Morgenausgabe
Nr. 79
A 40.
47.Jahrgang
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Sonntag
16. Februar 1930
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Der Kampf um den Etat. Statins neue Terrorwelle.
Hände weg von der Arbeitslosenversicherung!
Am Montag mill das Reichskabinett ben Versuch machen, ben| langt, eine etwaige Beitragserhöhung an eine qualifizierte Mehr Etat für 1930 zu verabschieden. Man rechnet mit einer Dauer heit gebunden märe und dadurch praktisch überhaupt nicht zur Dis fizung, um die vielen Streitfragen zu entscheiden, die selbst inner- tuffion stände. halb der Regierung vorhanden sind. Auch die Finanzjachverständigen der Regierungsparteien fegen am Montag ihre Beratungen fort, so daß bereits der Anfang der Boche Entscheidungen bringen dürfte. Trotzdem ist sicher, daß der ursprünglich für die Annahme der Young- Geseze in Aussicht genommene Termin, der 22. Februar, nicht innegehalten werden tann. Auch wenn man davon absehen mirde, die Annahme der Young- Gefeße von einer vorherigen BerNandigung über die Finanzreform abhängig zu machen, wird man mit einer Berzögerung rednen fönnen. Sie wird um fo fänger merben, je schwieriger die Berständigung unter den Parteien zu erzielen sein wird.
Diese Berständigung ist bisher nicht einmal in ihren Umrissen fichtbar. So einig die Regierungsparteien über die Annahme der Young- Gesetze sind, so uneinig sind sie über alle materiellen innerpolitischen Fragen, die nacher entschieden werden müffen. Obwohl feit über einer Woche unter den Regie rungsparteien perhandelt wurde, ist man bisher teinen Schritt vor märts gekommen. Bei diesen Berhandlungen dürfte es sich im wesentlichen um drei Fragen handeln: die Deckung des Fehl betrages der Arbeitslosenversicherung, die Mög lichkeit meiterer Ausgabentützung und die Dedung des bann noch vorhandenen Fehlbetrages durch Steuern.
Der letzte Borschlag des Reichsfinanzministers Dr. Moldenhauer, der Erwerbslojenpersicherung nur noch für zwei Jahre fefte, Den Fehlbetrag nicht voll bedende Darlehen zu gewähren, diese Darlehen vom Jahre 1932 ab vollkommen zu beseitigen, aber der Reichsanstalt das Recht zu geben, durch eigene Entscheidungen Einnahmen und Ausgaben ins Gleichgewicht zu bringen, ift tem gangbarer Ausweg: Er wird den
Ebenso groß sind die Gegensätze in der Frage der Steuer erhöhung. Die Vorschläge Dr. Moldenhauers, den Fehlbetrag allein durch Verbrauchssteuern zu deden, find so einseitig, daß sie auf eine Zustimmung der Sozialdemokratie nicht rechnen fönnen. Die Bedenken gegen eine einseitige Anspannung der Berbrauchssteuern entspringen nicht mur der Erwägung, daß man damit die unteren Bolfsschichten zu start und ungebührlich hoch belastet, sondern auch der Erfemminis, daß eine solche Steuerpolitik wirtschaftlich schädlich ist und einer Wirtschaftsbelebung und besseren Beschäftigungsmöglichkeiten die Wege derbelebung und besseren Beschäftigungsmöglichkeiten die Wege verSperrt.
Das Reichskabinett steht deshalb am Montag vor einer sehr schwierigen Aufgabe. Will es die Annahme des Young- Blanes nicht gefährden und eine neue schwere Erschütterung des deutschen Wirtschaftslebens verhindern, dann muß es nach einem Ausweg suchen, der eine gemeinsame Blattform für die Regiesuchen, der eine gemeinsame Blattform für die Regie rungsparteien abgeben kann. Die sozialdemokratische Reichstagsfraffion hat bereits in der vergangenen Woche ihre Bereitwilligkeit erklärt, an der Sanierung der Reichsfinanzen mitzuarbeiten. Aber für dieses Ziel muß ein Weg gefunden werden, der die sozial politischen Einrichtungen, die für die Malle des Bolles Sicherung ihrer Existenz bedeuten, unangetastet läßt und nicht den Bersuch macht, bie zur Gesundung der deutscher Finanzen erforderlichen Mittel einseitig den schwächsten Kreisen der Bevölte rung aufzuerlegen.
