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Morgenausgabe

Tr. 599

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46.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Boltsblatt

( 10

Conntag

22 Dezember 1929

Groß- Berlin 15 Pf. Auswärts 20 Pf.

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Hilferding zurückgetreten.

Staatssekretär Dr. Popik in den einstweiligen Ruhestand versetzt.

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Amtlich wird mitgeteilt: Der Herr Reichs.| Balanzierung Der Herr Reichs.| Balanzierung des Reichshaushalts von 1929 neue präsident hat auf Vorschlag des Herrn Reichstauz. Steuern im Betrage von 300 Millionen Mart gefordert, lers den Reichsminister Dr. Hilferding in bei den Fraktionen, zumal den bürgerlichen, war für un­Genehmigung seines Abschiedsgesuches von dem populäre Steuererhöhungen wenig Neigung. Die Bayern drohten wegen der Biersteuer mit dem Abmarsch Amte des Reichsministers der Finanzen also ent fchloß man sich, auf die neuen Steuern zu verzichten und im entbunden. Der Herr Reichspräsident hat ferner Etat ein nur scheinbares Gleichgewicht herzustellen, indem ben Staatsjettetar im Reichsfinanzman manche Einnahmen zu hoch, manche Ausgaben zu ministerium Dr. Bobis auf seinen Antrag in niedrig einseßte. Hilferding hat in seiner Reichstagsrede am ben einstweiligen Ruhestand versett. vorigen Sonnabend offen ausgesprochen, daß er damals rich tiger getan hätte, zurückzutreten. Er tat es nicht, weil er den Stürz des Gesamtkabinetts und mit ihm schweres politisches Unheil befürchtete. Bielleicht wäre es richtiger gewesen, wenn Hufferding damals auf jede Gefahr hin die Zügel in der Hand behalten hätte, statt sie den Fraktionsführern zu überlassen.

Im Anschluß an die Kabinettssitung, die am Sonnabend um 3 Uhr nachmittags begonnen hatte, begab sich der Reichskanzler um 5 Uhr zum Reichspräsidenten, um ihm den Rücktritt des Reichs. finanzministers mitzuteilen.

Das Rücktrittsgesuch.

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War also die Richtausführung des Hilferding- Bro­gramms für 1929 eine der beiden Hauptursachen für die Berschlechterung der Finanzlage, jo war die Weigerung der Das Rücktrittsgesuch des Reichsfinanzministers hat folgenden Bollspartet, der Reichsanstalt für Arbeitslosenverfiche

Wortlaut

Sehr geehrter Herr Reichskanzler!

Nachdem die Aufnahme des Kredits zur Ueberwindung der

die andere.

Gewiß wurde er es deshalb nicht, weil er die Dinge anders fah als wir. Daß er fie anders sah, konnten wir uns nur erklären aus den Einflüssen, die die Koalitions­partner und die Beamten, voran der Staatssekretär Dr. Po pig, auf ihn ausübien.

finanzen riefen, führten die bürgerlichen Mittelparteien, be­Während wir nach Stärkung und Gesundung der Reichs­fonders Demokraten und Bolkspartei, einen Feldzug zur Entlastung der Wirtschaft". Ueber die angeblichen Möglichkeiten dieser Entlastung wurden die blühendsten Phantasien verbreitet. Dabei erschien der noch gar nicht end­gültig angenommene Young Plan als das Füllhorn, aus dem sich unendlicher Segen ergoß. and do

Diesen gemeingefährlichen Phantastereien hätte die Re­gierung mit ihrer ganzen Autorität entgegentreten müssen. Sie hätte rechtzeitig flar aussprechen müssen, daß der Ueber­gang vom Dawes- Plan zum Young- Plan gerade noch recht­zeitig fam, um die Reichsfinanzen vor dem Schlimmsten zu bewahren, daß aber dabei wenigstens zunächst- faum etwas übrig bleiben werde, um Steuergeschenke an die Wirt­schaft zu machen.

