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BERLIN Freitag 27. Dezember 1929

Der Abend

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Spätausgabe des Vorwärts

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Nr. 605

B 301 46. Jahrgang

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Minister erschießt Abgeordneten

Ein Mord im brasilianischen Parlament.- Attentat auf den argentinischen Präsidenten.

New York , 27. Dezember.( Eigenbericht.)

Die politische Spannung, die angesichts der bevor­stehenden Präsidententvahlen in Brasilien herrscht, führte im Bundesparlament in Rio de Janeiro zu einer

Hertz und Moldenhauer.

Schießerei, in deren Verlauf der Deputierte Sonza Geringe Sehnsucht nach Ministerposten.- Was wird nach der Reichsfinanzreform

Filho von dem Oppositionsführer und früheren Acker­bauminister Simoes Lopez niedergeschossen wurde. Die Parlamentssitung mußte infolge des ausgebrochenen wilden Aufruhrs abgebrochen werden. Filho, ein ange­sehenes Mitglied der Regierungspartei, verstarb auf dem Wege zum Hospital. Die Bundestruppen umstellten so­fort zur Vermeidung von Demonstrationen das Abge ordnetenhaus. Lopez stellte sich freiwillig den Polizei. behörden.

Bom Rundfunk war es sicher eine ausgezeichnete Idee, einmal einen über die Gründe sprechen zu lassen, aus denen er nicht Minister werden wollte. In manchen Kreisen ist noch immer die Vorstellung verbreitet, es gäbe in der Welt nichts Schöneres als einen Ministerposten, und es müßte ein jeder, dem ein solcher angeboten werde, mit beiden Händen zugreifen. In der Kaiserzeit mag es ja im allgemeinen jo gewesen sein; da maren die leitenden Stellen in Reich und Staat richtige Sineturen. Die Minister ließen die höchsten Reichs- und Staatsämter nicht nur ganz anders mit ihre Geheimuräte regieren und lebten einen guten Tag. Heute sind Arbeit und Sorgen beschwert, sondern auch ihre Leiter haben vor

Nach Zeugenaussagen hat sich der Borfall folgendermaßen ab gespielt: Im Anschluß an eine heitige Auseinandersetzung griff der Sohn des Abgeordneten Lopez den Abgeordneten Filho an und beden Parlamenten die Verantwortung zu tragen für alles, arbeitete ihn mit Stodschlägen. Als Filho darauf ein Meffer zog, um sich zu verteidigen, gab der Vater des Lopez mehrere Schüsse auf Filho ab.

Das Attentat in Argentinien .

Buenos Aires , 27. Dezember.

Auf den Präsidenten von Argentinien , 3rrigoyen, wurde am Dienstag nachmittag ein Revolveranschlag verübt. Der Präfi­dent befand fich auf der Fahrt nach dem Regierungsgebäude, be­gleitet von einem politischen Kommiffat, als aus unmittelbarer Nähe plöhlich drei Revolverschüsse abgegeben wurden. Ein Schuß traf den Chauffeur tödlich, während durch einen zweiten Schuß der Kommiffar verletzt wurde. Der dritte Schuß ging um menige Zentimeter am Präsidenten vorbei. Bevor der Attentäter erneut feuern fonnte, wurde er von einem Beamfen niedergeschossen.

Die Polizei hat im Anschluß an den Revolveranschlag auf den Präsidenten Irrigoyen etwa 200 Anarchisten festgenommen und eine Razzia in verschiedenen Geheimflubs vorgenommen Es steht fest, daß der Anschlag keinerlei politische Hintergründe gehabt hat. Aller­dings dürfte der Attentäter Marinelli die gespannte inner­politische Lage bei seinem Anschlag ausgenutzt haben. Die gesamte Presse verurteilt den Anschlag mit aller Schärfe schon aus dem Grunde, meil er dem Ansehen Argentiniens , wo seit länger als 30 Jahren weder Revolutionen noch Anschläge auf Staatsoberhäupter zu verzeichnen gewesen seien, abträglich sei. Außerdem könne die persönliche Lauterkeit des Präsidenten, unbeschadet der Willkür seiner Regierungsführung, nicht angezweifelt werden. Die Regierungs­presse schiebt der Opposition die moralische Schuld an dem An­schlag zu.

Der Nationalfongreß im Zelt.

Die Inder sollen den Parlamenten fernbleiben. London , 27. Dezember. Der indische Nationalfongreß ist am ersten Weihnachts­feiertag in Lahore eröffnet worden. Die Tagung, an der etwa 2600 Vertreter aus allen Teilen Indiens teilnehmen, findet in einem großen 3eltlager vor der Stadt statt. Die Polizei hat einen umfangreichen Sicherheitsdienst eingerichtet. Der Kongreß soll über die weitere Haltung Indiens gegenüber den angekündigten britischen Reformplänen Beschluß faffen. Bis dahin fagt ein Ausschuß der indischen Führer, der die dem Kongreß vorzulegenden Ent­schließungen ausarbeiten wird.

mas in ihnen geschieht. Kein Wunder, daß das Gedränge nach diesen Ministerposten gar nicht so; besonders groß ist!

daß wir Ansehen und Weltgeltung erst dann endgültig erringen fönnen, wenn wir zeigen, daß wir im eigenen Haus Ordnung halten können. Dazu gehört iene Sanierung der Fi­nanzen nicht nur des Reiches, sondern auch der Länder und Gemeinden.

