Beilage
Mittwoch, 18. Dezember 1929
Der Abend
Shadausgabe des Vorwäre
Wir haben in unserem Zoologischen Garten 35 Arten Hirsche| und 126 einzelne Exemplare. Noch vor kurzem konnte man die deutschen Edelhirsche, die in unserem 300 vorzüglich vertreten sind, röhren und orgeln hören. Uebrigens tritt der Gartenhirsch früher als der wild lebende auf die Brunft. Diese dauert eigentlich von
Dubowsky- Hirsch
Mitte September bis Mitte Oftober. Bei den Hirscharten anderer Länder haben die Fortpflanzungszeiten andere Termine. So zum Beispiel ist bei dem Aris oder Tüpfel hirsch, dessen Heimat Indien , vor allem die Insel Ceylon ist, der Fortpflanzungstermin sehr verschieden. Man bringt den Rückgang dieser Art mit der Tate sache in Verbindung, daß die Kälber vielfach im Winter gesezt mérden, mas mit einer im Vorfrühling stattfindenden Brunft übereinstimmen würde.
Der schönste und edelste Typ der Hirsche ist wohl der deutsche Edelhirsch. Selbst der viel mächtigere, auch im Geweih stärkere Wapiti( der nordamerikanische Hirsch) tann in der noblen Form des Gliederbaues und in dem ebenso edel geschwungenen wie fraftvollen Geweih mit unserem deutschen Hirsch nicht wetteifern. Der beufsche Rothirsch( Cervus elaphus) hat etwa 10 2h- oder Unterarten, pon denen an erster Stelle der ungarische Hirsch, der beträchtlich größer und stärker wird als der deutsche , genannt zu werden verdient. Man spricht dann weiter von dem„ pommerschen Hirsch", dem„ rheinischen", dem„ schlesischen", dem„ Steiermärker", dem„ Romintener Hirsch", einem„ Gebirgshirsch", der besonders einem„ Gebirgshirsch", der besonders im Harz anzutreffen ist einem mergedelhirich", der nichts als eine degenerative Form des großen Rothirsches ist und sich vornehm lich in Korsika findet; und von dem„ weißen Edelhirsch", der eine albinotische Abart darstellt. Man kann diese verschiedenen Rassenformen im 300 wundervoll studieren. Wer ein wenig Zeit und Muße findet, bei den Hirschgehegen zu verweilen, lernt dia sehr Der stärkste Hirsch ist, wie gesagt, der Wapiti, der früher in unge heuren Mengen die Steppen und Wälder Nord- und Mittelamerifas bewohnte, den dann aber die in Amerika eindringenden Weißen in einer unvorstellbar rohen und unjägerischen Weise zu Hunderttausenden abgeschlachtet haben, so daß jezt nur noch Wapitis in dem ameri Tanischen Yellowstone- Part vorhanden sind. Ebenfalls in Amerita zu Hause ist der Virgina hirsch, eine mittelgroße Art mit nicht übermäßig starfem, nach innen gebogenem Geweih.
interessanten Gewohnheiten dieses unseres schönsten Wildes kennen,
Der indische Barasinga oder Sumpfhirsch wird nicht ganz so hoch und lang wie unser deutscher Hirsch. Seine Farba ist ein goldiges Rotbraun. Mit scharzem Rückenstrich und fleinen gold. gefben seitlichen Flecken. Indien mit seinen unendlichen Wäldern und Dichungeln beherbergt dieses schöne Wild noch in großer Zahl. Bom Fuße des Himalaja bis südlich vom Narbada- Fluß findet man ihn überall auf den parfähnlich bewachsenen Landschaften als schönste Staffage der Landschaft. Neben dem Sifa und Dubomsky Hirsch ist der indische Sambat, auch Rozhirsch genannt, der stattlichste und edelste dieser Gruppe zu bezeichnen. Der Sambar, der ein kräftiges und hohes, wenn auch nicht so edel geformias Geweih befizt, kommt überall in Britisch- Indien, auf CenIon, in Barma, Siam und im Malanischen Archipel var. Im Himalaja steigt der Hirsch bis zu 3000 Meter Höhe. Dem Sambar wenig an Größe nachgebend, hat der Mähnenhirsch nur die unangenehme Eigenschaft, in der ziemlich langen Brunft einen unausstehlichen bodartigen Geruch zu verbreiten. Der har la guna, von den Engländern Schweinshirsch genannt, ist ein
NVM
70 Zentimeter hohes und 1% Meter langes, fehr plumpes Geschöpf, bas man eigentlich gar nicht Hirsch nennen sollte. Ein scheues und wenig intelligentes Iler, das aber durchaus nicht feige ist und be fonders in der Brunft wie ein wütender gegen alles angeht, wird er feines wohlschmeckenden Wildbrets wegen viel gejagt. Außerordentlich anmutig dagegen, allerdings mir fiein und zier
durch die schaufelartige Gemeihbildung eine andere Herkunft verrät. Er steht auch in der Größe und Schmere beträchtlich hinter dem Rotmild zurück und nähert sich darin schon dem Reh.
