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46.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Bolksblatt

Dienstag 24 Dezember 1929

Groß- Berlin 10 Pt. Auswärts 15 Pf.

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Moldenhauer Finanzminister.

Robert Schmidt Reichswirtschaftsminister.

Amtlich wird mitgeteilt: Der Reichspräsident hat auf| Reichstanzler, der der Sigung beiwohnte, zum Reichspräsidenten, Vorschlag des Reichskanzlers den derzeitigen Reichswirt schaftsminister Dr. Moldenhauer( D. Bp.) zum Reichsminister der Finanzen und den Reichsminister a. D. Robert Schmidt ( Soz.), Mitglied des Reichstags, zum Reichswirtschaftsminister ernannt.

Dr. Herk hat verzichtet. Reichstagsabgeordneter Dr. Hertz( S03.) hat geglaubt, daß ihm angetragene Amt des Reichsfinanzministers nicht annehmen zu

fönnen.

In einer Zusammenkunft des Borstandes der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion, zu der alle erreichbaren Mitglieder der Fraktion hinzugezogen waren, hat Dr. Herz am Montag nachmittag die lebhaften sachlichen Bedenken, die er gegen eine Uebernahme des Finanzministeriums hegt, zum Vortrag gebracht. Obwohl die An wefenden sich bemühten, diese Bedenken zu zerstreuen und mit Nach druck die besondere Eignung des Abg. Herz für den schwierigen Basten betonten, fonnte sich herz nicht entschließen, der an ihn er­gangenen Aufforderung des Reichskanzlers zur Uebernahme des Reichsfinanzminifteriums zu entsprechen. Hierauf begab sich der I

um ihm den bisherigen Wirtschaftsminister Moldenhauer ( D. Bp.) als Finanzminister und den sozialdemokratischen Abg. Robert Schmidt Berlin als Wirtschaftsminister vorzuschlagen. Robert Schmidt hat bereits fünf Kabinetten angehört. Er ift in wirtschaftlichen Dingen außerordentlich erfahren und erst in den letzten Tagen bei der Beratung der Zollvorlage hervorgetreten. Die fozialdemokratische Reichstagsfraktion befigt in ihm eines ihrer ältesten Mitglieder, das durch Sachlichkeit und große Kenntnisse Anerkennung weit über die Kreise der Sozialdemokratie hinaus befißt.

Er hat sich hinauswerfen lassen.

Staatsfefretär Schmid geht.

Der Staatssekretär des Ministeriums für die besetzten Gebiete, jener volfsparteiliche Reichstagsabgeordnete, der als Schweine. Schmid" befannt geworden ist, hat am Montag einen Urlaub angetreten, von dem er nicht wieder in sein Amt zurückkehren dürfte. Es hat des Drudes bedurft, damit Herr Schmid aus seiner Ab­Es hat des Druces bedurft, damit Herr Schmid aus seiner Ab­ftimmung gegen die Regierung die Konsequenzen zog!

Außenpolitische Debatte in Paris .

Grumbach über die Fortschritte der Friedenspolitik.

Paris , 23. Dezember.( Eigenbericht.) Die Kammer hat am Montag die mit Spannung erwartete Debatte über den Etat des Auswärtigen Amtes begonnen.

Die nationalistische Fronde um Marin, Mandel und Franklin Bouillon wird, obwohl sie sich von vornherein als geschlagen betennen muß, einen neuen Anriff gegen Briand und seine Außenpolitik unternehmen. Alle nationalistischen Führer haben sich bereits zum Wort gemeldet, Franklin- Bouillon Jogar zweimal, damit er ja alles jagen tann, was er gegen Briand auf dem Herzen hat. Natürlich hat sich auch der ehemalige Borsigende der Reparationsfommission Dubois als Redner ein­tragen lassen. Bon der sozialistischen Partei ist Grumbach und Brade vorgemerkt.

