Beilage
Sonnabend, 1. Februar 1930
Der Abend
Spalausaale des Vorwärss
Berlin ) war weder durch seine geographische Lage, noch durch| bie politische Stellung Preußens zur Handelsstadt geeignet. Auch durchkreuzten die großen Heerstraßen aller Länder Berlin nicht, wie Frankfurt am Main oder die Kaiserstadt Wien . Dennoch hatte die Stadt um 1700 schon einen Platz unter den Wirtschaftszentren Europas und als Friedrich der Große , die Pläne feines Vaters fortsetzend, Gewerbe- und Kaufmannstum energisch förderte, stieg die Bedeutung der preußischen Hauptstadt.
Die Entstehung der ältesten Gefchäftshäuser, die noch heute eine gewichtige Rolle spielen, geht in das 18. Jahrhundert zurüd. Es fehlt Berlin nicht, wie so oft behauptet wird, an Tradition. Viele Raufmannsgeschlechter vererbten ihr Haus von Generation zu Generation, vermehrten und vervollkommneten ihren Besiz. Jahrzehnte, Jahrhunderte lang blieben sie ansässig an dem Ort, an dem sich der Ahnherr und Begründer einst niederließ. Bescheiden wirfte sich das Geschäftliche im Anblick der Straßenfluchten aus. Firmenschilder und Reflame fpielten vorerst noch eine bescheidene Rolle. In den Bürgerhäusern war das Erdgeschoß burchwegs als Familienwohnung gedacht. Wurde ein. Laden eröffnet, so dachte man feineswegs an eine Umgestaltung der Front
Unter den Linden siedelten sich um 1800 mehrere Kaufleute an und hier murde besonders darauf geachtet, die einheitliche Front diefer Brachtstraße nicht zu ftören. Ein einfaches Namensschild über dem Fenster eines Erdgeschosses genügte, um das Borhandensein einer Kunsthand lung oder Kleiderhandlung" in gleich förmiger Schrift zu befunden. Aber mit der Zeit finden wir Malereien als Werbemittel". An der Innenseite der Holzläden, mit denen die Türen verschlossen waren, redeten die Schildermalereien ihre primitive, verständliche Sprache. Auf dem Röllnischen Marft zeigte etwa ein Laden durch zwei gefreuzte, aufgerollte Regenschirme und einem aufgespannten darüber eine Schirmhandlung an. Oder forgfältiger bedeutete eine Malerei auf den Schildern vor Jostys erstem Laden an der Stechbahn das Gewerbe des Kuchenbäders. In den achtziger Jahren finden wir jedoch vielversprechendere Wahrzeichen des Gewerbes der Kauf mannschaft. Ein Kranz von Austernschalen und hölzernen Zitronen bezeichnet den besseren ,, Materialisten". Ein Mohr mit einer Rolle Tabaf den Tabathändler. Drei goldene Kugein, ein altes, auch später übernommenes Symbol, die Butterhandlung. Kegel, Kugel und Zirfel den Drechsler. Schlüssel den Schlosser Gießfanne den Klempner, Hufeisen den Grobschmied und, sehr finnig, ein Herz, von einem Nagel durchbohrt, den Nagelschmied. Bon dieser Dingen ethielten sich die internationalen und ewig scheinenden Messingbecken der Barbiere und das urberlinische Wahrzeichen der Schlächter, die um einen Stuhl geschlungene weiße Schürze, durch
die er frische Würste ankündigte.
Nach 1830 gab es in Berlin etwa 1100 Raufläden. Die Mehrzahl in den Altstädten Berlin und Kölln Es gab bereits ausgesprochene Handelsstraßen, mie in der Königstraße, an der Stechbahn, an den Werderschen Mühlen, der linken Spree und in der Gertraudtenstraße. In der Friedrichstadt und anderen Stadtteilen fand man Läden nur an manchen Straßenecken. Wir vernehmen von der großen Gemütlichkeit der Bedienung. Wenn die Türklingel den Besizer nicht herbeigelockt hatte, so war es Sitte, mit einem Geldſtück auf den Ladentisch zu klopfen. bis er cder ein Familienmitglied aus Keller, Küche oder Garten herbeieilte.
