Morgenausgabe
Nr. 43
A 22
47.Jahrgang
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119&
Vorwärts
Berliner Boltsblatt
Sonntag
26 Januar 1930
Groß- Berlin 15 Pf. Auswärts 20 Pf.
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Die Wahlen im Reich gültig.
Reichswahlprüfungsgericht und preußisches Wahlprüfungsgericht einig!
Der völkische Blod wird natürlich versuchen, die Autorität der
Das Wahlprüfungsgericht beim Reichstag hatte| bes Landtags gekommen, das nämlich die Berfaffungsmäßigkeit des fich gestern in seiner Schlußprüfung der Reichstags Reichswahlgefehes troh jener Entscheidung des Staatsgerichtshofes wahlen mit der gleichen Frage zu beschäftigen, mit der sich am nicht in 3 weifel zu ziehen jel. 8 Januar das Wahlprüfungsgericht beim Landtag befaßt hatte und mit der sich mit e nächsten Monats der Staatsgerichtshof in Leipzig auf die Klage des völkisch- nationalen Blocs hin zu befaffen haben wird. Es handelt sich darum, ob die Bestimmung des§ 32 der beiden Wahlgefeße, wonach auf die Reichs bzw. Landeswahlliste nur ebensoviel Re st st i mmenmandate zugeteilt merden tönnen, als vorher auf die örtlichen Kreiswahlvor schläge entfallen sind, mit der Reichsverfassung im Einklang stehen. Der Staatsgerichtshof in Leipzig hat befanntlich in einer im März porigen Jahres ergangenen Entscheidung, die die Rechtsgültigkeit ähnlicher Bestimmungen des Württembergischen Landes. wahlgefeßes betraf, Ausführungen gemacht, die der Dölfischnationale Blod für sich zu verwenden gedenkt. In der Tat lassen Jene Ausführungen des Staatsgerichtshofes der Auslegung Raum, daß der Staatsgerichtshof diese Bestimmungen des Reichswahl geſetzes für verfaſſungswidrig hielt. Seitdem haben namhafte Rechts lehrer zu dieser Frage Stellung genommen und fast ohne Ausnahme fich um den Nad, meis bemüht, daß jene Entscheidung des Staatsgerichtshofes rechtlich nicht zu halten ist.
Nach langer Beratung ist heute das Wahlprüfungsgericht beim Reichstag zu dem gleichen Ergebnis wie das Wahlprüfungsgericht
Urteile der beiden Wahlprüfungsgerichte mit dem Hinweis auf deren Zusammenlegung in Zweifel zu ziehen. Demgegenüber sei festgestellt, daß die Zusammenlegung in beiden Fällen für die Oppositionsparteien denkbar günstig war. Neben den beiden Berufsrichtern parteien denkbar günstig war. Neben den beiden Berufsrichtern im Reiche zwei Reichsgerich srate, in Preußen zwei Oberverwal tungsgerichtsräte wpirkten drei Abgeordnete als richterliche Beifizer mit, von denen zwei, also die Mehrheit, den Oppositionsparteien angehörten, je ein Deutschnationaler und ein Kommunist. Hätte also nur einer der Berufsrichter mit ihnen gestimmt, so würde das Urteil auf. Berfaffungswidrigkeit der Wahlgefeße/ gelautet haben.. Aber man wird gar nicht anzunehmen brauchen, daß etwa diese Bertreter der Oppositionsparteien einen anderen Standpunkt ein genommen haben, als die Berufsrichter. Die Beratung ist zwar geheim und das Ergebnis der Abstimmungen infolgedessen nicht bekannt. Gleichwohl wird man im Reiche wie in Breußen in der Annahnie wohl nicht fehlgehen, daß die von den Reichsbeauftragten für das Bahlverfahren bzw. für das Bahlverfahren bzw. in Preußen von dem Kommiffar bes preußischen Ministers des Innern bargelegten Rechtsgrünbe so einleuchtend waren, daß das Gericht einmütig zu feinem Spruche fam
Scharfe Pariser Parteitagsdebatten
Politit" und" 3dee".- Landesverteidigung und Koalition.
