Donnerstag 30. Januar 1930
Unterhaltung und Wissen
Äeilage des Vorwärts
manswerg:„ZDer SZnwberberg
4t
Das Leben in den großen Sanatorien der oberen Zehntausend ist immer ein beliebter Romanstoff gewesen. Unter anderen hat auch Thomas Mann einen Roman geschrieben, der in jenem Milieu spielt. Er nent- ihn„Der Zauberberg ". Reiche Nichtstuer, d'e geistreich« Gespräche führen, verlebt« Damen, die sich aus Lange- weile in die Bergwelt von Davos zurückgezogen haben, um hier im Lungensanatorium pikantere Liebesabenteuer zu erleben, das ist der „Zauberberg ". Und das geht dich wenig anl Aber dies gehl dich an: Wohin gehst du einmal, wenn du ausgemergelt bist von der Fabrik, gebrochen von der Monoton!« des Büros, wenn deine Kasse dich verschickt, um deine geschwächte Arbeitskraft wiederherzustellen zu neuer Ausbeutung? Wie sieht dein Zauberberg aus, Prolet? Das Ilervenfanatorium. Im vornehmen Mllenviertel, draußen an der Grenze der großen Stadt, liegt es. Bon der Straße aus stehst du das traurige chaus, kahl, Fenster an Fenster mit bleichen Gesichtern, an vielen Stellen der Fassade ist schon der Putz abgebröckelt. 1894 steht irgendwo als Baujahr. Die Pforte hat sich hinter dir geschlossen. Im Wartezimmer hängt eingerahmt ein Gedicht:„Hab' Sonne im Herzen...!" Du denkst an das freudlose Leben-der letzten Jahre, das Einerlei der Arbeit, an häßliche, möbliert« Zimmer, kümmerliche Mahlzeiten, an den Tag, an dem es. nicht mehr weiterging. Und du lachst ent- weder bitter auf oder du fluchst. Je nach Temperament. Ein« hochnäsige, üppige Dam« nimmt deine Personalien aus. Du unter- schreibst die Hausordnung und dann schleppst du deinen Koffer auf dein künstiges Zimmer. Dein Zimmer auf Wochen: schmal mit dunkler, zersetzter Tapete, trübe fällt das Licht durch ungeputzte Fenster aus einen schmutzig- grauen Tisch. Dein' zukünftiger Zimmerkollege begrüßt dich wie einen alten Kameraden, und als er deinen hoffnungslosen Blick auf die kahle Waich sieht, sagt er:„Hab' Sonne im Herzen,,.!" Tag für Tag. Fünfzig Männer sind hier im Sanätorium. Alt« und jung«, Ar« bester, Angestellte, Proletarier. Jeder hat sein Schicksal, seine persän- liehen Sorgen draußen; hier sind wir alle gleich. Wir bekommen alle dasselbe schlecht« Essen , morgens, bei der Visite, werden wir vom Arzt mst derselben gleichmäßigen Frag« begrüßt:„Es geht doch�gvt: Zwei oder vier liegen immer auf einem Zimmer. Einen ge- meinsamen Aufentholtsraum gibt es nicht. Da ist zwar ein Rauch. zimmer mit Klubsesseln, ein Musikzimmer,«in großer Spielsaal; doch nur für die acht Patienten der 1. Klasse. Wir Kassenpatienten fahren 3. Klasse. Und wer es draußen noch nicht sah, muß es hier lernen: es gibt Klassen, und zu der untersten gehörst du! Und Tag für Tag dasselbe Einerlei. Frühmorgens um 7 Uhr .Fichtennadelbad. Manchmal bricht einer im morschen Lattenboden ein oder ein Duschenkopf löst sich und saust herab. Daran gewöhnt man sich. Wenn sich einmal je nand verletzt, wird es immer noch frü genug sein, die Schäden zu reparieren. Vorher ist kein Geld da. Frühstück: Wasserkakao und zwei Stullen mit'amerikanischem Schmalz und„Jagdwurst". Kurz nachher eilt der Arzt von Zimmer zu Zimmer. Man nennt das„Visite machen". Wenn du Wünsche oder Beschwerden vorbringen willst, ist er meistens schon wieder draußen. Manche meinen,«r könne sich doch nicht mit jedem unter- galten. Und sind zufrieden. i Mittags im gemeinsamen„Speisesaal". Dieser„Saal" ist viel zu klein für so viele Menschen. Schulter an Schulter sitzen wir da, manche auf Gartenstühlen, und nehmen unser Mittagsmahl ein. Das Essen ist reichlich, aber miserabel gekocht. Klingt das nicht