Morgenausgabe
Rr. 604
A 304
46.Jahrgang
Bodentfid 83 Bf. monatlich 3,60 T in noraus zahlbar. Boftbeaug 482 DR. einfchließlich 60 Bfg. Bostzeihmgs- und 72 Big Boftbeftellgebühren. Auslands ebonnement 6,-. pro Monat.
Der Borwärts erichein wohentäg lich zweimal, Sonntags und Montags einmal, bie benbausgaben für Berlin und im Handel mit dem Titel„ Der Abend", Illustrierte Beilagen Bolt und Zeit und Kinderfreund". Ferner Unterhaltung und Biffen, Frauen ftimme. Segnit, Blid in die Bücherwell" und Jugend- Borwärts"
Freitag 27. Dezember 1929
Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf.
Die eintpaltige Ronpareillezetle 80 Pfennig Reflame eile ó.- Reichs mart. Aleine Anzeigen' bas eitge brudte Mort 25 Pfennig( zulässig zwei fettgedruckte Worte), jedes weitere Bort 12 Bfennig. Stellengesuche das erste Bort 15 Bfennig, jedes weitere Bost 10 Pfennig. Borte über 15 Buchstaben zählen für zwei Borte. Arbeitsmeift Beile 60 Pfennig. Familienanzeigen Ze le 40 Pfennig. Anzeigenannahme imhaupt geschäft Lindenstraße 3, wochentäglich von 8 bis 17 Uhr.
Redaktion und Berlag: Berlin SW 68, Lindenstraße 3 Fernsprecher: Dönboft 292-297 Telegramm- Adr.: Sozialdemokrat Berlin .
Vorwärts Verlag G. m. b. H.
-G
Bostichedkonto: Perlin 37 536. Bankkonto: Bank der Arbeiter. Angestellten und Beamten. Wallitr 65 Dt Bn Disc-Gef. Depofitentafie Lindenftr 8.
Paris , 26. Dezember.( Eigenbericht.)
In der Kammer, bie am Dienstagabend ohne besondere Borkommniffe und besondere Reden die außenpolitische De batte vertagte, tam es am Donnerstag bei der Fortegung der Diskussion zu einem ziemlich heftigen 3usammenstoß zwischen Tardieu, und der extremen Rechtsoppo fiition, die Tardieu zu einer bemerkenswerten Demporstrution von der Kammertribüne aus veranlaßte.
gebantens. Man brauche nur den Friedensvertrag nachzulesen, um festzustellen, daß
auch der Bertrag unter gewiffen Bedingungen den Anschluß geftatie.
Die Sache des Friedens bafiere auf dem Bertrauen, und es fämen immer wieder Versuche, das Vertrauen zu erschüttern; das Bolt sei immer noch eher geneigt, an einer heroischen Geste Gefallen zu finden als an Friedensreden. Ich aber", erklärte Briand ,,, werde diesen Weg weitergehen bis zu meinem letzten Atem zuge, auch wenn Flüche meinen Weg begleiten; denn dies ist mein Glaubensbetenntnis."
Der Ministerpräsiden hatte mitten in einer Rede des zweiten Borsigenden der Reparationsfommission, des Abg. Dubois, der auf das heftigste den Young- Pan angriff, das Wort ergriffen, um zu erklären, daß die Regierung der unsicheren parlamen Jeder: Staat tönne auf seine eigene Gicherheit bedacht sein, ohne tarischen Situation müde sei und die Rammer ge deshalb die Politik des Friedens aufgeben zu müssen. Was die zwungen habe, durch eine eindeutige Abstimmung zu Londoner Konferenz betrifft, gab er zu, daß das Terrain ben außenpolitischen Problemn Stellung zu nehmen. Ehe die Revielleicht nicht gerade günftig fei, aber bei jeder Konferenz fönne man gierung im Haqg und in London eine schwere Berantwortung auf ja erft langjam Schritt für Schritt der Klärung des Programms fid, nehme, werde sie verlangen, daß die Kammer sich in ebenso näherfommen. Man macht mir Vorwürfe wegen der Räumung eindeutiger Beise für oder gegen fie ausspreche. Die Regierung des Rheinlandes, jedoch der von einer parallelen Deklaration fei fich bewubt, daß sie sich inner politischen Gefahren der Alliierten bestärkte Artikel 431 des Friedensvertrages sieht vor, ausfeze, fie wolle aber nicht eine politische Situation fortbestehen daß die Räumung beschleunigt werden tönne, wenn laffen, in der Abgeordnete, die der Regierung ihr Vertrauen aus Deutschland seinen guten Willen erweise, d. h. einen Teil gefprochen hätten, troßdem ununterbrochen von oer Tribüne der der ihm auferlegten Verpflichtungen erfüllt hat Solange er AußenRammer aus die Politik disser Regierung angriffen. minister fei, werde er nicht zulaffen, daß man eine solche Verpflich tung bricht.
