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Morgenausgabe

Nr. 81

A 41

47.Jahrgang

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Vorwärts

Berliner Volksblatt

Dienstag

18. Februar 1930

Groß- Berlin 10 Pf. Auswärts 15 Pf. Jeig

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Krise in Paris .

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Die Splitterparteien.

1:00

Der Staatsgerichtshof enttäuscht ihre Hoffnungen. Ermutigt durch die frühere Rechtsprechung des Staats­

Regierung Tardieu in der Minderheit. - Nur Wechsel im Finanzministerium gerichtshofes hatte der völlisch nationale Blod in

oder Gesamtrücktritt?

Baris 17. februar.( Eigenbericht.) Die Regierung Tardieu ist heute abend gegen 8 Uhr im Verlauf der General debatte über das Budget in der Kammer gestürzt. Finanzminister Cheron hatte zum zweiten Male im Laufe des Abends die Vertrauensfrage stellen müssen. Bereits bei der ersten Gelegenheit, gegen 4 Uhr nach mittags, blieb die Regierung mit 12 Stimmen in der Minderheit. Da aber die Geschäftsordnung der Kammer die nachträgliche Rektifitation des Abstimmungsresultates zuläßt, gelang es, nach dem sämtliche anwesenden Minister und Staats­sekretäre für sich selbst ihre Stimme abgegeben hatten, der Regierung noch einlegtes Mal, eine schwache Mehrheit von 20 Stimmen zu erreichen. Um 8 Uhr abends stellte Chéron zum zweiten Male. die Vertrauensfrage. Diesmal blieb die Regierung endgültig mit 286 gegen 281 Stimmen, also mit 5 Stimmen, in der Minderheit. Die Mi­nister verließen sofort den Saal, die Situng wurde geschlossen.

Der Sturz der Regierung erfolgte über eine Frage untergeordneten Ranges, die lediglich ale Symptom für die seit Wochen aufs äußerste ver schärfte Spannung zwischen Finanzminister und Kammer zu gelten hat. Es handelte sich um Artikel 3 des Finanz­gesezes, um die Frage, ob der Mann für die Ein. fünfte seiner Frau steuerpflichtig sei. Im Vorschlag der Finanzkommission wurde diese Frage ab. gelehnt. In der heutigen Kammerfikung nahm Finanz minister Chéron einen gegenteiligen Standpunkt ein. Die Debatte spitzte sich zu und Chéron richtete eine klare Kampfansage an die Rammer, indem er erklärte, daß er es als ein persönliches Mißtrauensvotum be trachte, wenn die Kammer bei jeder kleinsten Frage systematisch Obstruktionspolitik treibe. Die Kammer möge sich daher für oder gegen die Regierung entscheiden, und er stelle die Vertrauensfrage. Die Abstimmung er gab dann das oben wiedergegebene Resultat.

*

Seit Tagen lag der Sturz des Finanzministers Cheron in der Luft. Der Ministerpräsident Tardieu, der am Sonnabend aus London nach Paris zurückkehrte, wurde so­fort nach seiner Ankunft von seinen Kollegen darüber infor­miert, daß es höchste Zeit sei, diesen unbeliebten Finanz­minister zu erfezen. Gleich darauf erkrantte Tardieu an Grippe, so daß er am Montag der Kammerſigung fernbleiben mußte. War etwa diese Krankheit politischer Natur, um eben Cheron seinem Schicksal zu überlassen und ihn so schnell wie möglich stürzen zu lassen? Es gibt in Paris Leute, Die Tardieu eine solche raffinierte Tattit wohl zutrauen.

Die Frage ist nun, ob es bei der bloßen Ausschiffung des Finanzministers bleiben oder ob eine völlige Neubildung des Kabinetts, etwa unter einem neuen Ministerpräsidenten er­folgen wird. Das Kabinett hat, im Einvernehmen mit dem bettlägerigen Ministerpräsidenten, seine General demission überreicht. Dazu war es wohl nach den parla­mentarischen Regeln verpflichtet, aber das Staatsoberhaupt Doumergue ist nicht verpflichtet, diesen Gesamt rücktritt anzunehmen. Doumergue fann sich auf den Stand punkt stellen, daß es sich ausschließlich um eine Finanzminister­Prise handle, und Tardieu bitten zu bleiben und sein Kabinett zu ergänzen. Das ist vorderhand sogar der wahrschein

Strömung unter Führung des neuen Frattionsvorsitzenden Chau temps vorhanden, die oppositionsmüde ist Nachdem die Sozialisten endgültig wenigstens für die Dauer der jezigen Legislaturperiode- die Koalitionspolitik abgelehnt haben, sind zahlreiche Radikale der Ansicht, daß es an der Zeit fei, fich wieder an der Regierung zu beteiligen. Allein unter Tardieu, der eine ausgesprochene Rechts­regierung mit einer flaren Rechtsmehrheit gebildet hat, ist das für sie unmöglich. Eher noch fönnten sie ihre Rückkehr zur Regierungspolitit unter Briand und sogar unter Boincaré vollziehen.

felbst wenn er von Tardieu heimlich gewünscht wurde, auch Es ist also feineswegs undenkbar, daß der Sturz Chérons, den Sturz Tardieus selber nach sich ziehen wird. Vermutlich wird schon der heutige Tag darüber Klarheit schaffen, welche Konsequenzen der Präsident Doumergue aus der gestrigen Kammerabftimmung zu ziehen gedenkt.

