Einzelbild herunterladen
 

Freitag

7. Februar 1930

Unterhaltung und Wissen

Rudi Eims: Menschen in Reparatur

Eine Stunde im Operationsjaal

Im Often der großen Stadt hebt sich talt und unfreundlich die| langgestreďte, in einem veralteten Stil erbaute Faffade des Hospitals aus einer Häuserzeile. Straßenbahnen, Autos, Menschen eilen ohne Unterbrechung vorüber. Die lärmenden Stimmen des Verkehrs flirren bis tief in die Nacht hinein an die Fenster der Krankenjäle. Dort liegen in den 400 Betten fast nur Arbeiter und fleine Angestellte.

Es war in der Mittagsstunde eines Januartages, als der Bürogehilfe Richard Seebach die große Pforte des Krankenhauses öffnete. Er. blieb plöglich zögernd stehen, trat dann einen Schritt zurück, und in den Angeln fnarrend fiel die Tür wieder ins Schloß. Ein Lächeln hängte sich um Richards Mund. Der junge Büro­gehilfe mußte, war er einmal drinnen im Spital, dann gab es tein Zurüd mehr, dann würde noch eine halbe Stunde vergehen und er mußte sich auf den Operationstisch legen. Nur teine Eile, nur ruhig Blut, dachte Richard Seebach im stillen, zündete sich gemächlich eine Zigarette an und schlenderte dann die Straße hinab, dem Flusse zu. Auf der Brücke machte er halt, legte die Arme auf das Ges länder und fah gedankenvoll hinunter in die dunkelgrünen Wasser, die den großen Pfeiler umspülten.

,, Eine an sich ungefährliche Operation... Komplitationen find natürlich nicht unmöglich...", hatte ihm vor einigen Tagen sein Arzt in der Sprechstunde gesagt.

Komplitationen? Mit diesem Wort fraß sich eine Unruhe in Richard, die er nicht mehr los wurde. Er erzählte Freunden und Bekannten, daß er ,, unter das Messer müsse". Man diskutierte, und die widersprechendsten Meinungen traten zutage. So redete der alte Bürodiener Lämmel von seinem Nachbar Ledermann: ,, So'n jungen Familienpater mit so'n fleenet Kind", der früh um neun Uhr ,, quietschpajnügt" ins Krantenhaus ging. Die Operation Dalief ausjezeichnet

gähnte Lämmel, um dann mit gerunzelter Stirn hinzuzufügen: Leider starb Ledermann jejen Mittanacht... Go is et man. Herr Seebach. Die etwas arrogante Stenotypistin, Fräulein Sturm, äußerte demgegenüber überlegen: Solch operas tiper Eingriff ist heutzutage eine Spielerei... Bedenken Sie doch... Bei dem Stande der Chirurgie... Lämmel schwieg, und Richard fann nach; er mußte aber immer wieder an Herrn Ledermann denken, der nach gelungener Operation das Zeitliche segnete..

Alle diese Gespräche waren in Richard lebendig geworden. Aber #as nüßte alles Grübeln? Es hatte feinen Zwed, länger zu warten! Wenige Setunden später schloß sich die Tür des Krankenhauses hinter seinem Rüden.

*

Der Operationsfaal war ein großer, lichter Raum mit weiß getäfelten Bänden. Sauber gescheuerte Fliesen bedeckten den Boden. Bon der hohen Decke herunter hing die riesige Beiß- Lampe. Ihr ver. filberter Hohlspiegel warf Licht in blendender Helle auf den nackten Körper. Eine Schwester reinigte eben mit Jobbenzin die Stelle, an der der chirurgische Eingriff erfolgen sollte.

Jegt faßte eine der Schwestern Richards rechten Arm und fchnallte sein Handgelen? an den Operationstisch fest. Blitzschnell schoß es ihm durch den Kopf: wenn du in diesem Augenblid auf springen, dich losreißen und rufen würdest: Jch laffe mich nicht operieren...?" Aber mas märe damit erreicht? Einmal muß es doch sein. So ließ er miderspruchslos geschehen, daß seine linfe Hand festgebunden wurde und sich ein Riemen über seine Beine.. fegte.-­

Stun trat der Oberarzt an den Operationstisch. Er trug eine

Gummischürze um den Leib. Seine Oberarme waren nadt, und die Hände steckten in weißen sterilisierten Zwirnhandschuhen. Sein Kopf war in einen Verband gewickelt, der Mund und Nase bedeckte und nur die Augen freiließ.