gut: Gulasch mit gemischtem Gemüse? Aber— zähes Büchsen- fleisch und erfrorene Kartoffeln, das Gemüse schlecht durchgekocht. Es ist kein Scherz, die Erbsen heben wir auf und spielen Murmel damit. Nachmittags bringt man uns den„Kaffee" aufs Zimmer. Eine gelblich-weiße Brühe und zwei Schrippen mit Butter„be- pinselt". Abends gibt es irgend einen Mehlkleister oder Brat- karwffeln mit Sülz «, die nach Mottenpulver schmeckt. Und wieder haben die„Manchen", die Zufriedenen eine Entschuldigung. Nerven- kranke, sagen sie, dürfen gar nicht gut essen. Was würdet ihr an- stellen, wenn ihr auch noch kräftiges Essen bekämt? Jetzt im Früh- jähr dazu..... Tagsüber dürfen wir ausgehen. Wir bummeln durch die schönen Villenstraßen und freuen uns, daß es Menschen gibt, die komfortabejl wohnen, die es besser haben als wir. Wenn das manchmal auch aus unseren Gesprächen nicht hervorgeht. Wir schauen den kleinen Mädchen nach und machen uns nichts daraus, wem: sie die Nasen rümpfen über uns„Arbeiter". Wir sind ja so bescheiden geworden! Was wir sonst wn? Wir schlafen, wir spielen Karten, wir lesen. Da die Anstaltsbibliothek nur fromme Schwarten und süß- liche Liebesromane enthält, tauschen wir untereinander unsere Bücher aus. Alles wird verschlungen. Am begehrtesten sind neben Aben- teuerromanen moderne sozialistisch« Literatur, neben Jack London Sinclair, Gorki u. q. Eifrig wird darüber diskutiert und von den paar Knegsbüchern kommt der Schwejk am besten. weg. Vom Re- marque sind„unsere" Frontsoldaten wenig begeistert. Sie haben den Dreck mitgemacht und sind gegen den Krieg. Sie verlangen klare Stellungnahme.--- Abends um 9 Uhr wird das Licht ausgemacht... Die meisten gchen zu Bett. Und die, die nicht schlafen können, sitzen bei Kerzen- licht zusammen, spielen Karten und erzählen sich bis in die Nacht hinein. Manchmal wachst du nachts auf. Du hörst dumpfes Lausen und unterdrücktes Stöhnen.- Wieder hat einer, einer von den Srillen, seinen Anfall bekommen. Toben, Schreien— und dann Ruh«: Morphium! Morgen fährt das grüne Auto vor, zwei Wärter werden den Kameraden fortbringen— ins„fest« Haus". Kameraden- hier und draußen. Die Tage werden wärmer.' Wir sitzen abends nicht mehr in den dumpfen, verrauchten Puden Einige gehen im Garten spc- zieren, andere haben sich auf dem Balkon zusammengefunden. Einer spielt Ziehharmonika und.wjr singen dazu. Schwermütig« Lieder. dies»Iben, die man draußen i im Felde sang,—-auf der Straß« sind zwei Mädchen stehengeblieben. Weiße Kleider in der Dämmerung. »Wollt ihr nicht reinkommen?"„Nee, ihr müßt doch bald ins Beti. Singt man lieber noch was!" Lachend oerschwinbm die zwei-n
der Nacht.„Es ist zum Kotzen, daß man hier in dem Kasten sitzt, ich möchte jetzt lieber...." Ueber all« ist eine nachdenkliche Stimmung gekommen. Heute morgen ist„Großvater" von uns gegangen. Er war zwei Monate hier. Von der„Fürsorge". Ein alter Mann, mit weihen Haaren und zittrigen Händen. Vor dem Krieg« hatte er eine Malerwert- statt irgendwo in Alt-Berlin. Sein Sohn fiel fürs„Vaterland". Di« Frau starb im Winter 1917 an Grippe und Unterernährung. Das Letzte nahm ihm die Inflation. Jetzt ist er auf die Wohlfahrt angewiesen. Er hatte sich im Sanatorium von dem furchtbaren Winter etwas erholt. Wir hatten ihn alle sehr gern und nannten ihn„Großvater". Heute morgen, einen Tag vor Ostern, mußte er fort: die„Wohlfahrt" zahlte nicht mehr. Ein Greis geht zum Bahnhof, in einer allen bestickten Hand- tasche die wenigen Habseligkeiten, den Kopf gesenkt. Er weiß nicht. wo er diese Nacht schlafen wird. Fröbelstraße— Obdachlosenasyl. Daran denken wir. Und jeder fragt sich:„Was wird aus mir?" Ich seh« die Gesichter von jenem Abend an mir vorübergleiten. Jedes hat seinen Stempel. Proletarierschicksale I Der„Argentinier".