Morgenausgabe
Rr. 15
47.Jahrgang
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Techni!". Blid in die Bücherwelt" und Jugend- Borwärts"
Freitag
10. Januar 1930
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Bentralorgan der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
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Schafft Arbeit!
Für Arbeitsbeschaffung.- Gegen Anleihesperre.
Der gemeine Deutsche Gewerkschaftsbund und der Allgemeine freie Angestelltenbund veröffentlichen folgenden Aufruf:
Die Arbeitslosigkeit ist in ständiger Zunahme begriffen. Mil fionen arbeitswilliger und arbeitsfähiger Arbeiter und Angestellten find zum Felern gezwungen. Die hohe Arbeitslosenziffer wiegt um so schwerer, als die Witterung bisher den Außenarbeiten verhältnis mäßig günstig war. Es ist zu befürchten, daß die Schwierigkeiten, mit denen die Birtschaft zur Zeit zu tämpfen hat, sich noch verschärfen werden. Um jo notwendiger ist es, alle Sträfte zu mobili fieren, die der finfenden Beschäftigung entgegenwirten fönnen.
Dabei sind sich die Gewerkschaften wohl bewußt, daß die gegen märtige Lage der Reichsfinanzen und des Kapitalmarftes eine burdy greifende Konjunkturpoliti? erschmert. Die Gewerkschaften fordern aber, daß teine Möglichkeit unausgenußt bleibt, die schwere Lage zu erleichtern. Dazu gehört in erster Linie Arbeitsbeschaffung durch die Kapitalzufuhr aus dem Auslande.
Es ist unverantwortlich, wenn der Unleiheaufnahme, auch sowelf fie auf Grund des Vertrauens der ausländischen Geldgeber zur öffentlichen Wirtschaft möglich ist, von deutscher Seite durch die verhängnisvolle Politit des Reichsbankpräsidenten und der Be
ratungsstelle für Auslandsanleihen durchkreuzt wird.
der Absperrung von den internationalen Kapitalmärkten als volts wirtschaftlich gefahrvoll und fozialpolitisch un verantwortlich erscheinen lassen. Es ist unerträglich, daß sich in dieser schweren Lage der Reichsbantpräsident und die Beratungsstelle für Auslandsanleihen den wirtschaftlichen Erfordernissen entgegenstellen.
Die Gewerkschaften verlangen im Namen der Arbeiter und Angestellten, die sie vertreten, daß alles geschieht, um die Leiden der Erwerbslofen zu verringern.
Sie fordern daher die Regierung auf, mit Entschloffenheit dem Gebot der Stunde zu folgen und für die Zulaffung von Auslands anleihen einzutreten auch im Kampf gegen unverantwortliche Ratgeber zur Beschaffung von Arbeit und zur Stüßung der deutschen Wirtschaft.
Bostichedfonto: Perlin 37586. Banffonto: Bank der Arbeiter. Angestelltex und Beamten. Wallstr. 65. Dt Bu. Disc.- Gef. Depofitenfafle Lindenstr 8.
99
Wien , 9. Januar. ( Eigenbericht.) Die W. Allg. 3tg." veröffentlicht einen vertraulichen Entwurf der Heimwehr zur Aenderung der Berfaffung, aus dem sich ergibt, daß die neuerdings von Seipel geforderten Verfassungsänderungen mit den Plänen der Heimwehr identisch find. Was der Heimwehr und Seipel vorschwebe, fo sagt das Blatt, sei Wirtschaftsfaschismus in Reinfulfur". Noch liegen der österreichischen Volkswirtschaft die Folgen Kredit würgt die Industrie, mehr als 200 000 Arbeiter sind des Verfassungstampfes in allen Gliedern. Der Mangel an arbeitslos. Der Krach der Bodenkreditanstalt ist längst nicht überwunden. Die Stadt Steyr ist von weitest gehender Drosselung ihrer Fabriken bedroht. Die Wirtschaft des Landes ist wie durch ein Elementarereignis furchtbar zer rüttet.
