Beilage
Montag, 6. Januar 1930
Der Abend
Snadausgabe des Vorwärts
Strafentlassene berichten...
Aus Briefen ehemaliger Strafgefangener
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Trotz aller Reformversprechungen und bestrebungen will man eins noch immer nicht verstehen: der neue Strafvollzug wird ohne Gefängnisfürsorger nie Wirklichkeit werden. Zählen Hamburg und insbesondere Thüringen bereits seit langem mehrere Fürsorger, so befizt Preußen bis heute nur einen einzigen in der Jugendstrafanstalt Wittlich. Und auch dieser einzige Fürsorger wird nicht vom Staate, sondern von einer privaten Stiftung befoldet. Fürsorgeinspektor Blum, vom Direktor Bleidt in jeder Weise unterstützt, hatte durch seine Tätigkeit den schlagenden Beweis erbracht, wie unbedingt notwendig eine derartige Fürsorge ist, soll der Anstaltsaufenthalt überhaupt nachhaltige erzieherische Birtung ausüben.
Die Gefangenen- und Entlassenenfürsorge der Strafanstalt Wittlich begann im Jahre 1913. Fürsorgeinspektor Blum machte damals seine erste Dienstreise; er besuchte seine Schüß linge. Seit 1925 wiederholt er die Reisen in viermonatlichen Abständen. Seine Fürsorgeorganisation steht bereits gefestigt da. Er verfügt an verschiedenen Orten über eine Anzahl von Ver trauensleuten, die die Entlassenen betreuen. Fürsorgestellen, Arbeitsnachweise und Pfarrämter fommen thm in jeder Hinsicht entgegen.
Der Entlassene und der Fürsorger
Die Fürsorgearbeit nach der Entlassung bildet nur die Fortsetzung der Fürsorgearbeit im Gefängnis. Es gilt, die jungen Leute in günstigem Milieu unterzubringen; umfomehr, als nur 50 Pro3. mit guten Aussichten die Anstalt verlassen und es unter den Entlassenen viele ehemalige Fürsorgezöglinge gibt. Trotzdem machen die Rückfälle nur etma 10 bis 15 Proz. aus. Ihren stärksten und schönsten Ausdruck erhält die Fürsorgetätigkeit der Anstalt in den vielen Tausenden Den Briefen der jungen Menschen an ihren Fürsorgeinspektor. Sie wenden sich an ihn in allen ihren Nöten selbst nach vielen Jahren. Sie sprechen zu ihm, wie zu ihrem guten Freunde. Sind die Briefe voll aufrichtiger Freundschaft für den Fürsorgeinspektor, so enthalten sie auch immer wieder freundliche Grüße für den Direktor und die übrigen Anstaltsbeamten, wie Lehrer, Meister usw.
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So schreibt z. B. einer: ,, Vergaß ich Sie in der Zeit? Mehr als zehn angefangene Briefe, hundert, hundert Gedanken, die in dieser Zeit Ihnen gehörten, sagen Ihnen, daß ich Ihrer gedachte. In einem zweiten Briefe desselben Schreibers heißt es: Ihr restloses Verstehen meiner Empfindungen und meines Lebens hat Sie mir im Laufe der Zeit so nahe gebracht, wie nie einen anderen Menschen. Gewiß spielt dabei auch die Dankbarkeit eine Rolle, die ich Ihnen für das Vertrauen, das Sie mit dem Gefangenen Tchenften, schulde
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Ein anderer Strafentlassener schreibt:„ Es besrembet mich sehr, daß ich von Ihnen jetzt mit Sie angeredet werde Warum? Bin ich in Ihrer Gunst gesunken..? Unser erstes Reiseziel( er meint sich und seine Braut) wird Wittlich sein.
Ein dritter Briefschreiber bedankt sich für die vermittelte Arbeit und sagt:„ Ich weiß, daß ich mich am meisten dankbar zeige, indem ich meiner Mutter ein guter Sohn bleibe, was ich auch stets halten
werde."
Diese Briefe ließen sich beliebig vermehren. Es spricht aus ihnen immer die gleiche starte Bindung zum Fürsorger. Sie allein ift der feste Grund, auf dem die Fürsorgetätigkeit aufgebaut
werden kann.