Zu Beginn der Sigung( prach
Herriot
in einer eindrucksvollen Rede sich für das Briandsche Projekt einer europäischen Föderation aus. Herriot erflärte, feiner Ansicht nach sei der Briandsche Plan nicht nur logisch und richtig, sondern auch unmittelbar prattiid durch ührbar. Es handle Eh um eine neue Etappe auf dem Wege der Verwirklichung des Friedens Man dürfe aber nicht an das Beispiel des Zollvereins benten Der 301lperein habe zu einer Einigung Deutschlands zugunsten Breußens geführt. Das sei der Grund zur Verpreußung Deutschlands gewefen. Frankreich wolle im Gegentei allen enderen fleinen Nationen große Rechte einräumen und lehne jeden Versuch, die Joee des europäischen Zusammenschlusses zu einem Berjuch der Borstellung einer Hegemonie Frankreichs auszubeuten, auf das entschiedenste ab. Der Gedanke einer europäischen Union sei daher der Konstruktion des Zollvereins durchaus nicht verglei tbar. Die Gefahr einer politischen und ökonomischen Ratastrophe stießen Europa unabanderlich auf den Weg zu seiner Bereinigung. Die wirtschaftliche Möglichkeit des Zusammenschlusses Europas ist un mittelbar gegeben. Es sei zu hoffen, daß Frankreich in fürzester Beit in Genf einen präzisen und detaillierten Blan der europäischen Föderation einginge. Diefer Plan des Friedens folle mir auf universelle Art verwirklicht werden. Eine geplante Berbotsformel gegen den Krieg tönne nicht genügen. Es handle fich um die Schaffung einer Organisation, die gegen Kriegsversuche cub Ganttionen ergreifen tönne.
ubois erklärte, gegen Briands Außenpolitit gerichtet, der Young- Blan biete Frankreich keine Gewähr dafür, daß Deutschland feine Berpflichtungen erfüllen merde. Dubois nahm dann aufs fchärffte Stellung gegen die Räumung der dritten 3one, ehe die deutsche Schuld mobilfieri fet. Tardieu erflärte wiederholt, cs Jei unrichtig, daß die Räumung der dritten Zone begonnen habe. In diesem Zusammenhang entspann sich eine etwas tonfuse Dis tussion, an der sich die Abgeordneten Marin, Franklin. Bouillon, Ministerpräsident Tardieu und Außenminister Briand burch Zwischenrufe beteiligten. Dann nahm
Das Wort.
T
Briand
Seine, mit größter, Spannung erwartete Rebe in der außen politischen Aussprache in der Kammer hat fachlich taum etwas Reues gebracht. Sie war ein mit gewohnter oratorischer Meisterchaft abgelegtes Bekenntnis zur Sache des Friedens und gleich zeitig eine dialogisch glänzende Verteidigung gegen die Angriffe der Rechtsopposition. Briand polemitierte zunächst gegen die Abgeordneten Franklin Bouillon und Mandel, die sich in negativer ritit erschöpften, ohne in der Lage zu sein, feiner Bolitik ein anderes konstruktives Brogramm entgegenzufezen. Der Borwurf der Berzichtpofitif, den man gegen ihn erhebe, fei unberechtigt. Das habe lediglich die Lüde von Ber sailles burch Locarno ergänzt. Man fönne Deutschland , ein 60- millionen- Bolt, auf die Dauer nicht durch Zwangsmaßnahmen beherrschen. Die Politit von Locarno sei nicht schlecht, weil diese Politit von Deutschland ausging. Besondere ungerecht empfinde er ben Borwurf, daß er die 3ntereffen Bolens mißachte. Als er fich der oberschlesischen Frage annahm, habe es feinen Bolen gegeben, der ihm nicht Dant dafür gemußt hätte. Der Locarnopatt habe auch den Vorteil gehabt, daß er den end. gültigen Berzicht Deutschlands auf Elsaß - Both ringen besiegelte. Was den Anschluß betrifft, habe er niemals sersäumt, auf die Gefährlichteit der Anschlußpolitik hinzu. Beisen. Im übrigen jei er nicht der Erfinder des Anschluß
Am Schluffe feiner Rede fordert Briand die Kammer auf, tlar Stellung zu nehmen. Benn fie Mißtrauen zu feiner tlar Stellung zu nehmen. Benn sie Mißtrauen zu feiner Bolitif bege, so habe sie immer die Möglichkeit, durch Streichung eines Belles des auswärtigen Budgets, die er mit der Bertrauensfrage beantworten würde, ihn zu verhindern, daß er im Haag weiter schlechte Politif" macht. Er werde nur nach dem Haag fahren, wenn er als Reisegepäck das Vertrauen der Rammer mit sich führen merde. Die Kammer habe sich zu entscheiden und die Berantwortung für ihre Meinung auf sich zu nehmen Die außenpolitische Aussprache wurde nach der Rede Briands auf morgen vertagt und die Rammer beschäftigte sich mu dem
Amneftleentwurf für Léon Daudet . Berschiedene Redner der Linfen , darunter Herriot , der Sozialist Moutet und der Kommunist Cach in forderten, daß die Begnadigung Daudets mit einer Generalamnestie ver. nüpft werde. Der diesbezügliche Antrag des Genossen Moutet wurde jedoch mit 303 gegen 260 Stimmen abgelehnt. nachdem Tardieu die. Bertrauensfrage gestellt hatte, mithin erscheint die Begnadigung Daudets gesichert.
