L Beilage zum„Vorwärts" Berliner Volfsblatt. Kr. 61. Donnerstag, den 13. Marz 1896. 13. Jahrg. Neichskas. b/. Sitzung vom 11. März 1896, 1 Uhr. Am Tische des Bundesraths: v. B ö t t i ch e r. Eingegangen ist der Erlaß des Reichskanzlers, betreffend die Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien. Die zweite Berathung der Novelle zur Gewerbe- Ordnung wird forlgesetzt beim Art. 9. welcher den Z 44a der Gewerbe-Ordnung aufrecht erhält, wonach für die Detailreisenden Legilimationskarten erforderlich sind, die unter gewissen Umständen versagt oder entzogen werden können. Abg. Vogthcrr(Soz.) beantragt, den§ 44a ganz zu streichen, denn er verfehlt vollständig, was er gegenüber den Handlungs- reisenden bezweckt. Die Legitimationskarten werden zum großen Tbeil überhaupt nicht gelöst. Der Z 44a ist 1883 erst in dritter Lesung wiederhergestellt worden, obgleich die betheiligten Kreise der Kaufmannschaft, namentlich auch die Aeltesten der Kaufmann- scbast in Berlin sich in einem energischen Protest gegen die Be- stimmung aussprachen. Auch die Motive bezeichneten die Legilimationskarten nicht als eine aus dem Betriebe sich ergebende Nolhwendigkeit. sondern lediglich als eine steuergesetzliche Nothwendigkeit, um die Handlungsreisenden von den steuerpflichtigen Hausirern und Gewerbetreibenden gesondert zu halten. Da könnte man doch einfach die Hauflrer mit steuergewerblichen Legitimations» Karten versehen! Herr von Köller, der damalige Abgeordnete, hat den Vergleich dieser Legitimationskarten mit den Jagdscheinen ge- wagt, ein Vergleich, der selbstverständlich wie die ganze Köller'sche Politik hinkt. Das Schwergewicht liegt aber vor allem in der Pflicht, abgesehen davon, daß sie zum größten Theil nicht erfüllt wird, sich eine Legitimalionskarte zu lösen und in der Möglichkeit der Versagung. Der Kaufmann ist in poli- tischen Dingen wenig zur Opposition geneigt und wenig dazu angethan, sich energisch und agitatorisch gegen solche Zumuthungen zu wenden, daher hat er sich mit dieser Be- stimmung in den 13 Jadren ihres Bestehens wenig beschäftigt. Die Versagung kann erfolgen, wenn der Nachsuchende mit einer austeckenden Krankheit behaftet oder in erschreckender Weise ent- stellt ist. Ganz von selbst wird schon kein Kaufmann einen solchen Reisenden anstellen. Polizeibeamten können möglicher- weise im Sinne der Antisemiten schon eine krumme Nase als erschreckende Entstellung ansehen. Das ist also sehr dehnbar. Daß jemand, der mit einer Woche Haft bestraft ist, nun noch mit einer fünfjährigen Karenzzeit soll bestraft werden können, für welche ihm die Karte versagt werden kann, ist außerordentlich hart. Diese Berücksichtigung von Vorstrafen muß durchaus bekämpft werden; das heißt nur die Kaufmann- schaft unter Polizei-Aufsichl stellen. Die Ertheilnng der Karte ist dem Publikum gegenüber eine Art behördlicher Garantie für die moralische Tüchtigkeit und Unbescholtenheit und das Publikum glaubt nun, daß dte betreffenden Reisenden unter allen Umständen gut und tadelsohne sind. Eine Kontrolle wird so gut wie gar nicht ausgeübt. Ich weiß von mir bekannten Leuten, daß sie während der 12 bis 13 Jahre des Bestehens der Bestimmung nicht ein einziges Mal kontrollirt wurden. Sie wird, wenn überhaupt, nur von untergeordneten, unintelligenten Unterbeamten, von Gendarmen und dergleichen ehreuwerthen Personen, die ohne hinreichende Gesetzeskenntniß, fast immer ohne Kenntniß der Zustände im Handelsgewerbe sind, ausgeübt, und mit dieser Kontrolle ist dann immer eine Reihe von Chikanen verbunden. Auch die Borschrist, daß die Karte inimer eine nähere Bezeichnung des Gewerbes führen soll, ist schwer zu erfüllen. Hiergegen habe» sich 1883 auch die National- liberalen