Es gibt auch junge Menschen, die dem Fürsorger im Gefängnis mit unüberwindbarem Mißtrauen gegenüberstehen; erst dessen Sorge um fic, nach ihrer Entlassung, macht aus dem Saulus einen Paulus. So schreibt zum Beispiel einer: So lange ich noch im Gefängnis war, fonnte ich mir nie jo recht flar über den Wert des Fürsorgers werden. Nachdem ich aber Ihre Wohltaten min schon seit Wochen in einem so großen Maße genieße, ist es mir so recht zum Bewußtsein gekommen, daß durch Ihre Person und durch Ihre Tätigkeit unheimlich viel Muttertränen getrocknet werden Noch kein Mensch auf der Erde hat mich zu jo viel Dant verpflichtet..."
Der Schrei nach Arbeit
ehrlich bleiben will, teine Arbeit da ist." Und schließlich| Menschen ist, der drei Jahre dem Verkehr entzogen war und nun frohlockend im neunten Brief: Der Herr hat mich selbst auf sein Bureau bestellt, das tut er sonst bei feinem Arbeiter. Er sagt, er hätte niemand gebraucht, aber er wolle mir helfen, und ich sollte mich bei Ihnen bedanken."
Neue Nöte
Hat aber ein solcher Strafentlassener mit Hilfe des Fürsorgers endlich Arbeit gefunden, so sind dann noch lange nicht alle Hindernisse überwunden. Immer wieder stellen sich neue ein.
,, Meine Berzweiflung ist groß", schreibt einer aus einer großen füddeutschen Stadt. Ich kann Ihnen kaum noch schreiben. Man weiß nämlich bei uns im Geschäft, daß ich im Gefängnis war, wenn auch nicht wo, und wie lange. Der Betriebsrat hat sich bei der Polizei erfundigt, wo ich gewohnt hätte und da hat er erfahren, daß ich in der Strafanstalt war. Wie mir ist, kann ich gar nicht schreiben..
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Wie häufig sind doch die Fälle, in denen der Entlassene wieder brotlos wird, weil seine Kollegen mit einem Gefängnisbruder" nicht arbeiten wollen!
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Immer wieder bitten die Entlassenen um Bescheinigungen über Absolvierung eines Teils der Lehrlingszeit ohne Angabe daß es im Gefängnis gewesen ist. Selbst Einundzwanzig jährige scheuen nicht davor zurück, noch die Gesellenprüfung anzustreben.
Ein Fürsorgezögling schreibt: Troß aller Bemühungen noch teine Arbeit und fämpfe jetzt bald mit der Berzweiflung, denn Müßiggang ist aller Baster Anfang. Wenn ich auch Für forgezögling war, so möchte ich doch nicht auf den Weg zurückcmmen, den ich gegangen bin."
plöglich unter die Menschen gestellt wird.. Wo ich meinen Entlassungsschein vorzeigen mußte, hatte ich nur Verachtung und Mißtrauen zum Erfolg
flach vielen Jahren..
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Aus Trier , aus Duisburg , aus Düsseldorf , Köln , Frantfurt a. M., Bonn , Worms von überal! her fommen die Bitten, den Schreibern Stellung zu, besorgen, und von überall her kommen auch die Dankschreiben für besorgte Arbeit, Mitteilungen über Beförderungen, Wohlergehen usw. Gerät aber irgendeiner von den früheren 3öglingen in Not, durch unglückliche Berkettung der Umstände oder durch Leichtsinn, so ist es wieder der Für forger, an den sie sich vertrauensvoll wenden ja selbst nach vielen Jahren. Da ist zum Beispiel einer, schon im Jahre 1921 entlassen; sechs Jahre später wendet ei sich wieder an den. Für forger.
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Mag sein, daß die Arbeitsmethoden der Jugendstrafanstalt Wittlich nicht in allen Einzelheiten auch anderswo anwendbar sind; natürlich ist die Gefangenenfürsorge machtlos ohne straff aus gebaute Entlassenen fürsorge der städtischen Wohl. fahrtsämter. Eine so starke Bindung aber wie sie zwischen Für forger und Gefangenen in der Strafanstalt selbst entsteht, wird in der Freiheit zwischen dem Entlassenen und dem ihn Betreuenden nur in den seltensten Fällen möglich sein. Für viele der straffällig Gewordenen ist aber die persönliche einmalige Bindung an den Gefängnisfürsorger die wichtigste Boraussetzung ihrer Resoziali sierung. Das verstanden zu haben, ist das Verdienst der Gefängnis- und Entlassenenfürsorge der Strafanstait Wittlich und der wenigen anderen deutschen Strafanstalten, die den gleichen Beg Leo Rosenthal ,
Ein anderer:„ Es ist schwer, zu beschreiben, wie es einem beschritten haben.