Beratungsstelle lebt weiter
Bis nach der Berabschiedung des Reichsetats.
Der Reichsfinanzminister hatte für gestern die Finanzund Innenminister der Länder zu einer Besprechung der schwebenden Kampf um die Erwerbslosenversicherung, allgemeinen Finanzfragen im Reich und in den Ländern gebeten. Der im vergangenen Jahr die politische Lage vollkommen beherrschte, Im einzelnen wurden die Aufstellung der Haushalte in Reich, Ländern aufs neue entfeffeln. Denn von allen anderen, recht gewichtigen und Gemeinden und die Wege zur Dedung der Haushalte erörtert. Bedenten abgesehen wäre diefer Borschlag ohne 3meifel wiederum Beiter wurden die Möglichkeiten geregelter Anleihegebarung im Zusammenhang mit der Fortführung und dem Umbau der geeignet, einen Abbau der Leistungen der Arbeitslosenversicherung Beratungsstelle für Auslandstrebite beraten Dabei wurde llebereinzu erzwingen, der die Bersicherung unabhängig macht von Reichsstimmung über die Aufrechterhaltung der Beratungsstelle bis mitteln und Beitragserhöhungen vermeidet. Noch viel größer mären zur Berabschiedung des Haushalts 1930 erzielt, um die gründliche selbst die Bedenfen, menn, wie das die Deutsche Boltspartei ver- Prüfung der im übrigen vorliegenden Borschläge zu sichern.
Neue Arbeitslosigkeit.
334000 Berliner fuchen Arbeit.
In der vorigen Woche fah es so aus, als ob die Fluf der Arbeitslosiglelt in Brandenburg und in Berlin zum Stillstand tommen würde. Leider ist das falsch, wie der Wochenbericht des Candesarbeitsamts Brandenburg für die Woche zum 8. Februar beweift. In Berlin ist die Zahl der Arbeitsuchenden auf 334 151 geffiegen; in Brandenburg gab es 7375 neue Arbeitsloje, die in der Hauptsache auch auf Berlin entfallen, Berlin hat jetzt 186-929 Unterstüßte der Arbeitslosenverficherung und 33 311 Unterstützte der Krisenfürsorge Der Rest belaftef in der Hauptfache die städtische Wohlfahrt und verfchärft naturgemäß auch die Finanzforgen Berlins . Die schwersten Störungen gehen jeht, obwohl das Wetter am Bauen immer noch nicht hindert, von der Bauwirtschaft aus. Die leichten Belle rungen in der Metallindustrie und im Bekleidungsgewerbe haben dagegen nichts ausrichten fönnen. Eine neue Mahnung, mit der Gefährdung der Bauwirtschaft durch die Beschneidung der Kapitalzufuhr vorsichtig zu sein.
Schnapsverbot am Lohntag. Eingeschränkter Branntweinverkauf in Deutschland .
Der Bolkswirtschaftliche Ausschuß des Reichstags traj am Sonn abend die Entscheidung über den Paragraphen 15 des Gast ftättengefeßes, der vorsicht, daß die obersten Landesbehörden ben Ausschant von Branntmein fowie den Klein handel mit Branntwein für bestimmte Morgenstunden und ferner an& ohn- und Gehaltszahlungstagen, jedoch höchstens an zwei Tagen in der Woche, ganz oder teilweise verbieten oder beschränken fönnen. Radh längerer Aussprache wurde die Bestimmung mit 14 gegen 13 Ctimemn angenommen.
