3tr. 37• 43". Jrtrsws Oonnertrtog. 23. 3onu«r 1930
der Nähe der zrotzen Bahnhöf« im Stadtinnern d?ängt sich Geschäft an Geschäft: be. gehrt und gut bezahlt ist so«in ..Pätz an der Hanne". Denn wo der tägliche Massennerkehr feine Brennpunkt« hat, rollt auch das Geld rascher Nach den, Muster der Großen gruppieren sich auch um die kleineren Bahnhöfe Geschäfte ver- fchiedenfter Branchen, wenn auch nicht immer in so idyllisch�grotesker Form wie gegenüber dem Bahn- l) o f I o r ck st r o h e. Hier in der Jorkstroßc ün, südweültchen Berlin glaubt man im ersten Moment einen Ausschnitt aus einem amerikanischen ..Wild- West"-Städtchen vor sich zu dabei,. Die auf Glanz hergerichteten 'Fassaden verdecken nur zur Hälft« den hohen Bchndanun, der die Ge- schäftsräume auf ein Mnmirum von Naitin beschränkt und obei, drein die Ursache beständig feuchter Rücken- wände ist. In lustigem Auf und Ab schmücken Bretter- und Staketen- zäune den übrigen Damm dar von der hölzernen Bürobaracke einer Iohlenhandlung bekrönt wird. In den Geschäften unten gibt es Zi- oarren, Schreibwaren, Photoapparat« und Uhren. Der Clou de? Ganzen ist aber der mittlere, eiirstöckige Bau, der auf'ede Art von lheschäftsrcklamc verzichtet. Blickt man von der Straß« in dir Aus- läge, so fallen erst ein halbes Dutzend ausgetretener, verstaubter Halbschuhe ins Zsiig«. Unter dem Auslagenbrett fitzt, balb im Äeller. der Meister selbst und flickt an seinen Schuhen. Der winzig« Loden ist mit uerschassenen Barhöngen, die die feuchten Mauarn verdecken sollen, drapiert. En, bescheidener Ladentisch, ein Schusterschemel und ein in dieser Umgebung ge- radezu pratzig wirkender eiserner Geldschrank vervollständigen das „Mnblement". Rasch ist man mit den, trotz seiner we hen Haar« munter und unternehnuingslusiig aussehenden Schuster ins Ge- sprach gekommen. Von, Haus« nebenan ist er 1019 in dieses Lokal gezogen. Bon den Auslagen der Beerdigungsanstalt Grieneisen, die ihre Särge auch recht tief im Schaufenster placiert, hat er die
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Yorckstraße, gegenüber dem Ringbahahof Anregung zu seiner Äellerwerkstott genommen. Ohne jede Heizung den ganzen Winter hindurch, betreibt er hier sein Handwerk. Das halbe Dutzend alte Schuhe, das In der Auslage prangt, steht schon seit ein bis zwei Jahren da und wartet, repa- riert. aut die Kunden, die sich. Gort weiß wohin, verzogen hoben. Räch zwei Jahren Wartezeit wandern diese Opser der Vergeßlich. teit dann auf den Müllhaufen. Die Geschäftszeit ,ft an keine be- stimmten Stunden gebunden. Ist mal Leder einzukaufen oder sonst eine Besorgung zu machen, io wird die Ladeickür abgeschlossen und ein Zettel ouigesteckt:„Bin in füni Minuten wieder zurück". Do es ober gewöhnlich eine Stunde wird, sind die fünf Minuten ein- jach durchgestrichen. Aber demnächst, versichert der Meister, der noch Bebel und Liebknecht gekannt hat, wird alles renoviert und ein richtiMS, modernes Geschäft ausgemacht. Und«in jeder wird ihm gönnen, daß er dann auch ein gutes Geschäft macht.