Briand wird wahrscheinlich erst am Dienstag das Wort ergreifen. Den Reigen der Redner eröffnete der sozialistische Abgeordnete Grumbach und stellte zunächst in furzen Zügen fest, welch große Fortschritte die Friedenspolitik in den zehn Jahren seit dem Kriege gemacht habe. Die Zahl ihrer Anhänger sei wesentlich ge friegen. fogar Tardieu und Maginot hätten sich ihr jetzt angefchloffen. Die Propaganda der Aufregung, die Franklin- Bouillon treibe, sei zumindestens übertrieben. Das

flägliche Ergebnis der Hugenberg - Abstimmung

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habe das wiederum bewiesen. Man dürfe sich nicht vom Miß­trauen irre machen lassen, wie jene Pariser reaktionäre Zeitung, die die Friedenspolitif als Patriotismus im Dienste Deutschlands " habe brandmarken wollen. Mit solchen Formeln tönne man teine Politik treiben. Leider feien auch die Vereinigten Staaten von Europa nicht schon fertig, nur weil Briand den Mut gehabt habe, das Wort von den Vereinigten Staaten überhaupt in das diploma tische Wörterbuch aufzunehmen. Aber die Idee sei auf dem Marsch und nicht mehr qufzuhalten. Wenn einmal das Saar­

gebiet dem Wunsche seiner Einwohner gemäß an Deutschland zurück.

gegeben...

Der Abg. Soulié unterbricht erregt: Sie tun hier ein schlechtes Werf!"

Grumbach protestiert energisch: Bertuschungen könnten hier nichts nühen. Eine Bolteabstimmung fei gut, fobald, über den Willen der Bevölkerung Zweifel herrschen. Das sei aber im Saargebiet nicht der Fall. Die beste Diplomatie sei die Wahrheit. Erst nach Räumung des Rheinlandes und nach der Rückgabe des Saargebietes fönne die eigentliche fon struttine Frie denspolitif beginnen. In diesem Sinne fönne frgar den Ver­handlungen des Abg. Reynaud in Berlin m Prinzip zu­gestimmt werden. Frankreich , so schloß der sozialistische Redner, habe die Pflicht Frieden zu schaffen, und dabei dürfe es vor nichts Furcht haben.

Mit dem Abg. Franklin- Bouillon, der anschließend das Wort er­griff, begann der neue Borstoß der nationalistischen Fronde gegen Briand . Franklin- Bouillon richtete die wil. besten Angriffe vor allem gegen die Locarno Politit

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Franklin Bouillon übertrifft sich selbst.

und den Young- Blan. Der Außenminister Briand habe in feinen wiederholten Rundgebungen die von ihm, Franklin- Bouillon, feinen wiederholten Rundgebungen die von ihm, Franklin- Bouillon, porgebrachten Tatsachen nicht entfräften fönnen. Briand habe sich dadurch herauszureden versucht, daß er die gesamte Regierung für seine Berzichtpolitik mit verantwortlich gemacht habe. In der Tat sei die Lage der Regierung anormal, aber er, der Redner, werde alles tun, um sie zu ändern. Briand habe weiter erflärt, wenn er Deutschland Konzessionen gemacht habe, dann sei es nur im Interesse des Friedens gewesen. Das sei falsch. Bon Konferenz zu Kon­ferenz sei Frankreichs Reparationsanteil geringer, feine Sicher. heit fchwächer, geworden. Die unverständliche Haltung der Alliierten hätte dazu natürlich viel beigetragen.