Dr. Mumm( Chr. nat. Arb.- Gem.) zufammen. Brattisch würde die Durchführung dieses Beschlusses bedeuten, daß ber Branntwein ausschant und-verkauf an den Freitagen und Sonnaben. den jeder Boche verboten werden könnte. Auf sozialdemokratischen Antrag wurde noch eine Ergänzung bahin beschlossen, daß das Berbot auch auf die Wahltage für den Reichstag , die Landtage und Gemeindevertretungen ausgedehnt werden kann.
Frick macht eine Kraftprobe. Ein Angriff gegen die Deutsche Boltspartei.
Weimar , 15. Februar.( Eigenbericht.) Wie wir aus zuverlässiger Quelle erfahren, ift der volksparteiliche Schulleiter Dr. Siefert am Gymnafium in Weimar von dem nationalsozialistischen Bollsbildungsminifter Dr. Frid feines Amies als Schulleiter enthoben worden. Dr. Siefert hatte auf Grund von Schulverordnungen einen Schülern berboten, den völfisch- nationalen Schülerbünden Adler und Jalte" and„ Schilt beizutreten. Frids erste Tal als Minister war, daß er von Dr. Siefert verlangte, daß er das berbot fofort aufheben sollte. Dr. Siefert weigerte fich aber, das zu tun. Darauihin hat ihn Frid von seiner Funktion als Schulleiter enthoben. Dr. Siefert war jahrelang ftellvertretender Borfihender der Organisation der Deutschen Volkspartei in Thüringen . Man darf gespannt sein, wie die Deutsche Volkspartei diese provokation des Nationalsozialisten Dr. Frid gegen eines ihrer führenden Mitglieder aufnimmt.
Thüringische Regierungsforgen.
Das thüringische Staatsministerium entfaltet eine fabelhafte Initiative. Zu Ghren der Großherzogin Luise von Sachsen Weimar hat diese Rechtsregierung nunmehr einen Die Mehrheit fest fich aus Sozialdemokraten, Romeranz am Sartophag der Großherzoginn der Fürstengrujt maniften und den Abgeordneten Dr. Strathmann( Dnat) und niederlegen laffen.
Kerensti beklagte sich vor einiger Zeit bei der sozialisti schen Fraktion der Französischen Kammer über die ,, Gleichgültigkeit des sozialistischen Europas " gegenüber dem iederaufleben des Terrors, der zur Zeit in Ruß land mütet. Ich erachte diesen Bormurf als nicht begründet, oder zum mindesten enthält er ich merde gleich sagen marum marum nur den Schein einer Begründung.
Fast kein Tag vergeht, ohne daß die sozialistische Presse aller Länder die terroristischen Afte der Stalinschen Diktatur brandmarkt. Anläßlich seiner letzten Sizung, Ende November vergangenen Jahres, hat das Büro der SAJ. einen energiichen Proteft gegen das Syftem der Massenhinrichtun gen, die an die schlimmsten Zeiten des Bürgerkrieges er innern, erlassen. Außerdem wird demnächst der Bericht des Genossen 2 bramowitsch, den er der Kommission zur Untersuchung der Lage der politischen Gefangenen vorgelegt hat, erscheinen. In ihm wird die Anklage erhoben gegen die schlechte Behandlung der politischen Gefangenen in Rußland und gegen die massenhaften Todes= urteile, die von den Bolschewiften, die die Todesstrafe früher prinzipiell ablehnten, verhängt werden. Deshalb ist es ungerechtfertigt au sagen, daß das sozialistische Europa Das Gegenteil ist richtig: die Geschehnisse teines anan dem, was in Rußland vorgeht, feinen Anteil nehme". beren Landes erregen wohl größere Aufmerksamkeit und Beforgnis. Aber andererseits gibt es auch kein anderes Land,