Dr. Werner Peiser : 30 Jahre BGB .
dem Arbeitnehmer wenigstens in einem gewissen Umfange zu er möglichen. Die Gesetzgebung über das Arbeitsrecht endlich be deutet letzten Endes nichts anderes als eine Untermauerung der brüchig gewordenen Vorschriften des BGB. über den Dienstvertrag.
Und hier sind wir an einem Bunft angelangt, bei dem wir uns einen Augenblid aushalten müssen. Gerade in den letzten Jahren ist eine Fülle von Gesezen geschaffen worden, die dem Zweck dient, das bürgerliche Recht zu modernisieren und zu reformieren, es den geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen einigermaßen anzupassen. Die Weiterentwicklung und Umgestaltung der kapitalistischen Birt fchaft verlangte so stürmisch eine Anpassung des Gesetzes, daß der Gesetzgeber sich diesen kategorischen Forderungen der Wirtschaft einfach nicht entziehen konnte, wenn er nicht ein Chaos im Ablauf des täglichen Lebens befürchten mußte.
Am 1. Jamuar 1930 waren 30 Jahre seit dem Tage verflossen, Irung geschaffen werden, um die Ausführung dieses Paragraphen an dem das Bürgerliche Gesetzbuch in Kraft trat, nachdem es bereits vier Jahre vorher seine endgültige Gestalt erhalten hatte. In jahre langen Beratungen, die unter Hinzuziehung der ersten Juristen Deutschlands von den damals maßgebenden parlamentarischen Körperschaften, dem Reichstag und dem Bundesrat, gepflogen wurden, war ein Gesez zustande gekommen, das als einheitliches Ganze für die Dauer bestimmt zu sein schien. Durch die Einführung des BGB. wurde einer ungeheuren Rechtszer iplitterung, die zu unerträglichen Spannungen geführt hatte, das Ende bereitet, und so sehr die älteren Juristen, die nun alle plöglich umiernen mußten, stöhnten, und so wenig sie sich anfangs in die neuen Verhältnisse zu schicken wußten die Tatsache, daß das deutsche Zivilrecht hier zum ersten Male seine Kodifikation, seine gefeßliche Zusammenfassung fand, wurde allgemein begrüßt. Das Jahr 1871 hatte die politische Einigung Deutschlands gebracht, und wenigstens. auf dem Gebiet des Strafrechts war das Reichsstrafgesetzbuch, dessen Geburtsjahr gleichfalls 1871 ist, auf dem Fuß gefolgt. Acht Jahre später, im Jahre 1879, folgte die Zusammen fassung von Strafprozeß und Zivilprozeß in eigenen Ordnungen sowie ein neues Gerichtsverfassungsgeseh; bis zur Zusammenfassung des bürgerlichen Rechts aber vergingen nochmals 21 Jahre. Man kann sich heute nur schwer vorstellen, von welcher umwälzenden Bedeutung das Gesetzwerk mar.
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Der alte Grundsatz Reichsrecht bricht Landrecht" war zum ersten Male verwirklicht.
Wie einfach erschien noch das Mietwesen zur Zeit der Einführung des BGB., und wie kompliziert wurde die Sachlage durch die alle bisherigen Berhältnisse revolutionierenden Vorgänge während des Krieges und vor allem nach dem Kriege und während der Inflation. Auch hier war der wirtschaftliche 3 wang stär ter als die rechtlichen Gegebenheiten. Man tam mit den alten Bestimmungen nicht mehr aus, und es wurden zahlreiche neue Gesetze geschaffen, von denen hier nur das Wohnungsmangelgefeß, das Mieterschußgefeß, die Verordnungen über die Einrichtung von Wohnungs und Mieteinigungsämtern ge nannt seien, die in ihrer Gesamtheit ein richtiges neues Wohnrecht bilden und die Vorschriften des BGB. nur noch gewissermaßen als Grundlage bestehen lassen.