Hier ist nun gegen den Staatssekretär Dr. Bopit der

rung die Mittel zur finanziellen Selbſterhaltung zu gewähren, Erft unter dem Einbrud der legten erschütternden Er­Ultimoschwierigkeiten gesichert ist, fallen die Gründe weg: die meine eignisse haben sich die Barteten der Mitte dazu entfchloffen, allerschwerste Vorwurf zu erheben. Popis hat die Finanz dasjenige nachzuholen, was im Frühjahr dieses Jahres ver- politik des deutschnationalen Herrn Oberfohren gemacht, fäumt worden ist.

politische Handlungsfreiheit eingeengt haben..

Die von mir verfolgte Politit fah vor:

Die fortschreitende Ronsolidierung der schweben. ben Schulben, die bereits durch den Abschluß ber Kreuger- Anleihe eingeleitet mar; ind she

Berwendung der Ersparnisse aus dem Young- Blan zur Besei. tigung bes Defigits im Haushalt der Jahre 1928 und 1929 und zur Entlastung der Wirtschaft burch Steuerfenfungen Don mirffamem Ausmaß und zu einem nahen Zeitpuntt.

Diese Politif ist durch Eingriff von außen gestört und tann deshalb von mir nicht weitergeführt werden. Deshalb bitte ich Sie, sehr geehrter Herr Reichstanzler, dem Herrn Reichspräfi denten mein Rücktrittsgefuch zu unterbreiten."

Wie es fam.

Von Friedrich Stampfer .

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Die Berufung Hilferdings zum Reichsfinanzminister am 28. Juni 1928 mar das Wert Hermann Müllers. Die Fraktion stellte sich auf den grundsäglich richtigen Stand­punkt, daß man einem neuen Reichskanzler bei der Bildung feines Rabinetts someit wie nur möglich freie Hand lassen foll. Man war aber in der Fraktion nicht ohne Bedenken.*

Die sozialdemokratische Reichstagsfraktion war schon durch die steuerfreie Anleihe und die Kreuger Anleihe alarmiert. Sie fah, wie die Reichsregierung durch ben Drud der Kassenlage zu Zugeständnissen an das Finanz­fapital gezwungen war, die an die Grenze des Erträglichen gingen. Sie sah vor allem auch die Gefahr eines Frontal. angriffs der Sozialreaktion auf die sozialen Er rungenschaften der Arbeiterklaffe eines Frontalangriffs, der von der Finanzseite her, durch Bertnappung der Reichs. einnahmen, vorbereitet wurde. Darum ist vor allem auch der Borwärts" nicht müde geworden, immer wieder den Ruf nach starten und geordneten Reichsfinanzen zu erheben. Befreiung vom Elend der Kaffenlage, das die Regierung in eine bemütigende Abhängigkeit von den Finanzgewaltigen stieß. Herstellung des Gleichgewichts im Reichsetat ohne Berzicht auf notwendige kulturelle und soziale Ausgaben, das schien uns ein 3tel, auch der größten Opfer wert.

In diesem Kampfe hatten wir uns Hilferding zum Füh­er gewünscht. Daß er es nicht wurde, hat viele von uns ent­

täuscht.

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der das Wort ausgesprochen hat, man müsse den ,, Mut zum Defizit" haben. Diesen ,, Mut zum Defizit" hatten mit den Deutschnationalen so ziemlich alle bürgerlichen Parteien ge­teilt, und auch Dr. Bopit hat diesen menig beneidenswerten - bis in den letzten Tagen das fürchterliche Mut besessen Erwachen fam.

Popiz mußte die Entwicklung der Kassenlage voraussehen und seinen Chef auf die drohende Gefahr recht­zeitig aufmerksam machen. Da er das unterließ, erlag die Reichsregierung mehrlos der leberrumpelung durch den Reichsbantpräsidenten Dr. Schacht.

In dem Augenblick, in dem sich die Regierung aus eigenem Willen darauf vorbereitete, dem Reichstag ihr Steuerprogramm vorzutragen, machte Dr. Schacht seinen Borstoß, indem er sein schulmeisterliches Memorandum ver= öffentlichte. Damit begann ein Ringen zwischen dem Reichs­finanzminister und dem Reichsbankpräsidenten, das mit einem vollständigen Sieg des letzteren endete. Die Regierung ließ fich von ihm die Anleihe bef Dillon, Read u. Co. aus der Hand schlagen und war von diesem Augenblick an Herrn Schacht auf Gnade und Ungnade ausgeliefert. Da das Sofort­

Regierungsbildung in Polen .

