(Helfoge Dienstag, 11. Februar 1930
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Recht auf Gesundheit Pflicht zur Gesundheit!
Es ist e!g«nartig, daß die Pflicht zur Gesundheit nicht ohne weiteres als solche empfunden wird. Man sollte meinen, daß ein so einziges und einmaliges Gut wie Leben und Gesundheit jeden Menschen triebmäßig dazu reizen müßte, es mit allen Mitteln zu erhalten und zu verteidigen. Das trifft auch— grob betrachtet— im großen und ganzen zu, wenngleich die 1K MO Toten des letzten Jahres, die durch Selbstmord geendet haben«in« bittere Mahnung dafür find, in welchem Umfang« Natürliches durch un- natürliche oder zu schwer empfunden« Last und Bürde ins Gegenteil verkehrt werden kann. Immerhin gehört der Selbsterhattungstrieb zu Heu anerkannten Grundtrieben des Menschen. Nur tritt er ganz gewöhnlich erst in die Erscheinung, wenn offensichtliche Gefahr droht. Die schleichende Gefahr, die vielen Klippen, Scheidewege. Sackgassen auf dem Lebens- und Gefundheitsroeg« werden ganz gewöhnlich nicht gesehen und beachtet. Das Verhatten in Gesundheitsdingen ist meist noch immer nicht das des sorg» famen Hausvaters, das des vorsichtig disponierenden Geschäfts- mannes, sondern steht meist nost völlig unter dem Zeichen der Rettungsstatton, der Feuerwehr: Schnell, Hilfe! Es brennt! Das Kind ist in den Brunnen gefallen! Es Ist verständlich. Die Not des Daseins, die Last des Tages laßt meist alles beiseil« schieben, was nicht gerode ats eisern« Pflicht dasteht, was nicht jenseits der Pflicht Entspannung, Ab- lenkung, Erholung heißt. Heißhunger nach Freud « ist die natür- liche Reaktion auf die wirtschaftliche, aus die seelische Not. Neue Pflichten,— Gesundheit will verdient sein— hinzunehmen, sich noch mit Gesundheitssorgen beladen, wenn sie sich einem nicht mit Gewatt ausdrängen, ist wahrlich nicht das. wonach der abgespannte, zermürbt«, beladen« Mensch von heut« verlangt. Er schiebt beiseite, wo und was er. nur kann. Dazu kommt eine mtt der Uninterefsiertheit an den Gefundheits- dingen zusammenhängende außerordentliche Unkenntnis auf diesem Gebiet, die den richtigen Weg. die Gefahr, den Abgrund oft genug gar nicht sehen läßt. Daß im übrigen vielfach die allgemeine, noch nicht wach. gerüttelte Stumpfheit weiter Volkskreise dem Leben, und insbeson» dere allen Aufklärungsproblemen gegenüber, die Basis abgibt für dieses Versagen in Gesundheitsdingen, ist nicht zu übersehen. Man wird dieses Versagen in Gesundheitsdingen vielfach nicht zugeben wollen. Für einen gewissen Progentsatz von Menschen trifft es auch zu, daß sie ihr Leben nach gesundheitlichen Gesichts- punkten zu orientieren suchen. Daneben gibt es«in« Reihe von Menschen,� die zwar irgendeine körperliche Note(notabenc oft in falscher oder überttiebener Ausführilng) pflegen, z. B. einen Sport. oder Turnen, Ausflüge, Schwihbäder, Massagen usw. Auch die Soinmerreise, die Erholungsoerschickung gehört in gewisiem Sinn« hierher. Auf der andern Seite wird aber das an sich vielleicht löbliche Tun mtt Dingen verniengt oder entwertet, die mtt Gesund- hettspfloge nicht das geringste zu tu» haben. Und die Mehrzahl der Menschen kümmert sich um Gesundheitsding« überhaupt nicht. Die Gesundheitspolitik der meisten Menschen besteht, wenn es irgeiü) geht, im sogen,„guten Essen und Trinken"— notabenc oft genug Borbereiter aller möglichen Krankheiten und vorzeitiger Totengräber. Daß die seelisch« Gesundheit, die eigene wie die der anderen, von vielen Menschen ganz besonders schlecht geachtet und gepflegt wird, soll an dieser Stelle nur kurz