung, sondern um eine Reinigung des politischen Lebens.
Der Staatsgerichtshof hat, nachdem im Verlauf der weiteren Berhandlung sowohl der Bertreter der flagenden Deutschnationalen Bolfspartei, Dr. Seelmann Eggebert, als auch der Ber treter der preußischen Regierung und Ministerialdireftor Dr. Badt und Ministerio direttor Dr. Foerster vom Reich mirifterium des Innern zu ergänzenden Ausführungen das Bort ergriffen hatten. die weite e Verhandlung auf Mittwoch neun Uhr, Dertagt
demokratie gegen die Zigarettenfontingentierung Bedenken geltend gemacht hätten, so ist das eine Entstellung der wahren Lage. Die Sozialdemokratie ist im Reichstag der ein zige Schrittmacher für das Zigarettenmonopol. Sie ist der stärkste Gegner der Kontingentierung und der damit norbun denen Schaffung eines Privatmonopols und wird sich mit dieser nur unter dem Einbau stärffter Sicherungen abfinden. Dagegen sind die bürgerlichen Barteien schon mit Rüdsicht auf die Wünsche der in ihren Reihen einflußreichen Zigarettena industrie bereit, jedwede Kontingentierung mitzumachen, wenn dadurch das Staatsmonopol ganz verhindert oder wenigstens lange Zeit hinausgezögert wird.
Die Kontingentierung soll freilich auch neue ausländische Konkurrenz abwehren. Der amerikanische Tabat. trust errichtet zurzeit eine Zigarettenfabrik in Hamburg . die im Frühjahr die Produktion aufnehmen soll. Die Zigarettenindustrie befürchtet einen schweren Konkurrenzlampf. der Fiskus Verlufte als Steuergläubiger, auch eine Ueberfremdung der deutschen Zigarettenindustrie ist möglich. Deshalb soll auch die Zuteilung von Quoten an Werke, die nach dem 1. Oktober d. J. betriebsfähig wurden, dem Reichsfinanz ministerium vorbehalten bleiben. So verständlich aber die Besorgnis vor Steuerverluften ist. so muß doch unbedingt verhindert werden, daß durch die Kontingentierung auf Jahre hinaus ein Privatmonopol mit je tichon riesen. haften Monopolgewinnen staatlich garantiert und der Kavita mert der Fabriten noch weiter erhöht m'rd. Es wäre eine lingeheuerlichkeit, wenn man einer mit Steuerfrebiten aufgebauten Industrie, der man jekt gegen cinen neu auftretenden Kontuerenten einen besonderen Schuß gewährt, in einigen Jahren infolge der durch die Erhöhung der