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wo es dem Wahrheitssuchenden schwerer wäre, zu erfahren, was mirtlich vorgeht. Wir haben allen Grund, den Anschuldigungen der bürgerlichen Breffe und der Apologetik der offiziellen Moskauer Breffe mit gleichem Mißtrauen zu begegnen. Es wäre ein Mangel an fritischem Sinn. menn wir die Aussagen der Enttäuschten", der Ausgeschloffenen und Berbannten der Kommunistischen Bartei so zahlreich und eindrucksvoll sie auch find anders als mit Vorbehalt aufnehmen würden. Wir sind. um gewissenhaft urteilen zut fönnen, in großem Maße auf die Informationen angewiesen, die langfam, mit Schwierigkeiten und sehr großen Verspätun gen aus Rußland felbft von den Unsrigen, die in geheimen Organisationen mit Gefahr für ihre Freiheit und für ihr Leben gegen die Dittatur fämpfen. uns zukommen Aber fügen wir sogleich hinzu, daß. so unvollständig, so fragmentarisch alle Informationen auch fein mögen. fo groß auch der Anteil it. den man bei der fritischen Wertung des Materials, der Leidenschaft der tendenziöfen Uebertreibung und fich um gewiffe Kreise handelt auch der instematischen und bewußten Berleumdung zuschreiben muß. fo bleibt doch ein Tatsachenkomplex, den man als erwiesen betrachten muß und für den die unmittelbare Verantwortung in grauenhafter Weise auf die Führer der USSR . fällt
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wenn es
In den Hauptpuntten vorbehaltlich möglicher Fehler in Einzelheiten begegnet sich unsere Kommission in der Tat in der schlagenditen Weise, sowohl mit dem anonymen la Russie nue(..Das nadie Ausland")- fommunistischen Verfasser in der heftigen Anklageichrift die Panaft it ratis fürlich herausgab. als auch mit Kereniti felbst, der in feinem Bericht an die franzöfifche Sozialistische Bartei erschreckende Einzelheiten über die Afte der zweiten Etappe des bolichewistischen Terrors bringt.
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Man tann selbstverständlich über die Zukunftsmöglich feiten des Somietregimes verschiedener Meinung sein. Man fann den Fünfjahresplan" oder die landwirtfchaftlichen Rollettivbetriebe" verschieden einschäken obwohl offen gefagt werden muß. daß die ersten Ergebeniffe feit der Aufgabe der Mep und der Rückkehr zum Kriegstommunismus die peffimistisch ften Voraus fagen zu rechtfertigen scheinen. Aber vom menschlichen Standpunkt aus dem einzigen, der uns in diesem Augenblid beschäftigt ist es nur zu gewiß daß leider unter dem Schuke einer Fahne. die diefelbe Farbe hat, wie die unserige, in Rußland gegenwärtig Dinge vor sich gehen. die jeden empören müffen. der fich Achtung vor der Freiheit und dem menschlichen Leben bewahrt hat. In feinem Bericht an die franzöfifche Sozialistische Partei hat sich ereniti in bezug auf diesen Runkt fofnendermaßen ausgesprochen:
„ Gegenmärtig erschießt die Sowjetregierung, mitunter nach einem Trugspiel der Urteilsfällung, in den meisten Fällen jedoch ohne Urteil, mindestens fünf Personen pro Tag. Zur Beranschau ichung gebe ich Ihnen die Zahl der zum Tode Berurteilten in der Beit vom 1. Oktober bis 15. November: diese Zahl beläuft sich auf 225... Bom 15. November bis 1. Dezember find 45 Hinrichtungen hinzuzufügen. Mit Ausnahme von zwei bis drei Fällen ist diese Statistit vollständig der Stalinschen Bresse entnommen.
Aber Sie werden verstehen, daß diese Ziffern lange nicht alle Hinrichtungen, die stattgefunden haben, umfaffen Bor allem werden bei weitem nicht alle Urteile der Gerichte und Dekreta der GP1, in den offiziellen Zeitungen der USSR . veröffentlicht.
Ganz im Gegenteil: es geschicht nur ausnahmsweise000 ti nämlich bann, menn die Bermalung Stalins wieder einmal die