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BERLIN Montag 6. Januar 1930

Der Abend

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Nr. 8

B4 47. Jahrgang

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Das gefälschte Ruffengeld.

Internationaler Fälscherprozeß in Moabit .

Vor dem Schöffengezicht Berlin- Mitte begann heute morgen bei großem Andrang von Berichterstattern und Publi­fum unter Vorsitz des Amtsgerichtsrats Wartenberg die Berhand­lung gegen die georgischen Tscherwonzenfälscher. Die Unflage wird vom Oberstaatsanwalt Tehlaw und dem Staatsanwaltschaftsrat Krüneberg vertreten. Die Verteidigung liegt in Händen der Ber­ liner Rechtsanwälte Dr. Bär und Dr. Sad und der Münchener Rechtsanwälte Dr. Jung, Dr. Menz und Dr. Froschberg. Bon den Angeklagten sind erschienen Sadathierafchwili, karumidje, Dr. Weber, der Buchhändler Böhle, Bell, Sipping, Schmidt. Der Angeklagte Schneider, der Drucker, fehlt. Ein Krankheitsatteft ist nicht eingegangen. Ingenieur Dr. Weber hat aber von der Frau des Angeklagten briefliche Mitteilung, daß ihr Mann an Gelenk­rheumatismus und einem Herzklappenfehler daniederliegt. Der Oberstaatsanwalt beantragt Abtrennung des Verfahrens gegen Schneider. Dr. Sad bittet, sich doch mit München telephonisch in Berbindung zu setzen. Das Gericht beschließt, das Berfahren gegen Schneider abzufrennen und auch den Angeklagten Küpping zu entlassen, deffen Anklage mit Schneider eng im Zusammenhang fteht.

Rechtsanwalt Dr. Froschbach rügt für seinen Mandanten Schmidt und Rechtsanwalt Dr. Menz für den Angeklagten Dr. Weber die Zuständigkeit des Berliner Gerichts. Der Druck der olten Tscherwonzen habe in München stattgefunden, die angeklagten Zeugen wohnen gleichfalls in München , man habe also fünftlich die Möglichkeit gesucht, die Zuständigkeit des Münchener Gerichts auszuschließen. Man habe einfach dem diesbezüglichen Wunsche der Gowjetregierung entsprochen. Der Vorsitzende: Glauben Sie, daß die Berliner Richter weniger objektiv sein würden als die deutschen ? Rechtsanwalt Dr. Menz: Das glaube ich nicht. Ich bin von der Objektivität der Berufsrichter überzeugt, die Laienrichter fenne ich nicht, aber die Atmosphäre in München ist eine ganz andere als in Berlin , und so haben die Angeklagten Interesse daran, in München abgeurteilt zu werden. Rechtsanwalt Dr. Beer, der Berteidiger der beiden Georgier, begrüßt seinerseits das inter­nationale Forum des Berliner Gerichts. Der Oberstaatsanwalt spricht sich für die Zuständigkeit des Berliner Gerichts aus, denn die Verbreitung der Tscherwonzen habe hier stattgefunden. Das Gericht lehnt den Antrag der Verteidigung ab. Nach Verlesung des Eröffnungsbeschlusses tommt als erster Angeklagter

Schalwa Karumidse

zu Wort. Er spricht russisch und wird von einem schlechten Dol­metscher unterstützt. Er ist im Jahre 1887 in einem kleinen Ort Georgiens geboren, hat in Tiflis das Gymnasium besucht, in Moskau Geschichte und Landwirtschaft studiert und ist vom Jahre 1911 an in Tiflis an einer höheren Schule als Lehrer für Geschichte tätig ge­wesen. Am politischen Leben Georgiens nahm er innerhalb ver­schiedener kultureller Institutionen teil und ging während des Krie­ges als Mitglied der Liga der Fremdvölker in Rußland nach Deutschland . Das Komitee der Liga reicht unter seiner Mitwirkung eine Dentschrift an Wilson ein, in der die Lage der Minderheiten in Rußland geschildert wurde. Das war im Mai 1915. Der Ange­tlagte schildert ausführlich seine Tätigkeit nach der Selbständigkeits­erflärung Georgiens und betont ganz besonders die Sympathien Deutschlands für ein unabhängiges Georgien . Er wurde in die Nationalversammlung gewählt, wurde Mitbegründer der National­demokratischen Partei und Vorstandsmitglied einer Reihe wirt­schaftlicher Inftitutionen. Nach der Okkupation Georgiens durch die Sowjetregierung fam er im Jahre 1921 nach Deutschland . Er wollte hier auf Grund von Verbindungen mit verschiedenen deut­ichen Persönlichkeiten woher er diese Verbindungen hatte, und welcher Art seine Tätigkeit während des Krieges in Deutschland ge­wesen ist, verweigerte er die Aussage-