Arbeitslosigkeit und Wohlfahrtslaften. Die nächste Bukunft neue Tollheit nicht zu erwarten war. Die
Die Städte tönnen nicht mehr-Appell ans Reich. In den Mitteilungen des Deutschen Städtetages" spricht dessen Bräfident Dr. Mulert auch über die außerordentlich schwere Last. die die wachsende Arbeitslosigkeit für den Wohlfahrtsetat der Städte bedeutet. Die große Mehrzahl der deutschen Städte müssen 1929 mit Defizitetats abschließen, nachbein schon im dritten Quartal die Sahl der laufend von den Städten( über 50 000 Einwohner) Unterstützten um 30-000 angewachsen sei. Das letzte Quartal bringe finnoch ganz besonders starte Erhöhungen. Es stehe ein bringender Appellan die Reichsregierung bevor, der verlangt, daß Jetzt ist der Augenblid gekommen, in dem die wachsenden Not die wachsende Last der Wohlfahrtsunterstügungen für die Arbeitsfünde ein längeres Beharren bei dieser wirtschaftsfeindlichen Politit losen vom Reich mitgetragen werde.
Die Gewerkschaften haben die Politik der Anleihefperre ftets als schädlich betrachtet; sie befinden sich dabei in Uebereinstimmung mit dem: Gutachten des von der Reichsregierung eingejezten Enqueteausschusses.
Einigung über Zahlungsaufschub.
Die Frage der Zahltage zurückgestellt.
riet nun
2005bub
die Frage des Moratoriums.
118 V. Sch. Haag, 9. Januar. ( Eigenbericht.) verstanden. Die Sigung wurde wieder aufgenommen und man beDie Streitfrage bes 3 ahlungstermins wurde mittags ergebnislos debattiert und daher am Nachmittag wieder aufgenom nien. Deutschland stand mit seiner Ansicht, daß die Monatszah. lungen am Ultimo zu erfolgen hätten, völlig allein da. Moldenhauer fämpfte mit außerordentlicher 3ähigkeit, aber ohne jeden Erfolg. Er machte einen Borschlag nach dem anderen, alle wurden abgelehnt. Ein sogenannter Vermittlungsvorschlag des Italieners Pirelli ging dahin, daß Deutschland am 15. bezahlen, aber die Internationale Reparationsbank die Beträge erst am Monatsende an die Gläubiger überweisen sollte und der Zinsgewinn der Re parationsbank zur Bestreitung ihrer allgemeinen Unfoften überlaffen
werde.
An dem übrigbleibenden Zinsgewinn wäre Deutschland nach Maßgabe des allgemeinen Schlüssels beteiligt. Diese italie. nische Anregung wurde jedoch von der deutschen Abordnung mit dem Argument zurückgewiefen, daß nach dem Young- Plan die allgemeinen Unfosten der Bank den Gläubigern zur Laft fallen follen Rulezi Ichlug der Reichsfinanzminister vor, da fich die ehemaligen Sachverständigen Maureaur, Francqui und Raft nicht einigen fonnten, das Gutachten des Amerifaners Dwen Young telegraphisch einzuholen; man fönne es vielleicht im voraus als bindend anerkennen. Auch das lehnte die Gegenseite mit dem nicht tmberechtigten Argument ab: Wo kämen wir hin, wenn wir bei jeder Streitfrage schließlich telegraphisch ein Gutachten einholen würden, Uebrigens ist es im höchsten Grade zweifelhaft, ob Owen Young im Sinne des deutschen Standpunktes entschieden hätte. Ein weiterer Antrag Moldenhauers, diesen Punkt einstweilen zurüdzustellen, murde
von Snowden zunächst entschieden abgelehnt; er erklärte, er würde überhaupt nicht weiterverhandeln, ehe nicht dieser Punkt erledigt jei.