ausgesprochen; trotzdem glaube ich kaum, daß sie konsequenter, reise heute für die Aufhebung stimmen werden. Der Paragraph trifft die Geschäftsinhaber weit weniger als die Angestellten. In der sozialen Gesetzgebung der letzten Jahre sind die Handlungsgehilfen arg vernach- lässigt und dazu kommt noch die schwere Last des§ 44n. Die Konzessionspflichtigkeit, die hier statuirt wird, widerspricht dem ganzen kaufmännischen Betriebe; sie giebt der Polizei das Recht, ihre Nase auch»och in dieses Gebiet zu stecken, von dem sie so gut wie garnichts versteht. Ich hoffe, daß Sie durch An- „ahme meines Antrages auch einmal eine Verbesserung in die Novelle bringen werden. Der Antrag Vogtherr wird daraus abgelehnt und Artikel 9 genehmigt, ebenso ohne Debatte Artikel 10, wonach die Untersagnng des Gewerbebetriebes des Detailreisenden nach Jahres- srist zurückgenommen werden kann. Nach Artikel II der Vorlage sollen vom Feilbieten im Um- herziehen ausgeschlossen werden, außer den bereits jetzt in§ 56 der Gewerbe-Ordnung aufgezählten 9 Kategorien: 10. Bäume aller Art, Sträncher, Sämereien und Blumenzwiebeln, Schnitt- und Wurzelreben und Futtermittel; II. Schmucksachen, Bijouterien, Brillen und optische Instrumente. Ferner sollen Druckschriften vom Feilbieten im Umher- ziehe» ausgeschlossen sein, nicht blos insofern sie in sittlicher oder religiöser Beziehung Aergerniß zu geben geeignet sind oder wenn sie mittels Zusicherung von Prämien oder Gewinnen vertrieben werden, sonder» auch, wenn sie in Lieferungen erscheinen, wenn nicht die Zahl der Lieferunge» des Werkes und dessen Gesammipreis aus jeder einzelnen Lieferung an einer in die Augen fallenden Stelle bestimmt verzeichnet ist. Die Freisinnigen. Abg. Schmied er und Genossen, wollen den Theil des§ S6. der sich auf Druckschriften bezieht, überhaupt Die 91680. Galler und Genossen(südd. VolkSp.) wollen in der neuen Nummer 10 die Worte„Sämereien und Blumen- zwiebeln" streichen. Abg. Hitze(Z.) will statt der Worte„die Zahl der Lieferungen des Werkes und dessen Gesammtpreis" nur die Worte setzen:„der Gesammtpreis". Abg. v. Strombeck(Z) will die neu eingeführten Num- mern 10 und II streichen: für de» Fall der Ablehnung dieses Antrages will er in Artikel 12, der neben dem Bundesrath auch den Landesregierungen die Befugniß giebt, Ausnahmen zu machen in beziig auf Nr. 10, hinzufügen, daß auch Ausnahmen in bezug auf Nr. 11 gemacht werden dürfe». und zwar soll dabei folgende Bestimmung in§ 36 b der Gewerbe- Ordnung getroffen werden:„Von dieser Besugniß ist für die- lenigen Bezirke oder Ortschaften, bei deren Bewohnern infolge mangelnder anderweiter Erwerbsgelegenheit der Gewerbebetrieb im Umherziehen zur Zeit des Erlasses dieses Gesetzes hergebracht ist. Gebrauch zu macben. Jedoch bleiben diejenigen Personen, welche erst nach Erlaß dieses Gesetzes in solchen Bezirken oder Ortschaften Wohnsitz oder Auf- enthalt nehmen, den Borschriften des tz 56 Absatz 2 3lfTer 16 irnd 11 unterworfen. Schmucksachen und Bijouterien, welche lm Wege der Hausindustrie, durch Handarbeit hergestellt werden, dürfe» von den Herstellern und deren Angehörigen auch außer den Fällen des§ 59 im Umberzichen feilgeboten werden. Als Angehörige sind anzusehen: Verwandte und Verschwägerte m auf- und absteigender Linie, Adaptiv- und Pflege-Ellern und -Kinder. Ehegalten, Geschwister und deren Ehegatten, und Ver- '"�Die Abgg. Lenzmann und Weiß beantragen in Nr. 11 die Worte„Brillen und optische Instrumente zu streichen; Abg. Hahn beantragt in Nummer 10 die Topspflanzen einzu- fügen. Abg. v. Strombeck empfiehlt im Interesse seines Wahlkreises, des Eichsfeldes, seine Anträge. Durch die Vorlage werde der Mittel- stand nicht gefördert, sondern der Hausirerstand, der auch