- Ein sonnenverbranntes Gesicht. Wie Leder die Haut. Er war fast 20 Jahre in Südfrankreich . Hatte eine Gärtnerei. War glücklich. Dann kam der Krieg, man nahm ihm seinen kleinen Besitz. Irgendein Pariser Kriegsgewinnler hat heut« seine Luxusvilla an der Stelle. Fünf Jahre lang wurde er Inter- niert und dann ohne«inen Pfennig Entschädigung über die Grenze abgeschoben. Auch er mußte erfahren, wie das„Dotevland" für seine Söhne im Ausland sorgte. Als Fünfzigjähriger ging er nach Argentinien , um dort ein neues Leben aufzubauen. Zwei Jahre hindurch sah er keinen Menschen— ganz allein im Urwald—. fällt« Bäume, sprengte, brannte nieder. Und wurde darüber schwermütig. Als gebrochener Mann fuhr er nach der Heimat zurück. Er hat sechsmal versucht, sich die Pulsodern durchzuschneiden. War lange
Zeit bei einem berühmten-„Pjy.choanalyihiker" in-Behandiupg-i- erfolglos. Diesem Menschen hilft keine„Seelenanalyse"—, fefct Sanatoriumausenthall. Gebt ihm Arbeit, gebt ihn, Land, und er wird gesund. Das Schicksal des Auslandsdeutschen! Der„Morphinist"— ein kräftiger Mann— sieht auf den- ersten Blick durchaus gesund aus. Er war Techniker auf einer Kieler Werft. 1914:„der Kaiser rief seine blauen Jungen"; Karl wurde Matrose auf einem U-Boot; wißt rhr noch damals, als die Zeitungen täglich meldeten: T-tausend Tonnen von unseren„U-Boot-Helden" versenkt! Bier Jahre lebendig begraben in einem stählernen Sarg, in hoitzer, verbrauchter Luft;- bei ohrenbetäubendem Gestampf der Maschinen, jeden Augenblick in Todesgefahr. 1918 brach er zusam- men: die Nerven wollten nicht mehr.- Sie gaben ihn, Morphium- spritzen, um die Schmerzen zu lindern. Jetzt hat er sich an das Gift gewähnt, er kann es nicht entbehren. Am Tage ist er der ruhigst« Mensch, gegen Abend tobt er, schreit nach der Spritze! Er ist zur Entziehungskur hier. Wird sie erfolgreich' fein...? Draußen warten drei Kinder auf ihren Boter —, sehnt sich eine Frau nach ihrem Mann..-... � Jeder von uns kann erzählen: Berichte aus der Wirklichkeit, keine erdichteten Roman«. Krieg— das große Schlachten an der Front— dos gryße Hungern m der Heimat. Inflation— Rationalisierung— nüchtern« Worte. Für Hunderttausende bittere Not und Elend. Hier im Sanatorium; im'„Zauberberg der Proleten"� sind wir Genossen im Leid. Wenn wir wieder im Betrieb stehen, werden wir wieder Kampfgenossen sein! Du hast dich erholt. Du kannst gehen. Wie viele vor dir� gehst auch du mit deinem Koffer vor dem Gitter entlang. Die Äamc- raden stehen auf dem Balkon, winken mit einein Badelaken, rus.m dir Abschi-edsgrllße zu...... «Auf Wiedersehen!" Ja! Aber nicht hier. Viele von. ihnen triffst du draußen wieder, in Versammlungen, bei Dsmonstrationen, manch» beim„Stempeln"� Ihr sprecht von der Zeit damals im Sanatorium und flucht..-". Aber mit Schimpfen und Protestieren wird' nichts geändsrf. Seht nach Wien und macht's nach!.-,' f-7
Charles Stadial: TermeiM, Qenoffen... Menschen, Arbeiter. Genossen, Verzeiht! verzeiht. Daß ich geborgen bin und Liebe fand— Und draußen fällt naßkalt der Schnee. verzeiht wir. daß ich mich zufrieden wähne. wenn draußen Ungezählte darbe« und verrecken. wohl Hab ich euch nur meinen Traum geweiht Und meine Arme und mein Hirn. Doch. Menschen. Arbeiter, Genossen.« Ist dies genug? Ich weiß es nicht. Die. die ich liebe, ist so schön, Mein Glück dünkt mir Vollkommenheit... Genügt es. Brüder, mitzuftreiten. Mein Leben eurem Kampf zu weih'n?... verzeiht, Genossen, Denn ich weih es nicht... (Aus dem Französischen von Leo Korten.)