Dazu gehört eine Finanzreform, die dem zurzeit schwer da­niederliegenden Gewerbe und der Landwirtschaft die zum Lebent nötige Steuererleichterung bringt. Beides steht nicht im Widerspruch miteinander, sondern im harmonischen Zusammen­hang. Eines ist nicht ohne das andere möglich.

Deshalb tein hemmungsloser Pessimismus, fein leichtfertiger Optimismus, fondern Handeln, wie es die Zeitumstände, wie es die bittere Not verlangen.

Herr Moldenhauer will also als Reichsfinanzminister die Finanzen des Reichs, der Länder und der Gemeinden sanieren und gleichzeitig oder wenigstens im Zusammenhange damit auch Steuer­erleichterungen durchführen. Man darf sehr darauf gespannt sein, wie er dieses Kunststück fertigbringen wird. Er hat dabei jede Frei­heit, nur darf er es nicht vollbringen, indem er die Kosten den Massen des arbeitenden Volkes auferlegt. In diesem Fall würde er auf den härtesten Widerstand der sozialdemo tratischen Fraktion stoßen.

Indes war es nicht Bequemlichkeit und nicht Furcht vor Ver antwortung, die Baul Herz bemogen, die Berufung zum Reichs finanzminister abzulehnen. Die Gründe dafür, die er gestern mit ausgezeichneter Sachlichkeit auseinanderlegte, waren hoch politi scher Natur. Es ergibt sich aus ihnen, daß sich die sozial demokratische Reichstagsfrattion in der Frage der Finanzreform teineswegs mit der Regierung| identifiziert, daß vielmehr auf diesem Gebiete ganz erhebliche Meinungsverschiedenheiten vorhanden sind. Da die Regierung," fagte Hertz, fich an ihr früheres Finanzprogramm gebunden er­achtet, mußte die Besetzung des Amtes des Reichsfinanzministers mit einem Manne erfolgen, der auf dem Boden dieses Programms 23 Mann im Marmarameer , 30 an der spanischen Küfte steht und glaubt, es verwirklichen zu können."

Als ein solcher Mann hat sich inzwischen der neue Reichsfinanz­minister Dr. Moldenhauer im Berliner Börsenturier" Dor= gestellt. Moldenhauer vergleicht die gegenwärtige Situation mit der des Winters 1923/24, um dann fortzufahren:

Nur eigene Entschlossenheit fann uns auch diesmal retten. Wir müssen das Trennende zurückstellen und uns darauf befinnen,

Nach dem Fest

d

Schiffskatastrophen.

ertrunken.

Sofia , 27. Dezember.( Eigenbericht.)

Die hier vorliegenden Meldungen über den Zusammen­stoß des bulgarischen Handelsdampfers ,, Warna " mit einem griechischen Handelsdampfer im Marmara meer besagen, daß von dem innerhalb fünf Minuten ge­sunkenen bulgarischen Dampfer 23 Mann der Be­jakung in den Fluten umgekommen sind und nur zwei Matrosen gerettet wurden.

Paris , 27. Dezember.

Nach einer Havas- Meldung aus Madrid ist bei dem Schiffbruch des norwegischen Dampfers ,, Asland" un­weit Bayona an der spanischen Westküste die gesamte Be­sakung von dreißig Mann ums Leben ge. kommen. An derselben Stelle ist vor drei Jahren be­reits ein anderer norwegischer Dampfer gestrandet und im September dieses Jahres ein englisches Schiff.

12 Opfer eines Bahnüberganges.

Personenzug gegen Autobus.

Athen , 27. Dezember.

Ein Personenzug der Linie Xanthi - Drama über­fuhr bei Okehilar einen mit 18 Personen be= festen Autobus. Von den Insassen wurden 12 ge= tötet und 6 schwer verlett.

Einsturz eines ganzen Stockwerkes. 42 Personen verletzt.

Gandhi und Motilal Nehru haben eine Reihe von Entschließun­gen abgefaßt, die der Exekutivausschuß des indischen National­tongresses vorliegen. In den Entschließungen wird der Bomben­anschlag auf den Zug des Bizefönigs verurteilt Swaraj als vollständige Unabhängigkeit für Indien definiert, sämt liche Kongreßmitglieder aufgefordert, die zentrale gesetzgebende Körperschaft sowie die gefeßgebenden Körperschaften der Provinzen zu boyfottieren, und schließlich der allindische Kongreßaus­schuß ermächtigt, eine Kampagne für Unbotmäßigkeit der Zivil­personen und Nichtbezahlung der Steuern einzuleiten, sobald dies Der Familienvater: Alles leer. Run tönnte ich eigentlich hörenden Gebäudes wurden zwei Personen schwer und 40 leicht. notwendig erscheine. Reichsfinanzminiffer werden."

Quarryville( Pennsylvanien), 27. Dezember. Jufolge in ffurzes des obersten Stod wertes eines der Ortsgruppe der amerikanischen Legion ge­

verletzt. Die Ursache der Katastrophe ist noch nicht ermiffelf.