1930
Der Abend
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Spätausgabe des„ Vorwärts
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Nr. 86
B 43 47. Jahrgang
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Der Mann unter der Bank.
Geschäftsordnungsdebatte in den Reichstagsausschüssen.
Die Reichstagsabgeordneten, die sich heute morgen im Plenarfaal des Reichstags zu einer tombinierten Sigung des Auswärtigen und des Haushalts Ausschusses zujammenfanden, distutierten noch eifrig den gestrigen 3usammen stoß zwischen Birth und Freitagh Loringhoven some den Bericht des ,, Borwärts", der die eigentlichen Ursachen dieses Zusammenstoßes aufgebedt hatte. Zu Beginn der Sizung nahm der Borsitzende des Auswärtigen Ausschusses,
Abg. Scheidemann
das Wort zu einer Erflärung, in der er ungefähr ausführte:
Die Deutsche Zeitung" vom 18. Februar hat einen Artikel gebracht, der unter der Ueberschrift, Ein Standalohne Ende" einen Bericht, und zwar einen irreführenden Bericht über eine vertrauliche Sigung dieser Ausschüsse bringt. Die„ Deutsche Beitung" betont darin, daß fie es für ihre Pflicht halfe, ben Soleier der Bertraulichkeit zu zerreißen und unter Ausmuzung aller Möglichkeiten über die Borgänge in den Aus Schülfen zu berichten. Ich bin der Ansicht, daß wir uns ein solches Verhalten nicht gefallen laijen fönnen. Die Annahme, die zu nächst nahe lag, daß der Artikel durch eine Indistretion eines Ausschußmitgliedes zustande gekommen sei, hat sich erfreulicherweise nicht als richtig herausgestellt. Vielmehr scheint sich der Borgang fo abgespielt zu haben, daß sich der Vertreter der Deutschen Zeitung" auf die Journalistenteibüne geschlichen hatte, deren Tür durch ein Bersehen einer Reinmachefrau furze Zeit unverschlossen geblieben war. Wenn wir hier beschließen, ver traulich zu verhandeln, so tun wir das nicht aus Feindschaft gegen die Presse, sondern in vaterländischem Interesse. Was die ,, Deutsche Zeitung" getan hat, ist das gerade Gegen teil davon. Der Artifel gibt die Berhandlungen zum Teil ganz falsch wieder und ist geeignet, die deutschen Interessen auf das aller schärffte zu gefährden. Ich hoffe, daß der Reichstagspräsident energisch durchgreifen und dem schuldigen Journalistes die Reichstagstarte entziehen wird."
Der anwesende Reichstagspräsident ōbe gab fein in verständnis mit dieser Erklärung zu erkennen. Nach einer Pause der Berlegenheit meldete fich dann
Graf Westarp zum Wort, um zu erklären, auch die Deutschnationalen hielten ftreng darauf, daß eine einmal befchloffene Ber traulichteit auch gewahrt bleibe. Hätten sich die Dinge fo abgespielt, wie der Vorsitzende sie geschildert habe, so müsse auch seine Fraktion einen folchen ft journalistischer Findigkeit verurteilen.
Im übrigen bemühte fich Graf Westarp nachzuweisen, daß die von der Deutschen Zeitung" verratenen Vorgänge eigentlich gar nicht vertraulich gewefen feien, wobei er jedoch auf den entschiedenen Widerspruch des Abg. Dr. Hoesch stieß.
Der Zwischenfall schloß mit einer Erklärung des De motraten Koch, der ausführte, es handle fich feineswegs um einen Aft journa listischer Findigfeit", sondern um einen unerhörten Standal und um
Magistratsappell an den Landtag.