'Oer tägliche Versammlungskrach. Wieder Waffen durchsuchung in Moabit . Gestern abend ist es. ähnlich wie am DIenslog am Fried- ruhe Hain, bei einer Versammlung der Nalionolsozta- liste o in der Bremer Straße tri Moabit zu einer schwereu Schlägerei zwischen st o m n, u ni f( e n„nd Nationalsozialisten gekommen. 3«, verlaufe de» Hand- gen, enges erlitten sechs an der Schlägerei Beteiligte ver- . lehunaen. Der Versammlungsort waren die Arminius-Feftfälc ü, der Bremer Straße 72/73. Als Referent trat wieder der Rational- fozialist Moffakowski auf. Ein« groß« Zahl, nach einer Schätzung etwa ZOV bis 300 Kommunisten harten sich vor Eröffnung der Versammlung im Saal eingefunden. Während der Ausführungen i-es Redners kam es zu erregten Auseinandersetzungen zwischen den Bersammlungsleilnehmern und im nächsten Augenblick entspann sich eine Schlägerei. Mit Bierseideln, Flaschen, Stuhlbeinen usw. gingen die Gegner aufeinander los. s>wr mit Mühe gelang es der Polizei, die mit einem großen Aufgebot von uniformierten Bs-
amten und Beamten der politischen Polizei zu? Stelle war, die Kämpfenden voneinander zu treimen. Sechs Personen hatten durch Schläge stark blutende Äopsverletzungen erlitten. Nachdem die Ruhe wiederhergestellt worden war, wurden sämtliche Anwesende wieder n a dZ'�Wo-f' e n dvr ch-s u cht. Dabei sielen der Polizei 3 Pistolen. ? Meisen,'2 Schlogrmg« und 1 Zntfchlvgerrin die. Hände. Sechs Per- sanen wurden wegen unbefngtcn Waffenbesttzks und wegen Wider- ftandes zwangsgestellt und der'Abteilung 1-� des Polizeipräsidiums zugeführt.— Ein Polizciwachtmeistcr erhielt in den, allgemeinen Getümmel von einem noch unbekannten Täter einen tiefen Messer- stich in die Hand. Trotz der Zwischenfälle wurde die Versammlung um 21.30 Uhr von den Hokenkreuzlern jortgosetzi. Später kam es bei ihren, 2lb- morsch noch wiederholt zu Rcrbercici, mit Kommunisten, die sich in die Nebenstraßen zurückgezogen hatten.
Bier Arbeiter als Opfer einer Explosion. Eine heftige Explosion tu einer chemischen Fabrik in Derincs-Charpier(2)fcrc) verursachte den Tod„on drei Ar- b e i t e r n. Ein vierter wurde lebensgefährlich verletzt. Der Sachschaden ist bedeutend.
Auiobuskatastrophe am Bahnübergang Zehn Schulkinder getötet. Eledeland, 22. Januar. Zu der Rühe des Städtchens Bcrea wurde an einem Vahnübergang ein mit Schulkindern besetzter Auto- mobilomnibus von einem Personenzug der New Pork Central Bahn erfaßt. Zeh« Kinder und der Führer des Autobusses wurden auf der Stelle getötet. Weiter wird zu dem Unglück gemeldet, daß der Autobus mit insgesamt 23 Kindern besetzt wan Acht Studencken der Hochschule von Berea waren, kurz bevor das Unglück geschah, aus- gestiegen. Bei den Opfern handelt es sich um Schüler der unteren Kloisen einer anderen Schul«. Der Bahnübergang, an den, sich das Unglück ereignete, führt über ein« vurgleisige Strecke der New Jork Central- Ba hm Der Autobus befand sich gerade auf der Mitte des Bahndamms, als er von einem nach Ehlkogo fahrenden Zug in der Mitte erfaßt und völlig zertrümmert wurde. Der An prall war so gewaltig, daß die Trümmerstücke und verstümmelte Leichen hundert Meter weit auf den, Bahndamm verstreut wurden. Die Schn, erzen srufc der Verletzte» und Sterbenden erhöhten den Schrecken des furchbaren Unglücks. Das Personal des Un> glückszuges, der sofort zum Halten gebracht wurde, beteiligte sich in, Verein mit den Bewohnern der in der Nähe beftntlichen Far> inen an dem Rettungswerk. Dieses Autobusunglück iit das vierte. das sich Im Laufe der letzten drei Wochen im Staate Oiiio cre-g. net hat. Ferner wird noch gemeldet: Als der Autobus sich der Bahn- kreuzung näherte, fuhr ein Güterzug vorbei. Der Autobus wartete dessen Vorbeifahrt ab und fuhr dann dirck, vor den Schnell- zug, den er nicht bemerkt hatte. An der Unfallstelle fpielien sich erschütternde Szenen ob. als sich Mütter und Däter der Opfer«infanden. Uitter den Todesopfern be- finden fich drei Kinder einer Familie im Alter von sechs, neun bzw. elf Jahren. Typhuserkrankungen in Berlin . Aber kein Grund zor Beunruhigung Der Polizeipräsident teilt mit! In der letzten Zeit sind in Verlin, und zwar im Norden der Stadt, etwa 20 Typhus« erkrank ungcn bekannt geworden, von