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Nr. 147. Jahrgang

5. Beilage des Vorwärtsmed

Ausreiẞers Neujahrsgruß an die Mutter.

Silvester im Jugendheim des Polizeipräsidiums.

die flüchtigen Fürsorgezöglinge

ficht, so sagt man fich erneut: Vorsicht mit der Fürsorge| erziehung! Da ist 3. B. ein 17jähriger Badenser. Zuerst war er in der Fürsorgeanstalt in W.; er brannte immer wieder durch; fam in eine Anstalt für schwer erziehbare Jungen". Mit dem Direktor fonnte man da über alles sprechen",

Mittwoch, 1. 3ensor 1930

sagt er. Trotzdem riß er nach Berfin aus. Ein anderer Für= forgezogling aus einer fonfessionellen Anstalt in der Nähe von Berlin ist bereits viele Male davongelaufen, er macht tein Hehl Daraus, daß er auch diesmal nicht dableiben wird. Noch ein Fürsorgezögling aus derselben Anstalt. Und schließlich die lessen Berliner Jungens. Durchaus teine schlim men Burschen schlimm sind aber ihre häuslichen Ber= Leute nie eine Jugendorganisation angehört haben, in der sie vielleicht Rückhalt gefunden hätten...

Silvester im Jugendheim des Polizeipräsidiums! Jugend ver­gißt leicht, denkt nicht an den nächsten Tag, freut sich des Augenblids und bedarf nur ein wenig Liebe, um sich ge­borgen zu fühlen. Die fehlte in der Schule, fehlte zu Hause. Und doch: des Ausreißers Neujahrsgruß gilt der Mutter sofern er eine besitzt....

L. R.

Jugendheim des Polizeipräsidiums. Silvester. Sämtliche Mittel. Nicht selten das einzige, das übrig bleibt. Benn hältnisse, schlimm die Straße, schlimm, da es die jungen Bläge belegt. Man liest, spielt Dame, plaudert, hört Radio. man aber hier 30 Jungen im Alter von 15 bis 19 Jahren, in einem viel zu engem Raum. Sieben gingen gestern; sechs tamen heute morgen; drei treffen eben ein. Ein rotbackiger freundlicher Westfale, seit Monaten auf der Walze; ein Hallenser, für die Feiertage zu Besuch in Berlin ; ein zünftiger Wanderbursche, Maurergeselle alle drei nächtigten bis heute im Obdach, dann setzte man sie vor die Tür. Der größte Teil der übrigen Jungens find Ausreißer: aus dem Eltern hause, mis ürsorgeanstalten, von der Lehrstelle. Sie wurden von der Polizei aufgegriffen oder vom Wohlfahrtsamt am Bolizei. präsidium hierher gewiesen. Die gute Stimmung hilft über die Seelennöte hinweg; die Erzieher find freundlich, die Kame­roden gesellig und schließlich ist es doch Silvester. Trogdem: Gitter an den Fenstern. Im Mitternacht werden die Gioden dos Neue Jahr einläuten, die Straßen voll Menscher sein und zu Hause mird Blei gegossen merden. Da beschleicht einen doch etwas wie Heimmeh; man denkt an die Nächsten, an Geschwister and Eltern. So mancher Ausreißer denkt still und innig an feine Mutter. Wie aber, wenn

weder Vater noch Muffer leben.

Zum Beispiel der junge Bäder. Er hat teine Erinnerung mehr an die Eltern, ist bei Dntel und Tante großgeworden, war in der letzten Zeit arbeitslos; so machte er sich aur nach Ber= Lin, heimlich, um seine Tante nicht aufzuregen. Ein junger Schlosser, feine Eltern find längst tot. Er arbeitete in der Nähe von Berlin , tam ohne Papiere hierher, die Festtage zu verbringen. Ein Fünfzehnjähriger, ein Berliner Junge, wegen häuslicher Ver­hältnisse vom Jugendamt früh in Pflege gegeben, Bater und Mutter starben, der Fünfzehnjährige war auf eigene Füße gestellt, verlor feine Stellumg, wollte in der Herberge zur Heimat übernachten und murde hierhergebracht. Ein träftiger Neunzehnjähriger, von Beruf Schweizer, Brust und Arm voll Tätowierungen, läßt sich nicht gern ausfragen. Das sind die Elternlofen. Andere gibt es, die mohl eine Mutter haben, die aber vielleicht zu Haus dennoch keine Heimat finden fonnten.

