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bininstad

. 43- 47. 31. Beilage des Vorwärts

Bein

alimentenrichter

Sonntag. 26. Januar 1930

Man muß einen Alimententag auf einem Berliner Amis gericht erlebt haben. Jeden Tag stehen so 30-40 alle auf Der Tagesordnung, zweimal in der Woche ist Sigung, und so fommen im Bezirk des Amtsgerichts Charlottenburg allein ungefähr 800 Urteile im Jahr zusammen, eine in Anbetracht der Fülle des Materials wirklich erfreulich niedrige Zahl Daß gerade Char­ lottenburg   hier so ein erfreuliches Beispiel gibt, liegt aber zum größten Teil daran, daß hier jahraus, jahrein derselbe alte Herr Amtsgerichtsrat die Alimentensachen hat; der tennt seine Pappen­heimer und weiß, wie er sie zu behandeln und was er von ihnen zu halten hat. Und alle sind sie dann baß erstaunt und entrüstet, wenn sich der Richter von ihrer Verurteilung eine viel bessere und schnellere Wirkung verspricht, als von allen Medikamenten. Ebenso ist die Geschichte mit dem plöglich verlorenem Nebenverdienst". Es gibt eine merkwürdige Menge Arbeitgeber, bei denen immer mit der Zustellung der Alimentationstlage Arbeitsmangel" ein tritt, und manche fühlen da Mann ist Mann jogar jo folida risch, daß sie dem Angestellten seine Entlassung wegen Arbeits­mangel bescheinigen, und wenn es mitten in der Hauptsaison ist. Man kann ihn ja acht Tage nach dem Urteil wieder einstellen.

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Nun foll aber wahrlich nicht behauptet werden, daß die wert­geschäßte Gegenseite durchweg aus weißgewaschenen Unschuldsengeln besteht. Aber unsere Geseze geben dem alimentenflüchtigen Bater oder Ehemann ohnehin so viele Vorteile, daß es wirklich gut ist, menn menigstens auf feiten des Richters die männliche Solidarität nicht allzu deutlich durchscheint. Und noch eines: Gerade bei den 2ffimentationsprozessen kann der Richter, der es sich nicht gar zu bequem macht, nicht gar zu urteilsfreudig ist, unendliches Unheil verhüten. Denn in fait feiner Klagefache werden so oft und fo leichtfertig meineide geschmoren, wie in Alimentationsprozessen. Das gilt schon für die Klagen zwischen geschiedenen Eheleuten; och viel mehr graffiert die Meineidseuche aber in den Unterhalts prozessen, die gegen den unehelichen Vater des Kindes vom Bor­mund angestrengt werden. Dann sind da die besonders auf dem Lande beliebten Vaterschaftsversicherungen auf Gegen feitigkeit", bei der sich ein Kreis intimer Freunde immer gegenseitig die Baterschaft wegschwört und mag das arme Mädel seinem Schah noch so treu gewesen sein. Das ist zweifellos eine große Benachteiligung des unehelichen Kindes: daß bei dem Nachweis, daß die Mutter während der Empfängniszeit mit mehreren männlichen Personen" geschlechtlichen Berkehr gehabt hat, das Rind gegen teinen dieser vermutlichen Bäter einen Unterhalts­anfpruch hat. En Biertel bis ein Drittel aller Unterhaltsflagen gehen gegen solche mehr oder minder unfreiwilligen Bäter, die oft genug die Klage von Termin zu Termin verschleppen, und wer das erite Dugend dieser Klagen mit angehört hat, der weiß, was her ein Richter mert ist, der nicht einfach drauf los schwören läßt, fondern möglichst einen Bergleich oder eine gutwillige" Anerken­mung des Unterhaltsanspruchs herauszubekommen versucht. Und er versteht den refignierten Blid an die Dede, mit dem der alte Herr Amtsgerichtsrat schließlich, wenn gar nichts mehr hilft, seine Eides belehrung vom Stapel läßt:... und wer einen Meineid schwört, begeht nicht nur eine große Sünde, sondern setzt sich auch schweren gefeßlichen Strafen aus.

Bon früh bis mittag.