berührt werden. Den Arzt sieht man ganz gewöhnlich erst, wenn Sorg«, Angst, Zeichen der Gefahr zu ihm treiben. Daß für einen jticht geringen Teil der Fälle der schmale Geldbeutel die Schuld daran trägt, kann nicht übersehen werden. Aber auch in den Kreisen, in denen die Versicherung, die Kranken - lasse, den gesundheitlichen Schutz übernommen hat, sieht es vielfach nicht anders aus. Der Arzt wird, well er nach der bisherigen Borstellung und Hebung ganz gewöhnlich nur mit dem Begriff der Gefahr, der Erregung verbunden ist, in weiten Kreisen noch immer als ein Gegenstand der Furcht, des Meidens angesehen. Man fürchtet sich vor der Entscheidung, vor der vielleicht unan- genehmen Wahrheit und doktert auf erigene Faust. Auch die Furcht vor dem Verl u st der Arbeit hält viele von der offenen Aus- einanderfetzung mit der gefahrdrohenden Situatton ab. Auf der anderen«ette sieht man im Rahmen der Kranken-, der Unfall», der Haftpflichtversicherung«ine nicht klein« Gruppe von Menschen, die als intensive Nutznießer der vorgesehenen Schutz- einrichtungen erscheinen. Sie sind meist weniger körperlich— organisch, als vor ollem seelisch trank. Meist aus geborener seelischer Schwäche, nicht selten aber auch erst unter dem Druck von wirt- schaftlicher, körperlicher, seelischer Not, ringen diese„Hysterischen ", diese„Nervösen", dies«„Ncurotiker" um ihre Ruhe, um ihren Frieden mtt dem harten Leben. In größeren oder kleineren Zeit- abständen entladen sich ihr« Spannungen In seelischen und körperlichen Erschütterungen. Da ihre zugrunde liegende seelische Schwäche durch Arzneien nicht geheill werden kann, ist es verständliche daß ihr Leidensweg sie von immer neuem Aufraffen, von kürzeren oder lageren Kraft- und Arbeitsperioden zu immer neuem Nachlassen und erschöpsten Zusammenbrüchen führt. Daß Not. Zwang. Freude. «in winkender Vorteil sie oft länger oufrechchält. daß Schutz. An- lehnung wirtschaftliche �iste von dritter Seite ihre Schwäche ver- stärkt, spricht nicht für bösen Willen, sondern eben nur für ihr« Schwäche. �„ So ergibt sich die verwrrrende. von freunden und Gegnern der sozialen Versicherung heiß umstrittene Tatsache, daß nicht wenige Menschen in die Krankheit, in das.Lrankschreiden-Lossen" hinein- streben oder hineinzustreben scheinen, oft im Anschluß an einen Konflikt, an die erfolgte Emlasiung— als deutliche, oft unbewußte Flucht vor der neuen Last in die Krankheit hinein, ins ihnen, trotz ihrer Beschwerden, trotz der paradoxen Hllfsquelle immer noch mehr, vor allem Ruhe, zu bieten hat. als das Ringen um ihre Selbstbehauptung vorher.— Daß die Widerstandskraft der einzelnen im übrigen verschieden groß ist. daß zu dem Heer der „Nervösen" � die Allgemein« Ortskrankenkasft Verlin allein zäh't« 1327 weit über Z0N00 Arbeitsunjähigkeitsfälle wegen aeroöjen Verjagen-—«uh viel« stoßen, die nur
infolge ganz besonders grober oder langdauernder Erschütterungen oersagen, ist selbstverständlich. Ebenso selbswerständlich, wie daß diesem großen He«re(neben Beseitigung einer akuten Erschöpfung, einer akuten Notlage) grundlegend nur vom Seelischen her geholfen werden kann. Das ttifft auch für die nicht kleine Schar derer zu, denen durch langwierig« körperliche Erkrankung der frisch« Antrieb zum Gefundwerden-Wollen, der Gesundheitswillen, allmählich dahin schwindet. Daß es neben diesem Heer von Schwachen, die ihr eigenes Leben, ihre Umgebung, ihr« Versicherung— zum großen Teil sehr gegen ihren eigenen Willen— schwer belasten, auch a u s g e- sprachen« Ausbeuter der sozialen Einrichtungen gibt, die nehmen, wo