Ihr Neujahrsgruß

=

Hundert Jahre Hundesteuer.

Ursprünglich eingeführt zur Bekämpfung der Tollwut.

Pr

Steuern find niemals beliebt, wenigstens nicht bei denen, die sie zahlen sollen. Zu den unbeliebtesten Steuern aber gehört die Hundesteuer das werden uns alle, die einen Hund haben, ohne meiteres bestätigen. Mit sicherlich nicht freudigen Empfindungen merden sie bas Jubiläum" begrüßen, das die Steuerfinder Berlins jetzt zur Berherrlichung der Hundesteuerfeiern" fönnten. Vor hundert Jahren, am 1. Januar 1830, wurde in Berlin die Hundesteuer eingeführt, nachdem im Jahre 1828 die Stadtverwaltung bei der Staatsbehörde die zu lajjung einer solchen Steuer beantragt hatte und dann im April 1829 durch Kabinettsorder des Königs die Genehmigung erteilt worden war. Die neue Steuer war so unbeliebt, daß Adalbert von Chamisso , der in Berlin lebte, sie in seinem Gedicht ,, Der Bettler und sein Hund" scharf angriff und brandmarkte. Dret Thaler bezahlen für einen Hund? Da schlage das Wetter mich gleich in den Grund!" tlagt ergrimmt der Bettler, dem solche Steuer für fcinen treuen Begleiter unerschwinglich ist. Drei Thaler im Jahr betrug damals die Hundesteuer. Das bedeutete, wenn man den damaligen Geldwert berücksichtigt, gewiß nicht weniger als der gilt bestimmt der Mutter. Ein dünnes, blasies Bürsch heutige Hundesteuerbetrag. Die Einnahmen aus der Hundesteuer lein von taum 15 Jahren, zum vierten Male aus dem Hause aus- follten zu gemeinnüßigen 3weden" verwendet werden, vor allem gerissen wegen der Eltern", sagt er; der Bater prügelte, zu Beihilfen für Hauseigentümer, die nach den Kabinettsorders von die Mutter schützte den Jungen nicht; diesmal nahm er etmas Geld 1825 und 1928 angehalten wurden, die Bürgersteige mit Granit­mit, es reichte gerade für die Reise aus einer fächsischen Stadt hier platten( Troittoirs") zu belegen. Alls den eigentlichen Grund und her. Er tommt in Fürsorge wegen des Stiefvaters 3wed der Einführung einer Hundesteuer gab man an, daß durch bin ich ausgerissen", sagt ein anderer, ein fester Junge, der geborene fie die Zahl der Hunde verringert und hiermit die Verbreitung der Komiter. Er ist mit einem Zirkus mitgegangen, als dummer August Lollut aufgehalten werden solle. Zur Schonung derjenigen, die und macht ihn ganz portrefflich den Jungens vor, mit Kreide und für ihren Gewerbetrieb oder zur Bewachung einen Hund halten Schminke. Wegen des Baters verließ ein 17jähriger Dft mußten, wurde in diesen Fällen die Steuer erlaisen. Wahrschein preuße, das Elternhaus. Er ichigte die Mutter vor deffentlich bälte auch Chamilles Bettler für feinen und die Steuerfreiheit Mißhandlungen. Jegt gehst du aus dem Hause, fagfe der Water. Ein Wanderzirkus mit vierzig Wagen befand sich gerade im heimatlichen Orte. Der Junge 30g als Kellner mut, fam bis Berlin , wurde hier ungerechtfertigter Weise des Schokoladendieb: ſtahls bezichtigt. Nichts auffälliges an dem regelmäßig geschnittenen Gesicht. Er war Tischlerlehrling und möchte Schiffszimmer­mann werden. In ein richtiges Berhältnis zur Mutter konnte der junge Magdeburger nicht fommen. Sein Vater war im Striege ge­fallen. Der Junge mußte in ein Striegsmaisenhaus. Go mancher Streich liegt hinter ihm. Mit unterschlagenem Geld fam er nach Berlin Bielleicht hält er sich doch auf der Stellung, die man für ihn bereits gefunden.