Gesamtdemiffion überreicht.

Paris , 17. februar. Finanzminister Cheron und Kriegsminister Maginot haben den Ministerpräsidenten Tardieu über die Ereignisse, die fich heute abend in der Kammer abspielten, unterrichtet, während sämtliche in Paris anwesenden übrigen Minister in einem Nebenzimmer

marteten.

Ministerpräsident Tardieu verfaßte das Deniissions. Ichreiben und gegen 10 Uhr( franzöfifcher Beit), begaben sich fämtliche in Paris anwesenden Minister mit Ausnahme des Ministerpräsidenten, der das Bett hüten muß, und mit Ausnahme tes in London weilenden Marineminifters Lengues und des in Genf weilenden Handelsministers Flandin ins Elysee, wo sie den Präsidenten der Republik das Demissionsschreiben des ge jamten Kabinetts überreichten.

Reichsfabinett und Etat. Eine Nachtfihung.

Das Reichskabinett frat gestern abend zu einer Beratung über den Etaf für 193 und die Dedungsvorlage zusammen. Die Be­ratungen dauerten i den späten Nachtstunden noch an.

Köfters Befinden unverändert ernst.

Anhaltendes hohes Fieber.

Belgrad , 17. Febraur, 7 Uhr abends.( Eigenbericht.) In dem Befinden des deutschen Gesandten in Jugoslawien , Dr. Adolf Köfter, ist am Montag eine Befferung nicht eingetreten. Der Zustand Köfters ist nach wie vor außer ordentlich bedentlich. Das Thermometer zeigte auch den Tag über hohes Fieber und stieg zeitweise bis zu 40 Grad. Die Befürchtungen der Aerzte um Dr. Köfter ftüßen sich hauptsächlich darauf, daß das Herz des Patienten durch die schwierige Operation außerordentlich start angegriffen worden ist.

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fandtschaft in Belgrad : Nach Mitternacht erfahren wir auf Anruf bei der deutschen Ge­

Der hierher berufene Universitä professor Dr. Wendebach hat ben Batienten untersucht. Die Darmtätigkeit hat noch nicht wieder begonnen. Der Zustand Dr. Köfters ist nach wie vor ernst; sein Allgemein befinden zeigt eine Besserung. Temperatur 38,2 Grad.

Gemeinschaft mit der Boltsrechtspartei gegen das Land Preußen vor dem Staatsgerichtshof eine Fest= stellungsklage eingereicht. Die Klage behauptete, daß die Borschriften des preußischen Wahlgefeßes über die Berrech­nung der Reststimmen bei der Berhältniswahl verfassungs­midrig seien. Die Klage wandte sich vor allem gegen die Bestimmung, daß einem Landeswahlvorschlag höchstens die gleiche Zahl der Abgeordnetenfiße zugeteilt werden kann, die auf die ihm angeschlossenen Kreiswahlvorschläge entfallen find. Diese Bestimmung des preußischen Gesetzes stimmt wörtlich mit der Borschrift des§ 32 des Reichswahlgesetzes überein. Das Reichswahlgesetz ist seinerzeit von der ver­faffunggebenden Nationalversammlung einstimmig an­parteten schloß also die Behauptung in sich, daß das von der genommen worden. Die Klage der beiden Splitter­Nationalversammlung einstimmig beschlossene Reichsgesetz ebenfalls verfassungswidrig sei, weil es den Grundsaz ber Gleichheit der Wahl verlege.

Der Gedanke, daß im Ernst der Staatsgerichtshof ein Feststellungsverfahren über diese Behauptung einleiten müsse, und noch mehr der Gedanke, daß es in seine Hand ge­geben sei, zu entscheiden, ob das einstimmig beschlossene Reichswahlgefet verfassungswidrig sei oder nicht, ist absurd. Die Tatsache, daß ernstlich verhandelt worden ist, wird durch die Entscheidung des Staatsgerichtshofes nicht aus der Weit geschafft. Der Staatsgerichtshof hat die Klage des völlisch­nationalen Blods abgewiesen, er hat festgestellt, daß das Reichswahlgefeß verfassungsmäßig ist, und daß demnach auch ein Landeswahlrecht, das sich mit dem verfassungsrecht lich gültigen Reichswahlrecht decke, nicht verfassungswidrig fein fönne.

der Kläger und des Landes Preußen in langen Schriftsäzen Dieser Entscheidung ist eine Darlegung des Standpunkis vorhergegangen, umfangreiche Rechtsgutachten sind erstattet worden, der Staatsgerichtshof hat zwei Tage lang verhan­delt und das Ergebnis ist genau dasselbe, das bei einer Entscheidung des gesunden Menschenverstandes herausge­tommen wäre.