Ein solches fann nach dem Young- Plan ausschließlich von Deutsch land verkündet werden. Allerdings für die Höchstdauer von drei Jahren. Die französische Delegation wollte hier einen Borstoß unternehmen, um diese Bertündung eines Moratoriums an be fendere Bedingungen zu knüpfen; zum Beispiel sollte der begut achtende Ausschuß der Reparationsbank das Recht haben, in solchem Fall sofort zusammenzutreten, offenbar um die Berechtigung des Moratoriums anzu zweifeln. Das hätte aber dem Young Plan widersprochen, der nur vorsieht, daß das Gutachterfomitee fich nach der Berfündung eines Moratoriums durch Deutschland zu fammensetzt und einen Bericht über die finanzielle und wirtfchaftliche Lage Deutschlands ausarbeitet. Die Franzosen bean tragten angesichts des entschiedenen Widerspruchs Deutschlands gegen diesen Vorschlag, eine ausdrückliche Erklärung der deutschen Dele gation, wonach Deutschland nicht leichtfertig ein Moratorium verkünden würde, sondern nur im wirtlichen Notfalle. Diefe moralische Verpflichtung fonnte die deutsche Delegation nicht ablehnen. Die Juristen traten zusammen und fixierten
eine Erklärung, in der versichert wird, daß Deutschland nur aus zwingenden Gründen einen Aufschub seiner Zahlungen( natürlich nur des aufschiebbaren Teiles) verfünden würde, anderer. feits aber ausdrücklich unterstrichen wird, daß das Recht Deutsch lands , von fich aus diesen Zahlungsaufschub anzumelden und in Kraft treten zu lassen, unberührt bleibt.
Mit dieser Lösung wurde diese Frage geregelt. Dah Deutsch land nicht leichtfertig zu einer solchen Schutzmaßnahme greifen wird, land nicht leichtfertig zu einer solchen Schutzmaßnahme greifen wird, liegt auf der Hand, denn jede Ankündigung eines Moratoriums durch Deutschland würde automatisch weittragende Konfe.
auslösen müssen.
Daraufhin hob Jaspar die Sigung auf, fügte allerdings bald dar: auf nach Rücksprache mit Tardieu hinzu, daß die Sigung nur aufquenzen für den deutschen Kredit und für die deutsche Wirtschaft einige Minuten unterbrochen fei, um den Delegierten die Möglich. feit zu geben, nochmals miteinander zu sprechen. In der Pause verhandelten Tardieu mit Curtius und Moldenhauer mit Snowden Dieser äußerte dabei 3 weifel daran, daß die Deutschen über haupt eine Berstanbigung erftrebten. Mobenhauer midersprach energisch, meinte jedoch, daß es sonst üblich sei, wenn man über einen Bunft ergebnislos verhandele, zunächst zu anderen Buntten überzugehen. Daraufhin ließ Snowben seinen Einsprud fallen und erflärte sich mit der Zurüdstellung dieses Punttes ein
Was den zurückgestellten Bunft des Zahlungstermins betrifft, so muß man schon jest start bezweifeln, daß es möglich sein wird, den deutschen Standpunkt durchzusetzen. Wir sind mit Dr. Ktaftis Ansicht nicht nur völlig isoliert, sondern es hat auch immer mehr den Anschein, als ob in der Sache selbst die gegnerischen Sachver ftändigen und Delegationen sich auf stärkere Argumente ftüßen fönnen als die Deutschen .
( Stehe auch 2. Seite.)