zu den Mittelständen gehöre, auf das schwerste geschädigt. Redner verweist darauf, daß ein katholischer Kalender vom Haustrbetricbe ausgeschlossen sei, weil er eine politische Kritik enthalten habe. Redner hält das nicht für richtig, denn nur bei sittlichem und religiösem Anstoß könne der Ausschluß erfolgen. Staatssekretär v. Bötticher: Nur Schriften, die sittliches und religöses Aergerniß erregen, sind von der Kolportage aus- geschlossen; erregen sie politisches Aergerniß. so können sie nicht verboten werden, es sei denn, daß sittliches und religiöses Aergerniß damit verknüpft ist. (Heiterkeit.) Abg. Galler(südd. Vp.): Ich möchte für die Hausirer ein Wort einlegen. Die Hausirer sind ebenso Geschästsleute wie die seßhaften Kaufleute. Sie kennen ihr Publikum, seine Bedürfnisse und seinen Geschmack. Sie haben sich durch schwere Arbeit ihre Kundschaft erworben und würden durch die Vorlage einfach brotlos gemacht. Diejenigen Parteien, welche sich als Beschützer des Mittelstandes bezeichnen, sollten sich doch erst besinnen, ob es recht ist, durch so lange Arbeit hergestellte Verhältnisse zu stören. Wenn wir die Gefetze prüfen darauf hin, wie sie sich eignen zum Kampf gegen die Sozialdemokratie, so müssen wir diese Vorlage ablehnen, welche tausende von Leuten in die Arme der Sozialdemokratie treibt. Deshalb bitte ich Sie, wenigstens unseren Antrag an- zunehmen. Geheimrath Conrad: Herr v. Strombeck meinte, daß die Klagen über den Hausirhandel mit Sämereien nur aus einzelnen Kreisen stammen. Das ist nicht der Fall. Aus allen Landes- rheilen sind die Klagen der Landwirthe über die Betrügereien der Hausirer laut geworden. Die Wünsche, daß es beim Alten bleiben möge, sind durchaus nicht allseitig laut geworden, sondern nur vom Hunsrück ; vom Eichsfelde und aus Württemberg sind Eingaben hierher gelangt, welche diesen Hausirhandel mit Sämereien aufrecht erhalten wollen. Solchen speziellen Wünschen können die Landesregierungen Rechnung tragen, soweit das kaufende Publikum ein Interesse daran hat. Besonders bedenklich ist auch der Hausirhandel mit Obstbäumen, die bei dem Umherfahren in Wind und Wetter selbstverständlich leiden müssen. Die Handelsgärtner haben sich besonders gegen diesen Hausirhandel ausgesprochen. Abg. Weiß(frs. Vp.): Das zuletzt Angeführte ist seihst- verständlich. Redner wendet sich gegen den Ausschluß von Brillen und optischen Instrumenten, der lediglich mit den Worte» begründet sei:„Desgleichen wird dem Interesse der Bevölkerung mit der Ausschließung von Brillen und optischen Instrumenten gedient sein." Die Hausirer haben i» dieser Be- ziehung alte Kundschaften und es kaufen sogar die staatlichen Lehranstalten von diesen regelmäßig verkehrenden Hausirern. Wenn die Hausirer optische Instrumente nicht mehr verkaufen dürfen, so werden die Bauern nicht in die Stadt gehen und von den seßhaften Geschäften kaufen, sondern nach den Katalogen der Versandgeschäfte. Die Hausirer verkaufen nicht blos Brillen, sondern auch Thermometer, Barometer, Fadenzähler. Lothe w. Abg. Hahn tritt für die Regierungsvorlage ein, namentlich auch in bezug auf die Brillen und optischen Instrumente zum Schutz des Publikums. Wir müssen unsere Handelsgärtnerei gegen die Konkurrenz schützen, damit die Landwirthe, welche sich auf den Obstbau u. s. w. legen, von unseren Gärtnereien gute keimfähige Sämereien und Pflanzen beziehen können, die auch für den betreffenden Boden passen. Das zu beurtheilen ist der Hausirer nicht im stände. Ministerialdirektor v. Wödtke hält den Antrag Hahn für unzweckmäßig; denn die Vorlage solle nicht in erster Linie dem Interesse der Produzenten, sondern den Interessen des Publikums dienen. 