Das Berliner Städtische Nachrichtena mt verbreitet folgende Auslaffungen:
Die Stadtverordnetenversammlung hat gelegentlich der Verabschiedung des Nachtragshaushalts für 1929 am 30. Januar 1930 beschlossen, den Magistrat zu ersuchen, bei Reich und Staat dahin zu mirten, daß
1. der weitaus größte Teil des Hauszinssteuerauf. tommens der Stadt Berfin verbleibt;
2. con der Kraftfahrzeugsteuer der Anteil der Stadt überwiesen wird, der tatsächlich in Berlin auffommt; 3. Die Ueberweisungen an Einkommen und Körper fchaftsteuer um 20 Millionen Meart erhöht werden.
Der Magistrat hat sich in seiner Sigung vom 19. Februar eingebend mit diesem Erfuchen beschäftigt und sich einmütig auf den Standpunkt gestellt, daß nichts unverfucht gelaffen werden dürfe, um. pie
Der Magistrat erwartet aus diesen Gesetzesänderungen eine Erhöhung der der Stadt zufließenden Anteile an der Einkommenund Körperschaftssteuer von 8 Millionen, an der KraftfahrzeugSteuer von 8 millionen, an der Hauszinssteuer von 6,7 Millionen.
Es bedarf feines Hinweises darauf, welche Bedeutung diese Summen im Haushalt der Stadt Berlin bei ihrer augenblicklichen Finanznot haben. Hierdurch mürde menigstens zu einem Teil das Unrecht beseitigt, das die Stadt nun schon Jahr um Jahr durch die Bestimmungen der Finanzausgleichs- Gesetzgebung erfährt. Insgesamt hat Berlin im letzten Jahre durch diese ungünstigen Bestimmungen an Einkommen und Körperschaftssteuern 32 Millionen, an Kraftfahrzeugsteuer 19 Millionen, an Hauszinssteuer 27 Millionen verloren. Diese Summe von insgesamt 78 Millionen übersteigt also den Gesamtbedarf des Nachtragshaushalts 1929.
zu beseitigen
und daß daher auch in diesem Jahr Schritte bei der Regierung und demi Landtag unternommen werden müßten, um noch zum 1. April 1930 eine Befferung zu erzielen. Es liegen zwar neue Barschläge der Regierung zu einer Venderung der relativen Garantie und der Verteilung der Kraftfahrzeugsteuer vor, aber bei der Kürze der Zeit bis zum Beginn des neuen Rechnungsjahres für 1930 ist eine entsprechende Alenderung angeblich nicht mehr beabsichtigt, es muß vielmehr mit einer unveränderten Berlängerung der bisherigen, unbefriedigenden Regelung der Berteilung der Anteile an der Einkommen, Körperschafts, Kraftfahr zeug und Hauszinssteuer auf ein weiteres Jahr gerechnet werden. Da die Stadt dem nicht tatenlos zusehen kann und will, wird der Magistrat sich an den Landtag wenden, um wenigstens die folgenden Berbesserungen mit Wirkung vom 1. April
1930 zu erreichen:
und a) die relative Gerantie bei der Einkommen. Körperschaftssteuer durch Erhöhung des figierten Ginheitssatzes von 22 auf 25 Pf. zu lodern,
b) den Verteilungsschlüffel für die Kraftfahrzeugfeuer durch Berücksichtigung des örtlichen Auffommens 3ugunsten Berlins zu verbessern oder den Vorausbetrag Berlins von 2 auf 10 Millionen Mart zu erhöhen.
c) von dem Gemeindefinanzauteil an dem Hauszinssteuerauffommen 5 3ehntel statt bisher 3 3ehntel nach dem Verhältnis des örtlichen Aufkommens zu vertellen.
einen Hausfriedensbruch, der als folcher strafrechtlich verfolgt werden Der nationale Berichterstatter
müffe.
Dann wurde in vertraulicher Sigung die Beratung der Ganttionsfrage aufgenommen. Alle Türen, die zum Plenarfaal führen, abgesehen von den beiden mittleren, find heute ge= fchloffen und streng bewacht.
Lombardfähigkeit der Kommunalanleihen.