sich, etwa in der Größe unseres Rehes, ist der Muntbiat. Der| land seit Jahrhunderten eingebürgerte Dam hirsch, der aber schon Indienjäger Hermann Wiele erzählt. daß er eines Rachts auf einen Tiger ansaß und daß plötzlich auf der Blöße vor ihm im Mondlicht ein Muntdjak mit seinem rehähnlichen Gehörn erschien, um sich da zu äsen. Auf einmal aber schoß aus dem Dickicht, als mare plötzlich ein Baumstamm lebendig gemorden, eine 15 Meter lange Annaconda( Riesenschlange) hervor, griff den Muntd. jat an der Muffel und erwürgte das sich hoch aufbäumende Tier, um es dann regelrecht zu verschlingen.
Ein Hirsch, der den unseren an Größe übertrifft und ihn an edlem Aussehen ähnlich ist, ist der mongolische Hirsch, der MaraL Er wird nicht allein des Wildbrets oder der Trophäen halber gejagt, sondern die Chinesen und Mongolen rühmen seinem unentmidelten, daher noch weichen Geweih besondere Eigenschaften nach. Bekanntlich werfen die Hirsche im Gegensatz zu den Rehen jedes Jahr, meist im Winter, ihr Geweih ab und schieben" dann langsam ein neues, das, anfänglich noch weich und von Bast" bewachsen, sich erst allmählich auswächst, härtet und an Baumstämmen„ gefegt" wird. An dieser Trophäe haben aber, mie schon gesagt, die schlitzaugigen Söhne des Himmels nicht so große Freude. Sie schäzen das unfertige, welche Horn und bezahlen es mit hohen Preisen ( was fehr zur Dezimierung dieses Wildes beiträgt!), weil der meichen, gallertartigen Masse die Eigenschaft zugeschrieben wird, daß es den Mann von neuem liebesfähig macht. Diese Sorge liegt dem Chinesen überhaupt am nächsten. Deshalb ist er Haifischfloffen, Schmalbennefter, Seetang und Holothurien.
Wir finden im 300 außer den schon genannten Hirschen den Prinz- Alfred- Hirsch, den Philippinenhirsch, einen hellen Aristoteles . hirsch, den Pferde und Javanischen Hirsch, den Molluckenhirsch, den Leierhirsch, den Atlashirsch und das Renntier , auch Rennhirsch ge nannt. Eine ebenfalls aus Afien ftammende Art ist der in Deutsch
Das Reh läßt sich leider in Tiergärten nicht gut halten, wes
Prinz- Alfred- Hirsch
G.V. y
halb man auch selten ganz gesunde und starte Exemplare in 300logischen Gärten zu sehen bekommt. Die an Größe und Gehörn hervorragenden Stüde stammen aus Rußland . Kaum eine Bild art ist so grazios und zierlich. Wenn man vorsichtig und ohne immer sprechen oder schreien zu müssen, durch unsere Wälder geht, | so fann man diefes entzückende Wild oft und genußreich beobachten,
Demokratischere Umgangsformen!