9Ibg. Munckel(frs. Vp.): Ich bin von tiefer Befriedigung erfüllt über die Erklärung des Herrn v. Bötticher wegen des Vertriebes der politische» Druckschriften. Seine Antwort war sehr richtig vom Standpunkt der bestehenden Gesetz- gebung; darüber war ich sehr befriedigt. Aber diese Befriedigung hörte sehr bald auf, denn Herr v. Bötticher meinte, daß politische Dinge, die zugleich sittlich anstößig sind, von der Kolportage ansgeschloffe» werden könnten. Konservative fromme Druckschriften werden unbehelligt bleiben, aber „sogenannte" konservative Druckschriften, in denen etwas Staatsgefährliches, Gemeingefährliches vorkommt, die werden schon nicht unbehelligt bleiben. Unter Herrn v. Stumm's Herrschaft werden alle sozialistisch angehauchten Dinge verdäch- rigt werden. Die Hausirer prüfte man bisher nur auf ihre Re- ligiösität und Sittlichkeit; an sie werden höhere sittliche und religiöse Anforderungen gestellt, als an die Verleger. Es kann manches verlegt und in Buchläden verkauft werden, was der Hau- strer nicht verkaufen darf. Was Religion und Sitte für den Hausirer ist, dafür haben die Polizeibehörden und namentlich die Bezirkshauptmannschaften in Sachsen ein sehr feines Gefühl! (Heiterkeit.) Ich will nicht die Polizei angreifen, schon um Herrn von Salisch nicht z» nahe zu treten.(Heilerkeil.) Aber irrige Anschauungen können vorkommen. Es giebt eine gewisse Prüderie, eine fehr große Empfindlichkeit in sittlicher Beziehung bei gewissen Personen, sobald es sich nicht um ihre eigene Person handelt. (Heiterkeit.) 1886 wurde die Verbreitung von Druckschriften über das Unglück in Bayern nicht gestattet, weil vielleicht dadurch die Sitte hätte verletzt werde» können. Eine Polizeibehörde hatte ans das Druckschriftenverzeichniß des Haustrers geschrieben: Die Preise sind für die hiesigen Verhältnisse zu theuer.(Heiterkeit.) Das war sehr richtig! Denn die Sittlichkeit der Einwohner hätte gefährdet werden können, wenn sie beim Ankauf von Schriften über ihren Etat hinausgegangen wären.(Heiterkeit.) Die Sittlichkeit sollte beurtheilt werbe» nach den Grundsätzen des Bürgerlichen Gesetzbuches . Da wird in jeder Kommissions- siützng behauptet, daß es gegen die Sittlichkeit verstoße, wenn ein Arbeitgeber seinen Arbeitern ein bestimmtes politisches Glaubcnsbekenntniß aufzwingt. Ich kann das nicht beurtheilen; aber vielleicht glaubt das ein Polizeibeamter und behandelt dann danach den Kolportagebuchhandel. Die Kolportage wird immer beurtheilt nach dem Schauer- roman. Ich nehme an, daß Niemand in diesem Hause einen Schanerronian gelesen hat, oder höchstens einen einzigen. Es wird also die höchste Unbefangenheit in diesem Saale herrschen. Diese Schauerromane, wie die Memoiren des Scharf- richters Krauts u. s. w., verstoßen gegen den gute» Geschmack, aber gegen die Sitte und Religion verstoßen sie nicht. Man muß sich nicht auf den exquisiten Standpunkt stellen, sondern auf den Geschmack des Volkes, für welches schließlich ein Schauer- roman noch besser ist als Wirthshausbesuch und Spiel. Das Druckschrislenregister wird von der Polizei geprüft und ge- stempelt, aber es schützt den Hausirer nicht, wenn vielleicht ein anstößiges Bück irrthümlich i" das Verzeichniß gekommen ist. Statt die Beschränkung der Drnckschriflen-Kolportage zu beseitige», bringt die Vorlage eine neue Erschwerung; es soll die Zahl der Lieierungen und der Gesammtpreis auf den einzelnen Lieferungen eines Werkes angegeben werden. Wie kann man denn genau wisse», z. B. bei einem Konversationslexikon, ob die Wissenschaft gerade mit dem sechzehnten Bande aufhören wird? Wir wollen Beschränkungen ausheben, die keinen vernünftigen Sinn mehr haben. Abg. v. WolSzlegier-Gilgenburg(Pole) erklärt sich ebenfalls gegen die Beschränkung der Kolportage. Abg. Tietz(Soz.): In München ist der Verkauf von „Caligula " von Q u i d d e im Umherziehen verboten worden und zwar erst, als von der Staatsanwaltschaft erklärt war, daß sie nichts enthalte, was zu beanstanden wäre.