Ueberhaupt fann man sagen, daß die zahlreichen ergänzenden und abändernden Vorschriften, die man in ihrer Gesamtheit als Novellengefeßgebung" bezeichnet, die Tendenz haben,
ausgleichendes Recht an Stelle des bisherigen gleichen" Rechtes zu schaffen, wie es viele Jahre vor dem Kriege schon der öfterreichische Soziologe Selety gefordert hatte. Schon damals war dieser Gelehrte zu der Erkenntnis gekommen, daß alle schönen Sätze über Gleichberechtigung Redensarten bleiben müssen, solange wenige wirtschaftlich Starke der großen Masse der wirtschaftlich Schwa chen gegenüberstehen.
Wenn wir heute das BGB. mit seinen 2385 Paragraphen und seinem Einführungsgesetz von 218 Artikeln betrachten, so müssen wir feststellen, daß die Zeit in das Antlig dieses Gefeßwertes mindestens ebenso tiefe Spuren eingegraben hat, wie dreißig Jahre fie in den Zügen eines Menschen hinterlassen. Die beginnende Entwicklung zum hoch kapitalistischen System prägte 1871 den Gesetzen feinen Stempel auf. Gewiß war der Eigentumsbegriff, wie ihn das Der größte Teil der Briefe dreht sich selbstverständlich um die Römische Recht geschaffen, wie er durch die Rezeption", durch die Arbeit. Hier müssen der Fürsorger und der Entlassene im gleichen Aufnahme des Römischen Rechts in Deutschland im 15. und 16. Jahr Maße Geduld aufbringen. Immer wieder stoßen die Entlassenen hundert neu eingeführt war, wenigstens in seiner starrsten Form auf Mißtrauen; sie wechseln in einem fort die Arbeitsstellen, zer- überwunden; aber der Geist der Pandekten, des Justinianschen fiören durch irgendeine Unehrlichkeit die mühevolle Arbeits- Gesetzbuches war durch jahrhundertelange Tradition in Deutschland Die veränderten Zeiten haben mit gesteigerter Lebhaftigkeit in vermittlungsaufbautätigkeit des Fürsorgers und sind nicht selten ge- noch allzu lebendig, als daß er gerade auf dem Gebiet des Zivilrechts zwungen, Wochen hindurch von einem Ort zum anderen zu laufen. hätte verdrängt werden können. Und wie das zur Zeit in Kraft den letzten Jahren an Vorschriften des Gesetzbuches gerüttelt, bie bis sie Arbeit finden. Ich werde von einem Tag auf den befindliche Strafgesetzbuch gewisse Bergehen gegen das furz zuvor noch als sein eherner Bestand gegolfen hatten Erinnert anderen vertröstet", berichtet ein Berzweifelter, und jeden Eigentum strenger ahndet als Körperverlegungen, jei nur an die Neuregelung der Rechtsstellung des unTag so viel herumgeschickt, daß die Schuhe, die Sie mir gaben, schon so wurden dem Eigentumsschutz im bürgerlichen Recht besonders ehelichen Kindes, die den gerade auf diesem Gebiet erheblich längst faputt find... Ach, lieber Herr Fürsorgeinspektor: Sie umfassende Bestimmungen gewidmet. So mußte mit Notwendigkeit abgewandelten gesellschaftlichen Auffassungen der Gegenwart anglauben gar nicht, wie satt ich diese Lauferei und die Vertröstereien das neue Gesetzbuch eines der Instrumente werden, mit denen sich zugleichen war, sowie an die Kämpfe um eine Reform der Ehehabe, ich möchte am liebsten mich von der Welt schaffen. die herrschende Klasse, die den Sieg über Frankreich als ihr Wertscheidung. Bekanntlich gilt für eine Scheidung der Ehe ausmit der einzigen Ausnahme der unheilbaren GeistesWas ich Ihnen versprochen habe, das halte ich lieber will ich veransah und verherrlichte, zum Schuh ihrer privatwirt schließlich das sogenannte Verschuldensprinzip". d. h. es muß, hungern. In einem weiteren Briefe desselben jungen Menschaftlichen Interessen umgab. um eine Ehe lösen zu können auf einer Seite ein Verschulden mie schen es ist bereits der vierte heißt es: Ich habe das Rumbummeln jetzt wirklich satt. Ich sehe schon, ein bestrafter Ehebruch, Lebensnachstellung, bösliche