1930
Der Abend
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Nr. 76
B 38 47. Jahrgang
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35,4 Milliarden Gesamtschuld.
Auswärtiger Ausschuß und Haushaltsausschuß tagen gemeinsam.
Die tombinierte Sigung des Ausmärtigen Ausschusses und bes Haushaltsausschusses des Reichstags mird mit einigen Umständlichfeiten eröffnet. Zunächst muß der Auswärtige Ausschuß beschließen, daß seine Sigungen, soweit sie mit denen des Haushaltsausschusses gemeinsam stattfinden, ausnahmsweise öffentlich sein follen. Sodann entwidelt sich eine ausgiebige Geschäftsordnungsdebatte über bie Frage, ob der Doppelausschuß, der nicht weniger als 91 Abgeordnete umfaßt, mit den Beamten zufammen also eine Bersammlung von annähernd 150 Personen barstellt, in dem Sigungssaal des Hauptausschusses mit seiner berühmt schlechten Afuftit feine Tagungen abhalten fann. Nach längerem Hin und her entschließt man sich, in den Plenarjaal zu übersiedeln. Der Borfizende, Abg. Heimann, nimmt feinen Play doit, mo fonft der Rebner steht, um zu verhindern, daß die Gewohnheiten einer Blenarsigung einreißen und zu lange Reden gehalten werden. Sonst unterscheidet sich die tombinierte AusschußFigung pon durchschnittlichen Plenarsigungen des Reichstages nur Durch die volltommen leeren Tribünen und burd bie blauen Rauchmolfen, bie pon ben Bänten der Regierung und ber Abgeordneten aufsteigen. Die Blenarsizungen find rauchfrei, der Ausschuß aber haft auf Jein Recht, rauchen zu dürfen.
Die fachliche Erörterung beginnt so mit einiger Berspätung um 11 Uhr mit einer Rede des Reichsaußerministers Dr. Curtius über die Frage der Annuitäten. Der Minister beginnt mit einer Bolemit gegen ble Rebe des Abgeordneten Hoeksch im Plenum und führt aus, daß Deutschlanb teineswegs die Zahlung ber interalliierten Schulden an Amerita übernommen habe. Die Schulben der Entente an Amerita gehen uns nichts an, ausgenommen den einzigen Fall, daß sie herabgesetzt werden. Dann tommt dieser Zahlungsnachlaß uns zugute. Der Minister beziffert die Durchschnittsbelastung der ersten 37 Jahre auf 1988 Millionen jährlich und mehrt sich gegen die Rechenmethoden der Opposition, die durch zusammenzählung der Annuitäten zu einer Gesamtschuld Don 113 Milliarden tommt; unter Anwendung der gleichen Methode würde aber die Gesamtschuld aus dem Dames Blan auf eine noch viel höhere Summe, nämlich auf 169 Milliarden zu be. rechnen fein. Doch ist diese ganze Berechnungsmethode unsinnig. In Wirklichkeit beträgt unsere
gefamte Kapitalfchuld aus dem Young- plan 35,4 milliarden 3u 5% Prozent.
Der Minister beschäftigt sich dann noch mit der Frage der unge schützten Annuitäten, deren zeitmeilige Erhöhung von 660 auf 700 Millionen auf die Möglichkeit der Mobilisierung feinen Einfluß hat. Die zu mobilisierende Gumme wird durch die vorgenommene Er. höhung der Annuitäten mur von 10,4 auf 10,6 milliarden erhöht. Dem Bortrag des Ministers folgt eine lange Oppositionsrede des Deutschnationalen Dr. Reichardt, der in der Haupt fache das von Dr. Quaaz im Plenum Borgetragene noch einmal wiederholt.
Stelldichein: Englisches Kriegsschiff.
Wo sich Arabertönige treffen.
Bagdad , 14. Februar. Die vor einiger Zeit angefündigte Konferenz zwischen den beiden arabischen Königen Ibn Saud vom Hedfchas und König Faisal vom Ir af wird, wie jetzt entschieden worden ist, an Bord eines englischen Kriegsschiffes im Persischen Golf im Laufe der nächsten Woche stattfinden, König Faisal pom Irat wird neben vier Mitgliedern feines Hofstaates von seinem Premierminister und dem englischen Dherfommissar Sir Humphrey begleitet werben. Auf der Konferenz wird über den Abschluß eines Freund schaftsvertrages zwischen Hadichas und Irat und über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden Nachbar ländern verhandelt merden.
Strefanzelge agaen Gasda. Gegen den ehemaligen titetischen Generalstabschef Gajda wurde von dem Grundbefizer Aborig, einem Pritglied der faschistischen Partei, Strafanzeige wegen Betruges urb Unterfelagung erstattet. Gajda hat, wie die Anzeige behauptet, von 3borill ausgestellte und von Gajda afzeptiert: Wedfel in der Söhe von 200 000 str. wiberrechtlich behalten, we'ter einen Betrag von 10 000 Str. in betrügerischer Art herausgefodt und wertvolle antité Gegenstände veruntreut,
Aufmarsch der
Parteifahnen
bei der Beftaltung des genoffen aul Levi im Krematorium Wilmersdorf
Pletschkaitis vor Gericht.
„ Sprengstoffvergehen" litauischer Emigranten.
Justerburg, 14. Februar.( Eigenbericht.)
Bor dem Insterburger Schmurgericht begann heute morgen unter starter polizeilicher Sicherheit der mit Spannung erwartete prozeß gegen Pletschtaitis und Genossen. Bahlreiche Breffevertreter find nicht nur aus Deutschland , sondern auch aus Bolen, Litauen und Bettland erschienen. Die Regierung ist durch Regierungsrat Schumann und Polizeimajor Lendromsti- Gumbinnen vertreten, Beisiger sind Gerichtsaffeffor Lemte, und Landgerichtsrat Herbst.