28chtige Staa'spapiere verbrannt. Washington , 26. Dezember.( Eigenbericht.) Das Seitengebäude des Weißen Hauses , in dem sich die Privatbureaus des amerikanischen Staatspräsidenten befinden, brannte in der Nacht vom Dienstag zum Mittwoch völlig aus. Zahlreiche wichtige Staatspapiere wurden ein Opfer der Flammen. Ein Teil der wichtigsten Privatpapiere des Präsidenten konnte in Sicherheit gebracht werden. Der Schaden ist außerordentlich groß. Das Feuer ist durch Kurzschluß entstanden.
Banttrach mit politischen Folgen. Belgischer Kolonialminister Tichoffen zurückgetreten.
Brüssel , 26. Dezember.( Eigenbericht.) Nach einem unerwartet telegraphisch einberufenen geheimen Ministerrat ist der katholische Kolonialminister Tschoffen zurückgetreten. Der Grund des Rücktritts ist der 3 usammenbrugh der Bank Chaudoir in Lüttich , in deren Verwaltungsrat Tichoffen auch während seiner Amtszeit als Minister geblieben ist. Durch den Bankkrach sind Hunderte von kleinen Leuten mit dem Ruin bedroht. Tichoffen selber foll finanziell zugrunde gerichtet fein. Eine gerichtliche Untersuchung ist gegen die Verwalter der Baut eingeleitet worden, um deren Berantwortung festzustellen.
Politischer Maffenfireit.
Kommunistische Tragikomödie in vier Aften.
Die Kommunistische Partei taumelt zurüd in jenen Kurs, den sie einst unter der glorreichen Führung der Ruth Fischer und Maslom verfolgt hat. Wie einst ist das Kern= stück dieser genialen Taktik die Auslieferung der Rathäuser und Gemeindeparlamente an das Bürgertum. Die zentrale Unweisung an die kommunistischen Funktionäre im Lande lautet, daß mit Sozialdemokraten über die Belegung wich tiger Gemeindeämter nicht verhandelt werden darf, daß Rommunisten nicht für sozialdemokratische Gemeindefunktio näre stimmen dürfen. Diese Tattit hat ihre ersten Erfolge Funktionäre, die der Stimme der Vernunft gefolgt sind und zur Freude des Bürgertums gezeitigt fommunistische mit Sozialdemokraten verhandelt haben, sind gemaßregelt oder ausgeschlossen worden.
Der Zmed der Uebung ist, die Gemeindevertretungen zu nisten hervorzurufen, als sei jeder Versuch positiver Arbeit diskreditieren und den Eindruck bei den gläubigen Kommufür die Arbeiterschaft in den Gemeinden ergebnislos. Diese allenthalben bei den Gemeindewahlen erhalten hat. Sie ist Tattif ist die Antwort der KPD. auf die Niederlage, die sie um so hirnverbrannter, als das Bürgertum darum fämpft, die Ansätze des sozialistischen Werdens in den Gemeinden zu ersticken.
verrüdt spielen, und wieder einmal nach dem bewährten Die fommunistischen Drahtzieher wollen wieder einmal politik in den Gemeinden und mit den Radaudemonstrationen Schema der revolutionären Gymnastit. Mit der Bosheits stand wieder einmal von vorne. Natürlich wird sie wieder Erwerbsloser beginnt die Reihe: Aktion steigern- Aufeinmal in den Anfängen steden bleiben, und die Leidtragen. den werden wieder einmal die Arbeiter sein, die sich durch das große Maul der Kommunisten haben verführen lassen.