,, Holen Sie bitte immer recht tief Atem", redete er ermunternd auf Richard ein. Bei solchen Operationen fönnen wir nur lotal betäuben. Narkose führt leicht zum Erbrechen, würde die Wunde zu start erschüttern und den Heilungsprozeß gefährden...", setzte er erklärend hinzu. Richard nickte stumm. Er hörte hinter sich die Wasserleitung rauschen. Eine Weile später kam der Assistenzarzt.

,, Bitte, die Instrumente..." Die Operation begann. Spritzen gruben sich ins Fleisch. Eine Flüssigkeit rieselte unter die Haut. Novocain...", entgegnete der Arzt auf Richards Frage. Minuten vergingen. Dann war es Richard, als ob jemand mit einer heißen Nadel über seinen Leib streiche. Das Messer schnitt ins Fleisch, aber es schmerzte nicht.

Stille lag im Operationssaal. Nur hin und wieder eine halb. laute Beifung: 3wei Klammern. Hier noch eine Unter­bindung. Tuscheln... Leise Tritte... Angespannt lauschte Richard auf jeden Laut. Glas und Metall klirrten manchmal an einander.

Plößlich wühlte der Schmerz in der Bunde. Zerren und Reißen. Richard stöhnte und ballte die Hände zu Fäusten. Schweiß brach ihm aus allen Boren. Er fühlte eine Ohnmacht nahen und fämpfte dagegen an.

,, Immer tief Atem holen...", sagte der Chirurg. Es flang wie ein Befehl, und Richard gehorchte. Gedämpft vernahm er die Worte: Altes Leiden.. Alles verwachsen... Das Ablösen ist etwas schmerzhaft...

Richard starrte bleich gegen das Handtuch, bog den Kopf zurüd und sah in das Gesicht der Krankenschwester. Sie lächelte still und fein wie eine indische Bagode und meinte fast flüsternd: Es ist bald Dorüber..." Die Schmerzen verebbten langfam.

,, Geben Sie mir eine Nadel..." Dann war es Richard, als ob jemand eine schlecht gespannte Geigenfaite anschlüge. Der Chis rurg nähte im Inneren der Bunde mit Catgut, feinem Katzendarm, der sich im Lauf der Zeit von selbst zersetzt. Und wieder verstrichen zehn Minuten. Seidenfäden zogen sich nach und nach in das Fleisch. Dann wurde Richard das Handtuch vom Gesicht genommen. Die Schwestern waren gerade dabei, die Bunde zu verbinden. Er lag ermattet, in Schweiß gebadet. Man legte ihn auf eine Bahre. Und freundlich lächelnd drückte ihm der Arzt die Hand und wünschte ihm baldige Genesung. Kurze Zeit darauf lag Richard in einem weißen Bett allein in einem fleinen Zimmer, weil die großen Krankensäle alle belegt waren. Er döfte mit etwas Wundfieber vor sich hin, bis er am späten Nachmittag einschlief.

Im Krankenhaus gleicht ein Tag dem anderen. Das Leben verläuft in einem gleichbleibenden Rhythmus, Dreimal Buís unb Temperaturmeffen; viermal Bettenaufschütteln; zweimal Inhalieren, um dem Husten vorzubeugen, und zweimal wurde der elektrische Heizapparat gebracht, um ein rasches Ausheilen der Bunde zu fördern. Gute und reichliche Mahlzeiten unterbrachen diese Ererzitien.

Am elften Tag nach der Operation stand Richard wieder vor dem Tor des Spitals. Ein Genesender! Die Wunde war fast ver­heilt. Ein tüchtiger Chirurg hatte ihn von einem jahrelangen Leiden befreit. Bald war er wieder ein ganz gesunder Mensch.

Karl Ullrich : Abenteurertypen

Waffen sowie hohe Geldsummen für sein zweifelhaftes Unternehmen auftreibt, so sehr entspricht auch das der Zeit.