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Immer wieder find es kleine Unterschlagungen,

die oft notgedrungen, schon in der Absicht, das Elternhaus zu ver­lassen, begangen werden. Ein Siebzehnjähriger aus Süddeutsch­ land ist bereits zum zweitenmal im Jugendheim Im Sommer war er mit 400 m. durchgebrannt. Sein Vater hatte ihn abgeholt. Und vor einigen Tagen wiederholt er das Spiel: wieder ist er mit 400 M. nach Berlin gefommen. Gleich am nächsten Tag hat man ihn get appt. Er meint bittere Tränen. Ein junger Rauf­mann aus der Pfalz , wohlerzogen und nicht unintelligent, hat 100 m. unterschlagen. Das Reisegeld für ihn ist bereits ein­getroffen. Einem 15jährigen Thüringer gefiel es nicht auf der Glasjabril. Das nett ausschauende Bürschlein ließ sich Prospekte von Filmateliers fomunen, nahm feiner Tante 13 M. weg and brannte nach Berlin durch. In Lichterfelde wollie er Anstellung finden. Ein 18jähriger Sachfe. Bädergeselle, hält es nirgends lange aus. Ein Bursche, der für die Fürsorgeerziehung viel zu schade ist und doch soll er hin. Fürsorge" ist immer das letzte

erlangt.

Die gewünschte und von der Steuer erwartete Verminde= rung der Hunde murde zunächst erreicht. Sie war im ersten Jahre so start, daß die Zahl der Berliner Hunde( einschließlich steuerfreie) von 1830 bis 1831 von 5942 auf 4441, um reichlich 25 Broz., zurüdging. Dann folgte eine weitere, aber langsamere Verminderung bis 1835, wo es in Berlin nur noch 3339 Hunde gab. Danach aber fehle eine neue und den Bevölkerungszuwachs start überschreitende Vermehrung ein, so daß in 1840 schon wieder 4307 Hunde, in 1845 bereits 6395 Hunde, in 1850 fogar 9742 Hunde gezahlt wurden. Aehnlich hat man auch in neuerer Zeit beobachtet, daß nach einer Erhöhung der Hundesteuer zunächst eine sehr merkliche Verminderung der Hundezahl eintrat, aber bald wieder eine neue Bermehrung folgte. Zur Zeit hat die Viermillionen­stadt Berlin über eine Viertelmillion Hunde. Im Jahre 1830, mo 5942 Hunde gezählt wurden, hatte das damalige Berlin 247 500 Mutter, sofern er eine besitzt....

Am Donnerstag, dem 9. Januar 1930, 19% Uhr. im großen Saal des Lehrervereinshauses, Alexanderplatz : Vortrag: abend:

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Proletarische Dichtung" Vortragender Genosse Dr. Karl Schröder . Der Volkschor Lichtenberg" wird diese Veranstaltung mit Kampfliedern um­rahmen. Preis der Eintrittskarte 30 Pfennig. Jede Inhaberin einer Karie ist berechtigt, sich nach der Veranstaltung an einer Verlosung zu beteili en. Auf jede 50. Eintrittskarte entfällt eine Buchprämie des Bücherkreises". Karien sind im Frauen­sekretariat des Bezirksverbandes, Lindenstr. 3. 2. Hof, 2 Treppen rechts, Zimmer 4, in der Buchhandlung Dietz, Lindenstr. 2, Im Bücherkreis", Berlin SW., Belle- Alliance- Platz 7/8, 1 Treppe und im Zigarrengeschä't Horsch, Berlin SO., Engelufer 25/26( Gewerk­schaftshaus) zu haben. Das Frauensekretariat,