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Schade, schade, daß diese Alimentenfizungen" wie das Blüm­lein find, das im Verborgenen blühet; aber vielleicht ist es auch ganz gut so, denn der ohnehin nicht große Saal ist meist schon von Parteien und Zeugen überfüllt; zuerst, so um neun Uhr, tommen die feinen Beute Die Herren Anwälte haben es immer gern, wenn fie möglichst früh hier fertig sind. Nachher tommen eine Reihe von Fällen, bei denen auf der Seite des Klägers immer derselbe Herr steht: Das ist der Berufsvormund, der da für seinen Schüßling flagt Manchmal hat der Vormund Glück und der Beklagte erkennt die Baterschaft ohne weiteres an; gewöhnlich aber tommt er mit der Einrede, daß er fchon weiß, einen Teilhaber gehabt zu haben"; cr fönne bloß noch nicht die Adresse genau angeben und dann gibt's eine Bertagung, Anberaumung eines Bemeistermins und Ladung der Mündelmutter" und des Pluriums" als Zeugen. Man glaubt gar nicht, wie weit sich der vorzügliche Ruf der Berliner   Ent­bindungsanstalten herumgesprochen hat. Und während die Mündel­mutter schon längst nach Stolp   oder Kreuz oder sonst wohin in die Provinz zurückgekehrt ist, muß nun der Berliner   Amtsvormund die lage thres Jungen durchfechten. Manchmal tann es aber auch hier anders fommen: Da tritt bei Ramensaufruf eine nette junge Frau vor den Richter, die einen biden, pergnügten Bummel auf dem Arm hat Nanu? Mas is denn das, da tommt wohl der Kläger  persönlich? fchmunzelt der alte Amtsgerichtsrat. Und wirklich, er ni's! Aber er will gar nicht mehr flägen und er hat auch nichts zu flagen, benn feine Eltern haben schon vor drei Wochen geheiratet und mur vergessen, bem Herrn Berufsvormund davon Nachricht zu geben, und bafür hat nun ber Kläger   persönlich und die Mutter die Fahrt aus dem tiefsten Bommern   nach Berlin   gemacht. um zu be­funden, daß fie beide absolut nid: ts zu flagen haben. es tot fih in Wohlgefallen, und die junge Frau nimmt puterrot und ftrahlend die Glüdwünsche des Herrn Amtsgerichtsrats entgegen.

Anderen wird es nicht fo gut: Da steht eine magere, abge härmte, junge Frau vor dem Richter. Immer wieder hängt sich

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ein kleiner, blasfer Junge von ungefähr drei Jahren an ihre Röde. Sie hat versucht, mit einem Vollstreckungsbefehl jetzt von dem un­ehelichen Bater des Kindes die Entbindungskosten einzutreiben und. er hat natürlich Einspruch erhoben. Jetzt ergeht gegen ihn ein Verfäumni surteil, und wenn sie viel Glück hat, tann sie vielleicht nach über drei Jahren zu ihrem Gelde kommen. Da wendet sie sich zurück: Was kann ich denn machen, der Vater hat doch auch für das Kind schon zwei Jahre nichts gezahlt.." Der junge Assessor, der heute den alten Amtsgerichtsrat vertritt, belehrt sie, daß dann eben der Vormund gegen ihn vorgehen müsse; resigniert zuckt sie die Achseln: Ach, der tut ja doch nichts...." Ja, die Amtsvor mundschaft hat doch ihre guten Seiten; das ist hier kein Amtsvor­mund, und er scheint der Beschwerde mit vieler Ruhe entgegenzu­werde mit vie sehen!

Danach klagt eine Ehefrau gegen ihren geschiedenen Mann; sie ist nicht selbst erschienen, sie hatte ja einen Rechtsanwalt und glaubte mohl ihre Sache in den besten Händen. Aber statt des Anmolts erscheint, mit Untervollmacht" eine junge Dame, anscheinend seine Stenotypistin Stenotypistin- ein gefundenes Fressen für den beklagten Ehemann. Denn das ist ein gewandter und gerissener Geschäfts­mann, der weiß, wie man solche Dinge schaufelt. Er bestreitet eine Zahlungsverpflichtung nicht, er will nur erst dann zahlen, wenn er zureichenden Berdienst hat". Angeblich hat er im abgelaufenen Jahr keinen, absolut feinen Berdienst gehabt. Merkwürd gerweise hat er aber trotzdem weder Arbeitslosen, noch Notstandsunter­stützung, noch wenigstens das Armenrecht beantragt. Auf langes Bureden erflärt er sich schließlich bereit, ab 15. Januar Alimente in Höhe von 15 M. möchentlich zu zahlen. Für die vergangene 3 it will er erft gar nichts, schließlich ab 15. Dezember doch Alimente in derselben Höhe zahlen, wenn er sie mit 3 M. wöchentlich abstottern tani. Ueber die Höhe seines Einkommens wird nicht diskutiert, die Bertreterin der Klägerin geht auf alle seine Vorschläge ein; und auf seinen immer wiederholten Einwand, er könne nicht zahlen, auch wenn er wolle, bekommt er schließlich von dem jungen Richter die Rechtsbelehrung, es handele sich ja jetzt nur um Feststellung der Ansprüche der Klägerin, ob er sie nachher erfülle, sei eine andere Sache; es gäbe da ja noch so viel Einwände und Möglichkeiten Ach, dieser smarte Herr hatte diese Rechtsbelehrung wahrhaftig nicht