Allgemein wird der Abenteurer als eine Figur genommen, die da ist, die Zeitungen interessant zu machen, spannenden Stoff für dickleibige Schymöter zu liefern. Daß er darüber hinaus häufig Aehnliche Voraussetzungen, wie sie im 18. Jahrhundert das auch politische Bedeutung hat, wenn auch meist nur indirekt und erfolgreiche Auftreten des Abenteurers begünstigten, gesellschaftliche wider besseren Willen, wird selten beachtet. Tatsächlich darf weder Berlogenheit und Dekadenz, politischer Wirrwarr, wirtschaftliche der Kulturgeschichtsschreiber, noch der Gestalter politischer Geschichte Unsicherheit und religiöse Auflösung, förderten ihn bei aller sonstigen, es wagen, diesen sonderbaren Bertreter der menschlichen Gesellschaft, teilweise sogar grundsätzlichen Verschiedenheit der Zeiten, auch in dessen Tun Wert und Sinn einer ganzen Zeit in Frage stellen kann, der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit. Als in den Bortagen zu übersehen. Denn wie der Abenteurer auch auftritt, im Spizhut der großen französischen Revolution Marie Antoinette , die Kö­mit Degen und Spangen, in der Uniform des französischen Garde- nigin, zum peinlichen Objekt der sensationellen Halsbandaffäre füraffiers oder im modernen Gesellschaftsanzug, es bleibt sich gleich. wurde, erzitterte. die Welt in Borahnung kommender Ereignisse. Er ist, heute wie vor Zeiten, für die Gesellschaft die böse, zumindest Die Tatsache des Standals war die Totsache der gesellschaftlichen eine peinliche Erscheinung, deren Auftreten daran erinnert, daß Verderbtheit, in die auch ihre höchsten Repräsentanten mit ein etwas faul ist im Staate Dänemark . bezogen waren. Aber man braucht nur die Lebensgeschichte des weltberühmten Hochstaplers der Borkriegszeit, Ignaz Straßnoff, zu lesen, um zu erkennen, daß es um das politische und gesellschaftliche Europa der Borfriegszeit taum anders bestellt war. Eine Gefell­schaft, für die der Schein in einem Maße den Wert ausdrückte, daß ein angenommener Grafentitel, die Uniform eines ungarischen Ober­leutnants oder Rittmeisters, ein Priester- oder Erzellenzenrod aus. reichten, nicht mur faiserliche Hoflieferanten, Fabrikanten und ähn liche Sterbliche ins Bockshorn zu jagen, sondern selbst Fürsten . Bischöfe, Erzbischöfe und gar einen päpstlichen Nuntius hinein­zulegen, sie ihrer Würde und Heiligkeit zu berauben, dem Gespött der profanen Welt auszuliefern, eine solche Gesellschaft war nicht weniger reif zur Revolution wie einst die franzöfifche.

So wenig der Abenteurer feiner Zeit fehlt, denn schon stets haben besonders Schlaue oder besonders Strupellose der lieben Mit menschen Schwächen zum eigenen Vorteil zu nüßen gewußt, so sehr hat er ausgesprochene Glanzperioden, Zeiten, die seinem Auftreten besonders günstig sind. Eine der bedeutsamsten dieser Zeiten ist das 18. Jahrhundert. Das pompje Hofleben der großen und feinen Sonnenfönige, die ersten Triumphe der Naturwissenschaft, befonters ihrer praktischen Zweige Technik und Medizin, und ihre Wirkungen auf die noch im Banne mittelalterlicher Gebundenheit lebenden Menschen, die unabläffige Folge von Kriegen, Entdeckungs- und Eroberungsfahrten, alles fchuf Situationen, die den Abenteurer geradezu herausforderten. Sabbatha Zevn, der falsche Meffias der Juden, Heftor von Klettenberg, der Alchimist, Ernst Elias Bäßler, der fanatische Technikus, John Law , der Bater der Spekulation, und endlich die zwei größten Bertreter unter diesen Scheineristenzen, Graf Cagliostro und Casanova, was taten fie anders, als günstige Gelegenheiten für sich zu nützen? In einer Zeit, in der die absolu­tistischen Fürsten Retorde aufzustellen beliebten mit der Zahl ihrer Mätreffen, erscheint es fast natürlich, wenn Bricafier, dem Geheim­fefretär der Königin Maria Theresia von Frankreich , die Lust an­tommt, sich dem König von Bolen als illegitimen Sohn vorzustellen, und audj daß er Erfolg damit hat, weil der Stönig fich einfach nicht entfinnen fann, ob und wie er es mit diefer oder jener Madame einmal gehalten hat. So unmöglich uns das Königsabenteuer Theodor von Neuhoffs erscheinen mag dieses ruhmfüchtigen Edel­mannes, der um der Königstrone von Korfita willen sich nicht scheut. heute mit dem türkischen Sultan , morgen mit englischen und hollän bischen Kaufleuten, mit deutschen Steinfürsten und Offizieren zu ver handeln und tatsächlich auch zahlreiche Schiffe mit Mannschaft und