Fahrende Händler belebten das Straßenbild, feßhafte ließen sich an den Straßenecken, vor Denkmälern. nach Gewohnheitsrecht nieder. Bunt und voll Leben waren die Märkte in der Innenstadt. Wochentags fonnte man das nötige am Alexanderplaß, auf dem neuen Martt, auf dem Moltenmarkt und dem Gendarmenmarkt zwischen Mohren- und Taubenstraße, dem Dönhoffplatz und dem Spittelmarkt einkaufen. Wichtig war für den alten Berliner zu wissen, daß auf dem Dönhoffplag teine Fische ver fauft wurden. Vor dem Schauspielhaus auf dem Schillerplay" fuhren an den Wintermorgen die Wagen auf. de aus der Um gebung Getreide, Stroh und Brennholz auf den Markt brachten. Der Udermärker Bauer lentte vom Sattelpferd sein Biergespann, bestiefelt und bespornt. Unter den Jahrmärkten war der bedeutendste der Bollmarkt auf dem Aleganderplak. Im Sommer gab es zwei große Märkte, die Friedrichstädter Märkte, die fich über das ganze Stadtviertel ausbreiteten.
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Der Mühlendamm locte als Verbindung der Altstädte Berlin und Kölln eine Menge fremdländische Raufleute an und hier baute Johann Arnold Nering die herrlichen Kolonnaden, die bis 1890 stehen blieben. Hier fanden wir ein Geschäft neben dem anderen. Auf dem Schloßplah war ehemals ein freier Raum für ritterliche Spiele belaffen worden, nach der Uebung des Ringel ftedens als„ Stechbahn" bezeichnet. Auch hier strömte die Kauf mannschaft zusammen. Hier, auf dem Schloßplag, baute der Architekt Johann de Bodt das erste dreistödige Kauf- und
Wohnhaus der Stadt..
Wie stand es um den Verlehr? Schon im achtzehnten Jahr.
*) Der Verein Berliner Kaufleute und Industrieller hat an fäßlich feines fünfzigjährigen Bestehens ein Gedenkbuch( Berlins Aufstieg zur Weltstadt, Verlag Reimar Hobbing , Berlin 1999) berausgegeben, das einen wertvollen Beitrag zur Kulturgefchichte der Stadt und einen lleberblid ihrer faufmännischen und wirtschaftlichen Entwidlung bietet.
hundert tannte man die alten Lohnfutschen. 1815 erfämpfte| Raufmanns Rudolph Hertzog . Die Lage des Geschäfts war ein Unternehmer zuerst ein Privileg für 32 fleine Wagen mit auf schlagbarem Verdeck. Damit trat dos Droschtenwesen als Verkehrshilfe auf. Wagen und Pferde waren aus Warschau importiert, daher die stawische Bezeichnung. Am Brandenburger Tor hielten 1825 die ersten großen, mit festem Verdeck überspannten Tormagen", eingeführt vom Hofrat Kremser und später nach ihm benannt. Dazu tamen allmählich Beförderungsmittel mit festem Fahrplan
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Der Nollendorfplatz im Jahre 1885
( flach einem Aquarell von Grans Skarbina)
| 1839 fuhr der erste Omnibus vone foeben errichteten Potsdamer| Bahnhof zum Alexanderplat. Jetzt blühte das Verkehrswesen auf. Die Eisenbahn trat auf den Blan. Die Berliner lachten und waren feptisch, als 1838 der erste Eisenbahnzug vorbeileuchte. Um vieles früher, schon 1816, wurde bei Bichelsdorf das erste Dampf. vieles früher, schon 1816, wurde bei Bidjelsdorf das erste Dampf. boot erbaut, der Raddampfer Prinzessin Charlotte ", den die tönigliche Bost zwischen Berlin und Potsdam in Betrieb ftellte.
Wichtig war die Entwicklung des Beleuchtungswesens der ersten Hälfte des Jahrhunderts. Es sollte vom Def zum Gas über gegangen werden. Man stieß bei der Bürgerschaft der Städte auf harten Widerstand. Barnende Artikel erschienen in den Zeitungen, so brachte die„ Köllnische Zeitung" 1819 eine Abhandlung, die das Gas aus theologischen, juristischen, medizinischen und philosophischen Gründen bekämpfte. Nicht das Bedürfnis größerer Bequemlichkeit, sondern der revolutionäre Geist der Technik war bestimmend für den Fortschritt der Zivilisation. Aber selbst, nachdem sich die Wohlbat der neuen Einrichtung bereits erwiesen hatte, währte es lange, ehe die neue Beleuchtungsart bis zu den Häusern der Bürger vor drang. Noch 1852 tämpfte Charlottenburg , das damals eine Einwohnerzahl von etwa 10 000 batte, vergebens um die Gasbeleuchtung. Die Halsstarrigkeit der Stadtväter dauerte zehn Jahre.