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nötig! Beurstigt verziehen sich seine Lippen: Bei diesem Richter wäre es schließlich gar nicht nötig gewesen, Armutstoilette zu machen und sich den alten Mantel anzuziehen( daß unter dem alten Mantel ein paar sehr gepflegter Hofenbeine hervorgucken, die ihren Schneider loben, das sieht man ja vom Richtertisch aus nicht!). Der Vergleich kann binnen acht Tagen widerrufen werden, wenn die Klientin wüßte, wie er zustandegekommen ist....

Die nächsten Parteien sind andere Kaliber: Hier bleibt einer dem anderen nichts schuldig. Sie hat eine Zeugin laden lassen, aber die wohnt jetzt mit dem geschiedenen Ehemann zusammen und schwört, was verlangt wird: Nie hat sie von ihm Geld oder Ge­schenke bekommen, außer einem Hund und zehn Mark zu Weih­nachten! Und er habe noch viel weniger Einkommen, denn komi­scherweise ist gerade vor fünf Tagen bei seinem Arbeitgeber Arbeits­mangel ausgebrochen, trotzdem sonst doch alle Friseure Hochsa son haben. Aber in ihrem guten Willen geht die Zeugin zu weit, play­lich fängt sie an, sich ausführlich über die moralischen Qualifikationen der Klägerin zu verbreiten, eine Zuhörerin mischt sich ein, und es droht sich eine wahre Amazonenschlacht zu entwickeln, da greift der Richter ein und wie eine falte Dusche beruhigt sein: Die Zeugin bleibt unvereidigt" die erregten Gemüter. Ja, blinder Eifer schadet

nur.

So schlimm kommt es ja nun nicht immer; aber um die Wahr­heit zu sagen, auch die Parteien, die sich mit falscher Bornehmhelt drapieren, wirken um nichts sympathischer, und sie bieten durchaus fein erfreuliches Schauspiel für einen Menschenfreund. Gewiß ist die Frau meist die materiell Schwächere und man wird ihr darum gern jeden Schuß zubilligen Aber in der Wahrnehmung ihrer Rechte ist sie oftmals nicht weniger rücksichtslos als der Mann, man fann am Alimententag auch Fälle erleben, die Weininger und Strindberg begeistert als Beweis ihrer Anschauungen proklamiert. hätten. In der Mehrzahl bleibt die Sache unentschieden vor der höheren Gerechtigkeit. Es sträubt sich irgend was in uns, diese Menschen abzuurteilen, denn von dem kleinen Mädchen an, das sich aus der Zahl der möglichen Väter den wohlhabendsten herausfucht, bis zu dem Ehemann, der sich vor der Versorgung von Frau und Kindern drücken will( weil er von der Frau nischt mehr hat). find sie ja nichts anderes, als die Produkte traurigster Berhältnisse.

Das Stettiner Straßenbahnunglück

Noch zwei Personen gestorben, insgesamt 5 Tote.

Steffin, 25. Januar.

Nach den bisherigen polizeilichen Feststellungen sind bei dem furchtbaren Straßenbahnunglüd, das sich hier am Sonnabend früh zufrug, insgesamt fünf Menschenleben zu beklagen. Während zwei Personen sofort tot waren, verstarben drei weitere bald darauf im Krankenhaus. Außer diesen fünf Todesopfern for­derte das Unglücd noch 21 Verlehte, bei denen es sich zum größten Teil um Frauen handelt. Nach dem Unglück wurde sofort die Feuer­wehr benachrichtigt, die den Wagen heben mußte. Die Verletzten fanden in einer Gastwirtschaft erste Aufnahme. Sämtliche Kranken­wagen der Feuerwehr waren zur Stelle. Die Toten, die schwer ver­ftümmelt waren und wahrscheinlich zwischen Wagen und Hauswand erdrückt worden sind, wurden nach der Leichenhalle befördert. Die Straße war mit Glasspliffern übersät.