2

Doch Ignatz Straßnoff ist nur ein Typ. Lassen wir den Zug der modernen Abenteurer als bunten Narrentanz an uns vorüber. ziehen, und wir werden all die Gestalten in thm wiederfinden, die uns vom Barock her vertraut sind. Da haben wir die Landsknecht naturen der Nachkriegszeit, die Wrangel, Koltschaf, Roßbach, die Finanzspekulanten der Inflation mit dem Wettsystemerfinder Köhn an der Spize, wirtschaftliche Abenteurer, die den fürzlich unter auf fehenerregenden Umständen gestorbenen falschen Marquis von Cham. paubert, der mit dem Verkauf einer Petroleumgrube, die gar nicht eriftierte, riesige Summen verdiente und ein gleiches Geschäft mit bem Bertauf eines Erzeugungsgeheimnisses für fünftliche Diamanten zu machen hoffte. Da fehlen selbst die Bunderdoktoren, die Heilande und ihre Propheten nicht, und endlich folgt noch das Heer der Magier, der fleinen und großen Geisterbeschwörer, die auch heute noch den Weg bts in höchste Gesellschaftstreise, ja bis in die Hörsäle und Seminare, der Universitäten zu..finden wissen.

Bon so erschütternder Wirkung mitunter auch das Auftreten

Beilage des Borwärts

biefer Abenteurer auf das gesellschaftliche Leben sein tann, so ist der Abenteurer dennoch tein Rebell oder gar Revolutionär zu nennen. Er haßt ja die bestehende Ordnung nicht. Er bedauert mur. in ihr nicht die gesellschaftliche Rolle spielen zu fönnen, die er [ pielen möchte. Aber ist er schon selbst tein Rebell, so übernimmt er doch wider Willen dessen Aufgabe. Mit seinem Zynismus, seiner Frechheit, Respektlosigkeit fördert er Verfall und Auflösung. Er läßt erkennen, wie sich Ignaz Eczover in seinem Buche vom Abenteurer ausdrückt, daß es mit der Tugend der Dinge nicht weit her ist, daß man sie lockern und mißbrauchen kann. Und dadurch, daß er sie vor aller Welt schändet, gibt er sie der allgemeinen Berachtung preis.

Rußlands Glocken sollen schweigen

Der Kampf der Sowjetregierung gegen die Religion nimmt immer erbittertere Formen an. Auch auf diesem Gebiet hat sie sozusagen einen Fünfjahresplan aufgestellt: fie will nämlich allen Ernstes im Laufe dieser Zeit die Kirchenglocken zum Schweigen bringen, soweit die Grenzen des unendlichen Rußland reichen. Der Klang der Kirchengloden war für den Russen stets ein Symbol. Die ersten Glocken erschienen in Rußland bereits im 10. Jahr­hundert; sie wurden aus Konstantinopel nach Kiew gebracht. Auch in Konstantinopel waren damals Kirchenglocken eine verhältnis­mäßig neue Erscheinung; sie waren im 9. Jahrhundert aus Venedig nach Byzanz gebracht worden. Zur Zeit der ersten Christen gab es noch teine Glocken. Die Gläubigen wurden zum Gottesdienst auf­gerufen, indem man mit einem Hammer auf eine eiserne Platte schlug. Eine solche Platte hat sich in einem armenischen Kloster in Transkautafien erhalten. In der vor kurzem von der Sowjet­regierung geschloffenen Lawra" von Kiew befand sich gleichfalls ein Hammer aus der Frühzeit des Christentums, der als Glocke diente und in diefem ehrwürdigen altrussischen Kloster als Sehenswürdig teit galt. Kirchenglocken hatten aber im alten Rußland noch eine andere, staatspolitische Bedeutung. Die Glocke symbolisierte die Oberhoheit der Stadt. So waren die freien russischen Republiken Nowgorod und Pleskau auf ihre Riesenglocken, deren Geläute die freien Bürger zur Versammlung und Entscheidung über Krieg, Frieden und alle wichtigen Geschäfte aufrief, sehr stolz. Als Iwan der Schreckliche diese Städte unter seine Botmäßigkeit brachte, ließ die alten russischen Kirchen leine Glodentürme hatten. Die Gloden er die Glocken nach Moskau schaffen. Es ist bemerkenswert, daß wurden an Pfählen befestigt; noch heute gibt es zahlreiche Bor richtungen dieser Art im Gebiet des alten Gouvernements von Pleskau . Die ersten Glockentürme erscheinen bei den russischen Kirchen im Gegensatz zu den Kirchen im übrigen Europa erst im 15. und 16. Jahrhundert. Sie dienten aber zuerst beinahe aus­schließlich als Wachttürme. Den ersten richtigen Glockenturm findet man in Rußland im 17. Jahrhundert.