denen drei tödlich ver. laufen sind- Der Palizoipräsident hat sofort uinfongreiche Ermitt- lungcn der zuständigen Kreisärzte in Verbindung mit der Medizinol- abtcilling des Polizeipräsidiums veranlaßt, die jedoch noch nicht voll- kommen zum Abschluß gelangt sind. Immerhin hat sich bei einigen Erkrankungen bereits eine gemeinsame Infektionsquelle feststellen lassen und es besteht Grund zu der Annahme, daß die übrigen Erkrankungen durch Kontaktinfcktion, das heißt durch unmittelbare Ansteckung von Mensch zu Mensch, erfolgt sind. Alle c r- forderlichen Maßnrrhmen sind geirosseu worden, um mc weitere Verbreitung der Erkrankungen zu verhüten. Zu diesen Maßnahmen gehören u. a. Absonderung der Kranken,'DeSinfekksttt, der von ihnen benutzten Räume und Gcgenstündc sowie Untersuchung und Absonderung aller krankheits- und ansteckungsver.dächiigen Personen. Besondere Aufmerksamkeit wird den Nahrungsimttelbetriebcn und ihren Angestellten gewidmet. Ein Grund zur Beunruhigung der Bevölkerung liegt nicht vor. Der letzte Satz aus der Mitteilung des Polizeipräsidenten wird durch die Tatsache bekräftigt, daß in Berlin im Durchschnitt jährlich etwa 300 bis 400 Personen on Typhus erkranken. Die bis jetzt aufgetretenen Erkrankungen bleiben zahlenmäßig unter den, Durch- schnitt erfreulicherweise weit zurück. In dem ganzen Stadt- gebiet Groß-Berlin wurden in den Iahren 1923, 1924. 1923. 1920, 1927. 192b 280. 331, 364, 389. 270, 272 Typhuserkrankung c n und 40, 43, 42, 30, 26, 24 Typhusst erbefäll« gemeldet. Den höchsten Stand der Crkronkungszifser hatte mit 389 das Jahr 1926.
j/ltttitu# A DZ gV fe K'RFWF Nebenan in Nummer acht bereitete sich Das Dores eben- falls auf Besuch vor. denn ihr neuer Herr speiste Sonntags gewöhnlich bei ihr. Sie hatte festgestellt, daß ihre Wobnung einer Säuberung bedürfe, welche Tatsache von den Nachbarn längst bemerkt worden war. und hatte beschlossen,«ine gründ- liche Reinigung vorzunehmen. Decken und Wände hatte sie abgefegt und mußte nun noch schrubbern und Staub wischen. Barfuß, mit hochgeschürztem Rock und einem Handtuch auf dem Kopf, trug sie«inen Eimer Wasser nach dem anderen hinein und goß ihn in einer Weife aus. die Marciannas in einer ihrer übeliten Launen würdig gewesen wäre. Es fehlte nicht an srerwilligen Gehilfen, wader in Num« mer acht noch in Nummer neun. Ritas lang yer'chlossene Wohnung erforderte Reinemachen, und es war Albino, der dieses Amtes waltete, während die Mulattin sich am Herd zu schaffen machte. Flormda, Leocadia und Augusta. alle waren sie hilfsbereit und begierig, zu tun. was in ihrer Mncht stand, um zu dem Gelingen des Tanzfestes beizutragen Pombinha blieb den ganzen Nachmittag unsichtbar, denn sie war mit ihren Sekretärinnenpslichten. denen sie sich am Sonntag wid- mere vollauf beschäftigt: sie mutzte die geradezu endlolc Reihe von Briefen für die Waschfrauen und die Arbeiter schreiben. An einem kleine« wachstuchüberzogenen Tischchen saß das junge Mädchen und schrieb auf dem b'lligen Papier nieder, was man ihr diktierte, eine Botschaft an d'e Familie jenseits des Meeres oder eine Mahnung an eins rückständige Kundin, die eine längst fällige Wäscherechnung noch nicht bezahlt hatte. je nachdem. Alles wurde pflichtgemäß aufgeschrieben und hier und da verbessert, um das, was der Absender sagen wollte. deutlicher auszudrücken; dann wurde der Brief adressiert und pon dem donkbaren Analphabeten fortgetragen, dessen Platz sofort von einem anderen eingenommen wurde. In solchen Stunden-war Pombinha allein mit dem Betreffenden, dem sie half, denn sie wollte seine Korrespondenz nicht in Gegen- wart anderer führen, um ihn nicht bloßzustellen. So kam es,