Aber gerade der Cocarno- Bertrag fei nichts Franzöfifches, fondern er sei ausschließlich deutsches Werk.(!) Ueber den Wert von Locarno herrschten in Frankreich tragische Miz verständnisse. Für Frankreich bedeuten die Locarno- Berträge den Frieden, für Deutschland bedeuteten sie ein Instrument, um den Versailler Bertrag zu zerstören. Stresemann habe dies zuerst gesagt, nach ihm hätten Luther , Fehrenbach und Breitscheid genau dasselbe geäußert. Gewiß habe. Deutschland auf die Gewalt verzichtet, weil es sie nicht befize. Aber es habe ein neues Mittel, um Europa zu teilen und zu sabotieren: die minder heitenfrage. Alle deutschen Parteien verlangten die Ab. schaffung des Polnischen Korridors und den An= fchluß Desterreichs. Der deutsche Irredentismus fei überall am Wert. Ein Vergleich mit Frankreich nach 1870 und Deutschland nach 1918 sei irrfinnig, denn schon jetzt fei der Kronprinz zurüdgefehrt und paradiere in den Straßen. Die Haupt bedingung für jede Annäherung sei die, daß Deutschland seine Schuld am Kriege anertenne Dann müsse es darauf ver­ichten, zu verlangen, daß die übrigen Nationen abrüffen sollen.(!) Endlich müsse das Rheinland so lange belegt bleiben, bis die letzten strategischen Werke zerstört feien.

Der Verhandlungen über das Saargebiet müßten aufgegeben und in den Young- Plan müssen Santtionen aufgenommen werden Wolle denn der Außenminister nicht endlich auf die Warnungen, die ihm von polnischer Seite zugegangen seien, hören?

Briand erwiderte turz und trocken, daß er in der Tat von gewiffen polnischen Umtrieben Kenntnis erhalten habe, von denen er wirklich nicht sagen könne, daß, fie dem Frieden nügten. Polen habe eben auch seine Chauvinisten wie. andere Länder. Länder. Franklin Bouillon schleß seine Rede, die

von der Kammer mit eifigem Schweigen und nur sehr zögernbem Beifall bei einigen Unentwegten auf dem äußersten redten Flügel aufgenommen wurde, mit dem pothetischen Ausruf, daß in Deutschland der Geist von Locarno den Geist von Botsdam stärke. Frankreich müsse also machen und auf der Hut bleiben.

De Kammer vertagte die Fortseßung der Debatte auf Dienstag vormittag.

Griechenlands Umbildung

Ein fleines Land im großen Krieg.

Von Hermann Wendel .

Was die Teilnahme an einem frisch- fröhlichen Krieg" bedeutet, hat Deutschland so gründlich erfahren, daß noch Generationen die Folgen am eigenen Leibe spüren werden. Gleichwohl ist es in mehr als einer Beziehung aufschlußreich. an der Hand genauer Darstellung den Einfluß des Krieges trachten; den Schlüffel dazu gibt ein Wert der Carnegie auf einen kleinen Balkanstaat wie Griechenland zu be­Stiftung, das sechs französisch geschriebene Abhandlungen griechischer Fachleute über Die ökonomischen und fozialen wirtungen bes Kriegs in Griechen land" zusammenfaßt. Aber die Erkenntnisse, die das Buch permittelt, haben nicht nur akademischen Wert, sondern bilden auch die Voraussetzung für das Berständnis der politischen Irrungen und Wirrungen, an denen Nachkriegs- Hellas für­wahr nicht arm ist.

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Für Griechenland reichte die Kriegsperiode eigentlich von 1912 bis 1923, vom ersten Balkankrieg bis zum Frieden von Lausanne , aber das Entscheidende war sein Eintritt in den Weltkrieg, in den es zu einem Viertel durch die waghalsige Politif von Beniselos, zu drei Vierteln durch die Gewalt­maßregeln der Entente hineingestoßen wurde. All die tönen­den Redensarten vom Recht der fleinen Völker", für das England, Frankreich und die anderen das Schwert gezogen haben wollten, zerfallen wie mürber Bunder, wenn das Buch mit Zahlen und eraften Angaben bem lehrreichen Bild, bas da heißt: die Bergewaltigung Griechenlands den letzten Pinselstrich gibt; fartastisch wird gefagt, die Alli­ierten hätten die Grundsäge der Neutralität mit einer ge­wiffen Elastizität" angewendet. Zu dieser Elastizität gehörte unter anderem die Blockade, die die Athener Regierung firre machen sollte, und die Ziffern der Kinderfierblichkeit zu phantastischer Höhe emportrieb.