Am 2, und 3. September 1929 wurden im Walde in der Nähe Don Mellehnen sechs verdächtige Männer beobachtet. Landjäger in Gemeinschaft mit Gutsarbeitern umstellten den Wald und nahmen die Berdächtigen in der Nähe der Grenze fest. Man fand bei ihnen und in einem Korbe, den sie bei sich führten, Flugblätter sowie fechs zwei Gewehre, sechs Revolver, sechs Handgranaten, viele Munition schwere Bomber, zwei aus Weißblech, vier aus Stahlrohr. Dem Amtsgerichtsrat von Stallupöhnen erklärten sie, sie hätten die Waffen bloß zu ihrer eigenen Verteidigung bei sich geführt, ihre Absicht sei gewesen, ihre Berwandten in Litauen aufzusuchen, um Geld zur Fahrt nach Argentinien zu erhalten. Auf irgend welche Fragen, die sich auf Woldemaras bezogen, vermeigerte Bletschtaitis jede Antwort. Anfang November richtete er aber aus dem Insterburger Gefängnis eine 3uschrift an den Vorwärts", in der er sich gegen die Anschuldigungen zur Wehr setzte, als sei er von polnischer Seite veranlaßt worden, ein Attentat gegen den früheren Diktator Litauens , Woldemaras, in Ostpreußen auszuführen. Er erflärte, weber gegen Woldemaras noch gegen eine andere Person in Ostpreußen ein Attentat geplant und mit niemand aus der Zahl der verantwortlichen Männer der polnischen Regierung oder mit Regierungsstellen je über einen solchen Attentatsplan gesprochen zu haben.
Oberhand und standrechtliche Massenerschießungen waren die Antwort. Der litauische Sozialdemokrat Mikulsti murde bei der Berfolgung erschossen, Pletschtaitis flüchtete nach Polen . Er fuchte dort Annäherung an Biljudski, den er als fleineres lebel im Bergleich zu Smetona betrachtete. Diese Haltung Pletschkaitis führte zum endgültigen Bruch mit seinen früheren Parteigenoffen. Schon seine Teilnahme an dem Butsch in Tauroggen hatte zu seinem Ausschluß aus dem Zentralfomitee der Sozialdemokratie geführt. Jeßt wurde er auch aus der Organisation der litauischen Emigranten in Polen ausgeschlossen. Die polnischen Sozialdemo traten trugen ihm seine Annäherung an Pilsudski nach. Er stand vollkommen isoliert da.
Beginn der Verhandlung.
Pletschtaitis macht über seine Personalien folgende Angaben: Am 27. November 1887 geboren, verheiratet, drei Kinder im Alter von 6 bis 10 Jahren, jest polizeilich geschieden. Er war früher Gewerkschaftssekretär. Pletschkaitis sieht gequält und leidend aus. Die anderen Angeklagten find jugendliche Personen im Alter von 21 bis 32 Jahren.
Die Berständigung mit den Angeklagten, die, außer Pletschfaitis, nur die litauische Sprache fennen, ist sehr schwer. Sie muß durch einen Dolmetscher erfolgen. Achtzehn Zeugen und drei Sachverständige sind geladen und erschienen.
Der Angeklagte Anton Daugschas, Arbeiter aus Sawalfy, gibt an, 6 Monate eine litauische Polizeischule besucht zu haben und bis Dezember 1927, wo er flüchten mußte, Bolizeibeamter ge befen zu sein. Pletschtaitis fennt er seit längerer Zeit, die anderen Angeflagten feit feiner Flucht. In Sawally sind die Angeklagten zusammengekommen, um gemeinsam die Eltern in Litauen zu besuchen. Dort wollte er sich Geld beschaffen, um nach Amerita zu gehen. Gegen die litauische Polizei wollte er sich notfalls mit dem Revolver verteidigen. Da die polnisch- litauische Grenze scharf be wacht werde, gingen sie über die oftpreußische Grenze. Am Morgen darauf wurden sie in einem wäldchen auf deutscher Seite feft genommen. Rudsad und Bastkörbchen, in dem sich die Bomben befanden, will er nicht getragen haben. Der Angeklagte Peter 3a. lenta hat die Boltsschule besucht und ist Arbeiter. Im Kriege hat er die linke Hand verloren. Bei dem Tauroggener Aufstand mußte Am 9. September 1927 fam es zum Aufstand in Sauer flüchten. Eine Verabredung, gemeinsam über die Grenze zu roggen; bas war nur ein Symptom für die ungeheure Gärung gehen hat nicht vorgelegen. Er traf die anderen an der deutschen im Bande. Die litauische Staatsbank wurde ren den Lintsraditalen Grenze und schloß sich ihnen an, um seine Frau in Kibarty zu befeßt, die Polizei wurde entwaffnet. Das Militär behielt aber die besuchen. Zum Grenzübertritt war er berechtigt, da er einen Aus:
Hieronymus Pleschfaitis, von Beruf Boltsschullehrer, ist zur Sozialdemokratischen Bar'ei nach der Revolution gekommen. Als im Dezember 1926 die Regierung Dr. Grinius durch den Butsch Smetonas und Boldemaras gestürzt und die sozialdemokratische Presse unter Zensur gestellt wurde, eine Belle des Terrors durch das Land ging und die sozialdemokratischen Funktionäre in Maffen verhaftet und selbst zum Tode rerurteilt wurden, da machten sich unterirdische Gegenströmungen bemertbar.