Für Berlin hatten die tommunistischen Drahtzieher einen besonderen Clou vorbereitet: Rundgebung am Weihnachtsabenb auf dem Kurfürsten. damm. Man merkte an der Borbereitung der Demon ftration den russischen Oberbefehlshaber, den Zusammenhang mit dem Antiweihnachtsfeldzug in Sowjetrußland, die Ers bitterung des Zurteftaners barilber, daß der deutsche Prolet nicht so mill wie er, daß er immer noch etwas für Weih nachten übrig hat. Diese deutsche Sentimentalität sollte den deutschen Kommunisten ausgetrieben werden, deshalb der Befehl zur Parteiarbeit am Weihnachtsabend! Ach, es war ein fläglicher Bersager: die Befohlenen glänzten in hellen Scharen durch Abwesenheit. Ein paar hundert Demonftranten fanden sich zu fümmerlichem Zuge zusammen. Experiment verunglückt.
-
Um fo dicer find die Lettern der Ueberschriften in der ,, Roten Fahne": ,, Rot Front in den Straßen der Millionäre Tausende durchbrechen dreifaches Polizeilordon Schrecken in den Wohnpaläften." Es war zwar alles ganz anders, es gab teine. Tausende und teine durchbrochenen Polizeikordons- aber die Hand des Turkestaners laftet schwer, und die Ausführung des Befehls muß möglichst blumig gemeldet werden. Denn es gilt, die Willfährigkeit des befohlenen neuen Kurses zu erweisen.
Att eins der revolutionären" Romödie in vier Aften ist durchgefallen, aber das ist für gehorsamsbefliffene Kommunisten fein Anlaß, Akt zwei, drei und vier nicht nachzuliefern. Also erfährt man in der„ Roten Fahne", was nun tommen soll:
Aft zwei:
Jetzt gilt es vielmehr, eine breite Rampfbewegung zu entfalten. Viel zahlreicher noch als bisher müssen sich die Er= werbslosen auf jeder Stempelstelle vereinigen, um die Winterbeihilfe und die Lieferung von Kohlen und Rartoffeln in jo überwältigender Bahl zu fordern, daß niemand fich ihren Wünschen zu widersehen wagen darf."
Att drei:
,, Da die Kapitalisten und Sozialdemokraten eure Lebenshaltung noch unter das Existenzminimum herabdrücken, so gilt es, mit der fofortigen Einleitung von Kämpfen für höheren ohn zu antworten."
Aft vier endlich das Ende frönt das Werk: ,, Gegen diese Lawine, die sich gegen das arbeitende Bolk heranwälzt, gibt es eine wirksame Form der proletarischen Abwehr. Das ist der politische Massenstreit. Die herannahenden großen Klaffenkämpfe zwingen die Arbeiter, diese Waffe zu ergreifen und mit ihrer Hilfe der Bourgeoisie einen vernichtenden Schlag zu ver fezen."
Ganz nach Schema F, wie es der Turkestaner befiehlt! Das ist nicht etwa eine private Stilübung der ,, Roten Fahne". es ist eine wirklich ernst gemeinte Barole der Leitung der Kommunistischen Partei. Damit tein Zweifel darüber entsteht, und dam't der Moskauer Befehl erkennbar wird, veröffentlicht die Rote Fahne " dazu die Ausführungen des Kommunisten Molotow auf dem 10. Etti- Plenum:
Der Rütritt Tschoffens erregt starkes Aufsehen Er ist einer der hervorragendsten Führer der katholischen Partei, rechnet sich zu den christlichen Demokraten und unterhält trop seiner mallonischen Herkunft gute Beziehungen zu den Flamen. Er wurde allgemein als fünftiger Ministerpräfident angefehen, und während der letzten Regierungsfrise wurde er als der wahr icheinlichste Nachfolger Jaspers genannt Die beiden katholischen Führer, bie beide Abgeordnete von Lüttich find, find als Rivalen befannt, die nicht viel für einander übrig haben. Die Ausschaltung Tschoffens, obfchon ein empfindlicher Berlust für die fatholische Das Problem bes politischen Massenstreits ist für Bariei, ist Herrn Jaspar vielleicht nicht sehr unangenehm. Bor- die Kommunistischen Parteien jetzt das entscheidende Bro. täufig übernimmt Jaspar das Bortefeuille des Rolonialminifteriums.blem. Darin besteht das Neue, bas Grundlegende und das