Als dann der Hohenzollernschwager und-schwärmer König Ron ftantin über Bord war und Griechenland sich unter Beniselos' Führung den Alliierten gesellte, wurde es so faltblütig als Kanonenfutter verbraucht, wie es allemal in der Weltgeschichte den Kleinen von den Großen widerfährt. Die ansehnliche hellenische Han­dels flotte, bis zum legten Fahrzeug in den Dienst der Entente gepreßt, verlor durch Torpedierungen zwei Drittel ihres Bestandes, Schiffe im Werte von 716 Millionen Gold­franken. Aber DON eingereichten Schadenersatz­forderungen erkannte England nur ein Drittel, Frankreich nur ein Dreißigstel, Italien nur ein Sechzigstel an; die Ehre, für die Entente Gut und Blut hinzugeben, mußte einem armen Schlucker wie Griechenland genügen! Nicht einmal die Barvorschüsse, die in Höhe von 75 Millionen Dollar die griechische Regierung der französischen und englischen Solo­nit- Armee geleistet hatte, wurden in bar zurückgezahlt. Humoristischerweise lieferte die Entente dafür Material, dessen Griechenland in dem für ihre Intereffen geführten Kriege bedurfte! Die Folge: gänzliche 3errüttung der ariechischen Finanzen, Inflation, Entwertung der Drachme, eine märchenhafte Schuldenlast. deren Ver­injung bis 40 Prozent der Einnahmen verschlingt, und eine Ausquetschung des Volkes durch eine rücksichtslose Steuer­gefeßgebung, die bis herab zur Ziege des Aermsien alles zu Abgaben heranzieht.

Ebenso einschneidend ist die Bevölkerungsvers ichiebung, die fein Land in solchem Maße in dieser Jahren erfahren hat. Vor dem Krieg lebten rund zwei Millionen Hellenen außerhalb des griechischen Staates, hauptsächlich in der europäischen und asiatischen Türkei ; die größte Griechen­stadt der Welt war nicht Athen . sondern Konstantinopel . Der unglückliche Ausgang des Anatolischen Abenteuers, in das sich Griechenland auf einen englischen Wint gestürzt hatte, brachte die Austreibung von anderthalb Millionen Griechen aus Kleinasien mit sich, deren Aufnahme und Unterbringung fich für das schwer geprüfte Mutterland als fast unlösbares Problem aufwarf und schließlich nur mit tat­fräftiger Hilfe des Völkerbundes zuwege fam. Soweit es sich bei den Zuzüglingen um Bauern handelte, wurden fie vor allem in Makedonien und Westthrafien angesiedelt; zu diesem Ende zerstückelte eine A grarreform, fodifiziert in dem Sammelgesetz vom 15. Oftober 1926, den Großgrundbesitz, foweit er aus der Türkenzeit in Griechenland nod) bestand, in Kleingüter; insgesamt wurden 1496 Latifund'en für reif zur Enteignung erklärt. Diese Massenansiedlung, für die auch die Aufteilung von Staats- und Gemeindebesig wie die Urbar­machung von Brachland Boden beschaffte, änderte den natio­nalen Charakter von Hellenisch Makedonien durch und durch. dern da auf Grund besonderer Abkommen 350 000 Türken und 32 000 Bulgaren abwanderten und 776 000 Griechen zuwanderten, ist dieser Strich heute nahezu helleni fiert. Durch einen ähnlichen Vorgang stieg in Westthraffen der Anteil der Griechen an der Gesamtbevölkerung von 36,7 auf 672 Prozent.

Aber die Hälfte der Zuzüglinge aus Kleinasien bestand