Mostau bewundert wird­

-

Die Herstellung von Gloden galt in Rußland als frommes und gottgefälliges Wert. Eine Glocke des Troigki- Klosters bei Moskau 3. B. trägt folgende Inschrift: Diese Glocke ist am 21. Mai 1562 von dem gutmütigen und christlichen Zaren Jwan Wassilijewitsch ge­ftiftet worden. Dieser gutmütige Bar war fein anderer als der graufame Tyrann Jwan der Schreckliche! Rußland befizt die größten Kirchenglocken der Welt. Die größten Gloden in europäischen Kirchen sind der Grand Bourdon" in Notre Dame von Paris , die Glode von St. Peter in Rom und die Glocke des Kölner Doms, deren Gewichte zwischen 1300 und 3000 Kilogramm liegen. Die Glocken des Mostauer Uspensti- Doms und. des Troizki- Klosters bei Mostau wiegen dagegen je 6400 Kilogramm. Es sind aber Zwerge im Berglich mit der Riesenglocke, die von allen Ausländern in der sogenannten Zarenglocke, die mitten im Kreml steht und das stattliche Gewicht von über 20 000 Kilo­gramm hat. Die Mutter dieser Glode war eine andere Riesen­glode, die während der Regierung des Zaren Allegis, in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts, gegossen wurde und 16 000 Kilogramm mog. Während des großen Feuers, das im Jahre 1701 Moskau in Asche legte, fiel die Riesenglocke vom Glockenturm des Kreml und zerbarst. Peter der Große , vollauf mit dem Kriege gegen Schweden seinem Tode erinnerte man sich wieder dieser Angelegenheit. Eine beschäftigt, beachtete den Vorfall überhaupt nicht, und erst nach neue Glocke wurde an Stelle der alten gegossen. Im Jahre 1737 brach wieder ein Feuer in Moskau aus, und wieder fiel die Glocke Dom Kirchturm, wobei sich ein großes Stück von ihr löfte. Erst der italienische Baumeister Manferrano, der mit wichtigen Ber­schönerungsarbeiten in Moskau und Petersburg betraut war, gab den Befehl, das Metallstück aus der Erde auszugraben und es auf ein besonderes Fundament zu stellen. Heute steht der Splitter neben Die russischen Gloden sind durch ihren melodischen Klang berühmt. der neuen Glocke, die jetzt den Namen der Baren- Glocke" erhielt. Das Glodengeläute der 1600 Moskauer Kirchen ist eine seltsame Sinfonie, die jeden entzückt, der sie gehört hat. Das Verbot des Kirchengeläuts bedeutet das Ende eines Abschnitts der russischen Kulturgeschichte.

Eine Arbeiterstadt vor 3000 Jahren In einem Vortrag über den Ursprung und die Entwicklung des antifen Städtewesens, den der berühmte englische Archäologe Harold Hughes vor einigen Tagen in der philosophischen Gesellschaft in Glasgow hielt, tam er auch auf die ältesten uns bekannten Stadt­pläne aus urgeschichtlicher Zeit zu sprechen. Er wies dabei nach, daß solche Pläne, die man im allgemeinen als ein Erzeugnis späterer Jahrhunderte zu betrachten pflege, schon viele Jahrtausende vor unserer Zeitrechnung vorhanden gewesen seien, wie aus den Ergebniffen der Ausgrabungen der letzten Jahre in Aegypten und Borderafien hervorgehe. Der älteste derartige Plan, der nicht nur die genaue Anlage einer schon bestehenden städtischen Ansiedlung, sondern auch bereits die Einzeichnung neu anzulegender Straßen nebst den Häuserflächen enthalte, stamme aus Aegypten und sei dreitausend Jahre alt. Es handele sich dabei um die jetzt längst nicht mehr bestehende Stadt Kahun, die eine ausgesprochene Ar­beiterstadt gewesen sei, da sie von den Pharaonen für die vielen Arbeiter angelegt wurde, die bei der Erbauung der Pyramiden beschäftigt waren. Auf Grund des Stadtplans hatte die Stadt Rahun eine für die damaligen Berhältnisse ganz bedeutende Aus­dehnung, doch geriet fie in Berfall, als die Pyramiden vollendet waren. Nicht viel jünger als der Plan dieser altägyptischen Arbeiter­Stadt sind die Pläne, die man bei den Ausgrabungen im Tigris­und Euphrattale ans Tageslicht förderte, und die von manchen blühenden Ansiedlungen in der Gegend von Babylon und Ninive Runde geben, von denen heute längst jede Spur verweht ist. H.