Der Auswärtige und der Haushaltsausschuß des Reichstags beschloffen heute über den bis dahin noch unerledigt gebliebenen Rest des Reichsbantgefeges Der Ausschuß feaf gegen eine Rechtsoppofition von 16 Stimmen dem Beschluß des Reichstats bei, der auch die Kommunalanleihen für lombardfähig
erklärt.
Condon, 20. Jebruar.
Wie aus Johannesburg gemeldet wird, ist in Südafrika
die Pest ausgebrochen. Bisher find etwa 100 Fälle, von denen 80 tidlig verliefen, zu verzeichnen.
दल
„ Für diese Stellung elane ich mich glänzend, denn in jeder anständigen Gesellschaft bin ich sowieso
unten durch!"
Laffauto in Brig vom Güterzug zertrümmert.
Heute früh wurde am Bahnübergang der NeuköllnMittenwalder kleinbahn in der Marien. dorfer Allee in Brih ein Castauto vom Zuge erfaßt und völlig zertrümmert. Der Chauffeur wurde schwer und sein Mitfahrer leicht verletzt.
Es handelt sich um das La ft auto der Berliner Stadtgüter B. m. b. H., das morgens gegen 6 Uhr vollbeladen die Mariendorfer Allee passerte und in Richtung Marienfelde fuhr. Um
diese Zeit herrschte noch völlige Dunkelheit und außerdem war es ziemlich neblig. Als das Laftauto nur noch wenige Meter von dem Bahnübergang, der keine Schranken hat, war, sah der Chauffeur plöblich zu seinem Entsetzen die Lichter eines herannahen. den Güterzuges der Mittenwalder Kleinbahn auftauchen. Ein Zurüd gab es nicht mehr, und als der Chauffeur gerade versuchte, dem drohenden Unheil durch Abspringen zu entgehen, erfolgte unter einem phrenbetäubenden Krach der Zusammenstoß. Das Lastauto murde viele Meter weit mitgerissen und völlig zertrümmert, ehe der 3ug zum Stehen tam. Während der Mitfahrer wie durch ein Wunder mit leichten Berlegungen davonfam, wurde der Führer, ein 31jähriger Gottfried Hug mit einer schweren Schädel verlegung bewußtlos neben den Schienen aufgefunden. H. fand im Neuköllner Krankenhaus Aufnahme. Eine strenge polizeiliche Untersuchung über die Schuldfrage scheint dringend notwendig.
Bon einem Automobilisten, der in Briz wohnt und den gefähr lichen, schrankenlofen Bahnübergang beinahe täglich benutzen muß, werden
schwere Vorwürfe gegen die Bahngesellschaft erhoben. Der Uebergang ist völlig unübersichtlich und nachts sehr fümmerlich beleuchtet. Auf der einen Seite der Mariendorfer Allee stehen Häuser und Schuppen, die dicht bis an die Gleise heranreichen und jede Sicht nehmen. Wiederholt ist auf diese Gea fahrenquelle hingewiesen worden und die Errichtung einer Schranke gefordert worden. Auch in der Neuköllner Bezirksversammlung ist dieser Mißstand an dem Bahnübergang mehrfach zur Sprache gebracht worden. Besonders die sozialdemotra. tische Frattion hat sich im Interesse der Bevölkerung wieder. holt mit den unhaltbaren Zuständen an dem Bahnübergang be. fchäftigt. Trotz aller Mahnungen und Hinweise hat es die Bahn. gesellschaft nicht für nötig befunden, den gefährlichen Bahnübergang burch eine Schrante zu sichern. Da die Gesellschaft den Zustand gefannt hat, sollte man ihre Direttoren nunmehr auch zur Verant wortung ziehen.
Chautemps beauftragt.
Paris , 20. Februar. Der Präsident der Republit beauftragte am Donnerstag vormis tag den Borfigenden der parlamentarischen Gruppe der Radikal fozialistischen Partei, Camille Chautemps , mit der Neubildung bes Rabinetts.
Chaufemps äußerte sich beim Berlassen des Elniés, daß er den festen Willen habe, eine Regierung der republikanischen Union zufammenzubringen, deren Brogramm demokratisch- national