Wie stand es um den Kampf gegen die Berbreitung der Zollmut, den die Hundesteuer unterstützen sollte? Der Magistrat jener Beit mar der Ansicht, daß hier der Erfolg nicht ausgeblieben sei. Nach Ermittlungen des Polizeipräsidiums wurden in Berlin im Jahre 1829 noch 24 Personen durch tolle Hunde ge­biffen( bei einer Bevölkerung von noch nicht einer Viertelmillion). Im Jahre 1830, murde der Polizei fein einziger Fall dieser Art bekannt, und danach tamen in Berlin Berlegungen von Menschen durch muttranke Hunde nur noch vereinzelt vor. Nur vorübergehend ffieg die Zahl wieder in den Jahren 1836 und 1837, wo 7 und 4 Fälle festgestellt wurden. In 1836 war ein toller Hund herrenlos in die Stadt gelangt und hatte andere Hunde gebissen, so daß 26 wutfranke Hunde an die Tierarzneischule überwiesen werden mußten.

Heute verspricht man sich Erfolg im Kampfe gegen die Ber breitung der Hundetollmut nicht so sehr von der Hundesteuer als von der Hundesperre. Auch sie, die ja jetzt glücklich wieder endet, ist reichlich unbeliebt. Die Hundesteuer aber ist geblieben und hat nun schon hundert Jahre hindurch bei allen Steuerreformen sich behauptet.

Rätselhafter Tod eines Zwillingspaares 3m Kinderwagen leblos aufgefunden.

Der räffelhafte Tod eines drei Monate alten Zwillings.

paares beschäftigt die Spandauer Kriminalpolizei.

wohnt der Arbeiter G. cine ffeine, aus Stube und Küche bestehende In der Seegefelder Straße 134 in Spandau be Wohnung. G. ist noch nicht lange nerheiratet, der Ehe entsprofs ein willingspaar, die jetzt drei Monate- alien- Margot und Rutý. Die beiden fleinen Kinder hatten ihre Schlafstätte in einem Kinder. wagen, der im Schlafzimmer der Eltern stand. Als Frau G. heute früh aufstand, um die Kleinen zu besorgen, mußte sie zu ihrem Schreden feststellen, daß sie leblos im Wagen lagen. Die Frau rief sofort einen benachbarten Arzt herbei. der zwar den Tok der Zwillinge feststellen, aber nicht die Todesursache ermitteln fonnte. Irgendwelche äußeren Anzeichen für einen Gas oder Er fiidungstod waren nicht zu erkennen.

Die kleinen Leichen wurden von der Kriminalpolizei beschlag. nahmt und zur Obduktion nach der Halle in der Gatower Stroße gebracht.

Die Typhuskranke gestorben.

Eine Ausbreitung der Seuche nicht zu befürchten.

Die im Frauengefängnis in der Barnimstraße an Para typhus erkrankte Gefangene, Frau W., ist im Laufe des Sonnabend abend im Krankenhaus am Urban gestorben. Wie wir hören, haben sich im Frauengefängnis in der Barnimitraße bisher feine weiteren Anzeichen von einer Ausbreitung der Seuche be­merfbar gemacht, so daß die Bermutung, daß die Bazillen in die Anstalt eingeschleppt worden sind, ihre Bestätigung zu finden scheint.

Beurlaubung im Magiftrat. Stadtmedizinairat Professor Dr. von Drigalsti ist vom 30. Dezember 1929. bis 13. Jamiar 1930 beurlaubt. Die Vertretung ist wie folgt geregelt: In dem Borsig der Deputation für das Gesundheitsmesen: Stadtrat Dr. Richter; in dem Borsitz des Stadtamts für Leibesübungen: Stadtschulrat Nydahl.

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