haben
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Was einem Heimkehrer auffällt- Von Heinrich Hemmer
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Wer die schon von Anfang an demokratische neue und neueste Welt aus eigener Anschauung fennt und dann plötzlich in das neugebackene demokratische Nachkriegsbeutsch and hereingeschneit kommt, wird finden, daß wir zwar in puncto Staats- und sozialen Einrichtungen diese ehemals vorbildliche neue Belt in mancher Hinsicht erreicht, in anderer jogar überholt daß man aber dem Stil des Lebens das gar nicht anfieht: der hat sich hier gar wenig verändert, und nach der ganzen Art, mie Menschen untereinander verfehren und sich das öffentliche Leben abspielt, fönnte man ruhig glauben, daß alles beim alten geblieben ift. Ein Arbeiter zum Beispiel. der in seinem Arbeitsaufzug ein der ganzen Aufmachung nach volkstümliches Stadt lofal betritt, mag dort sehr unfreundlichen Gesichtern begegnen: man nimmt sein Geld( nicht einmal immer), aber man beanstandet fein Aeußeres, wenn es auch durchaus sauber ist. Und was wird in Kaufläden, Kanzleien und auf Aemtern nicht oft für eine Sprache geführt. Wer sich auf den feinen Herrn hinauszuspielen versteht wenn er es auch gar nicht ist erhält fast überall den Borzug. So ist man es drüben nicht gewöhnt.
Wie es drüben ist
europäischen und überseeischen Bölkergruppen. Zum Beispiel nehmen Männer( in der neuen Welf) den Hut voreinander nicht ab. Bor einer Dame, nein, vor jeder Baschfrau entblößt auch der argite Rowdy fein Haupt, und ein geräumiger Aufzug voll von ernsten amerikanischen Geschäftsleuten zicht den Hut und behält ihn in der Hand, menn irgendein kleines Fräuleinchen den Raum betritt: aber Mann vor Mann! Das Gutblößen des Kopfes würde da den Eindruck des Läppischen, ja des Kriecherischen hervor= rufen. An Stelle einer gegenseitigen Respettsbezeugung, wie dis Hutabnehmen, tritt ein Niden( in Australien ein tasches Drehen) des Kopfes, das die einfache Notiznahme voneinander anzeigt und wenigstens das kameradschaftliche Element andeutet, menn es auch nicht gerade vorhanden ist. Der Händedrud gilt nicht als Höflichkeitsaft, sondern als eine Art Loyalitätsbezeugung und ist entsprechend träftig und volkstümlich. Die Amerikaner strömen in hellen Scharen in das Weiße Haus , dem Präsidenten die Han's zu drücken aber nicht nur( wie Risch meint), weil man das in England nicht machen fann, man will nicht nur das Gefühl haben, die Hand des Staatsoberhauptes gereicht zu bekommen, sondern iht auch seinerseits durch Händedrud fagen: auf mich kannst du dich Derlaffen.
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Das Berbindliche wird in der Neuen Welt nicht durch ein leeres Lächeln oder eine hohle Geste zum Ausdruck gebracht, sondern durch tatsächliche Dienſtfertigkeit, Hilfsbereitschaft, Unterordnen der persönlichen Bequemlichkeit unter das Allgemeinwohl. Niemand schlägt die Coupétüre zu, menn im legten Augenblid ein mit Gepäd beladener oder gar eine Frau mit Kindern an den Zug gerast tomint; man hilft einsteigen, man hifft aussteigen, belegt nicht Blähe, die man nicht offupiert, drängt sich nicht vor beim Waren hausaufzug, bei den Schaltern am Ladentisch, mit einem Bort, man versucht nicht, feinen Nächsten im Alltagsgetriebe ständig zu überporteilen, zu bemogeln. Das gilt als durchaus verächtlich
