Rr. 599 46. Jahrgang
5. Beilage des Vorwärts
Sonntag, 22. Dezember 1929
Wissenschaft oder politische Brunnenvergiftung?
Ein offener Brief an den Herrn Reichstagsabgeordneten Universitätsprofessor Dr. Schreiber.
Sehr geehrter Herr Professor!
Sinne ist, fann genügende kritische Vernunft haben, um eine wissenschaftliche Arbeit von einer politischen Hezschrift zu unterscheiden.
Um richtig verstanden zu werden: Selbstverständlich bleibt es allen Gelehrten unbenommen, die Wissenschaft aufzufassen, wie sie es wollen, und wenn es ihnen gut scheint, politische Tendenzschriften als wissenschaftliche Arbeiten anzusehen. Daß damit das Vertrauensverhältnis der Bevölkerung zu der Wissenschaft nicht gerade gestärkt wird, ist eine andere Frage. Die Wissenschaft und ihre Lehre ist frei. Dagegen wer= den wir nicht zulaffen, daß die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft mißbraucht wird, um politische Schriften, die unter wissenschaftlichem eine durchaus flare und selbstverständliche Stellungnahme ist, nicht das geringste zu tun hat. Wenn Staatsgelder auf dem Umweg über die Notgemeinschaft zu solchen Zwecken ver
ganz bestimmte Gattung von Staatsbürgern entstehen. Selbst-| zubilligen. Auch derjenige, der fein Forscher im technischen Ihr Artikel vom 14. Dezember d. J. in der ,, Germania ", verständlich bleibt es jedem Gelehrten, wie überhaupt jedem in dem Sie zum Fall Schemann- Notgemeinschaft der Deut- Staatsbürger, unbenommen, seine politischen Ansichten frei schen Wissenschaft Stellung nehmen, hat mich sehr überrascht zu äußern. Nur darf er nicht verlangen, daß und zivingt mich zu einer Erwiderung. Die Angelegenheit politisch literarische Erzesse, wie sie Professor als solche ist ja vorläufig erledigt, da die Notgemeinschaft in Schemann sich zu schulden kommen ließ, als Wissen ihrem Schreiben an Herrn Prof. Schemann vom 11. De schaft gemertet und staatlich finanziert werden. zember selbst feststellt, daß der zweite Band seines Werkes Und von diesem Gesichtspunkt aus ist auch das Verhält,, Die Raffe in den Geisteswissenschaften" neben sehr wert- nis zwischen Schemann und der„ Notgemeinschaft der deutvollen Ergebnissen wissenschaftlicher Forschung Ausfüh- schen Wissenschaft" zu beurteilen. Sie schreiben selbst, sehr rungen politischen Charakters enthält. Die geehrter Herr Profeffor, daß Sie das Buch nicht gelesen Bublikation überschreite die Grenzen rein haben. Nun, ich habe es gelesen, und ich fann Ihnen wissenschaftlicher Forschungsarbeit und des halb werde das bewilligte Forschungsstipendium eingestellt Forschungsstipendiums nicht entsprochen. Aus dieser gewiß porsichtigen Formulierung geht hervor, daß das Präsidium der Notgemeinschaft den wissenschaftlichen Charakter der Arbeit Schemanns, soweit die im Vorwärts" gekennzeichneten Stellen in Betracht kommen, ausdrücklich verneint. Sie selbst, hochgeehrter Herr Professor, stellten fest, daß die im ,, Borwärts" mitgeteilten Proben genügen, um die Aeußerung Schemanns auf das schärffte zu verurteilen. Sie geben zu, daß es sich um ganz flache, ganz einseitige und äußerst bedentliche ta gespolitische Erörterungen handelt, die in der Tat eine unzweideutige Ablehnung verlangen. Sie sprechen von einer geradezu unerträglichen poli tischen Polemit, wie sie Prof. Schemann übfe.