für ein unabhängiges Georgien werben, gleichzeitig auch in wirtschaftliche Beziehungen zu deutschen Indu­striellen treten. In Deutschland sei aber nichts zu erreichen gewesen, da es wirtschaftlich selbst in äußerst gedrückter Lage war; die Sym­pathien für Georgien feien aber nach wie vor groß gewesen. Deutsch­ land sei das einzige Land, erklärte der Angeklagte, das auch nach der Ottupation Georgiens durch die Sowjetregierung feine Selb ständigkeit nach wie vor anerkannt habe, es eriftiere tein Schrift. stück, das diese Anerkennung anmulliere

Der Borsitzende macht den anwesenden Bertreter des Aus­wärtigen Amtes darauf aufmerksam, daß er beim Oberstaatsanwalt Einspruch erheben könne, sobald etwas zur Sprache kommen sollte, das im staatlichen Interesse zu unterbleiben hätte. Der Vertreter des Auswärtigen Amts erklärt bet dieser Gelegenheit, daß die Be­( Fortsegung auf der 2. Seite.)

Weiterführung städtischer Bauten.

Die Bauarbeiterschaft fordert Arbeit!

Die Organisationen der Berliner Bauarbeiter in Verbindung mit dem Bunde der technischen Angestellten und Beamten haben an den Oberpräsidenten und an die städtischen Körperschaften fol­gende Eingabe gerichtet:

Am Sonnabend, dem 4. Januar, hat der Magistrat der Reichs­hauptstadt beschlossen, in Befolgung des Erlasses des Herrn Ober­präsidenten die Weiterarbeit an einer Reihe städtischer Bauvorhaben mit sofortiger Wirkung einzustellen.

Nach diesem Beschluß sollen die für den Rest des laufenden tatjahres für Neubauten im Hochbau noch vorgesehenen Mittel von vornherein um 25 Proz. gefürzt werden. Hierdurch entsteht allein bis Ende März des laufenden Jahres ein Auftragsausfall pon 20 Millionen Mark, d. h. ein Lohnausfall für die Arbiter. schaft von mindestens 6 Millionen Mart. Weitere Kürzungen hat sich der Magistrat vorbehalten.

Die Beschlüsse des Magistrats fallen in eine Zeit ohnehin start rüdgängiger Bautonjunktur.

Bereits am 6. Januar 1930 waren in Berlin , trotz der milden Bitterung, 4692 Maurer , 3500 3immerer, 5819 Bauhilfsarbeiter, 1048 Dachdecker arbeitslos gemeldet. Das ist zusammen

ein gutes Driffel der gesamten Berliner Bauarbeiterschaft. Wenn die Einstellung auf den städtischen Hochbaustellen tat­sächlich in größerem Ausmaß durchgeführt wird, müssen weitere Tausende von Facharbeitern arbeitslos werden..

Aehnlich mie um die Bauarbeiterschaft, ist es um die technischen Angestellten bestellt. Die auch in diesem Berufszweige beträchtliche Arbeitslosigkeit wird durch die Maßnahmen des Magistrats insofern noch verstärkt, als auch die Vorbereitung kommender Bauvorhaben unterbleiben soll.

Die Maßnahmen des Magistrats werden

im wesentlichen die Bauarbeiterschaft und die Angestellten treffen. Die Unternehmerschaft dagegen wird auf Grund ihrer Ver träge ihre Verdienstausfälle wenn nicht auf dem Wege des Ver­erstattet bekommen. gleichs, so auf dem Wege der Klage

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1

Diese Tatsache zwingt zu der Feststellung, daß es sich um eine Irreführung der Deffentlichkeit handelt. wenn der Beschluß des Magistrats als Ersparnismaßnahme" bezeichnet wird. In Birk lichkeit handelt es sich, ganz im Gegenteil, um eine Verteuerung

Der Hugenbergblock.

rally

DNVP

Seldte

Hugenberg

Hitler

HUGENBERGBLOCK

Er bröckelt weiter ab.