In den neubesiedelten transozeanischen Ländern, insbesondere Nordamerita, Australien und Südafrika war das von je her anders und man ist auch heute dort freier, ungezwungener, unvoreingenom mener im persönlichen Verkehr einerlei, ob diese Länder noch der englischen Krone unterstehen, oder Republiken geworden sind. Die englischen Kolonisten, die da ausgezogen waren, sich eine neue Heimat zu gründen, standen ja zumeist von Hous aus in Biderfpruch mit der englischen Gesellschaftsordnung, landeten schon, mit fozialen Reformen im Kopf, auf neuer freier Erde, bort waren sie der eine auf den anderen angewiesen, und aus den primitiven Ber hältnissen heraus entwickelte fich naturgemäß ein offener, geRangunterschiede, wie sie in Deutschland bis, in die rader, ehrlicher, aller höfifchen Manieriertheit barer Ion, wie wir ihn hier nur eventuell unter Kriegsfame- fleinsten Unterabteilungen in wahrhaft grotester Weise noch heute raben oder sonstigen Leidensgenossen kennen, der aber im öffent- zutage treten, sind in der Neuen Welt im täglichen Leben überhaupt nicht bemerkbar. Ein arbeitsuchender Taglöhner lichen Leben Europas sonst fast gänzlich fehlt. etwa spricht völlig unbefangen zu einem Dollarmillionär, oder felbft milliarbar; ich habe mitangesehen, daß der Arbeitnehmer in folchen Fällen die Hände in die Hosentaschen stedt und ausspadt, quafi um bei, diesem traffen Mißverhältnis feine Menschenwürde zu wahren. Kein Kazenbudeln Don unten, fein Schnobberton von oben. Der Millionärshochmut mag fich in der Undurchdringlichkeit der Person oder dem Gebrauch der Machtmittel zeigen im öffentlichen Verkehr herrscht allgemeine Gleich heit. Gelehrtendünfel ist wenigstens in der Neuen Welt fast unbekannt.( Was ist dort auch schon ein Gelehrter!) Als ich einen australischen Philologen von Weltruf im eifrighten Gespräch mit dem Straßenpflasterer vor seiner Universität antraf, teilte er mir erklärend mit, daß der Mann( der nicht orthographisch richtig Schreiben fonnte) sein Freund fei. Warum auch nicht. Wenn ic hier einem Kohlenträger die Tür aufhalte, dankt er in überschmenglicher Weise, so daß ich sehe, daß das ein ungemahntes Ereignis für ihn war. Es gibt Leute am Platz, in derèn Meinung ich finte, menn ich allzu vertraut mit ihnen( präche sie verstehen das nicht zu deuten. In einem Borort von Sydney fuchte ich einmal, lange vergebens, irgendein Haus, fragte schließ lich einen Milchmann, der mit seinen Karren dabergerast tami, ber hielt fofort an, gab mir die Auskunft, fuhr ein Stück mit mir zurück, zeigte mir die Stelle, und fuhr dann lachend seines Weges. Rann mir das hier passieren?
Freilich hat heute die Welle europäischer Ueberfultur auch nach jenen neubesiedelten Gebieten übergeschlagen. Es fehlt nicht an Snobs in den so überaus modernen amerikanischen, australischen, füdafrikanischen Großstädten, die sich die englischen Hoffitten zum Mufter nehmen. Im Eifer der Nachahmung tut mans oft der Heimat zuvor( die England auch für USA . immer noch in geselle schaftlicher Hinsicht ist). Man weiß, mit welchen Bonneschauern eine Dollar millionärin sich beim englischen Hofe vorstellen läßt( und gar erst dem Prinzen von Wales), und in manch einer fanadischen oder neuseeländer Hinterlandsfarm hört man jenes eigentümliche, zugleich überheblich und diskret flingende Salon englisch, an dem jeder Engländer sofort nach den ersten drei Worten den Mann oder die Frau der guten Gesellschaft unfehlbar erfennt. Ja- aber das sind Streise, Cliquen, sozusagen Inseln. Das Leben im allgemeinen ist anders drüben, das Privatleben sowie auch das öffentliche Leben. Es herrscht ein anderer Ion, ein anderer Stil, eine Art, die wir in diesem Europa gar nicht tennen, das sich von brüben aus eben deswegen wie eine Einheit cusnimmt. Die uns so gewaltig drückenden Unterschiede zwischen ben verschiedenen europäischen Bilfern schrumpfen, von drüben gefchen, zu einem Minimum zusammen. En verschieden sind Kolonia! fitten von den unseren. So groß ift her Unterschied zwischen der alten und der neuen Welt. So fehr viel mehr demokratisch find dort die Umgangsformen.
Kleine Beispiele
Es find fleine und fleinste Dinge( tch fännte sie niemals alle auf zählen), die den großen Unterschied bemirten in der Physiognomie der
Ein berühmter Borer, ja der nimmt allerdings in der Neuen Welt eine Ausnahmestellung ein: das Hotel, in dem er wohnt, wird den Namen diefes erlauchten Gastes an der Hausfront affischieren und damit Reflame machen. Auch dem Klerus räumt man gewiffe