und Schemanns Antrag auf Weiterbewilligung eines Donnerstag, den 9. Januar, um 19 Uhr Denamen fich verbergen, zu unterſtüken. Ich dächte, daß das
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Auf der anderen Seite aber wollen Sie aus dem Artifel im Bormärts" herauslesen, daß von sozialdemokratischer Seite eine Wissenschaftszenfur verlangt werde. Wenn ich auch selbst fein Forscher bin, so sehe ich mich doch genötigt, hier einmal Klarheit zu schaffen, um so mehr, als es fich hier gleichzeitig auch um ein politisches Problem handelt.
im großen Saal des Lehrervereinshauses, Alexander- die mit einem Angriff auf die Freiheit der Wissenschaft auch platz, Vortragsabend
Proletarische Dichtung
Vortragender: Gen. Dr. Karl Schröder , der Verfasser vieler Arbeiterromane, u. a. ,, Ein Sprung über den Schatten" ,,, Jean Beek" Der ,, Volkschor Lichtenberg" wird diese Veranstaltung mit Kampfliedern umrahmen. Preis einer Eintrittskarte 30 Pfennige.
des„, Bücherkreises". Karten sind ab Dienstag, dem 24. Dezember, im
Jede Inhaberin einer Karte ist berechtigt, sich nach der Veranstaltung an einer Verlosung zu beteiligen. Auf jede 50. Eintrittsk arte entfällt eine Buchprämie Frauensekretariat des Bezirksverbandes Berlin , SW 68, Lindenstraße 3, 2. Hof, 2 Treppen, Zimmer 4, im Bücherkreis"; SW 68, Belle- Alliance- Platz 7-81 Treppe, in der Buchhandlung Dietz, SW68, Lindenstraße 2, im Zigarrengeschäft Horsch so 36, Engelufer( Gewerkschaftshaus), zu haben. Das Frauensekretariat.
versichern, daß die Zitate aus dem Borwärts" nur einen fleinen Teil deffen wiedergeben, was auch Sie als einseitig, bedenklich und als unerträgliche politische Polemit be zeichnen.
Sie haben vollständig recht, sehr geehrter Herr Profeffor, daß es verwunderlich wäre, wenn die Sozialdemokratie eine missenschaftliche Zenfur verlangen sollte. Wir Sozialdemotraten sind Gegner einer jeden Zensur, möge sie gegen die Wissenschaft oder die Literatur oder sonst welche anderen fulturellen Güter gerichtet sein. Auch wir unterstreichen Ihre Auffaffung, daß Kulturprobleme nicht allein und ausschließ lich mit Zensurfragen gelöst werden können, ja, wir gehen Darüber hinaus und erklären. daß die Zensur überliche Werke, die auf dem Boden der soziali haupt nicht geeignet ist, als Entscheidung bei der Lösung, fultureller Probleme benußt zu werden. Aus diesem Grunde haben wir seinerzeit auch gegen das Schmuß und Schundgesez, eine ausgesprochene
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wendet werden, fo fönnte morgen auch Herr Hitler kommen,
und für eine gegen Juda und gegen Rom verfaßte Broschüre eine Reichsunterstügung verlangen. Eine Unterscheidung zwischen ihm und Herrn Schemann zu machen, weil er fein iffenschaftler im technischen Sinne ist, wäre gegen Herrn Hitler eine himmelschreiende Ungerechtigkeit.
Damit, sehr geehrter Herr Profeffor Schreiber, ist unsere Stellungnahme zum Fall Schemann und zur Notgemeinschaft gegeben. Wir schulden der Notgemeinschaft den größten Dank für ihre bisher geleistete Arbeit, wir sichern ihr auch in Bukunft unsere volle Unterſtüßung zu. wir sind die ersten, die auch bei der Notgemeinschaft den Grundsatz der Freiheit der Wissenschaft bis zum äußersten verteidigen werden. Der Fall Schemann foll uns aber eine Warnung sein. Deshalb gebührt dem Reichsinnenminister Dank für sein schnelles Eingreifen, ebenso der Notgemeinschaft für ihr entschlossenes Abschütteln des Herrn Professor Schemann, dessen sonstige wissenschaftliche Berdienste nicht bestritten werden mögen. Ja bin der Ueberzeugung, daß sich eine ähnliche Affäre nicht mehr ereignen wird, denn ich sehe eine Bürgschaft dafür in der Tatsache, daß Sie, sehr geehrter Herr Brofeffor, dem Hauptausschuß der Notgemeinschaft angehören.