EW

der bereits begonnenen Bauten. Eine weitere Verteuerung findet dadurch statt, daß außer den Entschädigungen an die Unternehmer­fchaft die Zinszahlungen für das bereits festgelegte Baukapital nutz­los weiter zu leisten sind. Schließlich bedürfen unvollendete Bauten besonderer Schutzmaßnahmen, die auch erhebliche Kosten verursachen; hierin liegt eine dritte Quelle der Verteuerung.

In Wahrung des wohlverstandenen Eigeninteresses der Reichs­hauptstadt Berlin und des Interesses der Bauarbeiterschaft und der Angestelltenschaft sehen sich die unterzeichneten Organisationen genötigt, gegen den durch den Schrift des Herrn Oberpräsidenten veranlaßten Beschluß Verwahrung einzulegen.

Bund der technischen Angestellten, Ortsverwaltung Berlin . Quensel.

Für die freigewerkschaftlichen Verbände des Baugewerbes: Baugewerkschaft Berlin des Deutschen Baugewerksbundes. Drügemüller.

Eine Aufgabe für den Haag.

Aenderung des Reichsbantflatuis.

Die Verhandlungen im Haag werden an den materiellen Lasten, die Deutschland in Zukunft zu fragen haben wird, Wesentliches nicht mehr ändern fönnen. Aber eines könnten sie uns bringen: nämlich die Befreiung der deutschen Wirtschaft von der Diktatur des Reichsbanfpräsidenten. Daß sich diese Diktatur mehr und mehr zum Verhängnis auswirkt, ist nicht nur im Inland allgemein fühlbar geworden, es wird auch im Aus­land vielfach erkannt. Aber gerade das Ausland trägt Schuld an dieser Diktatur, denn es war der Dames Plan, der dem Reichsbankpräsidenten diese überragende Stellung ver­liehen hatte.

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Wenn der Young Plan nun das Reichsbantstatut nur insoweit ändert, daß die Ausländer ausscheiden, der deutschen Regierung aber das Recht auf Abberufung des Reichsbantpräsidenten nicht zurückgegeben wird, dann bleibt der Reichsbankpräsident wie bisher ein mit außerordentlichen Bollmachten ausgestatteter Beauftragter des Finanzkapitals, und die deutsche Regierung wird zu immer neuen Kapitula­tionen por ihm genötigt sein.

Die gegenwärtigen Berhandlungen im Haag bieten viel­leicht die letzte Gelegenheit zur Beseitigung dieses unwürdi gen und verfassungswidrigen Zustandes.

Die Formel gegen die Sanktionen. Die Konferenz gesichert sagt Paris .

Haag, 6. Januar. ( Eigenbericht.)

Am Sonntag ist, wie in den letzten Tagen, in direkten Be­sprechungen zwischen einzelnen deutschen und französischen Ministern die Frage der Abschaffung des theoretischen Rechtes auf Santtionen für den Fall einer böswilligen nichtausführung der Reparationsverpflichtungen durch Deutschland erörtert worden. Dem Vernehmen nach haben diefe Besprechungen einen erfolgver­heißenden Berlauf genommen. Eine Entscheidung ist nicht vor 43 Stunden zu erwarten.

Paris , 6. Januar. ( Eigenbericht.) Im Haag jcheint nach der übereinstimmenden Darstellung der Bariser Presse zwischen Deutschland und den Gläubigern volle prinzipielle Einigung hergestellt worden zu sein. Der Matin" betont, eine Wiederbejegung des Rheinlandes, eine Wieber­auferstehung der Reparationsfommission oder die Anwendung irgendwelcher Zwangsmaßnahmen seien feineswegs geplant. Es sei lediglich vorgesehen, die lastenfrei zu haltenden Reichseinnahmen aus gewissen Zöllen und Verbrauchssteuern sowie aus der Reichsbahn eventuell direkt zu erheben. Es sei in Aussicht genommen, als Stichtag für die deutschen Zahlungen jeweils den 15. des Fällig­feitsmonats zu nehmen.