und was st« können, ist ohne wetteres zuzugeben. Ihr Tun ist durchaus verwerflich. Es darf dabei freilich nicht übersehen werden, daß die anscheinend immer deutlicher steigend« sogenannt« „Begehrlichkeit" oft doch nur eine scheinbar« ist und mit dem Sinken des sozialen Niveaus parallel geht. Was viel« früher, in besseren Tagen, ohne weiteres aus der gefüllteren Börse de- schafften, wird jetzt, bei der verschlechterten sozialen Lage, Zwangs- läufig von der Versicherung gefordert, als Hellmittel für Krank- hell und schwindend« Kraft. Zum Schluß noch einige Tatsachen, die nachdrücklich daraus hinweisen, wo noch— u. a.— recht unerfüllte Gesundheitspflichten liegen: 36030 Ehen werden im Jahr geschieden, als erschreckendes Zeichen dafür, wie wenig man sich um die berechtigten Ansprüche der fremden Seele, der eigenen Seele gekümmert, wie wemg man zueinander gepaßt hat. Und wieviel zusammengetoppelte E h e n o t bleibt ungeschieden! Wieviel seelische Not entsteht auch sonst, wo Menschen zusammen leben, zusammen arbeiten, well man die berechtigten Ansprüche des andern nicht einmal ahnt und sich klarzumachen sucht, geschweig« denn sie anerkennt. öv 000 Menschen sterben noch immer im Jahr an T u b e r- k u l o s e. dieser Schmutzkrankheit, die durch die Aufnahme fremden bazillenhattigen Speichels— frisch oder trocken ver stäubt— entsteht. Das privat«, das öffentliche Gefundhettsgewiffen sollt« keine
Ruhe haben, bis alle aus Enge, sozialer Not, Unwissenhett. Letchi - fertigfett fließenden Ansteckungsquellen verstopft sind bis jede An- steckung so frühzeitig erfaßt, so gründlich betreut wird, daß es kein Unmöglich! mehr für die Heilung gibt. Gegen 70 000 Menschen starben 1927 an Krebs— zu einem nicht geringen Teile bereits zwischen 30 und 60 Jahren. Wenn man weiß, wie oft gerade hier das Au spät! erklingt, können diese Zahlen gar nicht stark genug als ausrüttelnd« Mahnung genommen werden, aus seine Gesundheit und alle. Zeichen einer Störung, und seien sie zunächst noch so geringfügig, zu achten. Gegen 30 000 Menschen starben 1927 im Alter von 30 bis 60 Iahren an Krankheiten der K r« i s l a u f o r g a n e(Herz usw.), 7500 an frühem Gehirnschlag, über 8000 an anderen Kranlhetten des Nervensystems, über 11000 an Krankheiten der Ver- dauungsorgane. Gegen 23 000 Menschen sind 1927 durch Unglücksfälle zu Tode gekommen. Ueber 100 000 Kinder starben noch immer im ersten Lebensjahr. Der Arzt weiß, daß in zahlreichen von diesen Fällen eigenes Verschulden, Unwissenheit, Unachtsamkeit gegen sich und ander« reformbedürftige Wohnungs- und Arbeitsverhältnisse, allgemeine soziale Not eine erhebliche Rolle spielen. Und nicht nur der Tod ist«in Ankläger in dieser Richtung. Auch die Zahl der nicht unmittelbar zum Tode führenden Erkran- kungen, die Siechen», die Unfallrenten-, die I n v o- lidenrentenzahlen(am 1. Januar 1929 liefen 1885 000 Invalidenrenten) die Verwüstungen, die der Volksfeind Alkohol an- richtet, die Verbitterung, die die Geschlechtskrankheiten ins Leben tragen,-»■ das alles ist Hinweis genug, Laß, nicht überall, aber doch an recht vielen Stellen die Pflicht gegen die eigen«, gegen die fremde Gesundhett nicht erfüllt wurde. Wie wenig ernst es die meisten damtt noch nehmen, beweist eine Mttteilung von Dr. Neu- stätter: Von den Lebensperficherten, denen laut Statut«in« kosten- los« ärztlich« Untersuchung— ohne Namensnennung— zur Verfügung stand, machten in Deutschland nur etwa 35 bis 40 Proz. z. T. auch 50 Proz. Gebrauch. Und in Amerika nur 7 bis 8 Proz! Das beweist wohl genug. Or. Max Cohn.