Im übrigen bin ich überzeugt, daß eine Lektüre des Schemannschen Buches Sie veranlassen wird, mir recht zu geben.
Ich verbleibe in vorzüglicher Hochachtung Ihr ergebener Dr. Julius Moses , M. d. R.
Renfurmaßnahme, gestimmt, die von Ihren Parteigenossen fehenden Gegensatz. Etwas anderes ist es aber, wenn die Vorträge, Vereine und Bersammlungen.
verlangt und im vollen Umfange gebilligt wurde.
Wenn Sie aus dem Fall Schemann die Folgerung ziehen, unsere Kritik an der Bewilligungspraris der Notgemeinschaft im vorliegenden Falle laufe auf eine unbeschränkte Wissenschaftszensur hinaus, so befinden Sie sich im Irrtum. Die Sozialdemokratie hat die Freiheit der Wissenschaft immer gefordert, auch zu einer Zeit, als der freien wissenschaftlichen Betätigung schwere Hindernisse in den Weg gelegt wurden. Die Sozialdemokratie hat niemals geduldet und wird niemals dulden, daß die Freiheit der Wissenschaft angetastet werde. Sie hat beispielsweise auch im Fall Wahr mund, dem Standardfall einer Verlegung des Prinzips der wissenschaftlichen Lehrfreiheit, sich auf die Seite der Verfolgten gestellt. Sie wird Sie wird auch für Gelehrte vom Schlage Profeffor Schemanns immer eintreten, wenn ihnen irgend welche Nachteile drohen sollten, die mit dem verfassungsmäßig sichergestellten Recht auf freie wissenschaftliche Betätigung im Widerspruche stehen.
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Wohlgemerkt, es handelt sich immer um Wissen- schaft. Aber auch dem Nichtforscher muß das Recht gegeben fein, die Grenzen zwischen Wissenschaft und Nichtwissenschaft zu ziehen, soll nicht eine unerträgliche Diktatur a la Schemann fich entwickeln, die um nichts besser wäre als eine Diftatur politifierender Militärs. Die Wissenschaft und ihre Lehre find frei. Damit sind aber nicht politische Hezereien und politische Brunnenvergiftungen, die von Wissenschaftlern in ihre sonst ich gebe es zu, vielleicht hochwertigen wissenschaft lichen Arbeiten eingeschmuggelt werden, zu verstehen. Auf diese Weise könnte ein politisches Ausnahmerecht für eine
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LOBSERWOLLE
IDONNA
LUCIA
Gewiß, auch für die Bewilligungspraxis der Not gemeinschaft der Deutschen Wissenschaft muß daß Prinzip der Freiheit der Wissenschaft der oberste Grundsa ß sein. Aus diesem Grunde haben wir seit langem bedauert, daß beispielsweise wissenschaft stischen Weltanschauung stehen und deren gibt es genügend nicht die entsprechende Förde= rung erfahren haben. Die Unterstützung der Arbeiten Schemanns steht zu dieser Bragis in einem nicht zu überGelder der Notgemeinschaft und diese sind zu 90 Prog. öffentliche Gelder zur Unterſtügung eines Werkes verwendet werden, das nach der nachträglichen Feststellung der Notgemeinschaft selbst die Grenzen von rein wissenschaftlichen Forschungsarbeiten überschreitet, das sich in einer üblen, hezerischen Polemik gegen den republikanischen Staat, jüdische Staatsbürger und- die katholische Kirche ergeht. Wir iehen es als unerträglich an, daß staat li dhe Gelder für eine jeder Wissenschaftlichkeit bare politisch reaktionäre Streitschrift verwendet werden. Denken Sie, sehr geehrter Herr Professor, die Konsequenzen weiter aus. Was man Herrn Schemann zubilligt, das müßte man natürlich auch einem Schemann zubilligt, das müßte man natürlich auch einem jeden Gelehrten zugestehen, der etwa auf die glorreiche Idee kommen sollte, sich eine politisch- aktuelle Streitschrift von der Notgemeinschaft bezahlen zu lassen, indem er sie einfach unter wissenschaftlichem Namen und in wissenschaftlicher Verbrämung erscheinen läßt. Damit wäre der wahrhaft geniale Zustand erreicht, daß der Staat seine eigenen Feinde unterstüßt, daß die Steuergelder der staatsbejahend eingestellten Bevölkerung für die politischen Gegner verwendet würden, weil diese ein Vorrecht als Wissenschaftler" genießen. Wenn wir gegen einen solchen Unfug Front machen, so geschieht das nicht allein aus selbstverständlichen politischen Gründen, sondern weil wir die Wissenschaft scharf trennen von jenen Abarten, die den Ehrennamen der Wissenschaft mißbräuchlich für sich in Anspruch nehmen. Es wäre ganz verfehlt, das Recht der kritischen Diagnose den Wissenschaftlern allein zu
Ich schlage alles Eine Spitzenleistung in der 15- Pfg. Preislage.