(Kurl 3t. Jfauffmann: Strandgut der Straße Möbelstücke haben ihre Schicksale. Bett und Sofa, Schrank und Stuhl und Tisch, sie haben ihre Glanz- und Elendszeiten wie die Menschen, zu deren stummen Gefährten st« ausersehen sind. Bielleicht gleicht der Ablauf ihrer Existenz, ihr Werden irnd Vergehen gerade darum so sehr dem menschlichen Leben, weil sie, obgleich nur tot« Dinge, in innigster und allerpersönlichster Ver- bundenheit mit dem Menschen leben. Ja, sie leben. Sie umgeben ihn in seinen eigenen vier Wänden bei jedem Atemzug, in jeder Stunde des Tages und des Nachts sind sie ein Teil seine« Daseins. Möbelstücke haben ihre Schicksale! Es sind die Schicksal« derer, die sie besitzen. Geht es dem Herrn gut, hat auch der Hund fein Fressen. Ein Ruin, der die Menschen trifft, trifft auch die Möbel. Es ist ja alles, was an Lebendigem und Totem im Wechsel der Jahre unser eigen wurde, so innig in unser Wesen eingegangen. wie das Blut in unser Fleisch. Bei vielen Völkern wird heute noch ein Gestorbener mit seinem toten Besitz begraben oder verbrannt. Wir, die wir materialistischer und praktischer denken, hinterlassen nach unserem Tode die Möbelstücke unseren Erben. Da starb nun jemand In der Familie. Der Großvater. Cr hinterließ eine ganze Merzimmer-Einrichtung mit allem, was dazu gehört. Das Staatsstück in diesem Nachlaß ist ein Sofa. Ein Möbel von monströser Größe und kolossalem Gewicht. Ein Erzeugnis der Urväterzeit, die Geräumigtest und Größe schätzte. Das liebe alte Sofa hat einen mächtig gebuchteten Rücken und breit ausladend« Armlehnen. Vier ausgewachsene Männer können auf ihm sitzen. Haben auf ihm gesessen, man steht es noch ganz genau. Auf dem Sitz und auf dem Rücken bemerkt man vier ab- gewetzte Stellen, und auch auf beiden Lehnen haben die Ellenbogen und die Köpfe jener durch die Generationen wechselnden Vier den Lederbezug abgeschabt. Und unten am rechten, behäbig gedrechsellen Fuß klafft ein böser Riß Im Leder, den das freiheitslüstern« Roh- haar sich zunutze gemacht hat. So ganz stattlich sieht das liebe olle Sofa, dos Großvater schon von seinem Papa erbte, nicht mehr aus.. Es steht sogar recht ramponiert aus. Aber schließlich sind diese Risse und Flecken ja Ehrenwunden, die e» sich im Dienste der Familie zuzog. Und darum gewährt man ihm, wie einem allen Gaul im Stall da» Gnadenbrot, im Hause hier das Unterkommen, wenn es auch ewig im Wege ist. Großvater hat immer so nach dem Essen sein Schläfchen darauf gemacht— und seine Frau, ja, die soll sogar daraus gestorben sein. Ein Blutsturz. Das ging alles so schrecklich schnell, man konnte sie gar nicht mehr in? Bett tragen. Das alles hat das Sofa schon er- lebt. Das. Und noch viel mehr. Denn in der Familie gab es viel Unglück. Papa, dem das Sofa jetzt gehört, weiß ein Lied davon zu singen. Es ist ja nie gegangen. Auch jetzt geht es schlecht. Seit Groß-
vater starb, und das sind nun 14 Jahr« her, ist«» ständig bergab gegangen. Der Gerichtsvollzieher kam sogar in» Haus und nahm das meiste von den Möbeln, die Großpapa hinterließ, mst. Was er zurückließ, ging ins Leihamt— und blieb dort! Aber das alte Sofa, nun, das ist immer noch hier. Und bleibt auch hier und wenn alles der Teufel Holl, das Sofa loinnst nicht au» dem Haus«. Eher schon trägt man Papa die Trepp « hinunter, mst den Füßen nach vorn. Aber der Papa lebt noch. Er säuft jetzt und schlägt auch fein« Frau. Das ist mit den Jahren, d!