Mensch/ Maße/ Kultur
(bn!
Eine psychoanalytische Soziologie
Das neueste Werk des berühmten Wiener Gelehrten, des Sckppfers der Psychoanalyse, Sigmund Freud : Da» Unbe- Hägen in der Kuttur(broschiert 3,40 M., Ganzleinen. 5 M.— Internationaler Psychoanalytischer Verlag, Wien 1330), auf das wir in „Unterhaltung und Wissen" schon hinwiesen, kann wohl als ein« Art psychoanalytische Soziologie aufgefaßt werden, d. h. genauer gesagt, als eine psychologisch begründete gesellschaftlich« Entwicklungs- lehre, die jedoch durchaus nicht im Subjektiven stecken geblieben ist Das Buch ist wohl, wie der Verfasier am Ende selbst feststellt,„ein Versuch zur Ueberttagung der Psychoanalyse auf die Kulturgemein- schast", und sicherlich ein recht gelungener. Freud geht zunächst von einem Thema aus, das er in seinem vorletzten Werk„Die Zukunft einer Illusion " ausjührlich behandctt hat, von der Religion. Nachdem er uns gezeigt hat, daß ein gewisses Gefühl, das ihm von einem seiner Freunde als„ozeanisches Gefühl" geschildert wurde, nichts anderes ist. als der Rest eines umfasienderen kindlichen Ich-Gefühls, das noch mtt der ganzen Um- well verbunden ist. kann schwerlich noch dieses Gefühl als Quelle der religiösen Bedürfnisse angesehen werden. Für diese liegt eine Ableitung von der Hilflosigkeit des Kindes und der dadurch geweckten Vatersehnsucht oiel näher.— Die Religion des gemeinen Mannes gehört unter mehreren möglichen Linderungsmitteln des Leidens wohl zu den Ersatzbefriedigungen. Denn, da niemaftd außerhalb der Religion die Frage nach dem objektiven Zweck des Lebens beantworten kann, können wir nur feststellen, daß die Menschen selbst dos Streben nach dem Glück als solchen Zweck erkennen, doch ist dieses„Programm des Lustprinzips" nicht durchführbar. Dagegen tritt von verschiedenen Saiten das Leid an uns heran, so daß im realen Leben die Leid- Vermeidung eine größere Rolle spiell als die Lustgewinnung. Freud bezeichnet als die interessanteste Methode der Leidverhüwng die der Beeinflussung des eigenen Organismus, für die es ein« ganze R�ihe gangbarer Wege gibt. Unter diesen interessieren am meisten die Illusionen und die Wahnideen, die sich jedoch dadurch unterscheiden, daß die Illusion als solche erkennbar ist und trotzdem wirksam bleibt, während die wahnhafte Entstellung eines Stückes der Wirklichkett niemand erkennt, wer sie selbst noch teilt. Ein solcher wahnhafter Umbildungsversuch der Realität ist, von einer großen Menge Men- schen gekneinsam unternommen, die Religion.(Dielleicht wäre aber auch eine nicht-wahnhafte Religion in der Form einer Illusion denkbar: Überhaupt scheint hier Freud mehr an die Kirche, als an die Religion gedacht zu haben.) Auf alle Fälle sind wr unentrinnbar vor die Aufgabe ge- stellt, das Leid möglichst zu verringern. Wenn wir uns mich mtt der Olotur, von der wir selbst nur ein Stück such, werden abfinden müssen, so verlohnt es doch, die sozial«. Leidensqvelle näher zu untersuchen. Hier fällt dex Verdacht aus unsere heiltige Kuttur, die dem Menschen mehr an Entsagung zumutet, als er tatsächlich ver- tragen kann. Die Ansänge dieser Kuttur beruhten aus dem Zwang zur Arbett aus äußerster Not und auf der Macht der Liebe, Die Kultur, stets bestrebt, die Menschen zu imiper größeren Einheiten zusammenzufassen, lenkt unseren Liebestricb von seinem eigentlichen sexuellen Ziel ab und macht ihn sozialen Aufgaben nutzbor. Der Grund, warum diese Arbeit nicht ebensogut durch unsere sozialen Interessen besorg! werden kann, liegt, wie Freud ans dem Vor, Haichensein gewisser christtichcr Morolgrundsätze schließt, in der Existenz eines jelbftändigen Angrtjjs- und Zer-