— Die Kolportage mit Schundromanen macht kaum den zehnten Theil von dem aus, was die Kolporteure unter das Publikum bringen. Es ist durch die Literatur, die durch den Kolportagehandel vertrieben wird, auch erheblich Gutes geleistet. Mißstände sind auf diesem Gebiet fast garnicht hervorgetreten, denn wir haben ja das Strafgesetzbuch, das mit dem Geiste erfüllt ist, der auch den Artikel 12 diktirt hat. Ich habe die in Berlin befindlichen Kolportage- Buchhandlungen besucht und mir ein Verzeichniß der dort vertriebenen Sachen anfertigen lassen. Aus diesem Verzeichniß geht hervor, daß alle Vorwürfe, die man dem Kolportage- Buchhandel gemacht hat, im wesentlichen un- begründet sind. Es haben sich vorgefunden an religiösen und Erdauungsschriften 79, an staatswiffenschaftlichen 36, Vorlage- werke für Künstler und Handwerker 58, Geschichte, Geographie und Naturwissenschasren 173, Kunst-, Gewerbe- und Sprach- Wissenschaften und Lexika zusammen 169, Prachtwerke, Unter- Haltungsliteratur, Klassiker 220. Dazu kommen noch die Reclam - schen Ausgaben mit über 300 Nummern u. s. w. Dagegen war die Romanliteratur nur mit 93 Nummern vertreten, gegen- über den 900, gegen die nichts einzuwenden ist. Es befindet sich u. a. unter diesen Druckwerke»: Marquardsen, Staatsrecht. Rintelen, Zivilprozeß u. s. w., also Herren, die hier im Reichstage sitzen, und zum Dank dafür will man die Kolportage- Buchhandlungen brotlos machen. Die Lieferungswerke können nickt anders als durch die Kol- portage unter das Publikum gebracht werden. Auch viele Sorlimententer haben schon angefangen, kolportiren zu lassen. Das würde diese Bestimmung unmöglich machen. Sie schädigen damit den Mittelstand, indem Sie eine ganze Reihe kleinerer und mittlerer Verleger verhindern, an der Produktion theil zu nehmen. 9Iuch auf die Schriftsteller, die eigentlichen Produzenten, ist Rücksicht zu nehmen, welche nicht nur auf Kommando der großen Firmen schreiben, sondern ihrer eigenen Meinung 9Ius- druck g eben wollen. Fast drei Viertel der gesammten Buchdrucker- presse wird aus Kolportage betrieben, diese Bestimmungen vernichten aber das loyale Geschäft. Herr Hitze will den Gesammtpreis des Werkes aus dem Umschlag der Lieferungen gedruckt sehen. Würde er als Verleger die Zahl der Lieferungen einer Gesetzessammlung feststellen können bei der eigenartigeil Fruchtbarkeit des Reichstages? Jetzt schon muß der Kolporteur der Polizeibehörde ein Verzeichniß seiner Artikel einreichen. Gerade die katholische Literatur wird aber vielfach am Rhein , in Baden die Kolportage ohne Gewerbeschein betrieben. Ich erhielt aus Bade» eine Postcinzahlung mit dem Vermerk: Ich bitte nochmals»», 500 von Ihre» schönen Kalendern, mit Gottes und des Herrn Pfarrers Hilfe werde ich sie verkaufen.(Heiter- keit.) Die Unterschrift war X, Y. Z.. Polizeidiener; der Mann hatte sich an die falsche Adresse gewandt, er wollte den Kalender„Maria Lourdis"; ein Kollege von mir wird sie ihm geschickt haben. So geht es in Zentrumskreisen zu. Ein religiöser Polizist wird dem Kolporteur Naturwissenschaft- liche Werke,«in sittlicher Polizist Goethe und Heine aus dem Verzeickniß streichen(Heiterkeit), ein sparsamer theure Schriften (Heiterkeit); auch ohne Angabe von Gründen. In Verden sollte eine Schrift exkludirt werden, weil aus dein Umschlag sittlich und religiös anstößige Schriften verzeichnet ständen. Das Ber- waltungsgericht verfügte auf die Beschwerde, für den Ausschluß einer Druckschrift von der Kolportage sei es keineswegs erforderlich, daß ihr Inhalt unsittlich oder irreligiös sei, es genüge, wenn aus dem Umschlage Druckschriften angepriesen werden, deren Titel in Verbindung mit der Person des Verfassers sittlich und religiös anstößig gefunden wird.