Bon grundlegender Bedeutung für die Entwicklung des Gewerbes waren die zwei fönigliden Institute: Die Eisengieße. rei 1804 in der Invalidenstraße und die Porzellanmanufattur, die noch aus der Zeit Friedrichs des Großen stammie, mit ihrer Zweiganstalt, der königlichen Gesundheitsgeschirrmanu faftur", in der heutigen Begeinstraße, wo später das ganze Institut vereinigt wurde. Hier wurde 1799 die erste Berliner Dampfmaschine in Betrieb gestellt. Nach englischem Muster entstanden Eisengieße: reien und allen Doran leuchtete bald die Fabrit Auguft Boifigs. 1837 gründete diefer Mann vor dem Oranienburger Tor seine Eisengicßerei und Maschinenbauanstalt".. Der Norden wurde für Jahrzehnte das Zentrum der Eisenindustrie. Die Ber liner nannten die Gegerd die„ Schmiede des Bu'ton". An der Chauffeestraße raudte Effe reben Effe. Borsigs Name erlangte große Bolkstümlichkeit. Mit 50 Arbeitern begann er, feber. Jahre später beschäftigte er bereits 1100. 1841 verließ die erste Lokomotive Borsigs Fabrik. Dreizehn Jahre später, als die fünfhundertste Lokomotive Borsigs vollendet war, feierte die ganze Stadt dieses Ereignis. Es herrschte damals noch em patriarcha lisches Verhältnis zwischen Fabritherrn und Arbeiter. Noch war der Gegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht so verschärft wie heute.
Die Entwicklung der Elfeninduftric und demisdjen Industrie führt zurüd auf Ramen wie Louis Schwarztopii, Ernst Schering, Jacob Ravené, C. A. F. Rahbaum und Werner von Siemens . Manujatturwaren-, Modewaren, und Wäschegefäste entstanden. Das bedeutendste war und blieb er mann Gersons Medewarengeschäft. 1848 erbaut Gerfon am Berderfchen Markt ein impofantes Gebäude und es wurde den Fremden als eine Sehenswürdigkeit gezeigt. Ein zeitgenössischer Coupletvers mag über die Volkstümlichkeit dieser ältesten Häufer Auskunft geben: eb' ist gut für Jud und Christ Gerfon oder Borsig mer ihr nicht entronnen ist, der hat sie noch vor sich." Um diese Zeit( 1839) wurde in der Breiten Straße Nummer 13 ein kleiner Laden eröffnet, ein Manufaktur- Warengeschäft" des
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ungemein günstig, in der Nähe des Schlosses und in der wichtigsten Berkehrsstraße. In den Tagen der Märzrevolution von 1848 schlug eine Kugel durch das Fensterkreuz des Herzogschen Geschäftes und verfehlte den am Schreibtisch fizenden Handelsherrn um ein Haar. Benige Tage später veröffentlid te Herzog in der Bossischen Zeitung" ein Inserat, in dem er einen gänzlichen Ausverkauf" anfündigte, anläßlich seiner Uebersiedlung nach Breite Straße 15. Er
war der erste Geschäftsmann in Berlin , der eine Tageszeitung zu Insertionszwecken verwendete.
Wir können hier nicht aller jener Häuser gedenken, deren Namen und Bedeutung es erfordern würden, ausführlich über ihre Entwicklung zu berichten. Damals fing Heinrich Jordan ein aus Raffel eingewanderter Bürger, einen Wäschehandel mit selbstgemebtem Leinen an, Nathan ein Israel machte Kurzwarengeschäft in der Jüdenstraße 18 auf, bald nachdem er aus einem Schußjuden" durch das Editt von 1812 Berliner Bürger geworden war, Gerold bot Delikatessen feil, J. H. Henckels aus So lingen feine Stahlwaren, Wilhelm Ermeler seine Tabate. Setpich seine Belze und die Gebrüder Gropius Bücher und Kunstgegenstände.