Paris , 25. Januar. ( Eigenbericht.)
Der außerordentliche Parteitag der französischen Sozialistischen Bartel hat am Sonnabend in Anwesenheit von über 1000 Delegierten und zahlreichen Vertretern aus dem Auslande sofort mit höchst temperamentvollen Debatten begonnen
Der Abgeordnete Ramadier brachte zu Beginn der Sigung eine Entschließung ein, in der er verlangte, daß, was auch immer auf dem Parteitag beschlossen werden würde, die Einigkeit der Bartei gesichert und unerschüttert bleiben müffe, zumal es fich im Grunde genommen
nur um rein taktische Diskussionen handele. Diese Entschließung gab dem Abgeordneten
Paul Boncour,
ben langjährigen Borfämpfer des Regierungseintritts der Sozia Liftischen Partei, Anlaß zu einer prinzipiellen Erklärung. Er wünsche, betonte Baul Boncour, vor allem darüber beruhigt zu sein, wie die regierungsfeindliche Mehrheit der Partei ihren heute mit mathematischer Sicherheit zu erwartenden Steg fünftig auszunuzen gebente. Es wäre eine Ratastrophe, nicht nur für die Bartet, sondern für die französische Republik und die dentotratische Idee in ganz Europa , wenn die französischen Sozialiften prinzipiell unb abfolut jede Mitarbeit an einer demofratifden Linksregierung ablehnten. Rücksicht auf die Barteleinheit bürfte nicht über alles gehen. So habe man sich auch in Tours von den Kommunisten trennen müssen. Benn heute die Bartel ihr demokratisch- sozialistisches Ideal aufgebe und mit den kommunisten Frieden zu machen(?) suche, dann werde er, Bon cour, seine volle Handlungsfreiheit wieder ergreifen. Niemals werde man ihn dazu zwingen fönnen, einen Entschluß an zunehmen, den er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren fönne. So z. B. werde er es nicht hinnehmen, daß die Partei das Prinzip ber nationalen Berteidigung ablehne unter dem Borwand einer inneren Stärtung ihrer Idee".
Generalsekretär Paul Faure protestierte gegen die Ausführungen Boncours und erklärte, daß die Sozialistische Partei es nicht nötig habe, ihr 3deal bei anderen zu suchen. Sie sei und bleibe die Bartei bes Kampfes gegen den Kapitalismus, sie sei und bleibe Geg nerin von Mosfau und beabsichtige feineswegs, elnen Schritt nur in Richtung nach den Kommunisten zu tun. Allerdings sei eine innere Aufraffung notwendig; denn man habe in der letzten Zeit das Parteiideal manchmal zu sehr übersehen und manchmal 3uDiel Boliti! getrieben. Gewiß würden die Sostaliften das Vaterland gegen einen Angriff von außen her verteidigen, aber fie tönnten und dürften es nicht zulaffen, daß die ganze Biffenfchaft, her ganze Fortschritt in den Dienst des Krieges gestellt würde und bas Militär budget alle finanziellen Kräfte des Landes zum
Nachteil der notwendigsten Sozial reform verschlinge. Es sei Sozialreform alle höchft bedauerlich, daß Baul Boncour mit einer„ Gewissens frage", wie er es nenne, Verwirrung stifte und mit einer Spaltung drohe, für die kein Grund und kein Anlaß gegeben sei.