Bartel beauftragt.- Ein Erfolg des Parlaments.

druckerei hergestellt. Lange ging das allerdings nicht, denn unter dem Druck der Machthaber stellte alsbald das Außen­ministerium die Geldunterstügung der Epoka" ein, und da das Blatt von seinem Absatz nicht leben konnte, mußte es

eingehen.

Hermann Müller hat auf dem Rieler Parteitag Hilfer­bing den besten Theoretiter der Partei genannt. Wahrscheinlich gibt es niemand, der dieses Urteil bestreitet. Man fann aber die glänzendften menschlichen und geistigen Eigenschaften besigen, ohne darum alles mitzubringen, was zum Amt eines Ministers gehört. Hilferding ist vielleicht der flügfte, tenntnisreichste Mann, der seit Jahren auf einer Warschau , 21. Dezember.( Eigenbericht.) Ministerbant gesessen hat. Troßdem hat er manches nicht richtig gesehen, hat er sich in wichtigen Fragen falsch beraten Staatspräsident Mościski hat den Professor Kasimir laffen und ist er schließlich gefallen als ein Opfer der Koali Bartel beauftragt, die neue Regierung zu bilden. Koali- Bartel tionspolitik und seines Amtes. Bartel war der Borgänger Switalstis und mußte unter dem Druck der Oberstengruppe" zurücktreten, weil er parlamentsfreundliche Politik zu treiben verführung des Verfassungsgrundlages der Rechtsgleichheit aller jucht hatte. Die Ernennung Bartels bedeutet einen Erfolg des gemäßigten Flügels des Regierungsblocks gegenüber der diktatorischen Gruppe der Obersten ". In sehr bemerkenswertem Unterschied von der Obersten gruppe", die in dem Abg. Glawet ihren parlamentarischen Bortführer hat, ist Bartel seit feinem Rücktritt im Sejm Er ist selbst schon das Objekt der nicht hervorgetreten. Terroristen geworden, wenn auch nicht persönlich, so doch in der Zeitung Epota", die ihm sehr nahe stand und Organ des Außenministeriums war. Anfang Ottober d. 3. trieb die militärische Clique der Epoka" die Druderei ab. Man wandte sich hilfefuchend an den sozialistischen Robotni!", daß er den Drud übernehme Unsere Genossen erklärten fich auch bereit dazu und die Epoka" wurde in der Arbeiter

Wir werden desto weniger genötigt sein, von Hilferding , dem glänzenden Wissenschaftler und sturmerprobten Partei genossen irgendwie abzurüden", je offener mir zugeben, daß er viele pon uns als Reichsfinanzminister enttäuscht hat. Der Wille zu vollkommener Offenheit berechtigt uns auch erst auszusprechen, daß das Gerede der Rechtspresse über fozialdemokratische Mißwirtschaft" in den Reichfinanzen eine agitatorische Lüge ist.

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Wahrheit ist, daß es vor allem menn nicht einzig und allein die sozialdemokratische Reichstagsfraktion war, die für Ordnung in den Reichsfinanzen gefämpft hat. Hilferding hat diefen Kampf mit ihr geführt, ist aber später - das mar bei pielen der Eindrud darin erlahmt.

Anfangs freilich maren bie Rollen zwischen der Frattion und Hilferding umgefehrt perteilt. Hilferding hatte zur

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Bezeichnend dafür, wie weit Polen noch von der Durch­Staatsbürger ohne Unterschied der Nationalität ist, war die Nichteinladung der Führer der nationalen Minderheits­fraftionen zu den Besprechungen beim Staatspräsidenten. Burden einzelne Minderheitenvertreter eingeladen, so waren es nicht die gewählten Führer, sondern solche, die weniger entschieden die Ansprüche ihres Volkes pertreten! Ob das Kabinett Bartel endlich Gerechtigkeit den nicht­polnischen Bölkern zuteil werden läßt, wird sich bald zeigen. Nichtpolnische Muttersprache im Sejm verboten!

Der Geschäftsordnungsausschuß des Sejm lehnte den Antrag des Seim- Bizemarschalls, des Ultrainers Dr. Zahajkiewicz, ab, den 21bgeordneten der nationalen Minderheiten das Recht zu geben, im Sejm in ihrer Muttersprache zu sprechen.