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Man fragt sich, wie das Berliner Raufmanntum feine Waren nach auswärts beförderte. Denn das Eisenbahnwesen befand sich noch durchaus im Entstehen und war nur in ganz wenigen Strecken fertiggestellt. Ein Gewerbe besorgte den Warentransport, das seither vollkommen im Dämmer der Bergessenheii versunken ist, das Aus panngewerbe". Diefe ,, Ausspannungen" betrieben damals das Speditionsgeschäft. Es gab Ausspannungswirte an allen wichtigen Knotenpuntien der Landstraßen und bei ihnen wurden Waren abgeliefert, neue aufgenommen, frische Pferde vorgespannt und gerastet. Aus diesen Ausspannungen ging das fpätere Speditionswesen hervor Die erste Speditionsfirma wor J. G Henze um 1850 in der Prenzlauer Straße. Das geschäftliche, gewerbliche und industrielle Leben nahm also einen stetigen Aufschmung, bis zur Zeit der Gründerjahre. In den Gründerjahren, einer Inflationsperiode, die der jüngst von uns erlebten durchaus gleichzusetzen ist, folgte dann allerdings ein unerhörtes Aufblühen des gesamten öffentlichen Lebens über Nacht. Die langfame Entwidlung war durchbrochen durch die Umwertung des Kaufmittels, des Geldes. Alles aber, was in der Stadt an geschäftlichen, gewerblichen und industriellen Regungen pulfte, geschah um ein Zentrum und dieses Zentrum war das Bankwesen. Die Anfänge der Berliner Börse waren primitiv genug. Gegen Ende des fiebzehnten Jahrhunderts tamen die Berliner Kaufleute in einem Saale des Mühlendammes zusammen, vorerst nur an den
beiden Posttagen Dienstag und Sonnabend, später täglich. Erst 1820 wurden die beiden Kaufmannsgilden, die Gilde der„ Gewandschneider" und die Gilde der Krämer" oder„ Materialisten" zur Körperschaft der Kaufmannschaft vereinigt. Die Börse tagte erſt im alten Lufthaus" des Lustgartens, dann erbaute Becherer ein eigenes Haus, die Börse am Lustgarten neben dem alten Dom. Die Geschäftsgebarung der Kaufmannschaft war einfach und die Metho den des Bank- und Wechselwesens steckten in den Kinderschuhen. Berlin hatte in einem halben Jahrhundert viel geschafft: Das tam auf der Gewerbeausstellung von 1844 im Zeughaus zum Ausdrud. Es war die erste Berliner Ausstellung dieser Art. Kurz darauf fündigten mehrere Städte Industrieausstellungen an. und durch dieses Beispiel angeregt, folgte die erfte große Berliner Industrieausstellung in Krolls Etablissements 1849.
Die zweite Hälfte des Jahrhunderts steht im Zeichen der
Gründerjahre und die Stadt entwidelt sich mit einer Geschwindigkeit Lebens wird in den Westen verlegt. Noch ist der Tiergarten wie nie zuvor eine Stadt in Europa . Ein Teil des geschäftlidjen unberührtes Land. Ein Sichtiger Ausflugsort für Menschen, die in die freie Natur wollen, aber wie lange noch. Die Bautätig. eit ist fieberhaft geworden. Die Einwohnerzah. nimmt mit unglaublicher Schnelligkeit zu. Im Jahr 1867 haben 702 000 Ginwohner, im Jahre 1870: 800 000. Dabei muß bedacht werden, daß 52 000 Röpfe beträgt. Im Jahre 1905 ist die Einwohnerzahl der die Einwohnerzahl der gesamten Berliner Vororte im Jahre 1871 Bororte auf 952 000 gestiegen. Wir sind mitten in den vorhin er
wähnten Gründerjahren. Industrielle und geschäftliche Unternehmungen schießen wie Pilze aus dem Boden. 1872 werden in Berlin allein 174 Attiengesellschaften gegründet und der Kurswert ihrer Papiere beträgt 1500 Millionen Mart.
In den
Nicht lange währt die Herrlichkeit der Spetulanten. Der ,, trach von 1873 bedeutet den Zusammenbruch eines großen Leiles der Geschäftsmelt. Aber die Entwicklung der Stadt ist nicht mehr aufzuhalten. Denn Berlin ist nicht mehr die Hauptstadt des leinen Breußen, fordern die Hauptstadt Deutschlands geworden. Die Eisenbahner breiten sich nach allen Richtungen aus fiebziger Jahren gehen die Bahnlinien bereits nach Küftrin, Görlik. Dresben, nach Beglar und Meg. Große Bahnhöfe werden gebaut und der Staat tritt im Eisenbahnwesen an Stelle privater Unternehmungen. Die Gasbeleuchtung ist allgemein durchge'eßt, aber es entsteht ihr ein mächtiger Rivale: Die Elektrizität. Berner von Siemens ist neben Siegmund Bergmann und Emil Rathenau in der Ausnutzung der neuen Kraftquelle bahnbrechend. Der Botsdamer Platz erhält die erste größere elettrische Beleuchtungsanlage Berlins .