Der Abgeordnete
Renaudel,
seinerseits betonte, daß seine Ansichten über die nationale Berteidigung teineswegs diefelben felen wie die Faures. Die Sozialisten hätten an der Heeresreform und an der Organisation der Grenzverteidigung höchst attiv mitgewirkt, sie hätten damals das Heer und seine neue Ausgestaltung gegen die Kommunisten ver. teidigen müssen. Sle tönnten und dürften sich heute nicht desavouieren. Im übrigen, erklärte Renaudel, verlange er, daß ber Minderheit in der Partei, die seit dem Parteitag von Ranch nicht mehr im Vorstand vertreten sei, ihr Recht zuteil werbe. Sie habe sich niemals ihren Pflichten zu entziehen versucht, fie fönne dafür aber auch beanspruchen. daß man von der Bartel leitung aus über ihre Forderungen nicht pollkommen bis. tuffionslos zur Tagesordnung übergehe
Die Nachmittagsfitzung.
ordentlichen fozialistischen Parteitages war der allgemeine Eindrud, Zu Beginn der heutigen Nachmittags figung des außer. den die Debaite der Bormittagsligung hinterlassen hat, der, daß der Kampf um die Regierungsbeteiligung nicht mehr im Mittelpunkt steht, da diese Frage auf Grund der Ergebnisse der Abftimmungen in den einzelnen Bezirksvereinigungen bereits als perneint angefehen werden kann. Die Anhänger der Beteiligung haben vielmehr, um die Einheit der Partei aufrechtzuerhalten, die Frage ihrer
Teilnahme an der Parteileitung in den Bordergrund gestellt. Der erste Redner war der Abgeordnete Compère- Morel, der den Standpunkt vertrat, daß die Partei sich ihre Handlungs freiheit für die Zukunft vorbehalten müsse, während der Abgeordnete von Lille , Salengro, den Standpunkt der Anhänger der Regierungsbeteiligung verteidigte. Einer der Weltesten der Partei, Grouffier, trat ebenfalls für die Beteiligung ein.
Auf seine Ausführungen antwortete der Abgeordnete Léon Blum mit einer Zwischenbemerfung. Er erklärte, er nehme unter ge wissen Bedingungen die Beteiligung an. Voraus jebung jei aber, daß der Ministerpräsident, selbst wenn er eine Minderheit innerhalb des Rabinetts vertrete, ein Sozialist fei.
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Maffenmörder.
Wer trägt schuld am vergoffenen Blut?
Ein Redakteur der ,, Roten Fahne" stand gestern vor Ge richt, weil er den Polizeipräsidenten einen Massen. mörder" und einen Arbeiterschlächter" genannt hatte. Das Uriell lautete auf 600 Mt. Geldstrafe. Der Staatsanwalt hatte 1000 Mt. beantragt.
Es trifft sich gut, daß die ,, Rote Fahne" am Morgen dess felben Tages einen Auffaz der Moskauer „ Prawda" wieder gegeben hatte, in dem zu leſen ſtand, daß neben der Herrschaft sten Zeiten Bismards und des Sozialistengesetzes vers Der Severing, Grzesinski und Börgiebel die schlimm blaßten. Die Zustände in Deutschland ähnelten jetzt denen des zar stischen Rußland in der Reit der Darnowo, Trepom und Chwosto w.
Wir wissen nicht, was es damals gekostet hätte, wenn man in einer ruffischen Zeitung den Polizeipräsidenten von Beters doch eine gewisse Borstellung davon. was heute passieren burg einen Arbeiter'chlächter genannt hätte. Aber wir haben würde, wenn jemand in Rußland die führenden Männer der GPU. , der Sowjetnolizet, als Massenmörder bezeichnen wollte. Daß so etwas in Rußland gedruckt werden tönnte, ist sowieso ausgeschlossen, höchstens fönnte es hettographiert ver breitet werden. Und wenn man dann auch nur einen der Berbreiter erwischte, vom Verfasser gar nicht zu reden- lejen. baß wieder einmal ein Weißgardist und Berräter an so würde man e.n paar Tage später in der Roten Fahne" der Sowjetmacht sein verdientes Schicksal gefunden hätte... In Deutschland , über dessen unfreie Zustände das Hauptorgan der uns offiziell,.befreundeten Sowietmacht Krofod Istraten vergießt, macht man so etwas mit 600 Mt. Geldstrafe ab. Ja, für gewöhnlich fostet es überhaupt nichts. Unzählige Sozialdemokraten, die von der Roten Fahne" in den wüstesten Ausdrücken beschimpft, in der infamsten Weise perleumdet wurden, sind daran in stillschweigender Berachs tung vorbeigegangen.