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15 Pfg.
Reichsbanner Schwarz- Rot- Gold".
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Gefäftsft e II e: Berlin G. 14. Gebaftianftr. 37-38, Sof 2. Tr. Kreuzberg, Jungmannschaft I: Montag, 23. Dezember, 20 Uhr, Jugendheim Nordstr. 11, Jahreshauptversammlung. Neuwahl.
Lichtenberg : Montag, 23. Dezember, Jungmannschaft und Schußsportler:
Brenzlauer Berg , Jungbanner: Montag, 23. Dezember, Seimabend, Weltliche Schule, Sonnenburger Straße. Vortrag:„ Mißstände in den Jugendverbänden". der Zurnabend fällt aus. Wiederbeginn der Trainingsabende am 13. Januar, 19 bis 21% Uhr, in der Turnhalle Rummelsburger Str. 64. Wintersportabteilung: Dienstag, 24. Dezember, Abfahrt der Harzfahrer Potsdamer Bahnhof. Sammeln 14% Uhr Vorhalle, an der großen Freitreppe Marineabteilung: Mittwoch, 25. Dezember, fällt Turnen aus. Friedrichshain , Jungbanner: Die Turn- und Heimabende fallen aus. Nächste Jungbannerverfammlung am 6. Januar im Jugendheim Frankfurter Allee 307. bliebenen, Gan Berlin, Ortsgruppe Norden 14. Sonntag, 22. Dezember, 17 Uhr, Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und KriegerhinterWeihnachtsfeier mit anschließender Bescherung der mit Ausweistarte versehenen Kinder.
Thorner Seimatbund. 2. Weihnachtsfeiertag, 26. Dezember, 17 Uhr, in dent
großen Festsaal des Schiller- Theater- Restaurants, Charlottenburg , BismardStraße 110, Weihnachtsfeier mit Kinderbescherung.
Männer und Gemischter Chor Ablershof. Weihnachtskonzert in Adlershof am 2. Feiertag, 11 Uhr, im Lokal von Wollstein zu Adlers mit dem Titel:
Bon Kampf und Arbeit". Eintritt 65 Vf.
Bund religiöser Sozialisten, Neukölln . 28. Dezember, 19 Uhr, Weihnachts
feier im Gemeindejaal, Hertaftr. 9. Eintrittsgeld einfchi. Kaffee und Kuchen: Erwachsene 50 Bf., Kinder 25 Bf. Rarten bis 27. Dezember beim Genossen
Radwig, Kranoldstr. 16. Tel.: Neukölln 5831. Gäste willkommen.
Freie Arbeiter- Stenographen Bereinigung Groß- Berlin. Allen Mitgliedern zur Kenntnis, daß unsere Kurse der Schulferien wegen erst in der Woche vom 6. bis 13. Januar wieder beginnen. Gleichzeitig machen wir schon heute
alle Intereffenten darauf aufmerksam, daß unsere Anfängerkurse in der Reichsturgidrift in der Woche vom 13. bis 18. Januar beginnen. Näheres siehe
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