In Wahrheit handelt es sich bei dieser Klage um einen politischen Versuch, mit juristischen Mitteln die Stellung der gegenwärtigen Regierungstoalition in Preußen zu er­schüttern. Es tann nicht bestritten werden, daß dieser Ver­such erst unternommen werden konnte, als frühere Urteile des Staatsgerichtshofes in den Splitterparteien den Glau ben ermedt hatten, daß hier auch das Unmögliche möglich werben tönnte. Es ist an sich schon eine groteste Situation, daß gerade die Splitterpartei, die der Demokratie feindlich gegenübersteht, Klage erhob mit der Behauptung, daß die Demokratie den Grundsag der poli­tischen Gleichheit verletze, sie wurde noch grotester durch die tischen Gleichheit verletze, fie wurde noch grotester durch die Tatsache, daß ausgerechnet der Staatsgerichtshof in Leipzig darüber entscheiden sollte. ob die auf Grund demokratischen Wahlrechts gewählten Parlamente und ihre demokratisch­republikanischen Mehrheiten die Demokratie mißachtet hätten!

Diefer politische Vorstoß, der zugleich ein Angriff auf das Reichswahlgesetz im Intereffe der Splitterparteien war, ist mißlungen. Es sind im wesentlichen drei Punkte, die die Begründung des Urteils des Staatsgerichtshofes feststellt.

Zunächst hält das Urteil den Klägern ein Kolleg über den Begriff der demokratischen Gleichheit:

liche Ausgang dieser Kriſe. Denn Tardieu selbst verfügte Bugkatastrophe bei Glasgow . Grundfag der Wahlgleichheit. Auch für die Durchfüh

bisher stets über eine zwar nicht sehr erhebliche, aber doch fichere Mehrheit.

Indeffen wären Ueberraschungen nicht undenkbar. Man darf nicht vergessen, daß Poincaré vor zwei Wochen, nach halbjähriger Krantheitspause, völlig wiederhergestellt und tatenluftig wieder in Paris eingetroffen ist. Er hat den Ehr geiz, wieder Präsident der Republik zu werden und zu der im Jahre 1931 wieder fälligen Wahl zu fandidieren. Bis dahin wird er bestrebt sein, wieder aftiv als Ministerpräsident in Lätigkeit zu treten. Hält er seine Stunde schon jetzt für ge­tommen, dann wird Doumergue faum zögern, ihm den Ge­fallen zu erweisen und Tard eu zu opfern. Auch Briand erträgt ungern die Rührigkeit Tardieus, der seit dem Haag und neuerdings auch in London die Leitung der außen politischen Geschäfte mit wechselndem Erfolg an sich reißt. Endlich ist in der Radikalen Partei eine starte

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70 Fahrgäste unter den Trümmern der Wagen.

London , 17. februar. Bei Rutherglen in der Nähe von Glasgow hat sich heute abend ein folgenschweres Eisenbahn. unglüd ereignet. In dem dichten Nebel, der über der Gegend lag, ist ein Zug auf einen Vorzug aufge. fahren. Nach Mitteilungen der an den Bergungs­arbeiten Beteiligten wurden etwa siebzig Fahr. gäste unter den Trümmern der zerstörten Wagen be. graben und verletzt. Die Verwundeten wurden so schnell wie möglich teils durch Kraftwagen, teils durch einen Sonderzug in die benachbarten Krankenhäuser ge­schafft. Weitere Einzelheiten sind noch nicht bekannt.

,, Eine starre Bindung des fünftigen Wahlgesetzgebers an jeden einzelnen dieser Grundfäße bis zur letzten Konsequenz durchzuführen, fann die Verfaffung nicht bezweckt haben. Dies gilt auch von dem rung dieses Grundsayes hat die Reichsverfassung dem Gesetzgeber des Reichswahlgefeßes ein gewisses Maß von Freiheit der Entschließung übertragen. Dieser Auffassung steht der Begriff der Gleichheit nicht entgegen, denn es handelt sich dabei einmal um teinen logisch mathematischen Begriff, sondern um einen Rechtsbegriff. Deshalb find hier Gleichheit und Ungleichheit feine sich ausschließenden Gegenfäße, vielmehr sind Abstufungen und lebergänge möglich und denkbar."

Zum zweiten verweist es darauf, d3 fich das Reichswahl. recht nicht mehr von dem Grundfah der Gleichheit entfernt, als es der Verfassungsgesetzgeber selbst, der zudem selbst, und zwar einstimmig, das Reichswahlgesetz erlaffen habe, für zweckmäßig erachtet habe, und schließlich spricht es den eigent lich selbstverständlichen Satz aus, daß in einem Land nicht