,.Deutschland , das freieste Land der Welt" jeber Kaffeehausliterat macht über dieses Wort seine Wize. Trotzdem ist es richtig. Der fünftige Historiker wird das erkennen. menn er aus alten Zeitungsbänden feststellen wird, was alles in Deutschland von 1918 bis 1930 ungestraft und unverboten gedruckt werden konnte.
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Schließlich muß aber auch das feine Grenzen haben. Sie liegen dort, wo eine Gefahr für Leib und Leben unschuldiger Menschen besteht. Der Polizeipräsident von Berlin hat im Dorigen Jahre Straßendemonstrationen verbieten müssen, weil Kommunisten und Nationalsozialisten die Straße zum nisten haben damals ihre Anhänger aufgefordert, das Verbot Schlachtfeld für ihre Prügeleien machten. Die Kommu gewaltsam zu durchbrechen und haben damit bewußt und absichtlich den Tod vieler Menschen herbeigeführt.
Die Meinungsfreiheit", die die Kommunisten damals genossen, da sie ungehindert zur Durchbrechung des Verbotes auffordern und damit Menschen in den Tod heßen fonnten, ging allerdings schon über das Maß des Verständ lichen meit hinaus. Und es ist nur eine Konsequenz dieser Meinungsfreiheit", wenn sie heute gegen Erstattung einer Gebühr von 600 Mt. den Polizeipräsidenten des Mordes beschuldigen dürfen, den sie selber verschuldet haben.
Dabei wollen wir feineswegs übersehen, daß die von der Bolizei ergriffenen Berteidigungsmaßnahmen stellenweise über das Ziel geschossen und Unschuldige getroffen haben mögen. Deswegen ist doch das ganze Unglüd selbst von den Kommunisten planmäßig herbeigeführt worden, und darum waren alle von der Verteidigung angebotenen Wahrheitsbeweife" belanglos.
Wahrheit ist, daß die Kommunisten die Maikämpfe ange zettelt haben und daß fie an dem damals vergoffenen Blut die Schuld tragen. Für diese Schuld haben sie strafrechtlich in teiner Weise gebüßt; ja, sie dürfen sich heute noch die Frech heit erlauben, wegen jener Vorgänge die Sozialdemokratie zu Derleumden und zu beschimpfen.
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Man fann also wirklich nicht behaupten, daß die deut schen Kommunisten in ihrer Meinungsfreiheit beschränkt sind. Und auch die Demonstrierfreiheit fönnten sie alle Tage wieder haben, wenn sie nur darauf verzichten wollten, politisch Andersdenkende zu überfallen und zu prügeln. Aber ihnen fommt es ja weder auf Meinungsfreiheit noch auf Demonstrierfreiheit, noch auf sonst eine Freiheit an, die sie ja fofort bis auf den letzten Reft vernichten würden, wenn sie einmal an die Macht fämen. Alles Gerede von angeblich verlegter Freiheit ist in ihrem Munde nur Lüge und Berstellung, nur Mittel, den Bürgerkrieg porzubereiten. Zu diesem 3med mißbrauchen fie auch den Namen des Sozialismus.
Man verweist, wenn die Rede auf dieses Thema fommt, gern auf Rußland und die Mißerfolge bolichemistischer Wirtschaftspolitit. Dabei verfügt die ruffische Bolichemistenpartei immer noch über eine Art von geschulten Wirtschaftern