« voll Unglück, Tränen und Schande waren, so gekommen. Das Sofa hat das auch gespürt. Ihm sind die Jahre sehr sauer geworden. Papa fiel einmal, als er betrunken in die Stube taumelte, gegen die recht« Lehne. Sie war morsch und zerbrach wie ausgedörrtes Tannenholz. Ja, da ließ sich nichts mehr sticken, wie unten am linken Fuß, den man mst Draht an das Untergestellt gebunden hat. Ja, das Sofa ist siech, siech wie die ganze Familie, siech und räudig, denn die Wanzen sind auch schon drin. Im Roßhaar sitzen sie, ganze Nester. Ist das noch ein Sofa? Nein, das ist ein altes Gerünipel, ver- dreckt und verspeckt, voller Unrat und Wanzen. Hinaus damit, hinaus! Wer wohin damit, wohin? Das nimmt ja nicht einmal die Brockensammlung. Und eines Nacht», es dämmerte gerade so dem neuen Tag ent- gegen, da trägt dieser Papa, assistiert von seinen; Sohne, das Soso. das liebe alte Sofa, in das die Wanzen kamen und der Dreck, hucke- pack über die Treppen und fetzt es, was soll man sich mit diesem schweren, ungefügen Ding noch lange quälen, in. der nächsten Nebey- straße mitten auf den Bürgersteig. Da steht es nun. Di« Sonn« geht auf. Und es steht immer noch da. In der Grelle und mitleidlosen Helligkeit des Tages. In Schmutz und Schande. Niemand will es. Die Zeiten seines Glanzes sind vorüber. Das Elend ist jetzt sein Schicksal. Ihm geht es wie seinem Herrn und Besitzer. Ein vorübergehender Arbeiter gibt dem morschen, wackligen Ding, aus dessen verschlissenem Lederbezug das Roßhaar wie un- gebärdige Lava quillt, einen Tritt, daß es in den Rinnstein fliegt. Da liegt es nun wie ein Betrunkener, der sich in der Gosse wälzt. Ein erbärmlicher, ein jämmerlicher Anblick. Umwittert von Verfall und Verkommenheit. Das nackte Elend atmet dieses armselige, ver- luderte Ding, das ein wüstes Schicksal auf die Straße spie. Strandgut der Straße I Ach, es ist etwas Schamloses um dieses Sofa, das fein häßliches Elend so freimütig offenbart. Jammer und Mitleid, Schaudern und Ekel durchwogen den Vorübergehenden bei dem Anblick dieses her- untergewirtschafteten SofP, das in feiner erbärmlichen Stunimheit beredter als ein Mensch das Elend dieses Lebens kündet. Und man weiß auch, daß dieser stumme Zeuge eines verfallenen Haushalts einmal bessere Tage gehabt hat, daß er um Menschen, um ein« Familie war, die in bürgerlicher Wvhlanständigkeit und gesitteter Orb- nung lebte,— lebte, denn nun sind auch sie, dies« Menschen, nah« der Gosse, nah« dem Schmutz und Elend der Straße, die immer dem letzte Zuflucht und Asyl ist, der ausgedient hat und verkam. Strandgut der Straßel Zu nichts mehr nutz.' Zu nichts mehr?! O, es gibt ein Elend, das noch elender ist als dieses in den Rinnstein gestoßene Hausgerät. Es gibt noch Menschest, die, erbarmungslos in Unglück und Not oerstrickt, selbst dies von einem Besitzlosen mit Abscheu verstoßene Möbelstück noch begehren»- wert und wertvoll finden, so wertvoll, daß sie es wie ein Dieb bei Nacht und Nebel von der Stelle holen, wo es im Sturm des Schick- sals strandete..- Es strandet so vieles an den horten Bordftoinklippen her Groß- stadt. Furchtbar viel, nicht nur Sofas, nicht nur Matratzen und morsch«, verwanzte Schränke, auch Menschen stranden hier, Wen- schen, trank und verschmutzt, morsch und zerschlagen wie dieser Hpus- rat, den die Mülltutscher mit zwei Fingern anfassen-und voll Ekel in den Wogen tippen.- Da» llohr 4ö vor Ebristu» wird al» da»„letzte Jahr der Konfusion" bezeichnet, weil in dkesem Jachre Julius Eäsar einen neuen Kalender einführte,_ wodurch der Mißstand beseitigt wurde, daß im alten Rom das öfsentliche: Jahr und das wirkliche Sonnen. jähr um Monate— zuletzt waren«s.dr»i— nicht übereinstttnmts. Für die lllelzevversorguag der well nimmt Kanada die führende Stellung ein. Vor dem Kriege deckte es 11 Prozent des gesamten Weizenbedarfs der Welt, jetzt aber schon S2 Prozent.