Nach Mitteilungen des sofort vernommenen Führers des Bagens waren beide Wagen, namentlich der Anhänger, nicht nur im Innern, sondern auch auf der Plattform start besetzt. Die

bald in Paris   eintreffen, um sich im einzelnen über die Betrüger­gruppe zu unterrichten, der außer Nataschatir und Nemirowski nocy ein 37jähriger Ruffe Kirsnir und eine 35jährige Polin Chaj freson angehören.

Tragödie der Einfamen.

Bersuchter Selbstmord einer Greifin und ihres Sohnes.

Mit schweren Bergiftungserscheinungen wurden am Sonnabend in ihrer Wohnung in der Sächsischen Straße 72 die 68 Jahre alte Frau Anna Caboschin und ihr 29 Jahre alter Sohn, Dr. Hans Caboschin, aufgefunden. Da beide noch Lebens­zeichen von sich gaben, so brachte man sie nach dem Achenbach­Krankenhaus. Sie hatten Veronal und Morphium in größeren Mengen zu sich genommen. Was Mutter und Sohn, die seit Jahren ein Einsiedlerleben führten, zu dem Selbstmordversuch ver­

Das letzte Mittel.

Reichsbahndirektion Stettin entsandte zwei Sachverständige, die feft- anlaßt hat, ließ sich bisher nicht feststellen. stellten, daß die Anlage der Kurve, an der die Entgleisung ge­chah, durchaus sachgemäß erfolgt ist und daß auch die Schienen fich in einem einwandfreien Zustand befinden. Das Unglüd wird Es wird Aufgabe der Strafverfolgungsbehörden sein, festzustellen, aber trotzdem auf technische Mängel besonderer Art zurückgeführt. ob menschliches Verschulden in Betracht kommt.

Großbetrüger in Paris   verhaftet.

Ueber eine Million Mart in Deutschland   veruntreut.

Die Polizei hat fürzlich in einem Hotel den 40 Jahre alten aus Riga   gebürtigen sa at Rataschatir verhaftet, der von der Polizei mehrerer Länder, darunter auch der deutschen   Poli-| zei, gesucht wird. Bei dem Berhör hat, wie die Agence Havas berichtet, Nataschatir der französischen   Bolizei zugegeben, daß er die ihm in Deutschland   zur Last gelegten Betrügerelen in Höhe von über einer Million Mark verübt hat. Die deutschen   Behörden haben auf diplomatischem Wege die Auslieferung Nataschatirs sowie feines Helfershelfers Nemiromifi beantragt. Die Auslieferung Nataschatirs wird erfolgen, wenn er sich wegen der ihm hier zur Laft gelegten Bergehen verantwortet haben wird. Nach einer Agentur- Meldung merden deutsche Kriminalbeamte als

Die Verzweiflungstat eines Erfinders.

Der Raubüberfall in der AEG., bei dem der langjährige. Angestellte des Betriebes H. am 19. Dezember v. 3. versuchte, fich unter Bottäuschung einer Explosion im Zahlraum Cohn­gelder anzueignen, beschäftigte das Schöffengericht Berlin­Mitte.

Der Angeflagte, der sich wegen verfuchten Raubes zu verantworten hatte, mar seit 10 Jahren technischer An­gestellter ber AEG. und hatte in letzter Zeit als Betriebs­falfulator gearbeitet. Neben diefer Beschäftigung arbeitete er an einigen Erfindungen, durch deren Patentierung ar hoffte, bald be­ruflich weiter zu tommen. In dem Werkstattschuppen eines Esen bahngeländes montierte er feine Modelle. Die Schwierigkeit seiner Arbeit bestand für ihn in der Beschaffung der Gelder, die er zur Verwirklichung seiner Patente brauchte. Vor einigen Jahren hatte er sich an die Direktion der AEG. gewandt, die um seine Brivat­arbeit wußte, und von ihr einen größeren Vorschuß erhalten, den er aber mieber abzahlen mußte. Lange Zeit hindurch wurde er durch einen befreundeten Bantier finanziert und sein Unglüd war, daß dieser Freund im legten Herbst Ronkurs anmelden mußte. Das