Die Heimwehren hatten sich das Ergebnis des Ver fassungstampfes anders vorgestellt. Sie wurden danach merklich stiller, und es hatte den Anschein, als ob die Ber nunft bei ihnen so meit die Oberhand erlangt hätte, daß für Wirtschaft atmete auf; die Hoffnung schien berechtigt, daß der Höhepunkt der Krise überwunden sei und das schwergeprüfte Land den Weg zur Befriedung finden würde. Bundeskanzler Schober fuhr nach dem Haag, um Streichung der Reparationslast als Voraussetzung der so notwendig gebrauchten Anleihe zu erlangen. Es ist klar, daß die Anleihe nur zustande kommen fann, wenn das Kapital zur Stabilität der Berhältnisse in Desterreich Bertrauen faßt. Schon aus diesem Gerede mußte es jedem verantwort lichen Politiker als eine Selbstverständlichkeit erscheinen, alles zu vermeiden, was die Dinge in Defterreich neuerdings fomplizieren fönnte, aber felbstverständlich war das keineswegs für den früheren Bundeskanzler Dr. Seipel. Er ist von verzehrendem Machthunger beseffen. Er verträgt einfach nicht, daß ein anderer als sein Wille regiert. Ruhelos treibt ihn sein Ehrgeiz von einem Abenteuer zum anderen. Ob das Land zu Schaden kommt oder nicht, beeinflußt das Gehirn dieses Fanatifers feines Ichs faum jemals ernsthaft. Er sieht nur sich, ist stets eingesponnen in dunkle Intriguen und gleicht so recht den Finsterlingen des Mittelalters, die vor nichts zurüdschreckten, um auf geradem oder ungeradem Wege ihre Pläne zu verwirklichen. Man kann nicht sagen, daß Seipel schlechthin der Mann der katholischen Kirche wäre; es gibt sehr einflußreiche, hochstehende Kleriter in Defterreich, die Seipels Politit als ein Unglück für die Kirche betrachten. Wohl gibt sich der politifierende Prälat den Anhandeln, aber er macht in Wirklichkeit seine eigene Bolitit. schein, als ein getreuer und gehorsamer Diener der Kirche zu
Während des Heimwehrrummels mar er offiziell frank gemeldet. Aber diese Krankheit hinderte ihn nicht im ge= organ, einen Brandartifel um den anderen gegen die Kom ringsten, in der Reichspost", dem christlichsozialen Zentralpromißlösungen zu veröffentlichen. Diese Artikel erschienen promißlösungen zu veröffentlichen. Diefe Artikel erschienen anonym. Die Deffentlichkeit zerbrach sich den Kopf, wer denn der Giftmischer sei. Seipel hat jetzt selbst das Geheimnis enthüllt. Er läßt diese Artikel nebst einigen anderen früher erschienenen unter dem Titel„ Der Kampf um die öfters erschienenen unter dem Titel„ Der Kampf um die öfters reichische Befassung" als Buch erscheinen, wobei er sich lächerliche Eitelfeit! als Bundesfanzler a. D." bezeichnet. geführte Verfassungsreform den strengen Ansprüchen des Im Vorwort wird ausgeführt, daß die eben durchBrälaten feineswegs genüge. Durchgreifendere Reformen werden kommen müffen", mit anderen Worten: der kaum beendete Kampf foll wieder angefacht werden!
"
Mit diesem Buch vollzog Seipel seinen Wiedereintritt ins politische Leben. Er ist des trockenen Tones verborgener Intriguen fatt geworden und wirft der Welt den Fehdehandschuh hin. Höhnend tanzelt er diejenigen ab, die ihm im abgelaufenen Jahre nicht unbedingte Gefolgschaft leisteten. Landbündler, Großdeutsche, aber selbst etliche seiner eigenen Parteigenoffen befommen forgsam gezielte Stiche zu spüren, die ihnen lehren sollen, wer ihr Herr und Meister ist.
Aber mit der Abrechnung über das Gewesene begnügt sich der Prälat nicht. Just an dem Tage, an dem der Bundesfanzler Schober nach dem Haag fuhr, ließ Seipel eine Silvesterrede veröffentlichten, die fein Aktionsprogramm für Die nächste Zukunft enthält.' Desterreich brauchte schonungsvolle Ruhe? Nichts da, erklärte er:„ Verlangen Gie nicht, daß wir nächstes Jahr, nur Ruhe" haben sollen." Die Verfassungsreform, die eben unter so großen Mühen und Gefahren zustande fam, sei nur eine fleine Teilreform. Es müffe, so fündigte Seipel in dieser Rede ebenso wie in seinem Buche an, weitergefämpft werden...
Und die Kleinen von den Seinen haben Seipels Wort richtig verstanden. Sie begannen wieder mit den gleichen Reden, die man zur Zeit des Verfassungstampfes vernahm. Diesmal waren es nicht die Faschisten der Provinzen, sondern