(Hört! Hört! links.) Auf dem Unischlage dieses Buches hier stehen Anzeigen von Schriften über den Sozialismus lediglich mit Titel und Namen des Verfassers. Was hat das mit Unsittlichkeit und Irreligiosität zu thun? Leute, die ehrlick ihren Erwerb aufsuchen, werden so chikanirt; der§ 56 hat sich in den Händen der Polizisten zu einem wahren Grobe» Unfug- Paragraphen entwickelt(Sehr richtig!), den man aus der Gewerbe-Ordnung wieder heraus- bringen muß. Stimmen Sie für den Antrag Schmieder! (Beifall.) Abg. Payer(süddeutsche Vp.): Wenn die Herren nicht von vornherein für das Verbot des Hansirhandels mit Sämereien und Blumenzwiebeln gewesen waren, die heute gehörten Begründungen wären nicht geeignet, die Vorschrift zu begründen. Wenn jemand einen großen Wald ansorsten und mehrere Hektare bepflanzen will, dann wird er sich an eine Großhandlung wenden, welche mit einer Kontrollstalion verbunden ist. Aber diese großen Handlungen sind doch nicht die Konkurrenten der Hausirer. Der Hausirer ist der Abnehmer dieser Großhandlungen. Und worum handelt es sich denn? Die Frau wird für 10 Pf. Resedasame», die Tochter für 10 Pf. Levkoyensamen und der materialistisch gesinnte Vater wird sich für 10 Pf. Rettigsamen kaufen.(Heiterkeit.) Und da sollen die Leute sich erst an eine große Zentral- station wenden.(Große Heiterkeit.) An dieser Sorte von Handel haben die landwirthschaftlichen Vereine auch kein großes Interesse: das liegt auch garnicht in ihrer Aufgabe und sie würden einem solchen Verlangen entgegenhalten. daß sie nicht der Bundesrath find, welchem wir alle die Dinge zuweisen» welche wir selbst nicht fertig bringen wollen.(Heiterkeit.) Wegen eines solche» Konsums, der sich in der Höhe von Pfennigen de- wegt, begiebt man sich nicht in die Stadt. Daß die Landes- regierungen eine Ausnahme machen können, reicht nicht auS, denn die Leute, die ich im Auge habe, halten sich nicht blos in Württemberg auf, fondern gehen durch das ganze Reich. Diese Händler halten sich lediglich dadurch, daß sie seit Jahr- zehnte», ja durch verschiedene Generationen hindurch das Ver- trauen der Kundschaft genießen und weil sie die lokalen Be- dürfnisse berücksichtigen.(Sehr richtig! links.) Es wird auch manchmal vorkommen, daß ein Samen nicht aufgeht; aber die Sämereien der Kontrollstationen gehen auch nicht alle auf' (Heiterkeit.) Ist wirklich diese Beschränkung im Interesse der seßhaften Landwirthschast nothwendig? Wenn das nicht der Fall ist, dann haben ivir kein Recht überhaupt einzugreife». Badischer Gesandter Dr. v. Jagcmann: Im Bundesrath hat über diese Frage eine sehr geringe Meinungsverschiedenheit bestanden. Die badische Regierung nimmt einen großen Anlheil an dieser Bestinimung. Wenn es sich blos um Reseda- und Rettigsamen handeln würde, dann iväre die Bestimmung nicht nothwendig. Es Handell sich aber darum, landwirthschastliche Verbesserungen herbeizuführen, nach denen wir mil Staatshilfe und Genossenschaftshilfe strebe».(Lachen links.) Ich erinnere an den Wein- stock, der von der Phyloxera bedroht ist. Bäume, die einige Stunden unterwegs sind, laufe» Gefahr kaput zu gehen;(Heiterkeit), sie sind also kein Gegenstand des Hansirhandels. Für die Sämereien ist die Sacke noch viel wichtiger. Bäume und Srräucher kann man durch die Besichtigung vielleicht als branchbar oder unbrauchbar erkennen. Bei der Sämerei aber handelt es sich um eine Vertrauens. fache. Ich will den Hausirern nicht alle Zuverlässigkeit absprechen.
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