störungstrlebes(Aggresslonstrieb). Mit diesem be» findet sich der Liebestrieb in ständigem Ringen, und wenn er dabei auch an eigener Glückserfüllung einbüßt, so hat doch der Kulturmensch„für ein Stück Glücksmöglichkeit ein Stück Sichcrhett ein- getauscht". Der ganze Sinn der Kulturentwicklung, die als ein Prozeß im Dienst« des Eros die versinzelten Menschen zu einer großen Einheit der Menschheit zusammenfassen will, ist der Kampf zwischen Eros und Tod, das ist Lebenstrieb und Zerstörungstrieb.„Und darum ist die Kulturcntwicklung kurzweg zu bezeichnen als der Lebenskampf der Menschenart." Durch die stets wachsende Unterdrückung der beiden miteinander hadernden Urtriebe, Liebe und Todcsstreben, entsteht in den Menschen eine Spannun" zwischen der nach innen gewandien Aggression, dem „Gewissen" oder„Ueber-Ich" und dem Ich. Diese Spannung ist das, was wir als Schuldgefühl bezeichnen. Und so verstehen wir die Folgerung Freuds ,„daß der Preis für den Kultur- s ortschritt mit der Glückseinbuße durch die Erhöhung d:s Schuldgefühls bezahll wird". Den Spuren Haeckels folgend, macht Freud die Enidcckung, daß der eigenartige Kamps zwischen Liebes- und Todestrieb i n gleicher Weise für die Entwicklung des Einzel- menschen wie für den ganzen Kulturprozeß gilt, weil er nämlich da» Geheimnis alles organischen Lebens ist, dem sowohl Einzelmenschen wie Kulturgemeinschaft untergeordnet sind. Zwar bestehen gewisse Unterschiede zwischen diesem Prozeß im Indioidu- ellen und im Sozialen, doch kann man wohl den Vergleich so weit ziehen, daß auch der Gemeinschaft ein Ueber-Ich eigen ist, das Freud das.Lultur-Ueber-Ich" nennt und das seinen Ursprung viel- leicht in dem Eindruck hat. den große Führerpersönlichkeiten bei der Masse hinterlassen haben. Die Forderung, die dieses Kultur-Ueber-Jch an dos soziale Der- halten der Menschen stellt, bezeichnen wir als Ethik.(Freud meint hier wohl das Konkretum„Moral".) Aber genau so wie das Gewissen des Einzelmenschen bisweilen vom Ich zuviel verlangt, trägt auch das Kultur-Ueber-Jch der seelischen KonstituÄon des Menschen nicht genügend Rechnung. Es ist ein Irrtum,„daß dem Ich des Menschen alles psychisch möglich ist". Deshalb ist das Gebot ..Webe deinen Nächsten wie dich selbst" undurchführbar, und. aus die sozialen ZustäiÄe unserer Zeit anspielend, bemerkt Freud mit Bitter- keit:.Ich meine, solange sich die Tugend nicht schon auf Erden lohnt, wird die Ethik n er geblich prc- d i g e n. Es scheint auch mir unzweifelhaft, daß eine reale Ver- änderung in den Beziehungen der Menschen zum Besitz hier mehr Abhilfe bringen wird als jedes echijche Gebot: doch wird diese An. sicht bei den Sozialisten durch ein neuerliches idealistisches Verkennen der menschlichen Natur getrübt und für die Auswertung entwertet." Und so muß uns auch Freud wie Nietzsche den von allen, Revolutionären wie Frommgläubigen, leidenschaftlich verlangten T r o st o e r s a g e n. Trotzdem klingt das Buch gewissermaßen mit einem pazifistischen Wunsch aus, es sei nämlich die Schicksalsfrageder Mensch- h e i t,„ob und in welchem Maße es ihrer Kullurentwcklung gelingen wird, der Störung des Zusammenlebens durch den mensch» lichen Aggressions- und Selbstoernichtungstrieb Herr zu werden". £w*id Böhm