Berlassung, pflicht und fittenMensch wird überall verstoßen widriges Verhalten vorliegen, während andere Gesichtspunkte, wie nochmals inständig, besorgen Sie mir doch Arbeit Endlich etwa die bis zum Jahre 1900 in Geltung befindliche ,, unüberwindbat er Arbeit bekommen: Ach, wie glücklich haben Sie mich und liche Abneigung", als ehetrennend nicht mehr anerkannt werden. wie erinnerlich, stand vor einiger Zeit die Frage der erleichterten meine Mutter gemacht, jetzt habe ich wieder Spaß am Leben, wenn ich auch jeden Tag zwölf Stunden Chefcheidung auf der Tagung des Rechtsausschusses des Reichstages, und es waren die sozialdemokratischen Vertreier, die arbeiten muß, so sehe ich doch das Leben mit frohen Augen an." Ein anderer Strafentlassener schickt in Abständen von zwei bis brei Tagen hintereinander neun Briefe Da heißt es im zweiten Briefe: Die Herren zuden mur immer mit den Achseln und sagen, wir tönnen Ihnen auch nicht helfen Hätte ich nur gewußt,
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Aber ich bitte Sie
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daß es so schlecht hier ist, dann hätte ich fieber auf meine Straf aussegung verzichtet... Ich kann meiner Mutter und meiner Schwester nicht länger zur Last fallen In einem dritten Briefe: ,, Wenn ich noch lange so herumlaufen muß und dann cines Tages nichts mehr am Leibe habe, dam tomme ich doch Im schließlich wieder auf unglüdliche Gedanken achten Briefe: Nun gehe ich aber auf tein Wohlfahrtsamt und nirgends mehr hin, es ist traurig, daß für einen, der wohl im Gefängnis war, sich aber doch bessern will und immer
Diesen Geist finden wir in nahezu allen Bestimmungen des BGB. wieder. Man wies voller Stolz auf die Tatsache hin, daß etwa in seinem zweiten Buch, dem Recht der Schuldverhält. nisse, die gleichen Vorschriften für Arbeitgeber und Arbeitnehmer in den Bestimmungen über den Dienstvertrag niedergelegt waren. Bei oberflächlicher Betrachtung schten die Vorschrift des § 626, nach der das Dienstverhältnis von jedem Zeile ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden kann, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, ein gewaltiger sozialer Fortschritt zu sein. man übersah hierbei nur oder wollte übersehen- daß der Arbeitnehmer von diesem schönen auf dem Papier verbürgten Recht nur in der Theorie Gebrauch machen konnte; denn was half ihm die verbriefte Zusage auf sofortige Arbeitsniederlegung bei irgendwelchen Mißbräuchen seitens des Arbeitgebers, wenn er in dem gleichen Augenblid, in dem er von dieser Befugnis Gebrauch machte, sich der Erwerbslosigkeit und damit dem Verhungern ausgesetzt sah!
Es mußte erst die Revolution von 1918 fommen
und mit ihr das Betriebsrätegeset vom Januar 1920, es mußte ferner das Reichsgesetz über die Arbeitslosenversiche
frankheit
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fich mit besonderer Leidenschaftlichkeit für eine Abänderung der be stehenden starren Vorschriften einjezten. Die Vertreter des Zentrums verstanden es noch einmal, diese Frage, die für große massen des deutschen Volkes von entscheidender Bedeutung, ist unter Hinweis auf ihre weltanschauliche Gebundenheit zur Vertagung zu bringen. Aber es ist fein Zweifel, daß auf die Dauer die Reform nicht aufzuhalten sein wird.
Auch die Zukunft wird umgestalten, was sich im Lauf der ökonomischen Entwicklung als abänderungsreif erweisen wird. Dem dreißigjährigen Jubilar geben wir als Wunsch für seine Zukunft die Hoffnung auf den Weg, daß er sich organisch dem demokratischen und fozialen Prozeß eingliedern möge, in dessen Mitte wir in der Gegenwart stehen.
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