daß das junge''Mädchen schmutzige Einzelheiten aus dem Privatleben oll dieser Menschen in ihrem jungfräulichen Herzen sammelte, Einzelheiten, die oft schwärzer waren als der Rauch, der aus dem Haus in den blauen Himmel hinauf- stieg. „Also schreib chr das. Pombinha". stammelte ein Stein- brccher und kratzte sich den Kopf,„und schreib's ausführlich, damit die dumme Perjon es versteht, sag' chr, daß ich ihr jetzt kein Geld schicken kann, weil ich zu knapp bin. ober im nächsten Monot kommt's bestimmt. Sie kann sich was borgen, wenn's nötig ist, und nächsten Monat wcrd' ichs schon schaffen, wenn ich nur wüßte woher. Und wenn mein Bruder Luis immer noch die Absicht hat, herüberzukommen, so soll er es mich lieber beizeiten wissen lassen, vielleicht kann ich dann Arbeit für ihn finden, aber die Zeiten sind hier schwer, genau wie drüben, und ich rate sehr ungern jemand, sein Glück in einem fremden Lande zu versuchen, wo er vielleicht krank wird oder keine Arbeit kriegt oder Heimweh bekommt und nach Hause möchte, aber kein Geld dazu hat. und dann seinen Freunden, die ebenso schlecht daran sind und ihm nicht helfen können, das Leben zur Hölle macht." 2lls Pombinha das geschrieben hatte, fügte er hinzu: „Sag' ihr. daß ich schreckliche Sehnsucht noch ihr habe und daß ich noch derselbe bin wie damals. Und sag' ihr, daß ich sie berüberkommen lassen werde, sobald mir Gott und die heilige Jungfrau dazu verhelfen. Und sag' chr, sie soll nicht böse sein, weil kein Geld in d'eiem Brief siegt, sie soll daran denken, wie es in Portugal heißt: ,Wo kein Cent'st, kann sechst der Steuereinnehmer nichts holen.' Und— beinahe hätte ich's vergessen sie wollte ja von Libania hören. Sag ihr, Libanka ist vor die Hunde gegangen und wohnt unten m der Rua Sao Jorge und kein Menjch spricht wehr mit chr, also ist es das beste, sie zu vergessen und nicht mehr auf die fünf .escudoS' zu warten, d e ihr Lchania schuldig ist." Das alles wurde Satz für Satz n'edergechrieben'. eine Pause entstand nur dann, wenn der Steinbrecher nachdachte, wie er den nächsten Satz formulieren sollte und Pombinha ihn, das Kinn in die Hand gestützt, ansah und wartete. 7. So verlief der Sonntag bis drei Uhr, als der ungeduldig erwartete Firma, von seinem Freund Porstro begleitet, an- kam: der erste?« brachte seme Gitarre und der letztere seine
Mondoline mit. Rita Bahianas Liebhaber war ein leicht- fertiger Mulatte von sehnigem, schlanken Wuchs und behende wie eine Gemse. Er war prahlerisch und unverschämt und stand in dem Ruf, ein geschickter Dieb zu sein, der ohne feste Arbeit existieren konnte, solange man durch Fenster einbrechen und Hühner stehlen kannte. Er war über dreißig, aber er sah aus wie ein Jüngling von zwanzig, denn fein straffer Körper schien eher mit Sprungfedern als mit Muskeln aus- gestattet zu sein. Er trug einen kleinen, gewichsten Schnurr- bart, und seine lange üppige Mähne mar stets mit den stärk- sten Parfüms des Friseurs gesalbt. Diese Mähne trug er in der Mitte gescheitest, und zwei dicke Haarbüschel hingen unter einem Filzhut. den er sich schief übers linke Ohr zog. rechts und links herunter. Er ging stets in schwarzem Rock und schwarzen Hosen, die um die Knie eng und nach unten zu. um seine schlanken Fesseln nicht zu verbergen, weit geschnitten waren. Er trug kein« Weste, und on Stelle einer Krawatte band er sich ein stark parfümiertes seidenes Taschentuch um den Hals. Zwischen den Lippen hielt er gewöhnlich eine'nächtige sckiwarze Zi- garre und führte immer einen Spazierstock vom Umfang eines Knüpvels bei sich. Er war Bleiarbeiter, ein geschickter, nn« es hieß, aber da er oft on einem Tage ausgab, was er während einer Woche verdiente, fand er es nötig, fein Einkommen durch die bereits ermähnten nächtlichen Unternehmungen zu erhöhen. Ab und zu vergrößerte sick) fein Kapital durch einen glücklichen Abend beim Würfelspiel oder Roulette, und dann genoß er mit Rtta Bohiana eine Periode fröhlichen Nichtstuns wie in den letzten drei Monaten. Wenn nicht mit Rtta. dann mit einer anderen, denn er hatte festgestellt, daß Frauen nicht rar sind, wenn ein Bursche Geld in der Tasche hat. Er stammte aus Rio de Janeiro und genoß den- Norzug, bei Hofe geboren zu fei», wo sein Vater im Stall des Kaisers diente. Bis er.zwanzig Jahre war, trieb er sich überall herum und begann dann das, was er se:ne„polttilche Karriere nannte; da trat er einer Gruppe von jungen Leuten bei, die mit Rasiiermessern bewaffnet waren und den Anhängern der Gegenpartei das Wählen abgewöhnen wollten. Dann ober verzichtete er auf die Politik— weil er fein ideales Ziel doch niemals erreichen tonnte— und wurde mit siebzig Milreis monatlich und Bürostunden von elf bis drei Botenjunge in einem staatlichen Amt.(Fortsetzung folgt.)